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Probleme der italienischen Etymologie. 2. Sitzung am 19.04.2010. Themenübersicht. WISSENSCHAFTSGESCHICHTE 19.04.10 Die vorwissenschaftliche Etymologie (Antike bis 18. Jahrhundert) 26.04.10 Die Etablierung der Etymologie als wissenschaftliche Disziplin im 19. Jahrhundert
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Probleme der italienischen Etymologie 2. Sitzung am 19.04.2010
Themenübersicht • WISSENSCHAFTSGESCHICHTE • 19.04.10 Die vorwissenschaftliche Etymologie (Antike bis 18. Jahrhundert) • 26.04.10 Die Etablierung der Etymologie als wissenschaftliche Disziplin im 19. Jahrhundert • 03.05.10 Die italienische Etymologie des 20. Jahrhunderts • 10.05.10 Die italienische Etymologie des 20. und 21. Jahrhunderts • 17.05.10 Etymologische Großprojekte – Max Pfisters Lessico etimologico italiano
Themenübersicht • FALLSTUDIEN • 31.05.10 Die Entstehung lexikalischer Einheiten: die Wortbildung und semantische Begriffsschöpfung • 07.06.10 Die Entstehung lexikalischer Einheiten: die Entlehnung • 14.06.10 Vorrömischer Substrateinfluss im Italienischen sowie in den italienischen Dialekten • 21.06.10 Das Problem der Dubletten: lateinischer Erb- und Lehnwortschatz
Themenübersicht • FALLSTUDIEN • 28.06.10 Germanischer Superstrateinfluss im Italienischen • 05.07.10 Der Einfluss von Kulturadstraten im Italienischen • LEISTUNGSKONTROLLE (je nach Studiengang) • 12.07.10 Allgemeine Wiederholung • 19.07.10 Abschlussklausur
Einige Begriffe und Zeichen • < hat sich entwickelt aus • > hat sich entwickelt zu • Etymon = das Ursprungswort, z.B. lat. FLUMEN (> it. fiume) • Volksetymologie, z.B. dt. Platzangst (= psych. Agoraphobie) bei dichtem Gedränge im Fahrstuhl etc., Friedhof (wo die Toten ihren Frieden finden) etc.
Die Etymologie und ihre historische Entwicklung Der Etymologie-Begriff in der Antike
Bereits im griechischen Altertum gab es philosophische Strömungen, die der „Richtigkeit“ der „Namen“ nachgingen, allerdings wurde für diese Tätigkeit in der Regel nicht der Begriff „Etymologie“ verwendet. • So fragte sich bereits Heraklitvon Ephesos (um 500 v. Chr.), inwiefern der Name eines Dinges die Wahrheit einer Sache widerspiegelt. • Also, inwiefern der Name tatsächlich dem durch ihn bezeichneten Gegenstand entspricht. Herklit
Platon beschäftigte sich in seinem Dialog Kratylos eingehend mit der Richtigkeit der Namen. • In diesem Dialog lässt Platon einen Vertreter der mystisch-religiösen These, laut derer alle Wörter ihre Bedeutung von Natur aus haben und keiner Definition bedürfen, antreten gegen einen Vertreter der eher modernen, im Kratylos erstmals bezeugten Gegenthese, laut derer der Zusammenhang von Wörtern und ihrer Bedeutung auf der willkürlichen Festlegung durch den Menschen beruht. Platon, Kratylos
Die Etymologie und ihre historische Entwicklung Der Etymologie-Begriff im Mittelalter
Caput XXIX. • DE ETYMOLOGIA. • Etymologia est origo vocabulorum, cum vis verbi vel nominis per interpretationem colligitur. […] • Sunt autem etymologiae nominum aut ex causa datae, ut «reges» a [regendo et] recte agendo, aut ex origine, ut «homo,» quia sit ex humo, aut ex contrariis ut a lavando «lutum,» dum lutum non sit mundum, et «lucus,» quia umbra opacus parum luceat. […] Isidor von Sevilla De etymologiarum libri XX
Caput XXIX. • DE ETYMOLOGIA. • Quaedam etiam facta sunt ex nominum derivatione, ut a prudentia «prudens»; quaedam etiam ex vocibus, ut a garrulitate «garrulus»; […] Isidor von Sevilla De etymologiarum libri XX
Etymologicum Genuinum (Byzanz, 9. Jh.) = • Etymologicum Magnum (Byzanz, ca. 1050) = Ἐτυμολογικὸν Μέγα
Etymologie und Wortgeschichte:Wissenschaftsgeschichte(14. bis 18. Jahrhundert)
Sprachhistorisches Denken im ausgehenden Mittelalter • Dante Alighieri (1265-1327) • De vulgari eloquentia • Latein ist unveränderlich • Alle Volkssprachen verändern sich in Zeit und Raum • Hebräisch ist die Ursprache aller Menschen • Turmbau zu Babel • Entstehung verschiedener Sprachfamilien mit zunehmender Diversifizierung • (…)
