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Bipolare Störungen – Depression und Manie. Neue Verfahren in Diagnose und Therapie. Hans Jörgen Grabe Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ernst-Moritz-Arndt Universität im Klinikum der Hansestadt Stralsund. Rostock, 14.11.2003. Bipolare Störungen- Epidemiologie I.
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Bipolare Störungen – Depression und Manie. Neue Verfahren in Diagnose und Therapie Hans Jörgen Grabe Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ernst-Moritz-Arndt Universität im Klinikum der Hansestadt Stralsund Rostock, 14.11.2003
Bipolare Störungen- Epidemiologie I • Erste Symptome mit 15,5 Jahren • Volle Kriterien mit 18 Jahren • Erste Behandlung mit 22 Jahren • Erste Hospitalisierung mit 26 Jahren • 1-2% Lebenszeitprävalenz • Männer = Frauen • Lebenszeitverläufe: 8 mani. bzw. depress. Episoden
Hypomanische Episode (ICD-10) • Klassifizierung ( F 30.0, F 31.0) • wenigstens „einige Tage“ folgende Symptome • anhaltende leicht gehobene Stimmung • gesteigerter Antrieb und Aktivität • auffallendes Gefühl von Wohlbefinden, körperlicher und seelischer Leistungsfähigkeit • häufig zusätzlich: gesteigerte Geselligkeit, Gesprächigkeit, Vertraulichkeit, Libidosteigerung, vermindertes Schlafbedürfnis • Alternativ: Reizbarkeit, Selbstüberschätzung, „flegelhaftes“ Verhalten statt Euphorie • In der Regel kein Abbruch der Berufstätigkeit, keine soziale Ablehnung Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie, Band 5: Behandlungsleitlinie Affektive Störungen, Steinkopff-Verlag Darmstadt
Manische Episode (ICD-10) • „wenigstens“ 1 Woche folgende Symptome bei F 30.1, F 31.1 • situationsinadäquat gehobene Stimmung • vermehrter Antrieb, Rededrang und Überaktivität • Vermindertes Schlafbedürfnis • starke Ablenkbarkeit • Größenideen und übertriebener Optimismus • „wenigstens“ 1 Woche folgende Symptome bei F 30.2, F 31.2 • Selbstüberschätzung/Größenideen wahnhaften Ausmaßes • Ideenflucht und Rededrang bis zur sprachlichen Unverständlichkeit • evtl. Verfolgungswahn • Körperl. Aktivität bis zu Aggressivität/Gewalttätigkeit • evtl. weitere psychotische Symptome (z.B. Wahngedanken, Halluzinationen) Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie, Band 5: Behandlungsleitlinie Affektive Störungen, Steinkopff-Verlag Darmstadt
Hauptsymptome depressive Stimmung Interessenverlust, Freudlosigkeit Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit Zusatzsymptome verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Gefühl von Schuld/Wertlosigkeit negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Suizidgedanken und - handlungen Schlafstörungen verminderter Appetit Depressive Episoden (ICD-10) • Klassifizierung: • leicht (F32.0), mind. 2 Haupt- und 2 Zusatzsymptome • mittel (F32.1), mind. 2 Haupt- und 3-4 Zusatzsymptome • schwer; ohne/mit psychotischen Symptome (F32.2./F32.3) alle drei Haupt, und mind. 4 Zusatzsymptome, davon einige schwer • Mindestdauer der Episode: etwa 2 Wochen
Beispiel zum zeitlichen Verlauf einer bipolaren Erkrankung • sehr langer Zeitraum zwischen dem Auftreten der ersten Symptome (z.B. depressive Phase) und der Diagnose „bipolare Störung“ (Beispiel unten) 1 • laut epidemiologischer Studien sind ca. 50% der Patienten nach der ersten Phase noch unbehandelt und ca. 30% erhalten nach 10 Jahren noch keine angemessene Therapie 2 Alter 36,1 19,3 23,1 34,1 28,4 28,8 erste Depression 1. Arzt- besuch erste Manie erste Behandlung mit STS Diagnose: Bipolare Störung erste Behandlung mit AD 1 Ghaemi SN et al. ; APA Anual Meeting Abstracts 1998:151, NR 136; 2 Bergmann A; Neuro-Psychiatrische Nachrichten 01/2001: 9
