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Altruismus und Hilfeverhalten

Altruismus und Hilfeverhalten. Vorlesung Sommer 2011 Thomas Kessler. Leitfragen. Wie kann pro-soziales oder altruistisches Verhalten in einer Welt voller „Egoisten“ entstehen? Welche Bedingungen fördern / behindern pro-soziales Verhalten? Welche Variablen vermitteln pro-soziales Verhalten?.

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Altruismus und Hilfeverhalten

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  1. Altruismus und Hilfeverhalten Vorlesung Sommer 2011 Thomas Kessler

  2. Leitfragen • Wie kann pro-soziales oder altruistisches Verhalten in einer Welt voller „Egoisten“ entstehen? • Welche Bedingungen fördern / behindern pro-soziales Verhalten? • Welche Variablen vermitteln pro-soziales Verhalten?

  3. Überblick • Definition von „pro-sozialem Verhalten“ • Entstehung pro-sozialen Verhaltens • Familienaltruismus, • Reziproker Altruismus, • Starke Reziprozität • Bedingungen für Hilfeverhalten • Der Barmherzige Samariter • Bystander-Effekt • Vermittelnde Variablen • Schlussfolgerungen

  4. Was ist pro-soziales Verhalten? • Beispiel 1: • „Ein Mann ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die plünderten ihn aus, schlugen ihn, machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig ging ein Priester denselben Weg hinab. Er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam ein Levit an der Stelle vorbei, sah ihn und ging vorüber. Ein Samariter aber, der des Weges zog, kam in seine Nähe, sah ihn und wurde von Mitleid bewegt. Er trat hinzu, verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf; dann setzte er ihn auf sein eigenes Lasttier, brachte ihn in eine Herberge und trug Sorge für ihn.“ • Der barmherzige Samariter (Lukas, 10, 30)

  5. Was ist pro-soziales Verhalten? • Beispiel 2: • „Eines Nachts wurde Margaret Barbera von einem Mann durch ein abgelegenes Parkhaus am Hudson River in Manhattan gezerrt. Und obwohl der Mann mit einer langläufigen Pistole herumfuchtelte, versuchten drei CBS-Techniker der Frau zu Hilfe zu kommen. Es waren höchstwahrscheinlich keine egoistischen Motive, die in jener Nacht im Jahr 1982 Leo Kruglanski, Robert Schulze und Edward Benford in den Tod trieben. Sicherlich spielten bei dieser versuchten Hilfeleistung keine Überlegungen der Gegenseitigkeit oder sonst eine Hoffnung auf externale Belohnung eine Rolle.“ Nach Frank, 1989

  6. Was ist pro-soziales Verhalten? • Beispiel 3: • „Am 13. März 1964 verfolgte Winston Moseley eine junge Frau in Queens (New York). Er rang sie nieder und stach auf sie ein. Auf ihre Hilferufe gingen die Lichter in einigen umliegenden Wohnungen an und irgend jemand schrie aus dem Fenster: „Lassen sie das Mädchen in Ruhe!“ Mosley ließ von ihr ab und verfolgte sie aber etwas später weiter. Er trieb sie durch das Treppenhaus zu ihrer Wohnung und stach mehrere Male auf sie ein und vergewaltigte sie. Die Polizei wurde erst etwa 30 Minuten nach den ersten Hilferufen benachrichtigt und kam zu spät: Kitty Genovese war nicht mehr zu helfen.“ Nach Frank, 1989

  7. Was ist pro-soziales Verhalten? Altruistisches Verhalten: • In der Evolutionstheorie wird es definiert als ein Verhalten, das trotz der Kosten für die Fitness des Helfenden zur Fitness eines anderen Individuums beiträgt. • In der Sozialpsychologie bezieht sich dieser Begriff auf selbstloses Verhalten, das etwa durch die Übernahme der Sichtweise eines anderen und Empathie gekennzeichnet ist; dies geschieht in der Absicht, einer anderen Person zu nützen, auch wenn der Helfende die Möglichkeit hätte, dies nicht zu tun.

  8. Was ist pro-soziales Verhalten? Pro-soziales Verhalten: • Hilfeverhalten in dem Sinne, dass durch die Handlung beabsichtigt ist, die Situation des Rezipienten zu verbessern, und der Handelnde nicht verpflichtet ist, der Person, der geholfen wird, zu helfen.

