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Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘. Die Tristan-“Geschichte“ im Hochmittelalter. Frühe keltische Geschichten mit der Koppelung mehrerer bekannter Motive, u.a.: - Drachenkampf um den Gewinn einer Königstochter (Heilbringer-Märchen).
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Die Tristan-“Geschichte“ im Hochmittelalter • Frühe keltische Geschichten mit der Koppelung mehrerer bekannter Motive, u.a.: • - Drachenkampf um den Gewinn einer Königstochter (Heilbringer-Märchen). • - Strukturmodell: Ehebruchsdreieck (s. Enzyklopädie des Märchens), hier: eine Frau – zwei Männer • - Liebe und der Anspruch des Individuums gegen die Normen der Gesellschaft. • Neu und für die Tristan-Konzeption bezeichnend: das Motiv des Zaubertranks, der Mann und Frau zwanghaft aneinander bindet.
Rechts: Baumgartenszene: Marke, im Baum lauschend, im Quell sein Spiegelbild. – Links: Einhornjagd (Motiv der Keuschheit), vgl. ‚Physiologus‘ )s. VL.
Frühe Textquellen zur Tristangeschichte sind weitgehend verloren Gottfried von Straßburg, um 1200/1210, auf der Suche nach einer geeigneten französischen Quelle (‚Tristan‘, v. 131ff.): Ich weiz wol, ir ist vil gewesen, die von Tristande hant gelesen; Und ist ir doch niht vil gewesen, Die von im rehte haben gelesen. [...] [...] begunde ich sêre suochen in beider hande buochen: walschen und latînen [...].
Ein frühes Zeugnis zur Kenntnis der Tristangeschichte um 1170/80 Tristran muose sunder sînen danc staete sîn der küneginne, wan in daz poisun darzuo twanc mêre danne diu kraft der minne. Des sol mir diu guote sagen danc, wizzen, daz ich sölhen tranc nie genam und sî doch minne baz danne er, und mac daz sîn. (Heinrich von Veldeke, Lied MF 58,35)
Tristandichtungen v o r Gottfried von Straßburg • Ein verlorener französischer Tristanroman, um 1160 (?), Vorlage des dt. Romans von: • Eilhart von Oberge, ‚Tristrant‘ (um 1180, vollständig erhalten). • Der nur fragmentarisch erhaltene französische Roman des Thomas von Bretagne ist Quelle für Gottfrieds von Straßburg ‚Tristan‘ • Ein weiterer französischer Roman eines Breri, dessen Name bei Thomas erwähnt wird; ein Text ist nicht erhalten.
Gottfried von Straßburg: der Autor Meister Gottfried von Straßburg, aus: Codex Manesse, um 1320. Gesprächsbild (Gestik!):Autor mit Wachstafel-Diptychon und adligen Zuhörern
Gottfried von Straßburg als Autor(s. Tomas Tomasek, Gottfried von Straßburg, Stuttgart: reclam 2007; unbedingt anschaffenswert) Gottfried ist als Person weitgehend unbekannt. • Der Name: von den Zeitgenossen und der Handschriften-Überlieferung wird Straßburg als Geburtsort angegeben. • Zeitgenossen und spätere Dichter nennen ihn als Verfasser des ‚Tristan‘. • Rudolf von Ems (um 1230) bedauert, dass Gottfried vor Vollendung seines Romans verstorben sei. • Der Roman selbst nennt den Namen des Autors nicht. • Sonstiges Werk: zwei Sangspruchstrophen und ein Minnelied, überliefert im Codex Manesse (Text: MF = Des Minnesangs Frühling).
Liebe als Zentrum des ‚Tristan‘Der Entwurf des Prologs - Minne als Gewalt, die den ganzen Menschen gefangen nimmt, die Glück (liebe/liep) und Leid (leit) bringt: diz leit ist liebes also vol / daz übel tuot so herzewol (v. 115f.). - Liebesglück und Leid/Tod gehören unauflöslich zusammen. - Liebe, die nur Freude bringen soll, ist nicht die tiefe, unbedingte Liebe, deren Darstellung der Roman gilt.
Sprachliche Zeichen der Liebe Wortfelder: liep/liebe/wunne/herzeliep/vröude vs. leit/ herzeleit. – sene/senedaere. – leben vs. tôt/nôt. Reimbindungen: herze – smerze; nôt – tôt. Die Stilfigur des sog. Chiasmus als sinnstiftende Koppelung von Wörtern (z.B. v. 129f.): ein man, ein wîp, ein wîp, ein man, Tristan, Isolt, Isolt, Tristan. Das Oxymoron (Koppelung zweier sich widersprechender Wörter in einer Fügung): liebez leit; süeze sûr.