Totum vero quod in Europa restat ab istis, tertium tenuit ydioma, licet nunc tripharium videatur; nam alii oc, alii oïl , alii sì affirmando locuntur; ut puta Yspani, Franci et Latini. Signum autem quod ab uno eodemque ydiomate istarum trium gentium progrediantur vulgaria, in promptu est, quia multa per eadem vocabula nominare videntur, ut Deum, celum, amorem, mare, terram, est, vivit, moritur, amat, alia fere omnia. Dante, De vulgari eloquentia Die Entstehung der romanischen Sprachen Sie gehen auf einen gemeinsamen Ursprung zurück (der von Dante allerdings nicht mit der lat. Sprache identifiziert wird), da sie für die Begriffe ähnliche Wörter haben
Das Ganze aber, was in Europa von diesen an übrig bleibt, nahm eine dritte Mundart ein, wenn sie gleich nicht dreifach scheint. Denn Einige sprechen bejahend Oc , Andere Oil , Andere Si , nämlich die Spanier, Franzosen und Lateiner. Ein Zeichen aber, daß von einer und derselben Mundart dieser drei Völker Sprachen abstammen, ist bereit, weil sie Vieles mit denselben Ausdrücken benennen, zum Beispiel Deum, Caelum, Amorem, Mare, Terram, und Vivit, Moritur, Amat, fast alles Andere. Dante, De vulgari eloquentia Dt. Übers. Über die Volkssprache, K. L. Kannegießer, Leipzig 1845
Accipiunt etenim prefati cives ab Ymolensibus lenitatem atque mollitudinem, a Ferrariensibus vero et Mutinensibus aliqualem garrulitatem, que proprie Lombardorum est … Dante, De vulgari eloquentia Besonderheiten der Aussprache werden auf die Langobarden zurückgeführt In moderner Terminologie würde man von Substrateinflüssen sprechen
Es nehmen auch die obgenannten Bürger von den Imolesen Lindigkeit und Weichheit an, von den Ferraresen aber und Modenesen ein gewisse Geschwätzigkeit, welche den Lombarden eigenthümlich ist. Diese glauben wir sei aus der Vermischung mit den longobardischen Fremdlingen den Landbewohnern zurückgeblieben… Dante, De vulgari eloquentia Dt. Übers. Über die Volkssprache, K. L. Kannegießer, Leipzig 1845
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • Das Bewusstsein, dass die Germaneneinfälle im spätantiken Italien bei der Herausbildung der italienischen Sprache bzw. der italienischen Dialekte eine entscheidende Rolle gespielt haben könnten, ist zuerst von Flavio Biondo zu einer Sprachursprungstheorie entwickelt worden. Flavio Biondo
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • Flavio Biondo hat sich nicht nur in seinem Traktat De verbis romanae locutionis mit der Geschichte des Lateinischen und der Entstehung des volgare beschäftigt, sondern auch in seiner Schrift Italia illustrata (1448-1453), wobei die Korrumpierung des Lateinischen nicht mehr bei der Eroberung Italiens durch Goten und Vandalen angesetzt wurde, sondern erst bei der Langobardenherrschaft. Flavio Biondo
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • PoggioBraccioliniverweist zusätzlich auf Ereignisse wesentlich älteren Datums, nämlich aus der Zeit der römischen Eroberungen. • In Begriffen der modernen Linguistik kann man von einem Konflikt zwischen Anhängern der Substrattheorie (Etrusker, Kelten etc.) auf der einen Seite und von Vertretern der Superstrattheorie (Goten, Langobarden etc.) auf der anderen sprechen. Poggio Bracciolini
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • Neben der Frage nach der Herkunft der italienischen Sprache stellten sich die Gelehrten der Renaissance auch die Frage nach dem Ursprung einzelner Wörter. • In seinen Prose della volgar lingua (1525) indentifiziert Pietro Bembo zahlreiche Ausdrücke der mittelalterlichen Dichtersprache als Entlehnungen aus dem Okzitanischen. Pietro Bembo
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • Auch Alberto Acarisio hat in seinem Vocabolario (1543) bereits Angaben zur Etymologie einzelner Lemmata gemacht, die bei lateinischer Herkunft zwar eine hohe Trefferquote aufweisen, bei germanischer Abstammung aber meistens ins Leere greifen und sich auf dem Niveau von Volksetymologie bewegen. Alberto Acarisio
Die Frage nach dem Einfluss vorrömischer Sprachen Bei der Frage nach dem Ursprung der italienischen Sprache rückte sporadisch das Etruskische ins Blickfeld diachroner Sprachbetrachtung, so etwa in Pier Francesco Giambullaris Gello, de l’Origine della lingua fiorentina (1546).