  9. Hilfe-verhalten Pro-soziales Verhalten Altruismus Was ist pro-soziales Verhalten?

  10. Entstehung pro-soz. Verhaltens • Familienaltruismus • Reziproker Altruismus • Starke Reziprozität

  11. Entstehung pro-soz. Verhaltens • Familienaltruismus • Altruistisches Verhalten ist genau dann adaptiv, wenn die Kosten K für das Verhalten kleiner sind als der Nutzen N für den Empfänger gewichtet am Verwandtschaftsgrad r (z.B. ½ für Vollgeschwister): • N * r > K (Hamiltons Regel)

  12. Entstehung pro-soz. Verhaltens Erklärung: • "Veranlasst" ein Gen seinen Träger (ein Individuum) dessen genetischen Verwandten zu helfen, dann hilft es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (Verwandtschaftsgrad) auch sich selbst (in Form seiner Kopien) in künftigen Generationen vorhanden zu sein. Psychologische Voraussetzungen: • Neigung nahen Verwandten zu helfen • Erkennen des Verwandtschaftsgrads

  13. Entstehung pro-soz. Verhaltens Evidenz: • Die bevorzugte Hilfe unter Verwandten ist eine der Universalien menschlicher Gesellschaften (z.B. Brown, 1991; Cook, 1980). • Vererbung von materiellen Gütern folgt dem Verwandtschaftsgrad (Smith et al., 1987). • Zusammensetzung von Wahlfangbooten der Inuit folgt dem Verwandtschaftsgrad (Morgan, 1979).

  14. Entstehung pro-soz. Verhaltens Evidenz: • 1620-21 Mayflower Expedition in die neue Welt • Von 103 Personen haben nur 50 überlebt. • Wer mehr Verwandte dabei hatte überlebte mit einer höheren Wahrscheinlichkeit.

  15. Entstehung pro-soz. Verhaltens Evidenz: Überlebende nach Verwandtschaftsgrad

  16. Entstehung pro-soz. Verhaltens Evidenz (Burnstein, et al., 1994): Tendenz zur Hilfe in „Leben-oder-Tod“ oder alltäglichen Szenarien

  17. Entstehung pro-soz. Verhaltens • Erkennen des Verwandtschaftsgrads • Primäre Bindung • Emotionale Nähe • Verwandtschaftstermini

  18. Entstehung pro-soz. Verhaltens • Mediation der Familienaltruismus • nach Korchmaros & Kenny, 2001

  19. Entstehung pro-soz. Verhaltens Reziproker Altruismus • „Es gibt keine dringlichere Pflicht als die, eine Freundlichkeit zu erwidern. Alle Menschen misstrauen jemandem, der eine Wohltat vergisst. (Cicero)

  20. Entstehung pro-soz. Verhaltens • Gefangenen-Dilemma (Drescher & Flood)

  21. Entstehung pro-soz. Verhaltens • In einem Wettbewerb verschiedener Strategien zeigte sich Tit-for-Tat als effektivste Strategie • Eigenschaften: • Freundlich (Kooperiert im ersten Schritt) • Provozierbar (Reagiert sofort auf Betrug) • Nachsichtig (Ist nicht nachtragend)

  22. Entstehung pro-soz. Verhaltens Evidenz (Scheldon, 1999) • Tit-for-tat lehrt nicht kooperative Individuen, dass sich Kooperation letztendlich auszahlt und Nicht-Kooperation die ungünstigere Alternative ist.

  23. Entstehung pro-soz. Verhaltens Starke Reziprozität • Tendenz zur Kooperation und die Neigung und • kooperatives Verhalten zu belohnen • nicht-kooperatives Verhalten zu bestrafen

  24. Entstehung pro-soz. Verhaltens Evidenz: Ultimatum-Spiel (Güth, et al., 1982): • Eine Person A verteilt einen Geldbetrag. • Eine Person B entscheidet, ob die Aufteilung akzeptabel ist oder nicht. • Akzeptiert B die Aufteilung, dann bekommt jeder den Betrag, den A vorgeschlagen hat. • Akzeptiert B nicht, dann bekommen beide nichts.

  25. Entstehung pro-soz. Verhaltens Evidenz: • Öffentliche Güter • In Untersuchungen zu öffentlichen Gütern findet sich eine Reduktion der Beiträge über wiederholte Runden.

  26. Entstehung prosoz. Verhaltens Evidenz: • Öffentliche Güter • Einführung von altruistischer Bestrafung stabilisiert und erhöht die Beitragsraten der Mitspieler (Fehr & Gächter, 2002)

  27. Entstehung pro-soz. Verhaltens Wie funktioniert "altruistische Bestrafung"? Moralische Emotionen: • Ärger, Empörung, Wut • Abneigung, Ekel • Verachtung

  28. Entstehung pro-soz. Verhaltens Inwiefern ist „altruistische“ Bestrafung altruistisch? • Bestrafung aktiviert Hirnregionen, die ansonsten mit Belohnung assoziiert sind (de Quervain et al., 2004). • Je stärker diese Regionen aktiv sind, desto härter fällt die Bestrafung aus.

