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Vorlesung: Affektive Störungen. 22.11.05 Dr. Jürgen Wolf. Affektive Störungen. „Der Schmerz der Seele ist schlimmer als der Schmerz des Körpers.” Publius Syrius, 42 n. Chr. Gliederung. Affektive Störungen – Unipolare Störungen Depression / (Manie)
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Vorlesung: Affektive Störungen 22.11.05 Dr. Jürgen Wolf
Affektive Störungen „Der Schmerz der Seele ist schlimmer als der Schmerz des Körpers.” Publius Syrius, 42 n. Chr.
Gliederung • Affektive Störungen – Unipolare Störungen Depression / (Manie) • Affektive Störungen – Bipolare Störungen
Definition: Affektive Störungen • Erkrankungen mit Veränderungen von Stimmung(Affektivität) ,Aktivitätsniveau (Antrieb), Kognition u.a. • Affektive Störungen zeigen als psychopathologisches Kernmuster das depressive und manische Syndrom • Krankhafte Veränderungen • Erniedrigtes psychosoziales Funktionsniveau
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionHäufigkeits- und Geschlechtsverteilung affektiver Psychosen Bipolare Störungen 30 % Frauen:Männer = 1:1 Unipolare Frauen:Männer = 2:1 Depression Rein Manisch 65 % 5 % Möller HJ et al.; Thieme-Verlag, Stuttgart 2001
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionHistorisches zur Depression • Depression von lat. „deprimere” = herunterdrücken • 5. Jhr. v. Chr.: Erste Ansätze der Beschreibung von Hippokrates: „Melancholie” als Ausdruck eines Überschusses von schwarzer Galle gegenüber den drei anderen Körpersäften • 1913: Gliederung von Emil Kraepelin • 1916: Gliederung „Depressive Trias” von Eugen Bleuler • 1987 und 1991: Einführung der operationalisierten Diagnose- und Klassifikationssysteme DSM-III-R und ICD-10
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionEpidemiologie I • Rund 4 Millionen Deutsche leiden an depressiven Störungen1 • Punktprävalenz „Major Depression“ in Deutschland: ca. 5-10 %2 • Lebenszeitprävalenz „Major Depression”: ca. 16,4 %2 • Knapp 5 % der über 70-Jährigen weisen „Major Depression” auf 3 1 Kompetenznetz Depression, 2001 2 Statistisches Bundesamt Robert Koch-Institut, Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, Kapitel 5.15 Depressionen 3 Linden M et al.; Nervenarzt 1998; 69: 27-37
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionEpidemiologie II Situation in Deutschland 60-70 % 30-35 % 6-9 % 2,5-4 % Kompetenznetz Depression, 2001; aus: Laux G (Hrsg.); Springer-Verlag 2002
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionEpidemiologie III Weltweite Belastung durch verschiedene Erkrankungen in entwickelten Ländern 12.000 10.000 8.000 Mit Beeinträchtigung gelebte Jahre 6.000 4.000 2.000 0 Autounfälle Osteoarthritis Schizophrenie Major Depression, unipolar Zerebrovaskuläre Erkrankung Zwangsstörungen Diabetes mellitus Demenz u. a. degener. Erkrankungen Alkoholmissbrauch Bipolar affektive Störung Murray CJ und Lopez AD; Lancet 1997, 349: 1436-1442
Infektionen der tieferen Atemwege Durchfallerkrankungen Perinatale Faktoren Unipolare Depression Koronare Herzerkrankung Zerebrovaskulär Tuberkulose Masern Verkehrsunfälle Angeborene Mißbildungen Malaria COPD Epilepsien Eisenmangelanämie Anämie Koronare Herzerkrankung Unipolare Depression Verkehrsunfälle Zerebrovaskulär COPD Infektionen der tieferen Atemwege Tuberkulose Kriege Durchfallerkrankungen HIV Perinatale Faktoren Gewalttaten Angeborene Mißbildungen Selbstverletzungen Bronchialcarcinome Disability Adjusted Life Years:Rangfolge der 15 wichtigsten Ursachen weltweitMurray& Lopez, Lancet 1997 May 17;349(9063):1436-42Lancet 1997 May 24;349(9064):1498-504 1990 2020