Persönlichkeiten mit bipolaren Erkrankungen Vincent van Gogh Virginia Woolf Robert Schumann 1853 – 1890 1882 – 1941 1810 - 1856
Verlauf einer Bipolar I - und II-Erkrankung MANIE GEMISCHTE EPISODE HYPOMANIE NORMALE STIMMUNG DEPRESSION Stahl SM,Essential Psychopharmacology;Cambridge University Press(2000)
Langzeitprognose bipolarer Erkrankungen • Bei ca. 2/3 der Patienten wird die berufliche und soziale Mobilität nicht gestört. • Ca. 1/3 der Patienten entwickeln persistierende Alterationen • Asthenisches Insuffizienzsyndrom • Chronifiziertes subdepressives Syndrom • Chronifiziertes hyperthymes Syndrom Marneros A., in: Manisch-depressive und andere bipolare Erkrankungen, Thieme-Verlag 2000
Langzeitprognose bipolarer Erkrankungen • Faktoren, die die Entstehung persisitierender Alterationen beeinflussen: • Anzahl der Episoden • Prämorbide Persönlichkeit • Ansprechen auf Akuttherapie und Phasenprophylaxe • Substanzmissbrauch • Komorbidität • Der Langzeitverlauf bipolarer Erkrankungen ist insgesamt ungünstiger
Komorbidität des Spektrums bipolarer Erkrankungen • Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen ist bei bipolaren Patienten sehr hoch, z.B. - Angsterkrankung bis zu ca. 93%1 - Panikstörungen zwischen 16 bis 37%2 - Zwangsstörungen bis ca. 21%3 - Substanzmißbrauch (Alkohol) bis ca. 61%4 - Drogen bis ca. 46%1 • Komorbiditäten haben Auswirkungen auf die Response und die Prognose 1 Kessler RC et al.; Psychol Med 1997;(27):1079-1089; 2Pini S et al.;J Affect Disord 1997(42):145-153; 3Chen YW et al.; Psychiatry Res1995(59):57-64; 4 Kessler RC et al.;J Affect Disord 1997(45):19-30
Ursachen bipolarer Erkankungen • multifaktorielle Entstehung der Krankheit nach dem Vulnerabilitätskonzept • bei späteren Episoden verlieren Auslöser an Bedeutung (Kindling-Modell) • genetische Disposition auf Grund familiärer Häufung und des frühen Erkrankungsbeginns sehr wahrscheinlich • weitere Forschungsansätze sind in der Signalweiterleitung zu suchen, da hier der Angriffspunkt der Stimmungsstabilisatoren liegt
Suizidalität • 25 bis 50 % der Patienten unternehmen einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch • 15 %(-30 %) der Bipolaren Pat. versterben an Suizid (Risko x 30 der Bevölkerung) (Goodwin & Jamison, 1990) • In einer schottischen Studie war die Suizidrate bei bipolare Erkrankten 23mal höher als im Bevölkerungsdurchschnitt (10-Jahresbeobachtung; die meisten Suizide in den ersten 5 Jahren nach Diagnosestellung) • Suizidalität liegt vor bei 79.3 % der bipolar depressiven und 56.3% der Patienten mit Mischzustand (Dilsaver et al., 1997)
Pharmakotherapie bipolarer Störungen • Akuttherapie • Medikamente, die zur Behandlung einer akuten affektiven Episode neu angesetzt werden • Erhaltungstherapie • Medikamente, die zur Akutbehandlung angesetzt wurden, werden nach Erholung so lange weitergegeben, bis die Phase ohne Behandlung abgeklungen wäre (wenigstens über 6 Monate). • Rezidivprophylaxe • Medikamente, die als Stimmungsstabilisierer wirken und so den Ausbruch einer neuen affektiven Episode verhindern oder verzögern
Therapie bipolarer Störungen • Therapieziele: • Verkürzung der akuten Episode um Wochen bis einige Monate • Verzögerung des nächsten affektiven Rezidivs um Wochen bis einige Monate • Verringerung des Schweregrades des Rezidivs • Erhaltung der psychosozialen Funktionsfähigkeit
