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Täter-Opfer-Ausgleich und Neue Ambulante Maßnahmen im deutschen (Jugend-)Strafrecht. Prof. Dr. Frieder Dünkel 2008. Die neuen ambulanten Maßnahmen nach dem deutschen Jugendgerichtsgesetz.
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Täter-Opfer-Ausgleich und Neue Ambulante Maßnahmen im deutschen (Jugend-)Strafrecht Prof. Dr. Frieder Dünkel 2008
Die neuen ambulanten Maßnahmen nach dem deutschen Jugendgerichtsgesetz Täter-Opfer-Ausgleich,Betreuungsweisung, Soziales Training, gemeinnützige Arbeit - Empirische Befunde zur Anwendungspraxis, Praktikabilität und Evaluation
1. Historische Entwicklung und rechtliche Grundlagen der neuen ambulanten Maßnahmen (NAM) • Die NAM haben sich seit Ende der 1970er Jahre in der alten BRD als Reformbewegung „von unten“ entwickelt. • „Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis“ • Zunächst vor allem im Rahmen sog. Brücke-Projekte in Verbindung von Betreuungsweisungen (BW) und gemeinnütziger Arbeit. • Der Soziale Trainingskurs (STK) entwickelte sich seit Anfang, der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) seit Mitte der 1980er Jahre ebenfalls vorwiegend im Rahmen privater Jugendhilfeträger
Historische Entwicklung (2) • Mit dem 1. JGG-ÄndG von 1990 wurden die vom Gesetzgeber positiv bewerteten Erfahrungen ins Gesetz übernommen, • der STK und die Betreuungsweisung als richterliche Weisung nach § 10, • die gemeinnützige Arbeit als Weisung und Auflage (AW/AA; zudem als Form der informellen Verfahrenseinstellung, vgl. § 45 III) und • der TOA als informelle Verfahrenserledigung gem. § 45 II sowie als richterliche Weisung.
Historische Entwicklung (3) • Die Auswirkungen des 1. JGG-ÄndG sind beträchtlich: • im Zweijahreszeitraum nach dem 1.12.1990 wurden erheblich mehr neue Projekte registriert als im vergleichbaren Zeitraum vor der Reform • siehe nachstehende Tabelle
Zuwachsraten der Angebotsentwicklung vor und nach dem 1. JGG-ÄndG von 1990 in den alten Bundesländern
Angebotsentwicklung in den neuen Bundesländern im Maßnahmenvergleich
2. Quantitative Bedeutung der NAM im Überblick • Ergebnisse der bundesweiten Bestandsaufnahme(Dünkel/Geng/Kirstein 1998; DVJJ-Journal 1999) • Die NAM sind weitgehend flächendeckend etabliert. • Die Angebotsstruktur in den neuen Bundesländern ist derjenigen in den alten Bundesländern vergleichbar. • Entwicklung der NAM in den neuen Bundesländern(Steffens 1997; Schwerin-Witkowski 2003; Dünkel/Scheel/Schäpler in ZJJ 2003) • Trotz der wirtschaftlich problematischen Lage hat sich der Ausbau des Maßnahmeangebots in den neuen Bundesländern fortgesetzt. • Dabei lässt sich eine Verlagerung von der Jugendgerichtshilfe hin zu freien Trägern feststellen.
3. Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) – Definition und Zielsetzungen • Bemühungen, die nach einer Straftat zwischen Tätern und Geschädigten bestehenden Probleme, Belastungen und Konflikte zu bereinigen. • Über die konkrete Schadenswiedergutmachung bzw. Konfliktschlichtung hinaus sind Ziele des Täter-Opfer-Ausgleichs: 1. Stärkung der Opferbelange im Rahmen der Strafver-folgung, einschließlich der Vermeidung weitergehender zivilrechtlicher Auseinandersetzungen (wegen Scha-densersatz, Schmerzensgeld). 2. Verdeutlichung der Norm beim Täter (um Neutra-lisationstechniken zu vermeiden und eine aktive Übernahme von Verantwortung zu bewirken). 3. Vermeidung, zumindest Milderung strafrechtlicher Sanktionen.