Beeinträchtigung durch Depression im Vergleich zu chronischen somatischen Erkrankungen(Wells, JAMA, 1989) aktuelle Gesundheit körperlich sozial beruflich „bed days“ Bluthoch-druck Diabetes Herzinfarkt Arthritis Lunge keine Depression beeinträchtigt mehr Depression beeinträchtigt weniger Kein Unterschied
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionHäufigkeit von Depressionen bei Organerkrankungen 30-50 % 25-40 % 25-35 % 10-20 % 20 % 10 % Schlaganfall Morbus Parkinson Diabetes mellitus Karzinom Myokardinfarkt Dialyse Robertson M und Katona CL (Hrsgs.); Wiley-Verlag, Chichester 1997
Multifaktorielle Äthiopathogenese Psychosoziale Belastung Genetische Prädisposition Persönlichkeits-faktoren Neurobiologische Veränderungen Monoamine, Second Messanger, Neuroendokrinologie, Neurotrophine Somatische Faktoren Affektives Syndrom emotional/ kognitiv/ somatisch
Antidepressivum Serotonin Noradrenalin AC AC cAMP PKA CREB BDNF
Hippocampus CA3 normal Stress Antidepressiva Serotonin Glucocorticoide Noradrenalin Glucocorticoide BDNF BDNF normales Wachstum und Überleben vermehrtes Wachstum und Überleben Atrophie Duman et al., 1997; Jacobs et al., 2000
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionFrühere nosologische Zuordnung Organisch Somatogene Depressionen Symptomatisch Schizoaffektiv Bipolar Endogene Depressionen Somatogen Unipolar Spätdepressionen Neurotisch Psychogene Depressionen Erschöpfungsdepressionen Reaktiv Psychogen
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionFrühere Einteilung der Symptome • Störungen der Affektivität • Störungen des Antriebs • Körperliche Störungen • Denkstörungen
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionFrühere Einteilung von Subtypen nach Symptomatologie • Agitierte Depression • Ängstliche Getriebenheit • Gehemmte Depression • Psychomotorik • „Larvierte”, somatisierte Depression • Im Vordergrund stehen • Vegetative Störungen • Funktionelle Organbeschwerden • Wahnhafte Depression • Depressiver Wahn vorhanden
Klassifikation: DSM-IV (1994) - Deskriptiv-phänomenologisch - Weitgehend atheoretisch - Operationale Definition statt Krankheitslehre - Kein expliziter Hinweis auf Ätiologie, Pathogenese, Therapie - Erklärtes Ziel: Erhöhung der Reliabilität - Training und klinische Ausbildung sind unverzichtbar - Standardisierte Versionen verfügbar (SKID)
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionDiagnostische Kriterien nach DSM-IV (Auswahl) • Hemmung/Unruhe • Müdigkeit, Energieverlust • Gedanken an den Tod • Denkhemmung, Konzentration • Schuldgefühle • Depressive Verstimmung • Interessensverlust • Gewichtsveränderung • Schlafstörungen • Schweregrade • Leicht • Mittel • Schwer • ohne psychotische Merkmale • mit psychotischen Merkmalen
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionDiagnostische Kriterien der depressiven Episode nach ICD-10 Zusatzsymptome (Auswahl) • Konzentration • Selbstwertgefühl • Alltagsaktivitäten • Schuldgefühle • Hemmung/Unruhe • Schlafstörungen • Appetitverlust • Gedanken an den Tod Hauptsymptome • Gedrückte Stimmung • Freudlosigkeit • Interessenlosigkeit • Antriebsstörung • Schweregrade • Leicht • Mittel • Schwer • ohne psychotische Symptome • mit psychotischen Symptomen
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionKlassifikation affektiver Störungen • DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) • Bipolare Störungen • Depressive Störungen – Major Depression – Dysthyme Störung • Andere affektive Störungen • ICD-10 (International Classification of Diseases) • Manische Episode (F30) • Bipolare affektive Störung (F31) • Depressive Episode (F32) • Rez. depressive Störungen (F33) • Anhaltende affektive Störungen (F34) • Andere affektive Störungen (F38)
++ ++ ++ ++ + + + + 0 0 0 0 - - - - -- -- -- -- Dysthymie unipolare depressive Episode chronifizierte depressive Episode rezidivierende depressive Episode