Warum wird der Roman erzählt? • Wer es aufrichtig mit der Liebe meint, sie akzeptiert in der Koppelung von Freude und Leid, er gehört zu den edelen herzen (Prol., v. 47f.). Sie gehören einer Welt an, diu samet in eime herzen treit ir [der Minne] süeze sûr, ir liebez leit, ir herzeliep, ir senede nôt, ir liebez leben, ir leiden tôt, ir lieben tôt, ir leidez leben. dem lebene sî mîn leben ergeben. (Prol., v. 59-64)
Das Lesen der Liebesgeschichte von Tristan und Isolde als „Lebenshilfe“ • Wer zur Gemeinschaft der edelen herzen gehört, findet in der Geschichte von T.+I. Linderung seiner eigenen Liebesnot. • Der edele senedaere / der minne senediu maere (v. 121f.) • Ir [Tristans und Isoldes] tôt muoz iemermêre uns lebenden leben und niuwe wesen (v. 228f.) • Wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt, und ist uns daz süeze alse brôt. (v. 235f.) • Ir leben, ir tôt sint unser brôt. sus lebet ir leben, sus lebet ir tôt sus lebent si noch, und sint doch tôt und ist ir tôt der lebenden brôt. (v. 237-240)
Der Grundriss des Romans (1) Vorgeschichte: Tristans Eltern Riwalin und Blanscheflur • Riwalin: Herrscher in Parmenien (Bretagne) • Blanscheflur: Schwester König Markes von Cornwall. • Riwalin zieht nach Cornwall zu König Marke, um dort niuwe ritterschaft zu lernen. • Die Zeugung Tristans: in Not und Todesnähe • Die Geburt Tristans: Tod der Mutter • Symbolik des Namens: von triste Tristan was sîn name (v. 2001); nû heizet triste triure (v. 1997). • Von Trauer/Leid erfüllt: Zeugung, Geburt, Liebe (herzenôt), sein weiteres Leben bis zum Tod.
Grundriss des Romans (2): Tristans Jugend • Erziehung durch Rual li Foitenant (den der Treue hält): Sprachen, ritterliche Erziehung. • Entführung • Die Jagdgesellschaft König Markes – der erlegte Hirsch – der „Bast“ – Heimkehr • Die Harfner-Episode: Lai-Dichtungen von Gurun, Gralant, Pyramus und Thisbe; Thema: Liebestod. • Rual findet Tristan – Schwertleite – Literaturkatalog • Heimkehr Tristans – Rückkehr nach Cornwall
Grundriss des Romans (3):Tristans Bewährung • Kampf gegen Morold – tödliche Verwundung. • 1. Fahrt nach Irland: In einem Boot, mit seiner Harfe allein nach Irland zur heilkräftigen Isolde. • Auftreten als Spielmann Tantris (Anagramm zu Tristan). • Unterrichtung der jungen Isolde in buoch und seitspil, Musik, Sprachen. Isolde singt so schön wie eine der Sirenen (v. 8091).- Rückkehr an Markes Hof. • 2. Fahrt nach Irland: Brautwerbung für Marke: Isolde aus Irland.
Grundriss des Romans (4): Isolde – der Minnetrank • Tristan als Kaufmann aus der Normandie (erneute Verkleidung und Lüge) • Kampf mit dem Drachen – der Truchsess und die Drachenzunge • Die Entdeckung Tristans als Töter Morolds • Werbung: Isolde für Marke – Heimfahrt. • Der Minnetrank: Verwirrung – Symptome der Liebe – Endeckung • Brangäne als Helferin in der Brautnacht.
Grundriss des Romans (5): Heimlichkeit und Entdeckung • Die Gandin-Episode: erneute Erringung Isoldes • Die Entdeckung: Marjodo und die Spuren im Schnee • Markes Verdacht – Trennung der Liebenden • Die List mit den Spänen: T + I • Die Baumgartenszene: Sprache und Verstellung – Markes Vertrauen • Melots Mehlstreulist – Markes Zweifel • Das Gottesurteil – Trennung der Liebenden
Grundriss des Romans (6): Ferne und Annäherung • Tristan bei Herzog Gilan: Das Hündchen Petitcriu • Kampf gegen den Riesen Urgan • Erwerb des Hündchens für Isolde • Markes Gunst und Tristans Heimkehr • Wieder: Heimliche Liebe • Verbannung: die Minnegrotte • Entdeckung der Liebenden und Rückkehr
Grundriss des Romans (7):Trennung und Konflikt • Heimliche Liebe – Entdeckung im Baumgarten • Trennung der Liebenden • Kriegstaten in Arundele (Normandie) • Tristan und Isolde Weißhand – Tristan als Dichter des Lai Tristanden. • Tristans Schwanken zwischen der blonden Isolde und Isold Weißhand • Zweifel über die richtige Liebe • [hier bricht Gottfrieds Text ab; Gottfrieds Quelle, der Roman des Thomas von Bretagne, führt bis zum Liebestod Tristans und Isoldes].