3.1 Zuweisungskriterien für den TOA in der Praxis der Projekte Zugangsvoraussetzungen: 1. Eindeutig geklärter Sachverhalt bzw. Täter ist geständig. 2. Im Regelfall persönlich geschädigtes Opfer. 3. Täter und Opfer stimmen dem Ausgleichsversuch zu. 4. Sog. Bagatellklausel, d. h. T-O-A nur, wenn die folgenlose Einstellung des Verfahrens nicht in Betracht kommt. 5. Keine zu starke Schädigung des Opfers bzw. kein zu schweres Delikt.
3.2 Rechtliche Anknüpfungspunkte des TOA - Jugendstrafrecht: • §§ 45, 47 JGG (vgl. insbesondere den 1990 eingefügten § 45 II S. 2, der den T-O-A als erzieherische Maßnah-me besonders hervorhebt). • § 10 I Nr. 7 JGG (richterliche Weisung; dogmatisch be-denklich, da der T-O-A theoretisch auch gegen den Willen der Beteiligten angeordnet werden kann).
Rechtliche Anknüpfungspunkte des TOA - Erwachsenenstrafrecht: • §§ 153 ff. StPO (insbesondere § 153a StPO; Einstellung des Verfahrens nach erfolgter Wiedergutmachung oder gegen ein Anerbieten von Wiedergutmachungsleis-tungen). • §§ 155a, 155b StPO (StA und Gericht prüfen in jedem Stadium des Verfahrens, ob ein TOA angezeigt erscheint) • § 46a StGB (Absehen von Strafe, sofern max. 1 Jahr FS verwirkt ist, oder Milderung der Strafe: wenn ernsthafte Bemühungen oder tatsächliche Leistungen i. S. v. TOA/Wiedergutmachung vorliegen, oder das Opfer unter erheblichen persönlichen Leistungen ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt wurde)
Rechtliche Anknüpfungspunkte des TOA – Erwachsenenstrafrecht (2) • § 23 StGB (Bewährungsauflage) • § 57 V StGB (bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug)
3.3 Jugendkriminalpolitische Grundsätze und straftheoretische Ausgangspunkte des TOA • Jugendkriminalpolitische Grundsätze: • Subsidiaritätsgrundsatz, vgl. § 45 Abs. 2 (Vorrang der Diversion) • Vorrang des Erziehungsgedankens (spezialpräventive Aspekte des TOA) • Straftheoretische Ausgangspunkte: • Der TOA entspricht spezial- und (positiv) generalprä-ventiven Zielsetzungen, kann aber auch als selbständige „Dritte Spur“ (neben Strafen und Maßregeln) angesehen werden (Konfliktschlichtungsparadigma als eigener Strafzweck)
3.4 Kriminalitätstheoretische Annahmen des TOA • Kriminalitätstheoretische Annahmen: • Neutralisationstechniken • Herabwürdigung, • Entmenschlichung des Opfers, • werden beseitigt, • Hemmschwellen durch die Konfrontation mit dem Leid des Opfers aufgebaut.
Kriminalitätstheoretische Annahmen des TOA (2) • Von großem Einfluss ist die Theorie des Re-integrative Shaming von Braithwaite (1989). • Danach soll der natürliche Instinkt der Scham genutzt werden, um das Unrecht zu verdeutlichen, andererseits die Wiedereingliederung in die Gemeinschaft durch Vergebung erfolgen • Christliche Parallele: Hasse die Sünde, aber liebe den Sünder! • Kriminalpolitische Konsequenzen: • Restorative justice, family group conferencing u. ä.
3.5 Anwendungsbereiche des TOA • Deliktsstruktur: vor allem Körperverletzungsdelikte, Diebstahl, Sachbeschädigung, Beleidigung, teilweise auch schwerere Delikte wie Raub. • Zunehmend wird der TOA auch im Bereich mittel-schwerer Kriminalität angewendet, d. h. die Befürch-tungen, dass der T-O-A auf Bagatelldelinquenz be-schränkt bleibt, bestätigen sich nicht. • Allerdings werden vorwiegend Ersttäter einbezogen, mehrfache Wiederholungstäter dagegen weniger.
