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„Was ist der Mensch, dass Du an ihn denkst?“ (Ps 8,5) Überlegungen zu einer zeitgemäßen Ethik des Lebens. Walter Schaupp Graz Herbsttagung AHS/BMHS 2011 St. Georgen a. Längsee , 11.11.2011. 1.Christliche Moral und säkulare Gesellschaft.
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„Was ist der Mensch, dass Du an ihndenkst?“ (Ps 8,5)Überlegungen zu einer zeitgemäßen Ethik des Lebens Walter Schaupp Graz Herbsttagung AHS/BMHS 2011 St. Georgen a. Längsee, 11.11.2011
1.Christliche Moral und säkulare Gesellschaft Entwicklungen und ihre Relevanz für die christliche Ethik
Die „säkulare“ Gesellschaft • Gesellschaftliche Entwicklungen • Verlust verbindlicher Rahmen und moralischer Autoritäten • z.B. Kirche und Religion • Individualisierung und Pluralisierung von Wertvorstellungen u. Lebensentwürfen • Globlalisierung und cultural turn • Problem der Sicherung eines gemeinsamen ethischen Fundaments • Diskussionen um Möglichkeit einer universalen Ethik (verbindliche moralische Rahmen und Fundamente) • Orientierungsprobleme auf individueller Ebene • Sinn- und Orientierungsdefizite • Ethik des guten Lebens (nicht Normierung sondern Orientierung f d Leben) Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Ethische Bewältigungsstrategien • Neue Leitwerte • Gerechtigkeit / Reziprozität • Selbstbestimmung / Autonomie • Authentizität • Sicherung basaler Güter (Gesundheit, Sicherheit, Wohlstand …) • Prozesshaftes Denken • Vgl. Boom an Ethikkommissionen • Empirische Orientierung • Individualisierung der Suche nach Sinn und nach Glück (Ethik d guten Lebens) Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Beurteilung • Nicht nur Werteverfall - auch Werteumbau • Vgl. kirchliche Missbrauchsfälle • Vgl. Priorität der Menschenrechte als universaler Maßstab auch f Religionen • Vgl. Umgang mit Pluralität • Probleme • Naturalismus / biologische Reduktion d Menschen • Innerweltlicher Perfektionismus • Ökonomisierung aller Lebensbereiche Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Konsequenzen • Christliche Ethik als Angebot <-> Idee von Moral als Bestandteil des Evangeliums (vgl. „Evangelium vitae“) - vgl. das Grundproblem einer gewaltfreien „Mission“ • Verteidigung eines „guten“ moralischen Universalismus <-> Idee der Kindschaft Gottes (gewalt- u. herrschaftsfrei / nicht totalisierend) • Im Zentrum das „Leben“ • Sich einem prozesshaften Denken öffnen <-> heilsgeschichtliches Denken (die „größere Gerechtigkeit“ / Gesetz d Gradualität) • Alternative Bilder eines „guten“ Lebens: • Ebene dessen, was aus sich heraus motiviert / anzieht / überzeugt … • Antwort auf die Suche nach geglücktem / gelungenem Leben • Befreiende Transzendenz (Spiritualität) • Alternative Formen menschlicher Perfektion (Antwort auf Leistungsgesellschaft, zunehmende Beschleunigung …) • Ganzheitlichkeit (z.B. Sexualität … ) Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
2. Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik Über den Trend zur Qualitätskontrolle für das werdende Leben
Das neue Verfügen über das Leben • Moderne Bio-Technologien • Anwendung von „Technik“ auf „Leben“ Verstehen von biologischen Prozessen um sie durch Intervention kontrollieren / steuern zu können • Zunehmende Eingriffstiefe u. Eingriff in personnaheBereich • Gendiagnostik; Gentechnik; Neurotechniken … • Mit jedem Können ist neue Verantwortung verbunden • sowohl der Eingriff wie auch der Nicht-Eingriff werden rechtfertigungspflichtig!! • Grundsätzliche Ambivalenz des biotechnologischen Fortschritts • Eindeutiger Nutzen • Gleichzeitig immer neue „Lasten“ produziert Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Konkrete Konsequenzen • Steigender Bedarf an Körpersubstanzen • Vgl. Organ- u. Gewebeentnahmen u. ihre moralische Ambivalenz • Ökonomisierung des Lebendigen • Besitzansprüche, Patente, Handel mit Körpersubstanzen … • Möglichkeit der Optimierung des Menschen • Neue Qualitäts- und Haftungsansprüche • Ethische Herausforderungen • Technischer Zugriff und personale Begegnung (vgl. Umgang mit Embryo) • Optimierung des Lebendigen • Transformation der menschlichen Natur • Der menschliche Drang nach Perfektion • Das Problem der fließenden Grenzen • Das Problem des zugrunde liegenden Menschenbildes (jede Verbesserung setzt eine Zielbestimmung voraus) • Vgl. EuGH Urteil über Patentierbarkeit v SZ-Forschung Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Entwicklungen