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionKörperliche Symptome bei depressiven Störungen Kopfschmerzen, Schwindel Rückenschmerzen v. a. bei Frauen Atembeschwerden u. a. Engegefühl Herzbeschwerden u. a. Herzrasen Unterleibsbeschwerden u. a. Zyklusstörungen, Schmerzen Magen-Darm- Beschwerden u. a. Übelkeit, Völlegefühl, Schmerzen Möller HJ et al.; Thieme-Verlag, Stuttgart 2001
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionVerlaufsparameter bei unipolarer Depression Remission Rückfall Wiedererkrankung × Euthymie zunehmenderSchweregrad der Erkrankung Rückfall Symptom Response × Progression in die Erkrankung Syndrom Erhaltung (4–9 Monate) Akut (6–12 Wochen) Prophylaxe ( 1 Jahr) Behandlungsphasen Zeit Kupfer DJ; J Clin Psychiatry 1991; 52 Suppl 5: 28
Therapie depressiver StörungenDepression: Chronische Erkrankung 100 90 % 90 80 % 80 70 60 50 % Wahrscheinlichkeit rezidivierender Episoden (%) 50 40 30 20 10 0 nach 1 Episode nach 2 Episoden nach 3 Episoden Kupfer DJ; J Clin Psychiatry 1991; 52 Suppl 5: 28-34
10 8 6 4 2 0 0 2 4 6 8 10 Je mehr depressive Episoden, desto geringer die Bedeutung von “stressful life events” Risiko (%) einer neuen depressiven Episode (pro Monat) • Mit zunehmender Episodenanzahl: • steigt das Risiko weiterer Episoden • nimmt die Assoziation des Episodenbeginns mit belastenden Ereignissen ab Odds ratio für mind 1 belastendes Lebensereignis im Monat des Episodenbeginns Number of previous depressive episodes Kendler KS, et al. Am J Psychiatry. 2001;157:1243-1251
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionSuizid in Deutschland • Alle 4 Minuten gibt es einen Suizidversuch • Alle 45 Minuten nimmt sich ein Mensch das Leben • Im Jahr 1999 starben 11.157 Menschen durch Suizid und damit mehr als durch Verkehrsunfälle (7.749) • Hohe Dunkelziffer, besonders bei älteren Patienten Statistisches Bundesamt, IDEA-Spektrum 2001; 28: 17
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionSuizid bei Depression II • Jeder 7. Patient mit „Major Depression“ begeht Suizid1 • 40 bis 60 % aller Suizidenten waren zum Zeitpunkt des Suizids depressiv2 • Bei „Major Depression“ ein 21fach erhöhtes Suizidrisiko3 1 Miles C; J Nerv Ment Dis 1977; 164: 231-246 2 Wolfersdorf M und Mäulen W; Roderer-Verlag, Regensburg 1992 3 Harris C und Barraclough B; Brit J Psychiatry 1997; 170: 205-228
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionDiagnostisches Basisprogramm • Internistische Untersuchung • Neurologische Untersuchung • Routinelabor • EKG • Gegebenenfalls bildgebende Verfahren und EEG
Klassifikation und Pathophysiologie DepressionPsychiatrische Skalen für Schweregrad und Verlauf(Auswahl) • Hamilton-Depression-Rating-Skala (HAMD) • Montgomery und Asberg-Depression-Rating-Skala (MADRS) • Clinical-Global-Impression-Skala (CGI-I; klinischer Gesamteindruck) • Beck-Depression-Inventory (BDI)
Therapie depressiver StörungenTherapieziele Remission Ansprechen 50 % Reduktion vom Ausgangswert der HAM-D- oder MADRS-Scores • HAM-D17-Score 7, MADRS21 ≤ 10 • Minimale Symptomatik oder symptomfrei • Psychosoziale und berufliche Funktion wieder hergestellt Frank E et al.; Arch Gen Psychiatry 1991; 48: 851-855 Rush AJ et al.; Psychiatric Ann 1995; 25: 704-709 Thase ME et al.; J Clin Psychiatry 1997; 58: 393-398 Cunningham LA; Ann Clin Psychiatry1997; 9: 157-164
Therapie depressiver StörungenTherapiemaßnahmen • Psychotherapie • Psychopharmakatherapie • Biologische Verfahren • Schlafentzug • Elektrokrampftherapie (EKT) • Lichttherapie • Begleitende Maßnahmen • Bewegungstherapie • Sporttherapie • Physiotherapie
