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Das Problem. Folterverbot(Zwangsanwendung zur Aussagegewinnung)Gefahrenabwehr(Lebensrettung). gegen. . . . Pro: Wolfgang Daschner. Ich spreche nicht von Folter, ich spreche von der Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Rettung eines Menschenlebens () Folter ist die Zufgung von Schmerzen um d
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1. Polizeiarbeit und Gewissen Wo/Wann beginnt die persönliche Verantwortung? Landespfr. Werner Schiewek Lehrbeauftragter der Ev. Kirche in Deutschland (EKD) für Ethik im Polizeiberuf an der Polizei-Führungsakademie Münster-Hiltrup Polizeiliche Gewalt im Rechtsstaat.
Kann Folter durch übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt sein?
Tagung der Ev. Akademie Arnoldshain
vom 5.-7. Dezember 2003
2. Das Problem Folterverbot
(Zwangsanwendung zur Aussagegewinnung)
Gefahrenabwehr
(Lebensrettung)
3. Pro: Wolfgang Daschner Ich spreche nicht von Folter, ich spreche von der Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Rettung eines Menschenlebens (…) Folter ist die Zufügung von Schmerzen um der Schmerzen willen, nicht um ein Ziel zu erreichen, das man zwingend erreichen muss.
Die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel, um Menschenleben zu retten, müsste auch im Verhör erlaubt sein. Seit längerem fordern viele Kriminalbeamte eine entsprechende Gesetzesänderung.
4. Pro: Wolfgang Daschner Ja, wir hätten es nicht bei der Drohung belassen.
5. Pro: Wolfgang Daschner Ich würde es heute wieder so machen. (…) Es sei denn, es sagt mir jemand eine andere Möglichkeit, die besser ist.
6. Pro: Olaf Miehe Um es mal ganz drastisch zu sagen: Zwei zerquetschte Daumen sind leichter zu verkraften als der Verlust eines Menschenlebens.
7. Pro: Winfried Brugger Nicht die Folter, nein ihr Verbot, in allen Fällen durchgehalten, führt zu einem ethischen Skandalon!
8. Contra: Hans Lisken Ein Polizist, der also foltert, steht außerhalb der Staatsgewalt. Er übt keine Staatsgewalt aus. Er usurpiert sie, er missbraucht seine Macht…. Der darf die Uniform nicht anhaben.
9. (Scheinbar „saubere“) Lösungen: Das Recht
Strafrecht,
Polizeirecht,
Verfassungsrecht
Internationale Recht
verbieten durchweg unmittelbaren Zwang oder dessen Androhung zur Aussagegewinnung.
10. Auf der Strecke bleibt
das (unschuldige) Opfer, das durch das Recht gerade geschützt werden sollte
11. Das grundsätzliche Problem besteht in der Existenz abwägungsfester (kategorische) Regeln (ohne Berücksichtigung der Folgen).
12. (Scheinbar „saubere“) Lösungen: Leserbriefe: FRAU: Es ist sehr wohltuend zu wissen, dass es noch wahrhaft beherzte Polizeichefs gibt...
MANN: Sie haben meine volle persönliche Hochachtung, Herr Daschner, und ebenso die beteiligten Beamten...
FRAU: Ein Staatsdiener wie Herr Daschner, der seinen Dienst ernsthaft verrichtet, kann einen Mörder gar nicht genug foltern, um die Rettung eines armen Kindes zu erreichen.
MANN: So viel Eigeninitiative und Zivilcourage hätte ich nicht für möglich gehalten!
FRAU: Zählt das Leben eines Kindes weniger als das Recht seines Mörders auf freundliche Umgangsformen beim Verhör? Ich als Mutter eines etwa gleichaltrigen Kindes empfinde diese Rechtsauslegung als unerträglich.
13. Auf der Strecke bleibt
der Schutz des (vermeintlichen) Täters
14. Das grundsätzliche Problem besteht in der Frage, ob ein guter Zweck den Einsatz eines auch in sich schlechten Mittels rechtfertigt?