3.6 Anwendungspraxis und Methoden des TOA • Methoden: • Im Mittelpunkt steht die persönliche Begegnung von Täter und Opfer in einem Schlichtungs- oder Aus-gleichsgespräch (in Anwesenheit eines Mittlers, „Konfliktschlichters“). • Der T-O-A ist kein Behandlungskonzept, sondern eine soziale „Kurzintervention“, die allerdings auch Lerner-fahrungen (Normverdeutlichung, Vermittlung von Hemmschwellen durch Bewusstmachung des Leids des Opfers) im Hinblick auf das Verantwortungsbewusst-sein des Täters für die Folgen eigenen Handelns und auf eventuell vorhandene Feindbilder, Aggressionen oder Ängste beider Parteien bietet.
Arbeitsschritte bei der Durchführung des TOA: 1.Kontaktaufnahme mit den Konfliktparteien · Schilderung der subjektiven Sichtweise · Klärung der Mitwirkungsbereitschaft ·Klärung der Vorstellungen über die Wiedergutmachung 2. Das Schlichtungsgespräch ·Gesprächseinstieg ·Aufarbeitung der Tat und der Konfliktsituation ·Verhandlung über eine Wiedergutmachung ·Gesprächsabschluss 3. Abwicklung der Wiedergutmachung
Mögliche Probleme beim Täter-Opfer-Ausgleich: Der Täter • hat noch andere, u. U. schwerere Straftaten begangen • beteiligt sich nur am TOA, um ein Strafverfahren zu vermeiden, • verfügt nicht über ausreichendes Einkommen, um einen materiellen Schaden wieder gut zu machen, • kommt nicht zum Erstkontakt, • versucht den Vermittler zu vereinnahmen, • bagatellisiert oder neutralisiert die Tat, • hält die getroffene Vereinbarung nicht ein.
Mögliche Probleme beim Täter-Opfer-Ausgleich (2) Das Opfer: • hat kein Interesse an einer Konfliktschlichtung • erscheint nicht zum Erstkontakt • übt über zivilrechtliche Forderungen Druck aus • hat Angst vor dem Täter • versucht den Vermittler zu vereinnahmen • hat gegenüber dem Täter ein Strafbedürfnis
Mögliche Probleme beim Täter-Opfer-Ausgleich (3) Probleme bzgl. anderer Verfahrensbeteiligter: • Eltern (oder andere Bezugspersonen) agieren im Schlichtungsverlauf für Täter oder Opfer, • Eltern des Täters übernehmen den Schadensausgleich, • Richter/Staatsanwalt macht bei der Zuweisung eines Falles Vorgaben, • Anwälte erschweren oder behindern die Konfliktschlichtung, • Dritte (z. B. Versicherung) melden Forderungen an.
Fragen in Bezug auf das Schlichtungsgespräch: • Wie kann der Vermittler trotz der emotionalen Anspannung einen Gesprächseinstieg fördern? • Wie kann die Tat im Schlichtungsgespräch aufgearbeitet werden? • Wie weit sollte der Vermittler die Beteiligten mit der Tat konfrontieren? • Wie kann der Vermittler im Schlichtungsgespräch mit einem Machtgefälle zwischen den Konfliktparteien umgehen?
Übergreifende Fragen: • Wie stark und/oder aktiv sollte der Vermittler in den Konfliktschlichtungsverlauf eingreifen? • Wie bewältigt der Vermittler die Gratwanderung zwischen Neutralität und Parteinahme? • Wie geht der Vermittler mit den unterschiedlichen Normen aller Beteiligten (Täter, Opfer, Staatsanwaltschaft, Gericht, JGH, TOA-Träger) um? • Wie kann der Vermittler im Konfliktschlichtungsverlauf mit Tätern oder Opfern anderer Kulturen, Normen, Schichten, Gruppen, anderen Geschlechts umgehen?
3.7 T-O-A-Projekte: • Nach einer Umfrage von 1994/95 (LS f. Kriminologie, Greifswald) gaben 70% der Jugendämter in den alten, 88% in den neuen Bundesländern an, T-O-A selbst oder über einen freien Träger anzubieten (Bundesgebiet insgesamt: 74%). • Allerdings handelte es sich nur in 21% der Fälle (d. h. der Jugendamtsbezirke mit TOA-Angebot) um ein schwer-punktmäßiges Angebot (mit spezialisierten Mitarbeitern, ABL: 20%, NBL: 23%). • Die jährlichen Fallzahlen bleiben nach wie vor gering: Die Hälfte der Jugendämter mit einem T-O-A-Angebot bearbeitete 1993 nicht mehr als 8 Fälle pro Jahr, 75% nicht mehr als 20 Fälle. • Insgesamt hat sich in den neuen BL eine vergleichbare Angebotsstruktur und Praxis entwickelt.
