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Themenblock III: Ausgewählte Beeinträchtigungen von Entwicklungs- und Lernprozessen und Möglichkeiten ihrer Beobachtung und Dokumentation. ADHS und ADHS-Diagnostik. Erscheinungsmerkmale. Störungen der Aufmerksamkeit Die Herstellung von Aufmerksamkeit ist ein aktiver psychologischer Prozess.
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Themenblock III:Ausgewählte Beeinträchtigungen von Entwicklungs- und Lernprozessen und Möglichkeiten ihrer Beobachtung und Dokumentation ADHS und ADHS-Diagnostik D.1 Theorien über Entwicklungs- und Lernprozesse und ihre Beeinträchtigungen
Erscheinungsmerkmale • Störungen der Aufmerksamkeit • Die Herstellung von Aufmerksamkeit ist ein aktiver psychologischer Prozess. • Einfluss motivationaler Prozesse • im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit: Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf aufgabenrelevante Reize zu fokussieren und –irrelevante Reize zu ignorieren. • im Bereich der Daueraufmerksamkeit: Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe über die Zeit aufrecht zu erhalten.
Erscheinungsmerkmale • Impulsivität manifestiert sich als • Ungeduld, • Schwierigkeit, abzuwarten und Bedürfnisse aufzuschieben (motivationale Impulsivität), • plötzliches, unüberlegtes Handeln (kognitive Impulsivität). • Impulsivität kann • zu Unfällen führen, • zur Beschäftigung mit potentiell gefährlichen Aktivitäten führen.
Erscheinungsmerkmale • Hyperaktivität bezeichnet eine • desorganisierte, mangelhaft regulierte und überschießende motorische Aktivität, • exzessive Ruhelosigkeit, die besonders in Situationen auftritt, die relative Ruhe verlangen. • Hyperaktives Verhalten zeigt sich insbesondere in strukturierten und organisierten Situationen, die ein hohes Maß an eigener Verhaltenskontrolle erfordern.
Problematische Situationen in Familien mit hyperkinetischen Kindern Klinische Population Vergleichs- stichprobe
ProblemsituationenErhebliche Varianz der Stärke der Problematik • Verstärkung der Symptome in • Situationen, die eine längere Aufmerksamkeits-spanne oder geistige Anstrengung erfordern, • Situationen, die den Reiz des Neuen verloren haben, • Gruppensituationen (z.B. Spielgruppe, Klassen-zimmer). • Abschwächung der Symptome • in neuen Umgebungen, • in 1:1-Betreuungssituationen, • bei strenger Kontrolle, häufiger Belohnung, • wenn die Lieblingsaktivität ausgeführt wird.
KomorbiditätBegleit- und Folgesymptomatik • Soziale Probleme im Kontakt mit Kindern • Dominanz-/Kontrollstreben, z.T. mit erheblicher Aggressivität, • Verletzung von Grenzen und Regeln, Missachtung von Aufforderungen, • eher klammerndes und unreifes Sozialverhalten. • Oppositionelle Verhaltensstörungen (SOT) • deutlich verminderte Frustrationstoleranz, • häufige Wutausbrüche, • 75% aller hyperkinetischen Kinder sind auch aggressiv auffällig (Lehmkuhl & Döpfner, 2000).
KomorbiditätBegleit- und Folgesymptomatik • Verminderte Intelligenzleistungen • 7-15 IQ-Punkte geringer • Grund: verminderte Aufmerksamkeitsleistungen? • Taylor et al. (1991): • Kinder mit ausgeprägter Hyperaktivität weisen keine verminderten Intelligenzwerte auf, wohl aber Kinder mit ausschließlicher Aufmerksamkeitsstörung! • Entwicklungs- und Schulleistungsdefizite • schlechtere Schulnoten häufigeres Wiederholen einer Klasse, • geringere Leistungen in Sprach-, Lese-, Rechtschreib- und Rechentests. • Grund: mit zunehmendem Alter Sekundärstörungen, wie vermindertes Selbstwertgefühl, verminderte Leistungsmotivation…
KomorbiditätBegleit- und Folgesymptomatik • Emotionale Auffälligkeiten • mangelndes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, • soziale Unsicherheiten, • Ängste • 20-25% aller Kinder mit hyperkinetischen Störungen, • depressive Befindlichkeit • 10-40% aller Kinder mit hyperkinetischen Störungen. (Döpfner et al., 2000)
Teufelskreis des hyperkinetischen Kindes Psychomotorische Unruhe Außenseitertum Frustration Depressive Reaktion Aggressive Abwehr
Prävalenz • Hyperkinetische Störungen • 3,5-18% • Verhältnis Jungen : Mädchen: 4-9 : 1 • Starke Variation der Angaben in Abhängigkeit von • dem Alter der Kinder, • ihrer Zugehörigkeit zu Risikogruppen, • der Person, die die Kinder beurteilt (Lehrer, Erzieher, Eltern). • Oppositionelles Trotzverhalten • 1,7-5% der Grundschulkinder • 2,6-16% der Jungen, 2-9% der Jungen • stark situationsabhängig im Vorschulalter • häufiger in der Familie (5,6%) als im Kindergarten (0,4%)
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10) • Unterschiede • Definition und Benennung hyperkinetischer Störungen • DSM-IV: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-störung • ICD-10: hyperkinetische Störung bzw. einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung • Für das ICD-10 liegen klinisch-diagnostische Leitlinien und Forschungskriterien (= exakte Operationalisierung der Diagnose) vor.
