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Aktuelle Rechtsprechung zum Kündigungsrecht und zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen Olaf Möllenkamp Richter am Arbeitsgericht Lübeck. Programm. Kündigungsrecht Allgemein Voraussetzungen Betriebsbedingte Kündigung Personenbedingte Kündigung Verhaltensbedingte Kündigung
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Aktuelle Rechtsprechung zum Kündigungsrecht und zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen Olaf Möllenkamp Richter am Arbeitsgericht Lübeck
Programm Kündigungsrecht • Allgemein Voraussetzungen • Betriebsbedingte Kündigung • Personenbedingte Kündigung • Verhaltensbedingte Kündigung • Sonderkündigungsschutz • Abmahnung • Änderungskündigung • Sonstiges
Programm Befristungsrecht (Aufhebungsverträge, Taktik)
Kündigungsrecht Allgemeine Voraussetzungen der Kündigung
KündigungsrechtAllgemeine Voraussetzungen Bestimmtheit einer ordentlichen Kündigung I BAG Urt. v. 20.06.2013 – 6 AZR 805/11 • es muss erkennbar sein, wann das Arbeitsverhältnis enden soll • Angabe des Termins oder der Frist ausreichend • Hinweis auf gesetzliche Frist reicht aus
KündigungsrechtAllgemeine Voraussetzungen Bestimmtheit einer ordentlichen Kündigung II BAG Urt. v. 15.05.2013 – 5 AZR 130/12 • zu kurze Kündigungsfrist nur innerhalb der Drei-Wochen-Frist umdeut-/anfechtbar • „fristgemäß zum …“ mit fehlerhafter Angabe ist auslegbar, wenn Arbeitnehmer erkennen kann, dass Arbeitgeber korrekte Frist will • kein Verstoß gegen Bestimmtheitsgebot, wenn (nur) gesetzliche Kündigungsfristen anwendbar und mit einfachem Rechenschritt ermittelbar
KündigungsrechtAllgemeine Voraussetzungen Berechnung der Betriebsgröße - Leiharbeiter BAG Urt. v. 24.01.2013 – 2 AZR 140/12 • Leih-AN zu berücksichtigen, sofern Einsatz auf „in der Regel“ vorhandenem Personalbedarf beruht • zu berücksichtigen, soweit mit ihnen ein regelmäßiger Beschäftigungsbedarf abgedeckt wird • Rückblick und Blick auf zukünftige Entwicklung der Beschäftigungslage ist maßgeblich
KündigungsrechtAllgemeine Voraussetzungen Leiharbeit und Vorbeschäftigung LAG Nds. Urt. v. 05.03.2013 – 12 Sa 50/13 • die Tätigkeit als Leiharbeitnehmer für einen Entleiherbetrieb gilt nicht als Vorbeschäftigung i.S.v. § 1 Abs. 1 KSchG bei erfolgter Übernahme
KündigungsrechtAllgemeine Voraussetzungen Kündigung durch vollmachtlosen Vertreter BAG Urt. v. 09.06.2012 – 2 AZR 858/11 • Fristlauf für Erhebung der Kündigungsschutzklage bei Vertreter ohne Vertretungsmacht erst ab Zugang der Genehmigung des Arbeitgebers bei Arbeitnehmer • Zurechenbarkeit erst ab Genehmigung
KündigungsrechtAllgemeine Voraussetzungen Konsultationsverfahren bei Massenentlassung BAG Urt. v. 21.03.2013 – 2 AZR 60/12 • fehlendes Konsultationsverfahren mit dem BR nach § 17 Abs. 2 KSchG führt zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung wegen Gesetzesverstoßes • Konsultationsverfahren ist eigenständige Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung • auch das Fehlen oder die ungenügende Abgabe einer Massenentlassungsanzeige führt zur Unwirksamkeit
KündigungsrechtAllgemeine Voraussetzungen Zugang der Kündigung während des Urlaubs BAG Urt. v. 22.03.2013 – 2 AZR 224/11 • an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtete Kündigung auch dann zugegangen, wenn Arbeitgeber urlaubsbedingte Ortsabwesenheit kennt • ein Irrtum über die Fristberechnung kann nur bei fehlendem Verschulden zur nachträglichen Klagzulassung führen
KündigungsrechtAllgemeine Voraussetzungen Treuwidrigkeit bei Formverstoß des Aufhebungsvertrags LAG Hessen Urt. v. 22.03.2013 – 13 Sa 845/12 • i.d.R. kann sich eine Partei auf die Einhaltung des Schriftform des § 623 BGB berufen • dies gilt nicht, wenn sich die Berufung zu einem vorausgegangenen Verhalten in Widerspruch setzt und die Partei der Endgültigkeit und Verbindlichkeit der Regelung besonderen Ausdruck verliehen hat