  29. Bedingungen pro-soz. Verhaltens • Barmherzigen Samariter • Bystander-Effekt • Pluralistische Ignoranz • Verantwortungsdiffusion • Bewertungsangst

  30. Bedingungen pro-soz. Verhaltens • Darley & Latané, 1976 • Untersuchung zum Einfluss der Religiosität und des Zeitdrucks

  31. Bedingungen pro-soz. Verhaltens • Hilfeverhalten (gemittelt; 0=keine Hilfe bis 4=stehen bleiben und helfen)

  32. Bedingungen pro-soz. Verhaltens Der Bystander-Effekt • Je mehr Personen bei einem potentiellen Notfall anwesend sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit für eine Hilfeleistung und desto größer ist die Latenz bis geholfen wird.

  33. Bedingungen pro-soz. Verhaltens Verschiede Faktoren: • Pluralistische Ignoranz: • Die Meinung, dass sich die eigenen Gefühle von denen anderer unterscheiden, aber das beobachtbare Verhalten das gleich ist. Validierung der eigenen Gefühle am Verhalten anderer. „Wenn alle (außer mir) glauben das sein kein Notfall , dann sollte ich mich zurückhalten“. • Verantwortungsdiffusion: • Verantwortung wird unter verschiedenen Personen aufgeteilt, so dass sich jede einzelne weniger verantwortlich fühlt. • Bewertungsangst: • Erwartung von anderen bewertet zu werden kann Angst, Unbehagen usw. auslösen und kann zur Vermeidung von Hilfeverhalten führen.

  34. As the number of bystanders As the number of bystanders increased , the time elapsing increased , the percentage of before help was given individuals who helped increased decreased 166 90 170 85 Who Attempted 80 150 Help Victin 70 130 to 62 Help Victin Numbers of Seconds Passing Before Subjects 60 110 Attempted 93 to 50 90 Percentage of Subjects 40 70 31 52 30 50 1 2 5 1 2 5 Number of Bystanders Source: Based on data in Darley & Latane, 1968. Bedingungen pro-soz. Verhaltens

  35. Bedingungen pro-soz. Verhaltens Welche Bystander sind hier problematisch? • Anonyme Bystander: • Wenn man die anderen nicht kennt, weiß man nicht, was man von ihnen halten soll. • InstruiertBystander (konföderierte Personen): • Wenn die anderen konsistent nichts machen, dann kann das zu pluralistischer Ignoranz, Verantwortungsdiffusion etc. führen. • BekannteBystander (Freunde, Eigengruppenmitglieder): • Größere Kohäsion, Einfluss und der Einfluss von pro-sozialen Normen (siehe Eingangsbeispiele).

  36. Bedingungen pro-soz. Verhaltens Die hilfreichen Bystander (Levine & Crowther, 2008) • Vorgestellte Hilfesituation: „Nachts in einer dunklen Straße …, Sie sind mit XXX unterwegs, … sie beobachten eine Auseinandersetzung zwischen einem Mann und einer Frau …

  37. Altruismus? Definitionen • Altruismus: „is a motivational state with the ultimate goal of increasing another’s welfare.” • Egoismus: “is a motivational state with the ultimate goal of increasing one’s own welfare.” (nach Batson & Shaw, 1991)

  38. Altruismus? • Perspektivenübernahme: Wissen um die psychologische Situation einer anderen Person. • Empathie: Stellvertretende Emotion, auf die andere Person gerichtet; auch: „sympathy“: „involves feeling not as the other feels but for the other”.

  39. Altruismus? • Empathy-Altruismus-Hypothese (Batson)

  40. Zusammenfassung • Prosoziales Verhalten kann durch • Familienaltruismus • reziproken Altruismus • starke Reziprozität entstehen und stabil bleiben. • Bedingungen für Hilfeverhalten sind • situative Faktoren (Zeitdruck, Anwesenheit vieler Personen) • dispositionale Faktoren (z.B. Empathie und Perspektivenübernahme)

  41. Literatur • Batson, C.D. (1991). The altruism question. Toward a social-psychological answer. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum. • Batson, C.D. (1998). Altruism and prosocial behavior. In: D. T. Gilbert, S. T. Fiske and G. Lindzey (eds.), The Handbook of Social Psychology (41th edition, Vol. 2, pp. 282-316). New York: McGraw-Hill. • Gintis, H., Bowles, S., Boyd, R. & Fehr, E. (2003). Explaining altruistic behavior in humans. Evolution and Human Behavior, 24, 153-172.

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