auf dem Gebiet der Pränataldiagnose • PND und PID • Ausbau und Ausweitung der Möglichkeiten • Suche nach • Nicht-invasiven Verfahren (Ultraschall!!) • Individualisiertes Vorgehen (stufenweise Strategie) • Möglichst exakter Vorhersage • Möglichst frühzeitiger Vorhersage • Ausschluss von genetischer Behinderung als Hauptziel • PND und Schwangerschaftsabbruch • Hohe emotionale Belastung für Frauen und Paare bei positivem Befund • Extreme Belastungen f Frau und Ärzte bei Spätabbrüchen • Man sieht Notwendigkeit des Ausbaus von Beratung – derzeit ungenügend • Belastungen sind wichtiges Argument für PID Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Präimplantationsdiagnostik Embryonenbiopsie Polkörperchendiagnostik Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Rechtliche Lage • Zur ethischen Problematik • Welchen „Status“ hat dieses Leben? • Vorgeburtliche Selektion menschlichen Lebens? • Verbrauch einer entwicklungsfähigen menschlichen Zelle? • Aber: Gewisse Selektion auch im Rahmen normaler IVF – häufige schwerste Störungen / keine Überlebensfähigkeit • Indikation: • Nur schwerste genetische Belastungen? („Härtefälle“) • Ausweitung der Indikation (Genchips)? • Bei „Rettungs-Kindern“? (Saviorsiblings)? • Geschlechterselektion? • Neue Testverfahren (aus Blut der Mutter) • Einen genetisch „gesunden“ Menschen gibt es nicht! Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
PND/PID und Autonomie der Frau • Das liberale Konzept der individuellen Entscheidungsfreiheit Im Zentrum steht die autonome Entscheidung der Frau! • Probleme • Situationen schwerster emotionaler Belastung - Zeitdruck! • Trotz formaler Freiheit hoher gesellschaftlicher Erwartungsdruck – Umkehrung der Rechtfertigungspflicht • Neigung der Ärzte zum Abbruch • Anthropologisch schwerste Fragen (wer oder was ist das Ungeborene für mich?) werden tendenziell in Privatsphäre verlagert • „Beratung“ als Lösung? • Ungenügend ausgebaut – jedoch Desiderat f Zukunft • Prinzipielle Grenzen einer „wertneutralen“ Beratung (Reflexion, nicht Motivation!) • Zu individualisiert? - Entscheidungen werden in einem biographischen und sozialen Kontext getroffen! Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Eine Ethik der Autonomie • Die Forderung autonomer Entscheidung ernst nehmen! • Was heißt das konkret? • Aufdecken konkreter Zwänge (z.B. Druck durch Ärzte) • Kampf für qualitativ bessere Beratungen • Was sind wirklich „freie“ Entscheidungen? • Biographischer Kontext: • Entscheidungen gründen in Wertüberzeugungen • Bedeutung des Charakters und der Biographie • Vorausschauende Auseinandersetzung • Sozial eingebettete Autonomie • Man findet sich selbst im Dialog mit anderen (Bedeutung v Gespräch) • Man ist auf Wertschätzung / Anerkennung durch andere angewiesen (vgl. Bedeutung v. Selbsthilfegruppen) • Sittliche Einsicht und sittliches Können (Motivation aus soz. Kontext u Glaube) Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Theologische Aspekte • Klare kirchliche Haltung • Offenere Haltung anderer Religionen (Lebensbeginn) • Theologisch offene Fragen • Theologische Deutung der Evolution u. der Mitwirkung des Menschen • Theologische Deutung der Freiheit • Auf biologischer Ebene haben wir „Prozesse“ – ethisch denken wir in Kategorien von „Entweder/Oder“ (Würde) • Optionen des biblischen Ethos • Option für die „Schwachen“ • Gottes Verhältnis zur Schöpfung: Freigabe, nicht Zwang und Kontrolle • Priorität der Bejahung des Seienden • Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit • Katholische Position als bes. onders anspruchsvoller Schutz (Gradualität) Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
3. Zwischen Fürsorge und Autonomie Entscheidungen am Lebensende
Ethische Herausforderungen am Lebensende • Intensive Auseinandersetzungen um das Lebensende • Zunahme an alten und chronisch kranken Menschen • Im Zentrum die Frage der „Würde“ • Aktuelle Problem- /Diskussionsfelder • Fragen der Sterbebegleitung (z.B. spiritual care) • Fragen der Behandlungsbegrenzung (z.B. Verzicht auf Wiederbelebung) • Respekt vor Würde als Dimension von Pflege • Zulässigkeit von aktiver Euthanasie/assistiertem Suizid • Personstatus von schwerst dementen und komatösen Patienten Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Spiritual Care • Das Konzept • Herkunft aus Palliativmedizin u. klassische KH-Seelsorge • Im Blick die spirituelle Dimension von