Episodenstruktur des ‚Tristan‘ nach dem Minnetrank Es lässt sich ein sich wiederholendes Strukturmuster der Episoden beobachten, das aus vier Schritten besteht: • - Liebe in Heimlichkeit • - Entdeckung • - Trennung • - Versuch, erneut die Liebe zu verwirklichen • - erneut: Liebe in Heimlichkeit [...]
Das Ziel von Gottfrieds ‚Tristan‘-Konzept:Finale Konzeption • Die Geschichte von Tristan und Isolde ist aller edelen herzen brôt. hie mite sô lebt ir beider tôt. wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt und ist daz süeze alse brôt. (v. 233-236) Ziel von Gottfrieds Erzählkonzept ist also, die „Geschichte“ bis zu Ihrem Ende zu erzählen: der Liebestod von Tristan und Isolde.
Die Fortsetzungen von Gottfrieds Romanfragment • Quellen: z. T. Eilharts ‚Tristrant‘ und unbekannte Quellen. Fortsetzungen wurden verfasst: • Um 1235/40 durch den schwäbischen Ministerialen Ulrich von Türheim (s. VL 10), stets im Anschluss an Gottfrieds Fragment überliefert. [Nacherzählung in der Tristan-Ausgabe von R. Krohn]. • Um 1285/90 durch Heinrich von Freiberg (s. VL 3), gleichfalls stets im Anschluss an Gottfrieds Fragment überliefert. [Nacherzählung in der Tristan-Ausgabe von R. Krohn; mhd.-nhd. von W. Spiewok, 1993]
‚Tristan‘-Schlüsse • Die List mit dem weißen und dem schwarzen Segel, dann: • Thomas von Bretagne: Isolde kommt zu dem toten Tristan, stirbt ihm nach ‚Leib an Leib, Mund an Mund‘. Bestattung auf zwei verschiedenen Seiten einer Kirche; Pflanzenwunder: Eiche und ein anderer Baum. • Ulrich von Türheim: König Marke erfährt von dem Liebestrank; hätte Isolde gerne Tristan zur Gattin gegeben. Bestattung in Tintajol. Pflanzenwunder: Rose und Weinrebe auf den Gräbern verflechten sich. König Marke stiftet ein Kloster. • Heinrich von Freiberg: Inhaltlich weitgehend wie Ulrich von Türheim.
Tristan-Themen in der Sachkultur des mittelalterlichen Adels Kleinkunst - Freskenmalerei
Tristan, Baumgartenszene. Spiegelkapsel, Südfrankreich, 14. Jh. (Paris, Musee de Cluny)
Medaillon mit der Baumgartenszene. Umschrift: Ich sich in des prunnen schein uf dem paum den herren mein Regensburger Minneteppich (Hochzeitsteppich), 14. Jh. (Stadtmuseum Regensburg)
Schloss Runkelstein /Südtirol: Sommerhaus, vor dem teilweisen Absturz. Zwei Bildzyklen nach höfischen Romanen: a) Fresken zum Garel des Pleier / b)Fresken zum Tristan
Minntrankszene (Fresko) Schloss Runkelstein /Südtirol: Tristanzimmer, Originalzustand
Vor dem Gottesurteil (Fresko), Schloss Runkelstein /Südtirol. Nachzeichnung des 19. Jh. durch Ignaz Seelos.
Konzepte von Minne/Liebe im Höfischen Roman um 1200 • Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘ Liebe und Landesherrschaft sind aneinander gebunden: Scheitern der Dido-Episode; Liebe und Herrschaft (Rom-Idee) sowie dynastische Entfaltung (Nachkommenschaft bis zu Augustus) in der Lavinia-Episode • Hartmann von Aue, ‚Erec‘ und ‚Iwein‘ Das Glück des Individuums ist nur vollkommen, wenn es sich an gesellschaftliche Bewährung bindet. Komplementäre „Thesen“ in ‚Erec‘ und ‚Iwein‘.
Anders die Tristan-Romane: - Liebe wird nur als unauflösbare Verbindung von Glück und Leid erfahren (die sog. grande passion ist auch Thema der Weltliteratur), - ist nur auf das Individuum bezogen, - steht gegen die Normen der Gesellschaft und sprengt diese, - Liebe und Tod/Todesbereitschaft gehören unauflöslich zusammen (Sprachformel: liep – leit). Dennoch: Die Tristan-Romane treten nicht an, die gesellschaftlich Ordnung und die ihnen zugrundeliegenden Normen zu zerstören. Thema ist vielmehr das (unverschuldete/ schicksalhafte ) Leiden des Einzelnen am Konflikt mit der gesellschaftlichen Ordnung.