Therapie mit Lithium u. Antikonvulsiva • Lithium • eher geringe antidepressive Wirksamkeit, steigert aber Wirksamkeit der Antidepressiva (Augmentation) • 1. Wahl, wenn bisher kein SS gegeben wurde • Antikonvulsiva • Carbamazepin: wenig antidepressiv wirksam (günstig bei wahnhafter Symptomatik) • Valproat: wenig antidepressiv wirksam • Lamotrigin: gute antidepressive Wirksamkeit
Lithium-Therapiezugelassen zur Behandlung bipolarer Störungen • Vorteile: • Gute Datenlage (nachgewiesene antimanische Wirksamkeit) • antisuizidale Wirkung • Nachteile: • stark toxisch • umständliche Therapieeinstellung u. -kontrolle • regelmäßige Gesundheitskontrollen • nebenwirkungsreich: Schilddrüse, Blutbild, Niere, Gewichts-zunahme
Carbamazepin-Therapiezugelassen bei Li-Unwirksamkeit/-Unverträglichkeit • Vorteile • Alternative bei Lithium-Unwirksamkeit, bzw.. Unverträglichkeit • nachgewiesene antimanische Wirksamkeit; wirksam bei wahnhafter Symptomatik • Nachteile • Einstellung unter Blutspiegelkontrollen • regelmäßige Gesundheitskontrollen notwendig (Blutbild, EKG, Leberfunktion, Elektrolyte) • teratogen • induziert die Aktivität von Leberenzymen
Valproat-Therapie • Vorteile • Alternative zu Li, CBZ • gilt als gut verträglich • keine Blutspiegel und Gesundheitskontrollen • nachgewiesene akut-antimanische Wirksamkeit • Nachteile • prophylaktische Wirksamkeit nicht nachgewiesen • teratogen (Rückenmarkschäden) • Hemmer der Aktivität von Leberenzymen
0 1 2 3 4 5 6 7 Study Week Lamotrigin vs. Placebo bei Bipolarer Depression n=66 - PBO 47 (71%) n=66 - 50mg LTG 43 (65%) n=195 50 mg 25 mg n=63 - 200mg LTG 45 (71%) 200 mg 100 mg 50 mg 25 mg Calabrese et al., J. Clin. Psychiatry 1999; 60:79-88
Lamotrigine vs placebo in bipolar I depression (MADRS) LOCF Observed 0 –5 –10 –15 –20 0 –5 –10 –15 –20 PBO (n=65) LTG 50 mg/day (n=64) LTG 200 mg/day (n=63) Change from baseline Change from baseline * ** ** * ** ** ** ** ** ** ** ** ** ** ** 0 1 2 3 4 5 6 7 Time (weeks) 0 1 2 3 4 5 6 7 Time (weeks) *p<0.1; **p<0.05 Calabrese JR et al. J Clin Psychiatry 1999;60(2):79–88
Lamictal Studies 605/606 Screen OPEN-LABEL LTG 100-200 mg DOUBLE-BLIND Concomitant Psychotropics BPI recently depressed or manic Lamotrigine 50-400mg n=280 Lithium 0.8-1.1mEq/L n=167 Placebo n=191 Stable pts. randomized 8-16 weeks 76 weeks 2 Weeks Bowden et al., Calabrese et al. - in press
Median = 26 weeks Median = 28 weeks Median = 12 weeks Zeit bis zur Intervention wegen einer neuen Episode LTG v. PBO, p = 0.002* Li v. PBO, p < 0.001* LTG v. Li, p = 0.644* * analysis stratified by study Bowden et al., Calabrese et al. - in press
Zeit bis zur Intervention wegen einer neuen Depression LTG v. PBO, p = 0.004* Li v. PBO, p = 0.076* LTG v. Li, p = 0.281* * analysis stratified by study Bowden et al., Calabrese et al. - in press
Zeit bis zur Intervention wegen einer neuen Manie/Hypomanie LTG v. PBO, p = 0.149* Li v. PBO, p < 0.001* LTG v. Li, p = 0.023* * analysis stratified by study, unstratified LTG vs. PBO, p=0.034 Bowden et al., Calabrese et al. - in press
Lamotrigin-Therapie • Vorteile • einziges antidepressives Prophylaktikum • validierte Wirkungsnachweise (Do.-Blindstudien) • keine Blutspiegel- /Gesundheitskontrollen • gut verträglich • nicht/wenig teratogen • keine Wechselwirkung • Nachteile • langsames Aufdosieren notwendig (wg Rash) • 1.+2. Wo 25 mg; 3.+4. Wo 50 mg, Dauer: 200-400mg • cave: Valproat hemmt Metabolismus • in seltenen Fällen: schwerwiegender Rash (Lyell-Syndr.)