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10) • Gemeinsamkeiten • Anhalten der Symptome: mind. 6 Monate • Auftretensalter: < 7 Jahre • Beeinträchtigungen durch die Symptome in zwei oder mehr Lebensbereichen, • Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in • sozialen, • schulischen, • beruflichen Funktionsbereichen.
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10) • Ausschlusskriterien • tiefgreifende Entwicklungsstörung, • Schizophrenie oder andere psychotische Störungen, • Hyperkinetische Symptome sollten nicht durch eine andere psychische Störung besser beschrieben werden können • z.B. affektive Störung • Angststörung • dissoziative Störung • …
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10) • Subtypen im ICD-10 • Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0) • ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung (6 von 9 Kriterien), • Hyperaktivität (3 von 5 Kriterien), • Impulsivität (1 von 4 Kriterien), • in mind. 2 Lebensbereichen. • Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) • Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien (F84.4) • Bei geistig behinderten Kindern mit schwerer motorischer Überaktivität und ausgeprägt repetitiven und stereotypen Verhalten.
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10) • Subtypen im DSM-IV • Mischtyp • Aufmerksamkeitsstörung (6 von 9 Kriterien) • Hyperaktivität/Impulsivität (6 von 9 Kriterien) • Vorherrschend unaufmerksamer Typ • Kardinalsymptom: Aufmerksamkeitsstörungen • Vorherrschend hyperaktiv-impulsiver Typ • Kardinalsymptom: Hyperaktivität/Impulsivität • Bei Jugendlichen und Erwachsenen, die Symptome zeigen, die nicht mehr alle Kriterien erfüllen, wird eine ADHS „in partieller Remission“ spezifiziert.
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10) Diagnosen nach ICD-10 F90.0 Einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung Aufmerksamkeits-störung Hyperaktivität Impulsivität + + situationsübergreifend F90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens + Störung des Sozialverhaltens Diagnosen nachDSM-IV Mischtyp: Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung Aufmerksamkeitsstörung Hyperaktivität/Impulsivität + situationsübergreifend Vorwiegend unaufmerksamer Typ: Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung Aufmerksamkeitsstörung Hyperaktivität/Impulsivität situationsübergreifend Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ: Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung Hyperaktivität/Impulsivität Aufmerksamkeitsstörung situationsübergreifend
FörderdiagnoseBedingungsmodell als Ausgangspunkt Ursachen Ebenen Prozesse Genetische Disposition Störungen des Neurotransmitter- Stoffwechsels (v.a. Dopamin) und andere zerebrale Störungen Biologie + Neurophysiologie Nahrungsmittelzusätze? Hirnschädigung? Neuropsychologie Störungen der Selbstregulation (mangelnde Hemmung von Impulsen) Hyperkinetische Symptome Symptome Ungünstige Bedingungen in Familie und Schule Zunahme an negativen Interaktionen mit Bezugspersonen Interaktionen komorbide Symptome Komorbidität Integratives Modell von Barkley (1989)
Förderdiagnose • Problemanalyse mit dem Lehrer, Einholung von Informationen aus der Schule. • Problemanalyse mit den Eltern • zum Verhalten in der Familie • Erfassung der Störungsgeschichte • Begleitstörungen • Leitfaden zur Verhaltensanalyse
Förderdiagnose • Differenzialdiagnostische Einordnung anhand eines anerkannten Klassifikationssystems • Checkliste „Verhaltensmerkmale der hyperkinetischen Störung“ (Lauth & Heubeck, 2006) • Checkliste „Verhaltensmerkmale einer Störung mit oppositionellem Trotzverhalten“ (Lauth & Heubeck, 2006)
Förderdiagnose • Beobachtung des Interaktionsverhaltens im Unterricht • Münchner Aufmerksamkeitsinventar (MAI, Helmke & Renkl, 1992) • Beobachtungsverfahren zur Analyse von aggressionsbezogenen Interaktionen im Schulunterricht (BAVIS, Humpert & Dunn, 1988) • Beobachtungsbogen „Verhaltensmerkmale der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung“ (nach Petermann/ Petermann 1999)
Exkurs:Beobachtungsbogennach Petermann & Petermann (1999) • Beobachtungsbogen: „Verhaltensmerkmale der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung“ (nach Petermann/ Petermann 1999) • Der Bogen ist von Mutter/ Vater/ Erzieherin/ Lehrerin auszufüllen -> 3 Perspektiven und Einschätzungen (Vorteil: Eltern beurteilen getrennt!) • Einschätzskala: von „tritt nie auf“ (1) bis „tritt ständig auf“ (5)
Exkurs:Beobachtungsbogennach Petermann & Petermann (1999) • „Zutreffend“ sollte eine Aussage nur dann angekreuzt werden, wenn: • eine Verhaltensweise schon länger als ein halbes Jahr beobachtet wird, • eine Verhaltensweise in einer Ausprägung auftritt, die (nach eigener Erfahrung) nicht dem Entwicklungsalter des Kindes entspricht und unangemessen ist.