Angebotsverteilung des Täter-Opfer-Ausgleichs im Bundesländervergleich
3.8 Fallzahlen: • Pro Sozialarbeiter ca. 80-100 Täter pro Jahr; ca. 3-8% der anklagefähigen Verfahren werden erfasst. Geschätzt wird, dass ca. 30% der Jugendstrafverfahren für einen T-O-A (oder die Wiedergutmachungsauflage) in Betracht kommen. • Das Potential für restitutive Sanktionen insgesamt, ein-schließlich gemeinnütziger Arbeit ist weit größer: • 2003 erhielten allein 42% (n = 42.220) der in den alten Bundesländern nach JGG Verurteilten (n = 101.562) eine Arbeitsauflage (die Zahl von Arbeitsweisungen durch Urteil oder im Rahmen der Diversion ist statistisch nicht ausgewiesen).
3.9 Ausgleichserfolge und Rückfälligkeit • Ca. 60-75% der Fälle werden erfolgreich abgeschlossen, d. h. mit einer einvernehmlichen Regelung zwischen Täter und Opfer, • 70-85% der Ausgleichsfälle werden informell, d. h. mit der Einstellung des Verfahrens erledigt. Die Geschädig-ten zeigen sich ganz überwiegend mit dem Ausgleich zufrieden. • Die Rückfallquote bei erfolgreichen TOA-Fällen ist ten-denziell niedriger als bei eingriffsintensiveren, insbeson-dere freiheitsentziehenden Sanktionen, jedoch fehlt es weitgehend an methodisch anspruchsvollen empirischen Evaluationsstudien.
Theoretische Funktionen des TOA im Hinblick auf die Rückfallprävention • Verdeutlichung der Grenzen durch Konfrontation mit den Folgen der Tat (Normverdeutlichung), • Modellfunktion für verantwortliches prosoziales Verhalten, • Förderung von Lernprozessen durch konformes Verhalten, • Verstärkung der Akzeptanz gewaltfreier Lösungsmöglichkeiten, • Förderung der Integration in die Gemeinschaft.
Rückfallstudien zum TOA • In einer Untersuchung von Dölling/Hartmann/Traulsen(MschrKrim 2002, S. 185 ff.) wurden die erfolgreichen TOA-Fälle zwar in vergleichbarem Maß wie eine Vergleichs-gruppe erneut auffällig, jedoch war die durchschnitt-liche Zahl der Rückfälle mit 1,4 zu 2,1 signifikant niedriger. • Auch bei Kontrolle von den Rückfall beeinflussenden Variablen wie materieller Schaden und Zahl der Vor-ahndungen (Vorstrafen) blieb ein signifikanter Effekt von r = -.14 zugunsten der TOA-Fälle bestehen.
Rückfallstudien zum TOA (2) • In der Untersuchung zum Projekt „Handschlag“ in Lüneburg wurden von den 91 TOA-Fällen (Körperverletzungsdelikte) 56% gegenüber 82% der Vergleichsgruppe formell wegen Körperverletzung Verurteilter (n = 60) rückfällig (vgl. Busse, J. (2001): Rückfall-untersuchung zum Täter-Opfer-Ausgleich. Jur. Diss. Marburg 2001, S. 138). • Die beiden Untersuchungsgruppen sind weitgehend vergleichbar (jedoch geringfügig weniger Vorstrafen und gef. KV in der TOA-Gruppe). Selektionseinflüsse sind nicht ganz auszuschließen.