15. Das konkrete Dilemma
Schutz des (vermeintlichen) Täters
auf Kosten des (unschuldigen) Opfers
16. Das moralisch-ethische Dilemma
Der Konflikt
zwischen
Pflichten- und Folgenethik
17. Dieses Dilemma … ist keine Verlegenheit, sondern eine präzise Beschreibung dessen, was auf dem Spiel steht.
D.h. alle scheinbar „sauberen“ Lösungen des Dilemmas sind keine Lösungen, sondern Strategien das Problem unsichtbar zu machen!
Denn (echte) Dilemmata sind (leider) grundsätzlich unauflösbar.
18. Deswegen … können wir beim Umgang mit Dilemmata den Problemen nicht entgehen, sondern wählen mit einer Entscheidung für eine der beiden Seiten auch die unauflösbar damit verbundenen Folgeprobleme der anderen Seite.
M.a.W. man kommt nicht „sauber“ raus!
Und deswegen taucht die Berufung auf das „Gewissen“ zurecht auf beiden Seiten auf.
19. Denn … das Gewissen ist diejenige Instanz in uns, die uns immer wieder darauf hinweist, wie weit wir mit unserem Können und mit unserem Wollen dem Sollen, der Beförderung des Richtigen und Guten, gerecht geworden oder hinter ihm zurückgeblieben sind.
20. „Ein gutes Gewissen … ist ein sanftes Ruhekissen.“
Dilemmasituationen (tragic choices) werden unser Gewissen hingegen immer in einen letztlich nicht auflösbaren (sondern auszuhaltenden) Konflikt führen, d.h. in Gewissensnot.
21. Die doppelte moralisch-ethische Absicherung des Folterverbots Pflichtenethisch +
Menschenwürde
Erosion der Begründung Verantwortungsethisch
Geschichte
Erosion der Erinnerung
22. Die doppelte moralisch-ethische Absicherung des Folterverbots Pflichtenethisch / Menschenwürde +
Erosion der Begründung
Christentum
Naturrecht
Anfang / Ende des Lebens Verantwortungsethisch/ Geschichte
Erosion der Erinnerung
3. Reich
23. Beispiel: 3. Reich Am 4. Juni 1937 trafen sich ranghohe Juristen und Gestapobeamte. Auf der Tagesordnung: "Klare Regeln und Richtlinien für die verschärfte Vernehmung". Ein Oberstaatsanwalt hat alles ordentlich protokolliert.
Derartige Vernehmungen sollen in erster Linie (bei) Hoch- und Landesverrat vorgenommen werden dürfen. Grundsätzlich sind nur Stockhiebe auf das Gesäß zulässig, und zwar bis zu 25 Stück. Vom 10. Stockhieb an muss ein Arzt zugegen sein. Es soll ein "Einheitsstock" bestimmt werden, um jede Willkür auszuschalten.
24. Die doppelte moralisch-ethische Absicherung des Folterverbots Pflichtenethisch / Menschenwürde +
Erosion der Begründung
Christentum
Naturrecht
Anfang / Ende des Lebens
Plausibilitätsverlust Verantwortungsethisch / Geschichte
Erosion der Erinnerung
3. Reich
Missbrauch durch Unrechtsregime
damalige und heutige
25. Plausibilitätsverlust (1.) Kant kann die Konflikte zwischen abwägungsresistentem moralischem Handeln und trotzdem (durch unmoralisches Handeln anderer) entstehenden Schaden (und das sieht er als Problem, dem begegnet werden muss!!) nur noch „religiös“ abfangen Und wir?
26. Plausibilitätsverlust (2.) Empfinden viele nicht einen Wertungswiderspruch zwischen der Zulässigkeit des „finalen Rettungsschusses“ bzw. dem „gezielten Todesschuss“ und dem absoluten Schutz der Menschenwürde? Oder anders gefragt: Wem gelingt es, ohne weiteres plausibel zu machen, dass jemand sein Leben verliert, aber nicht seine Würde?
27. Plausibilitätsverlust (3.) Wenn das Abwägungen zum Handwerk der Juristen gehört, ja es recht eigentlich erst aus mache, wie der Marburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Walter Grasnick es formuliert, dann stellen abwägungsresistente Grundsätze einen Dorn für das juristische Denken dar.
28. Konsequenz (besonders im Bereich der „Folterdiskussion“)
Pflichtenethik
Grundsätzliches Nein zur Folter
Konsequenz:
Ich nehme (kleinere, große, größte) Übel in Kauf
Verantwortungsethik
Kommt darauf an in Bezug auf Folter
Konsequenz:
Ich füge (kleinere, große, größte) Übel zu, um noch größere zu verhindern.