Wirksamkeit einer Kombinationstherapie von Olanzapin plus Valproat oder Lithium zur Rezidivprophylaxe über 18 Monate
Zeit bis zum symptomatischen Rückfall in die Manie oder Depression Die Zeit bis zum Rückfall in eine der beiden Phasen nach einer symptomatischen Re- mission der Manie (YMRS 12) und der Depression (HAMD-21 8) war für die Olanzapin-Kotherapiegruppe signifikant länger als in der Monotherapiegruppe (25% Percentile: 124 vs. 15 Tage) Tohen M. et al.; Poster 3. European Stanley Foundation Conference on Bipolar Disorder, September 12-14,2002, Freiburg, Germany
Zeit bis zum symptomatischen Rückfall in die Manie Von den Patienten mit symptomatischer Re- Mission der Manie (YMRS 12) betrug die Zeit bei den mit der Olanzapin-Kotherapie behandelten Patienten bis zum Rückfall in die Manie signifikant länger (25% Percentile: 362 vs. 63 Tage) Tohen M. et al.; Poster 3. European Stanley Foundation Conference on Bipolar Disorder, September 12-14,2002, Freiburg, Germany
Zeit bis zum symptomatischen Rückfall in die Depression Die Zeit bis zum Rückfall in eine Depression nach einer symptomatischen Remission der Manie (YMRS 12) und der De- pression (HAMD-21 8) war für die Olanzapin- Kotherapiegruppe länger als in der Monotherapie- Gruppe (25% Percentile: 155 vs.27 Tage) Tohen M. et al.; Poster 3. European Stanley Foundation Conference on Bipolar Disorder, September 12-14,2002, Freiburg, Germany
Nebenwirkungen Nur Nebenwirkungen mit einer Häufigkeit von mehr als 10% bzw. statistischer Signifikanz zwischen den Gruppen *signifikant häufiger in der Monotherapiegruppe mit Li+/Val Tohen M. et al.; Poster 3. European Stanley Foundation Conference on Bipolar Disorder, September 12-14,2002, Freiburg, Germany
Bei Manie rasch wirksam Wirkt auf psychotische Symptome der Manie Breite Wirksamkeit (gemischte Episode, Rapid Cycling) Langfristiger Nutzen Sicher in der Anwendung Gute Verträglichkeit Einfache Einnahme Olanzapin zur Behandlung der Manie Modifiziert nach Keck Jr. PE, McElroy SL. In: Nathan PE, Gorman JM, eds.A Guide to Treatment that Works. New York: Oxford University Press, 1997
Aktuelle Probleme der Therapieforschung: • 1. Depressive Phasen • 2. Rapid cycling • 3. Kombinationstherapien • 4. Non-compliance
Psychoedukation - Patient/Familie • Psychotherapie/Psychoedukation • Verständnis der Krankheit • Änderung der Therapieerwartungen • Freunde, Familie als Unterstützung sichern • Akzeptanz der beschränkten Therapiemöglichkeiten
Psychoedukation - Patient/Familie • bei bipolaren Störungen zielt hauptsächlich auf eine Verbesserung der Mitarbeit und der Selbsthilfe ab Selbstbeobachtung • Auf Rückfall-Anzeichen achten • Einen Plan für Problemsituation machen • Auf Schlaf achten Spezifische Ziele • Auf Lebensrhythmus/Lebensgewohnheiten achten (ggf. umstellen) • Alkohol-/Drogenabstinenz • Compliance
Zusammenfassung: • Bessere Therapiestudien • Verzicht auf klassische Neuroleptika • Medikamente sind in der Akut- und Langzeittherapie unentbehrlich • Medikamente können nur wirken, wenn sie eingenommen werden • Krankheitsverständnis bei Patienten und Angehörigen ist unentbehrlich
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!