Therapie depressiver StörungenAllgemeines Vorgehen zur Sicherung der Compliance Patienten informieren Patienten motivieren • Häufiger Kontakt • Persönliche Gespräche • Kontrolle • Suizidalität ansprechen • Krankheitsbild • Therapeutische Möglichkeiten • Therapiedauer • Mögliche Nebenwirkungen
Therapie depressiver StörungenAuswahlkriterien Antidepressiva nach STEPS-Modell • Safety(Sicherheit) • Interaktionspotenzial • Tolerability(Verträglichkeit) • Akut- und Langzeitverträglichkeit • Efficacy(Wirksamkeit) • Wirkeintritt • Behandlung und Prophylaxe • Wirksamkeit bei Subpopulationen • Payment(Kosten) • Simplicity(Einfachheit) • Dosierungsschema • Notwendigkeit besonderer Untersuchungen Preskorn SH; Selection of an antidepressant. J Clin Psychiatry 1997; 58 Suppl. 6: 3-8
Gliederung • Affektive Störungen – Unipolare Störungen Depression / (Manie) • Affektive Störungen – Bipolare Störungen
Epidemiologie der bipolaren Störungen • Bipolare Störungen betreffen Schätzungen zufolge weltweit etwa 1% der Menschen. • Krankheitsbeginn ist zumeist zwischen dem 15. und 24. Lebensjahr, die Zeitspanne bis zur korrekten Diagnose beträgt 5 bis 10 Jahre. • Die Inzidenz ist bei Frauen und Männern gleich. • 1/3 der Erkrankten unternimmt einen Suizidversuch, 10% bis 15% mit Erfolg. • Die Rezidivrate beträgt 90%. • Die ökonomische Belastung ist hoch. Goodwin und Jamison. Manic-Depressive Illness 1990 Woods. J Clin Psychiatry 2000;61(suppl 13):38-41
Bipolare Störung: Unerkannt und zu selten diagnostiziert Screening in den USA mittels “Mood Disorders Questionnaire” (MDQ) * Adjustiert auf die US-Bevölkerungsdaten des Jahres 2000 † Adjustiert auf geschätzten Bias durch MDQ-Beanwortungsunterschiede Bipolar Spectrum Disorders, Prevalence and Impact Project, 2001 Hirschfeld et al. J Clin Psychiatry 2003;64:53-59
Diagnostische Schwierigkeiten bei bipolarer Störung • Symptomüberschneidungen mit anderen Erkrankungen führen zur Fehldiagnose • Speziell die Abgrenzung zu rezidivierender Depression und zur schizoaffektiven Störungist problematisch • Überbewertung der momentanen Symptomatik bei zu engem Zeitfenster der Patientenbeobachtung. Entscheidend für die Diagnose ist der Verlauf im Längsschnitt • Fehlende Krankheitseinsicht beim Patienten • Es liegen häufig komorbide Erkrankungen wie z. B. Angsterkrankungen, Essstörungen und Substanzmissbrauch vor • Kinder / Jugendliche (Fehldiagnosen, Stigmatisierung) Evans. J Clin Psychiatry 2000;61(suppl 13):26-31
Bipolare Störungen – ein Überblick • Die bipolaren Störungen umfassen unterschiedliche Krankheitsepisoden, die als manisch, hypomanisch, depressiv, gemischt oder euthym beschrieben werden • Die Symptome sind Überzeichnungen normaler Stimmungszustände wie z. B. Traurigkeit, Freude, Reizbarkeit, Wut und Kreativität • Depressive Zustände sind mit Abstand am häufigsten • Trotz nachgewiesen wirksamer Therapiemöglichkeiten sind nur 30% der Erkrankten in Behandlung • Einer von vier bis fünf unbehandelten Patienten stirbt durch Suizid Judd et al. Arch Gen Psychiatry 2002;59:530-537
Bipolare Patienten leiden fast die Hälfte ihrer Lebenszeit an den Symptomen der Erkrankung n = 146 Follow-up: 12,8 Jahre Judd et al. Arch Gen Psychiatry 2002;59:530-537
Manie Subsyndromale Manie (Hypomanie) Manie Euthymie Subsyndromale Depression Depression Die bipolare Störung ist vielgestaltig
++ ++ ++ ++ + + + + 0 0 0 0 - - - - -- -- -- -- Hypomanie Bipolare Störung I Bipolare Störung II Zyklothymie
Symptome der Manie/Hypomanie • Gehobene Stimmung/Reizbarkeit/Aggressivität • Überhöhtes Selbstwertgefühl/Grandiosität • Verringerter Schlafbedarf • Rededrang • Gedankenrasen • gesteigerte Ablenkbarkeit • Überaktivität/Agitiertheit • Bevorzugung angenehmer Aktivitäten • 3 Symptome, 1 Wo = “Bipolar-I-Störung, manische Episode” nach DSM-IV