Rückfallstudien zum TOA (3) • Eine Rückfalluntersuchung zum Außergerichtlichen Tatausgleich (ATA) in Österreich zeigte, dass von 470 ATA-Fällen bei Erwachsenen nach 3 Jahren bei Ersttätern 10%, bei Vorbestraften 30% betrug. • Bei zu Geldstrafe Verurteilten betrugen die entsprechenden Rückfallquoten 22% (Ersttäter) bzw. 47% (Vorbestrafte), vgl. Schütz, Die Rückfälligkeit nach einem Außergerichtlichen Tatausgleich bei Erwachsenen, ÖJZ 1999, S. 161 ff. • Selektionseffekte wurden allerdings nicht kontrolliert.
3.10 Kritische Aspekte des TOA • Zur Kritik am TOA vgl. Naucke ./. Rössner, Neue Kriminalpolitik 2/1990, S. 13 ff. • Die Kritik betrifft die „Mutlosigkeit“ im Hinblick auf eine zu fordernde weitergehende materiellrechtliche Entkriminalisierung (Naucke); • andererseits betont Rössner die qualitativ andere, das mit einer„Übelszufügung“ verbundene klassische Strafrecht transzendierende Sichtweise des TOA.
Weitere kritische Aspekte beziehen sich auf die Gefahr des „net-widening“, z. B. wenn der TOA/die Wiedergut-machung nur als zusätzliche Sanktion neben die klas-sischen, z. T. eher repressiven Sanktionen (z. B. den Jugendarrest) treten. • Stichwort: „Sanktionscocktail“ • Auch wird der TOA in Anbetracht der insgesamt gesehen relativ wenigen Fälle (insbesondere im Ver-gleich zur gemeinnützigen Arbeit als quantitativ be-deutendster Sanktion) als sozialpädagogisches Alibi eines im Grunde unveränderten Jugendkriminalrechts gesehen.
Die Kritik erscheint allerdings überzogen und empirisch nicht begründet. • Der TOA wird im Regelfall als Diversionsmaßnahme angesehen und praktiziert (vgl. auch RL 4 zu § 10 JGG). • Die Zahlen nehmen weiter zu und die spätere Legal-bewährung von TOA-Teilnehmern ist gut (geringe Rückfallquoten, vgl. Dölling/Hartmann/Traulsen MschrKrim 2002, S. 185 ff. und oben). • Die Quote erneuter Auffälligkeit bei jugendrichterlichen Sanktionen (gem. §§ 10, 14, 15 JGG) insgesamt liegt bei 55%, darunter 50% erneute Verurteilungen, jedoch nur 6% JS/FS ohne Bewährung, vgl. Jehle/Heinz/Sutterer 2003, S. 57.
4. Betreuungsweisung • Die Betreuungsweisung ist eine Art Bewährungshilfe ohne die Verhängung einer Jugendstrafe. • Sie schließt damit die Lücke im Falle eines intensiven sozialpädagogischen Betreuungsbedarfs für Fälle, bei denen mangels schädlicher Neigungen oder Schwere der Schuld Jugendstrafe nicht angezeigt ist. • Bei Heranwachsenden kommt sie als Alternative zu der bei dieser Altersgruppe ausgeschlossenen Erziehungsbei-standschaft in Betracht.
Betreuungsweisung (2) • Betreuungshelfer sind zumeist Jugendgerichtshelfer (vgl. § 38 Abs. 2 S. 6 JGG) oder Sozialarbeiter/-pädagogen freier Jugendhilfeträger, in geeigneten Fällen auch Personen aus dem sozialen Umfeld des Jugendlichen. • Die gesetzliche Höchstdauer von einem Jahr (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 JGG) wird zumeist als zu lang empfunden, empfohlen wird eine Dauer von 3-6 Monaten.
4.1 Anwendungspraxis und Formen der Betreuung • Die Betreuungsweisung spielt in der Praxis der Jugend-hilfe quantitativ eine eher untergeordnete Rolle. • Zumeist wird sie in Kombination mit anderen Sank-tionen, insbesondere mit der gemeinnützigen Arbeit, angeordnet. • Die BW ist eine Domäne der Jugendämter (JGH). Sie wird weitgehend flächendeckend angeboten, in 70% der Jugendamtsbezirke durch die JGH (ausschließlich oder zusätzlich durch einen freien Träger), in 20% der Bezirke nur durch freie Träger (1994). • Die tatsächliche Dauer liegt ganz überwiegend bei 6-12 Monaten
4.2 Empirische Befunde zur Evaluation • Die Betreuungsweisung ist dem Jugendarrest in spezialpräventiver Sicht überlegen.