29. Ist damit nicht genau die Aufgabe der Polizei (Gefahrenabwehr und Strafverfolgung) beschrieben?
Ich füge (kleinere, große, größte) Übel zu, um noch größere Übel zu verhindern.
Ja!
Ja, aber
30. auf eine ganz besondere Weise,mit der wir versuchen, den besonderen Problemlagen einer Verantwortungsethik (der „Zweck heiligt die Mittel“) zu entgehen.
31. Problemlagen der Verantwortungsethik Sie misst und bewertet Nutzen (Wer tut das [Vater, Mutter]? In welcher Perspektive geschieht das?) (Präferenzutilitarismus)
Nutzen ist gegeneinander verrechenbar („zwei zerquetschte Daumen sind leichter zu verkraften als der Verlust eines Menschenlebens.“)
„Slippery-Slope“-Problem wegen Gradualität.
Keine immanente Abbruchsbedingung stringent formulierbar = Eskalationstendenz. Im Fall der Folter („Solange man nicht das Leben des Gefolterten aufs Spiel setzt, wäre immer jene Abwägung möglich, nach welcher das Leben eines Entführungsopfers mehr wiegt als die Schmerzen des Gefolterten.“)
32. Problemlagen der Verantwortungsethik Eine „freigelassene“ Verantwortungsethik kann ihren „Mitteleinsatz“ nicht begrenzen, wenn gute Zwecke es erfordern würden (und keine anderen Mittel zur Verfügung stünden).
Anders gesagt: Die Größe der zu vermeidenden Übel würde unmittelbar auf die Mittel durchschlagen („auf einen groben Keil gehört ein grober Klotz“).
33. Das Besondere der Polizei Ich füge (kleinere, große, größte) Übel zu, um noch größere Übel zu verhindern (verantwortungsethisch),
begrenze aber die dabei einzusetzenden Mittel (nicht nur über Abwägung, sondern auch pflichtethisch),
und erhöhe gerade dadurch die Effektivität der polizeilichen Arbeit (verantwortungsethisch).
34. Das Besondere der Polizei Konkret: Die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Aussagegewinnung hat m. W. nirgendwo Kriminalitätsraten (insbesondere der Gewalt- und Schwerkriminalität) gesenkt, noch Aufklärungsraten erhöht. Der Zusammenhang ist genau umgekehrt!
35. Das Besondere der Polizei Die pflichtethische Domestizierung verantwortungsethisch geleiteten Handelns wird erst durch „Organisation“ (eben in der Organisation Polizei) erfolgreich möglich.
Sie kann ihre Aufgabe trotz strengerer Standards besser leisten, als einzelne es für sich oder für einzelne andere jemals könnten.
36. Das Besondere der Polizei D.h. die Polizei verzichtet darauf, alles zu tun, was man tun könnte, sie ist aber dafür im Stande, vieles überhaupt und manches besser zu tun, als man tun könnte.
37. Das Besondere der Polizei Auf dieser Asymmetrie (einerseits kann sie weniger, andererseits mehr als der einzelne) beruht der Erfolg und die besondere moralisch-ethische Qualität der Organisation Polizei.
Wer stark genug ist, alle zu schützen, ist auch stark genug, alle zu unterdrücken.
Thomas Hobbes
38. Konsequenzen Polizeiliche Arbeit benötigt pflichtethische Bindungen, kann sie verkraften und deren Einschränkungen gerade zum Wohle aller kompensieren.
Zu den pflichtethischen Bindungen zähle ich das absolute Verbot unmittelbaren Zwanges zur Aussagegewinnung.
Die angebotene Kompensation (auch im Fall Jakob von Metzler) heißt: Der Einsatz sämtlicher legaler Mittel übersteigt in Kompetenz, Umfang und Erfolgschancen ein Vielfaches von dem, was einzelnen oder auch einer Gruppe von Menschen auch nur im Entferntesten möglich wäre.
Dem wirklich Bösen (wie bei Jakob von Metzler) ist auf dem Wege der Gefahrenabwehr allzu oft nicht zu begegnen, sondern allein auf dem übrig bleibenden Weg der Strafverfolgung.
39.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!