Kündigungsrecht Betriebsbedingte Kündigung
KündigungsrechtBetriebsbedingte Kündigung Vorübergehender Arbeitsmangel BAG Urt. v. 23.02.2012 – 2 AZR 548/10 • keine dringenden betrieblichen Erfordernisse, wenn Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs nicht absehbar dauerhaft • kurzfristige Produktions- und Auftragsschwankungen müssen nach Arbeitgebervortrag ausgeschlossen sein • Kurzarbeit spricht gegen einen dauerhaften Arbeitsmangel
KündigungsrechtBetriebsbedingte Kündigung Wegfall einer Hierarchieebene BAG Urt. v. 24.05.2012 – 2 AZR 124/11 • läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Wegfall einer Hierarchieebene oder eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus, muss der Arbeitgeber erläutern, in welchem Umfang die bisherigen Arbeiten entfallen • die Auswirkungen der unternehmerischen Entscheidung auf das erwartete Arbeitsvolumen müssen in einer schlüssigen Prognose im Einzelnen dargestellt werden
KündigungsrechtBetriebsbedingte Kündigung Sozialauswahl in einem AÜ-Unternehmen BAG Urt. v. 20.06.2013 – 2 AZR 271/12 • kann der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung die zwar andere, aber gleichwertige Tätigkeit ausüben, ist er im Rahmen der Sozialauswahl vergleichbar • im Einsatz befindliche Leiharbeitnehmer sind mit einsatzfreien Leiharbeitnehmern im Rahmen der Sozialauswahl grundsätzlich vergleichbar
KündigungsrechtBetriebsbedingte Kündigung Darlegungslast bei IA mit Namensliste BAG Urt. v. 27.09.2012 – 2 AZR 516/11 • der Arbeitnehmer muss darlegen und beweisen, dass sein Arbeitsplatz noch vorhanden ist oder wo er sonst im Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann • Anknüpfungstatsachen für die gesetzliche Vermutung sind vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen (Vermutungsbasis) • hiergegen ist nur der Beweis des Gegenteils zulässig; nur Zweifel reichen nicht aus; greifbare Anhaltspunkte notwendig • Arbeitnehmer muss Informationsmöglichkeiten ausschöpfen
KündigungsrechtBetriebsbedingte Kündigung Änderung einer Auswahl-RL durch IA mit Namensliste BAG Urt. v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11 • die Abweichung von einer Auswahl-Richtlinie durch Interessenausgleich mit Namensliste ist zulässig
KündigungsrechtBetriebsbedingte Kündigung Interessenausgleich bei Insolvenz BAG Urt. v. 18.10.2013 – 6 AZR 289/11 • Einsatz von Leih-AN als externe Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf stellen i.d.R. keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit dar • im IA mit Namensliste zugelassene Leih-AN-Quote von 10% widerlegt nicht die Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO
KündigungsrechtBetriebsbedingte Kündigung Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung BAG Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11 • unternehmerische Entscheidung nur offensichtliche Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür überprüfbar • kein Absehen von Fremdvergabe wenn von Kündigung betroffene Arbeitnehmer überwiegend ordentlich nicht kündbar • Vorrang tariflicher Anpassungsmöglichkeiten sind zu nutzen; erst dann außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist nutzbar
KündigungsrechtBetriebsbedingte Kündigung Weiterbeschäftigung in ausländischem Betrieb BAG Urt. v. 29.08.2013 – 2 AZR 809/11 • ein freier Arbeitsplatz eines Betriebes im Ausland gilt nicht als freier Weiterbeschäftigungsarbeitsplatz i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG • § 23 KSchG gilt nur in Bezug auf inländische Betriebsstätten