Krankheit • Orientierung an den individuellenBedürfnissen des Patienten • Empirische Studien zu Einfluss v Religiosität auf KH-Geschehen / Bewältigung • Bio-psycho-sozio-spirituelles Menschenbild als theoret. Konzept • „Spirituelle Anamnese“ (Eckhardt Frick SJ) • Leistungsfähigkeit und Grenzen • Integration von Spiritualität in Klinische Gesundheitssorge • Gefahr der Instrumentalisierung • Problem einer von jeder konkreten religiösen Tradition / Konfession losgelösten Spiritualität Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Behandlungsbegrenzung am Lebensende • Konsens, dass Leben nicht „sinnlos“ verlängert werden soll (säkulare Gesellschaft, Medizinethik, Kirchen) • Schwierigkeit konkreter Entscheidung • Zunehmender medizinischer Möglichkeiten • Individualisierung der Gesellschaft / transkulturelle Situation • Vielfältigste medizinische Situationen: Endstadium Krebs; schwerst behinderte Neugeborene; jahrelanges Wachkoma … • Wende vom ärztlichen Paternalismus zur Patientenorientierung • Respekt vor Selbstbestimmungsrecht des Patienten als erster und vordringlichster Ausdruck der Achtung seiner Würde Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Zwei klassische „Säulen“ der medizinischen Entscheidung: • Medizinische Indikation • Nur medizinisch „sinnvolle“ Maßnahmen sind indiziert • Kein Recht auf nicht indizierte Maßnahmen • Patientenwille • Gegen den Willen des mündigen Patienten keine Behandlung möglich • Zentrale Bedeutung von Aufklärung und Zustimmung (informedconsent) • Schwierigkeiten bei vielen Patientengruppen (Kinder, Behinderte, Alte, Demente, Notfallmedizin) Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Vulnerabilität und eingeschränkte Autonomie alter u. sterbender Menschen • Strategien zur „Rettung“ des Autonomieparadigmas • Mutmaßlicher Wille • Förderung von Vorausverfügungen • Förderung von Vorsorgevollmachten • Drei neue Herausforderungen • Orientierung an „Fürsorge“ (care) • Förderung von Autonomie so weit möglich • Orientierung am Wohl des Patienten statt am „Willen“ • Mehrdimensionalität dieses Wohls (körperlich- seelisch- geistig- ethisch-spirituell) • Anwaltschaft des Arztes • Orientierung an „Authentizität“ (Respekt vor der frei gewählten Lebensgestalt) • Soziale Beziehungen als Teil der Person Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Neue Grenzfragen • Behandlungsabbruch vor der eigentlichen Sterbephase • Wachkoma und Abbruch künstlicher Ernährung (Fall Terry Schiavo 2005 u. Eluana Englaro 2009) • Progressive Muskelerkrankungen und Abbruch künstlicher Beatmung (Fall Piergiorgrio Welby 2006) • Diskussion um den Status von PEG-Sonden • Rechtliche Situation in Österreich • Palliative und terminale Sedierung • Klassische Schmerzbekämpfung und Analogsedierung • Terminologische Verwirrung: Sedierung – terminale Sedierung – palliative Sedierung • Ethik: analog zu indirekter Sterbehilfe – Existenz v Grenzfällen • Missbrauch in den Niederlanden (Ersatz f. aktive Euthanasie) • Vorausverfügungen bei schwerer Demenz Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Person- und Würdestatus am Ende des Lebens • Der utilitaristische Personbegriff • Peter Singer, Norbert Hörster, Erwin Bernat • Personstatus aufgrund aktueller Bewusstseinsleistungen • Relevanz am Lebensbeginn und am Lebensende • Die Konsequenzen eines utilitaristischen Personbegriffs • Würdestatus muss auf das Lebensganze bezogen werden! • Entscheidungen am Lebensende sind unter Voraussetzung des Person- und Würdestatus zu fällen! Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen
Aktive Euthanasie (Sterbehilfe) Voluntary euthanasia Direkte und aktive Tötung Passive Euthanasie (Sterbehilfe) Non-treatment decisions Sterbenlassen durch Behandlungs- verzicht/-abbau /-abbruch Sonderfall: Absetzen v PEG-Sonden Indirekte Euthanasie (Sterbehilfe) alleviation of symptoms with possibly life shortening effect Schmerzbekämpfung mit lebensverkürzender Wirkung Assistierter Suizid Assisted suicide Arzt stellt tödliches Medikament zur Verfügung – Patient nimmt es selbst Terminale Sedierung Terminal sedation a) Als palliative Sedierung b) Ersatz f. akt.Euthanasie Aktive Euthanasie ohne Verlangen Non-voluntary euthanasia Aktive Euthanasie bei nicht zustimmungsfähigen Patienten (Säuglingen / komatöse Pat / PVS) Unfreiwillige Euthanasie Involuntary euthanasia Tötung gegen den Willen d. Patienten (Praxis 3. Reichs) Herbsttgg AHS/BMHS 2010 St.Georgen