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • Girolamo Muzio(1496-1576), dessen sprachtheoretische Schriften 1583 posthum unter dem Titel Battaglie inDifesadell’italicalingua erschienen sind, beispielsweise glaubte nicht an den Einfluss des Etruskischen bei der Herausbildung des Toskanischen. • Seiner Meinung nach wurde die Sprache der Etrusker vollkommen von der Sprache Roms verdrängt. • Für ihn spielten die germanischen Eroberer eine entscheidende Rolle. Girolamo Muzio
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • Claudio Tolomei(1492-1556) führt im Cesano de la linguatoscana (1555) das volgare auf das Lateinische zurück, verweist aber auch auf Einflüsse aus dem Etruskischen und Germanischen. • Benedetto Varchi(1503-1565) betont im Ercolano (1564/1570) weniger die durch die Barbaren herbeigeführte sprachliche Korrupierung, sondern vielmehr die Geburt einer neuen Sprache. Claudio Tolomei und Benedetto Vrchi
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • Ludovico Castelvetro(1505-1571) entwickelte in seinerCorrezione d’alcune cose del Dialogo delle lingue di Benedetto Varchi, e una Giunta al primo libro delle Prose di M. Pietro Bembo dove si ragiona della volgar lingua (1563/1572) einesehrausgeglicheneTheoriezumUrsprungdesvolgare. Ludovico Castelvetro
Vom Vulgärlatein zum Volgare: drei Entwicklungsstufen nach Castelvetro • Die zunehmende Wichtigkeit der vulgärlateinischen Varietät in Rom. • Die Dominanz des Vulgärlateinischen während der Gotenherrschaft. • Der Übergang vom korrumpierten Latein zum volgare während der Herrschaft der Langobarden nach mehreren Generationen. Ludovico Castelvetro
Die Frage nach der Herkunft des Italienischen • Mit Celso CittadinisSchriften Trattatodella veraorigine e del processo e nome della nostralingua (1601) und Origini della volgartoscanafavella (1604) setzte eine philologische Wende in der diachronen Sprachforschung auf der Grundlage intensiver antiker und spätantiker Quellenstudien ein. • Cittadini setzt den Sprachwandel bereits vor der Barbarenherrschaft beim Vulgärlatein der Antike an. • Er geht in Übereinstimmung mit Varchi von einer diglossischen Zweiteilung des Lateinischen aus. Celso Cittadini
Der Beginn einer eigenständigen etymologischen Lexikographie 17. Und 18. Jahrhundert
Die etymologische Lexikographie im 17. Jahrhundert • Nach den ersten sporadischen Erklärungsversuchen zur Herkunft einzelner Wörter bildete sich im Laufe des 17. Jahrhunderts eine selbständige etymologische Lexikographie heraus. Die Anfänge der ital. Etymologie
Die etymologische Lexikographie im 17. Jahrhundert • Ottavio Ferrari, Origines Linguae Italicae (1676) • in lat. Sprache geschrieben • Berücksichtigung norditalienischer dialektaler Elemente • Vorbilder: • Sebastián de Covarrubias y Orozco • Gilles Ménage Die Anfänge der ital. Etymologie Ottavio Ferrari (1617-1626) Rhetorikprofessor aus Mailand
Die etymologische Lexikographie im 17. Jahrhundert • Das erste umfangreiche italienische Herkunftswörterbuch, die Origini della lingua italiana des Franzosen Gilles Ménage, der bereits 1650 seine Origines de la langue françoiseveröffentlicht hatte, wurde von 1666 bis 1669 zunächst in Paris, dann 1685 erneut in Genf publiziert. Gilles Ménage
Gilles Ménage und der Beginn der etymologischen Lexikographie (1650) http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k50789h
Gilles Ménage • Vgl. http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k507912 Spätere Bearbeitung von 1750
Bearbeitung von dem Arzt Augustin François Jault (1750)
Ménage: „Korrumpierung von Sprachen“ • Vier Hauptquellen, die bisweilen neue Sprachen hervorbringen • Veränderung (changement) • Hinzufügung (addition) • Kürzung (retranchement) • Vertauschung von Buchstaben (transposition des lettres)
Gilles Ménage(Egido Menagio) Le origini della lingua italiana (21685)
Gilles Ménage(Egido Menagio) Mitglied der Accademia della Crusca Er wollte die Accademia für die Etymologie interessieren Brief an die Accademia im Wörterbuch abgedruckt
Gilles Ménage(Egido Menagio) Brief der Accademia an Gilles Ménage
Gilles Ménage(Egido Menagio) Von der Verwandtschaft und dem Wandel der Buchstaben
A • levato dal principio • posto nel principio • fraposto nel mezzo • cangiato in E • cangiato in AE • cangiato in I • Cangiato in O • (…) Gilles Ménage(Egido Menagio)
Gilles Ménage(Egido Menagio) Vgl. Cortelazzo/Zolli, DELI I, p.1 < lat. parl. *abbaclare (da baculum‚bastone‘)