Darlegungs- und Beweislastbei der betriebsbedingten Kündigung
Darlegungslast: • Wer muss den Sachvortrag überhaupt leisten, aus dem sich der gerichtliche Prüfungsumfang ergibt? Beweislast: • Wer muss den Sachvortrag beweisen, wenn die geschilderten Umstände streitig sind? im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich der Arbeitgeber
Darlegung: • Strukturelle Darstellung des kündigungsrelevanten Sachverhalts • Beweismittel nach ZPO: • Zeugen • Sachverständige • Augenschein • Urkunden • Parteivernehmung
„Vorfeldarbeit“ des Arbeitgebers vor Ausspruch der Kündigung: • Fristberechnung • Zustimmungs- und Anhörungserfordernisse • Schriftformerfordernis (§ 623 BGB) • kein Begründungserfordernis • Hinweispflichten im Kündigungsschreiben • Zugangsnachweis • Absicherung für Kündigungsschutzprozess
Absicherung für Kündigungsschutzprozess • sorgfältiges rechtliches Durchdenken der beabsichtigten Kündigung • Dokumentation von Entscheidungsgrundlagen • schriftliche Niederlegung von unternehmerischen Entscheidungen • Bitte an mögliche Zeugen, sich Notizen vom Vorgang zu machen
Struktur der betriebsbedingten Kündigung Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse, die den Beschäftigungsbedarf im Betrieb vermindert haben keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit fehlerfreie Sozialauswahl
Konzept der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit fehlerfreie Sozialauswahl Arbeitgeber Arbeitnehmer Arbeitnehmer
Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse Ausgangspunkt: nicht: Umsatzrückgang, Auftragswegfall, Gewinneinbruch, Lizenzentzug, Insolvenz o.ä. Arbeitgeber Überhang an Arbeitskräften
außerbetriebliche Gründe innerbetriebliche Gründe gestaltende unternehmerische Entscheidung Überhang an Arbeitskräften Kündigung
Die Darlegungs- und Beweislast für trägt der Arbeitgeber. außerbetriebliche Gründe innerbetriebliche Gründe gestaltende unternehmerische Entscheidung Überhang an Arbeitskräften
Darlegung dringender betrieblicher Erfordernisse • Beweis dringender betrieblicher Erfordernisse falls Arbeitnehmer bestreitet
außerbetriebliche Gründe innerbetriebliche Gründe • Auftragsrückgang • Umsatzrückgang • verschlechterte Ertragslage • Kundenverlust • Rohstoffmangel • Wegfall von Fördergeldern • Tarifentwicklung • politische Ursachen • Rationalisierung • Betriebsstilllegung • Betriebseinschränkung • Outsourcing • Strukturveränderung • Änderung der Produktionsmethoden
außerbetriebliche Gründe innerbetriebliche Gründe Stützt sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess auf bestimmte außer- und/oder innerbetriebliche Gründe, muss er das zugrunde liegende Zahlenmaterial bei Gericht vorlegen, z.B. • Bilanzen • Auftragsbestände • Ertragsentwicklung • Kundenkündigungen • Fremdverträge
gestaltende unternehmerische Entscheidung Aufgrund der außer- und/oder innerbetrieblichen Ursachen wird eine „freie“ unternehmerische Entscheidung getroffen, infolge derer ein entsteht. Überhang an Arbeitskräften
gestaltende unternehmerische Entscheidung • geschützt durch Art. 14 Abs. 1 GG • gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar auf offenbare Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür • nicht überprüfbar auf Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit oder Sinnhaftigkeit • tatsächliche Entscheidung voll überprüfbar • oft entbehrlich bei bereits erfolgter Umsetzung
gestaltende unternehmerische Entscheidung Da bei Streit darüber voll überprüft wird, ob die Entscheidung überhaupt getroffen worden ist, sollte dokumentiert werden: • Wann, wo in welcher Besetzung von wem getroffen? • Was wurde konkret zu wann beschlossen? • Warum wurde der Beschluss gefasst (Gründe)? • Wie wirkt sich der Beschluss auf die Beschäftigungslage aus?