5. Soziale Trainingskurse • Der Soziale Trainingskurs ist inhaltlich weitgehend identisch mit der erzieherischen Gruppenarbeit i. S. v. § 29 II SGB VIII. • Es handelt sich um eine Maßnahme zur Förderung Jugendlicher durch soziales Lernen in der Gruppe auf der Grundlage eines gruppenpädagogischen Konzepts. • Die Dauer der Kurse beträgt in der Regel 3-6 Monate.
5.1 Anwendungspraxis • Die Teilnehmerzahlen bzgl. des STK sind in den 1980er und 1990er-Jahren deutlich angestiegen. • Für Mecklenburg-Vorpommern ergab sich nach einer Studie von Schwerin-Witkowski (2003), dass seit 1995 eine flächendeckende Angebotsstruktur gegeben ist. • Interessanterweise hat sich die Trägerschaft entspre-chend des Subsidiaritätsprinzips des § 4 SGB VIII zu den Freien Trägern hinentwickelt, die 1999 die Ange-bote des STK ausschließlich vorhielten.
Die Zahl der jährlich durchgeführten STK hat sich erheblich gesteigert (bei den Trägern, die für 1994 und 1999 Angaben machen konnten um 57%). • Noch deutlicher fiel der Zuwachs von Teilnehmern an einem STK in Mecklenburg-Vorpommern aus (+ 66%). • Nach der bundesweiten Erhebung von Dünkel/Geng/Kirstein (1998, S. 238) kann man davon ausgehen, dass 7-10% der gerichtlich sanktionierten Jugendlichen und Heranwachsenden zur Teilnahme an einem Sozialen Trainingskurs verurteilt werden.
Angebotsverteilung der sozialen Trainingskurse im Bundesländervergleich
5.2 Inhaltliche Ausgestaltung von Sozialen Trainingskursen • Es werden themenbezogen strukturierte oder mehr erlebnispädagogische Methoden praktiziert, häufig werden beide miteinander verbunden (vgl. das Ablaufschema eines typischen STK).
Idealtypische Darstellung von Zielen und Methoden eines sozialen Trainingskurses Zielgruppe: • keine Ersttäter • keine Schwerstkriminalität • Wiederholungstäter, die im anstehenden Verfahren Arreststrafe (oder Jugendstrafe) befürchten müssen Ziele: • Direkte persönliche Konfrontation mit bisherigenStraftaten • Vermittlung neuer Handlungs- und Problemlösungs-strategien • Erste Erfahrungen eigenverantwortlicher Alltagsbewältigung
Methoden: • Soziale Gruppenarbeit • Erlebnispädagogik • Soziales Lernen durch • Gruppendynamische Übungen, • Gruppen- und Einzelgespräche, • Planspiele, • Videoarbeit (Feed back/Videoanalyse), • alternative Freizeitgestaltung und • Teilnahme am dreitägigen pädagogischen Intensivwochenende mit Abenteuer- und Erlebnischarakter
Idealtypische Darstellung des Ablaufschemas eines Sozialen Trainingskurses
5.3 Empirische Befunde zur Evaluation des Sozialen Trainingskurses • Vgl. Kraus/Rolinski in MschrKrim 1992, S. 32 ff.; • die Rückfallquote ist nicht höher als bei anderen ambulanten Maßnahmen und eher geringer als beim Jugendarrest.
6. Gemeinnützige Arbeit – Anwendungspraxis • Bis 1990 wurde die gemeinnützige Arbeit bereits als Weisung häufig angewandt. Sie wurde weitgehend schon in den 1960er und 1970er Jahren entwickelt. • Angesichts der Kritik der Rspr. hat der Gesetzgeber 1990 auch die Arbeitsauflage eingeführt, die als reine Denkzettelstrafe die erzieherischen Bedürfnisse bzgl. des Arbeitsverhaltens nicht voraussetzt (vgl. hierzu schon Vorlesungsübersicht Nr. 7/8). • In quantitativer Hinsicht hat die Arbeitsauflage eine herausragende Stellung erlangt und betrifft mehr als ein Drittel aller verurteilten Jugendlichen und Heran-wachsenden.