Exkurs:Beobachtungsbogennach Petermann & Petermann (1999) • Vor- und Nachteile: • Vorteil: Alter wird berücksichtigt, getrennte Befragung. • Nachteil: Es fehlt eine Spalte für besondere Beobachtungen und Anmerkungen.
Exkurs: Beobachtungsbogen nach ConnersBewertungsskala • Der Conners-Bogen • dient der ADHS-Diagnostik, • ist eine Entscheidungshilfe bei möglicher Methylphenidat-Behandlung.
Exkurs: Beobachtungsbogen nach ConnersBewertungsskala • Aufbau: • 10 Kriterien werden von 0 (überhaupt nicht) bis 3 (sehr viel) bewertet, • der Bezugsmitarbeiter der Frühschicht und Spätschicht, der Therapeut und die Lehrerin füllen diesen aus, • Uhrzeit, Datum, Patient und Beobachter werden vermerkt.
Exkurs: Beobachtungsbogen nach ConnersBewertungsskala • Punktzahl wird von unabhängigem Therapeut zusammengerechnet, um so wenig Einfluss wie möglich durch die Zahl zu nehmen. • Der vorangegangene Conners-Bogen wird nicht vom Team angesehen. • Verlauf oft über Monate, • Ergebnisse werden in der Visite besprochen.
Exkurs: Beobachtungsbogen nach ConnersBewertungsskala • Kriterien: • Motorische Unruhe • Impulsivität • Konzentrationsvermögen • Einsatz: • Stationärer KJP-Alltag • Station • Schulstunden • Therapiestunden
Exkurs: Beobachtungsbogen nach ConnersBewertungsskala • Alternativer Einsatz: • Doppel-Blind-Versuch zur Ritalin-Testung • Über 20 Tage • Team weiß nicht, wann Patient Placebo oder Ritalin bekommt • 2 x täglich Beobachtungsbogen ausfüllen • Der Auswerter der Bögen vergleicht die Ritalintage mit den Placebotagen • So sind Zusammenhänge erkennbar
Exkurs: Beobachtungsbogen nach ConnersBewertungsskala • Vor- und Nachteile: • Vorteil: Zusammenhänge zwischen Tageszeiten und Situation (wie z.B. Schule) beobachtbar • Nachteil: Einschätzung sehr subjektiv
Förderdiagnose • Beobachtung in anderen kritischen Situationen (Hausaufgaben) • Strukturierung der Situation durch die Eltern? • Verstärkung positiven Verhaltens? • Hilfen und deren Angemessenheit? • Emotionale Qualität der Interaktion? • Reaktionen der Eltern auf Fehler? • Eskalierende Interaktionsverläufe?
Differentialdiagnostik • Altersgemäße Verhaltensweisen bei aktiven Kindern • besonders in der frühen Kindheit schwierig • bei schulischer Über-/Unterforderung • bei Intelligenzminderung • als Folge chaotischer psychosozialer Bedingungen • rasche Besserung der Symptome, wenn sich das Kind längere Zeit in einem besser strukturierten Umfeld befindet. • Oppositionelle Verhaltensweisen • keine Aufmerksamkeitsschwäche, motorische Unruhe • Psychomotorische Erregung und Konzentrations-störungen bei affektiven und Angststörungen • Auftreten > 7. Lebensjahr, weniger kontinuierlicher Verlauf
Förderschwerpunkte • Arbeits- und Aufmerksamkeitsverhalten, • Selbststeuerungsfähigkeit Selbstinstruktionstrainings • soziale Wahrnehmung, • Ärger- und Impulskontrolle, • sozialen Kompetenzen. • Indikation einer Pharmakotherapie mit Stimulanzien abklären! • Einbezug der Eltern in den Förderplan (Elterntrainings wie THOP)
Literatur • Lauth, G.W. & Mackowiak, K. (2006). Diagnostik bei hyperkinetischen und oppositionellen Störungen. In U. Petermann & F. Petermann (Hrsg.), Diagnostik sonderpädagogischen Förderbedarfs. Tests und Trends, Band 5 (S. 67-88). Göttingen: Hogrefe. • Döpfner, M., Schürmann, S., Frölich, J. (2002). Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten (THOP). Weinheim: Beltz. Daraus: Kapitel I Störungsbild und Behandlungsansätze (S. 3-54). • Leitfaden ADS/ ADHS – Informationsbroschüre des Hamburger Arbeitskreises, 2. überarbeitete Auflage, Dezember 2004