Überhang an Arbeitskräften Aus der gestaltenden unternehmerischer Entscheidung muss sich ein Überhang an Arbeitskräften ergeben. Dieser ist nicht selbsterklärend und muss ggf. rechnerisch nachvollziehbar dargestellt werden.
Überhang an Arbeitskräften Einfach darzustellen bei • Abteilungsschließung • Outsourcing • Betriebsschließung • Wegfall einzelner Arbeitsplätze Schwieriger darzustellen bei Volumenentscheidungen
Überhang an Arbeitskräften Beispiel: Reduziertes Arbeitsvolumen
Überhang an Arbeitskräften Beispiel: Strukturelle Verdichtung
Überhang an Arbeitskräften • muss dauerhaft bestehen • kann sich auch aus geänderten Anforderungen an Qualifikationsprofil für Arbeitsplatz ergeben • kann sich auch aus geänderter zeitlicher Anforderung an den Arbeitsplatz ergeben
Überhang an Arbeitskräften • betriebsbezogene Sichtweise, aber ggf. unternehmensweite Weiterbeschäftigung bedenken • muss sich nicht auf einen konkreten Arbeitsplatz oder Arbeitnehmer beziehen
außerbetriebliche Gründe innerbetriebliche Gründe gestaltende unternehmerische Entscheidung Überhang an Arbeitskräften Kündigung
Typische Fallgruppen: • Auftrags- und Umsatzrückgang • Betriebsstilllegung und Verlagerung • Betriebseinschränkung • Outsourcing • sinkende Rentabilität, Gewinnverfall • Leistungsverdichtung • Rationalisierung
Auftrags- und Umsatzrückgang: • verminderter Beschäftigungsbedarf erforderlich • geringer wertige Tätigkeiten an höher qualifizierte AN übertragbar • Selbstbindung des AG durch dynamische Anpassung an Arbeitsmenge möglich • AN kann kein besseres Konzept zum Arbeitsplatzerhalt erzwingen
Betriebsstilllegung: • problematisch nur bei alsbaldiger Wiedereröffnung • Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit wird nicht überprüft • falls erst anstehend, Beweis durch Mitteilungen ggü. Banken, Vermieter, Kunden, Lieferanten • falls vollzogen, kaum Beweis mehr erforderlich
Verlagerung / Betriebseinschränkung: • Prüfung wie Stilllegung • problematisch allein Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (an neuem Standort)
Outsourcing: • bei Leiharbeit unzulässig (Austauschkündigung) • unproblematisch bei Übertragung zur eigenständigen Erledigung • Konzeptwechsel eigene AN freie Handelsvertreter zulässig • unzulässig bei Umgehung von Kündigungsschutz • problematisch bei Scheinselbständigkeit
Sinkende Rentabilität, Gewinnverfall: • muss bei Bestreiten durch Zahlenmaterial dargelegt werden • auch auf hohem Niveau Arbeitsplatzabbau möglich • sonst zu prüfen wie Auftrags- und Umsatzrückgang