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Institut für Psychologie AFP/Arbeitsstelle für Forensische Psychologie. Zur Psychologie der Schweren Belästigung und Nachstellung (Stalking) und ein kurzer Blick auf die Rechtslage in Europa Hans-Georg W. Voß
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Institut für Psychologie AFP/Arbeitsstelle für Forensische Psychologie Zur Psychologie der Schweren Belästigung und Nachstellung (Stalking) und ein kurzer Blick auf die Rechtslage in Europa Hans-Georg W. Voß Folien im Internet: http://www.stalkingforschung.de
STALKING • Phänomenologie • Persönlichkeit und Psychopathologie • Theoretische Ansätze • Management von Stalkingfällen • Ein kurzer Blick auf die Rechtslage
Phänomenologie des Stalking • Definition • Verbreitung und Vorkommen • Erscheinungsbild
Definition engl. für „Pirschjagd“ • „Das willentliche, wiederholte Verfolgen oder Belästigen einer Person, deren physische und psychische Unversehrtheit und Sicherheit dadurch bedroht wird“
Typische Äußerung einer Betroffenen: • "Ich gehe auf niemanden mehr zu, geh'nicht mehr alleine raus und schließe mich zuhause ein, verriegele die Türen und Fenster, kontrolliere vor jeder Fahrt mein Auto genau, habe Angst, in den Briefkasten zu sehen, fühle mich ständig verfolgt, da er gedroht hat: 'Wenn ich mit Dir fertig bin, kannst Du nicht mehr normal leben' ".
Definition Teilkonzepte/Verwandte Konzepte • Erotomanie (Paranoia erotica, deClérambault-Syndrom) • Obsessives Verfolgen von (potentiellen) Beziehungspartnern
Erotomanie • Synonyme: • Latein: amor insanus, paranoia erotica • Englisch: delusional loving, Old maid‘s insanity • Französisch: L‘amour de la tète, monomanie érotique • Deutsch: Erotomanie, Erotische Melancholie, Geliebtheitswahn, Sensitiver Beziehungswahn Definition: • Der Wahn, geliebt zu werden
Obsessives Verfolgen von (potentiellen) Beziehungspartnern (engl. obsessive relational intrusion) „Wiederholtes, unerwünschtes Verfolgen und Eindringen in die physische oder symbolische Privatsphäre einer Person durch einen Fremden oder einen Bekannten, der eine intime Beziehung herbeiwünscht oder verlangt“
Strukturell vier Hauptelemente • Die Handlung ist gewollt (intentional) • Explizite oder implizite Bedrohung • Resultierende Furcht/Angst
Phänomenologie des Stalking • Definition • Verbreitung und Vorkommen • Erscheinungsbild
Verbreitung und Vorkommen DARMSTÄDTER STALKING STUDIE (2001-2003) 551 über Internet befragte Opfer • Gender Zielpersonen: 86% weiblich, 14% männlich 15 bis 60 Jahre, Mittelwert: 34 Täter: 17% weiblich, 83% männlich • 15 bis 70 Jahre, Mittelwert: 38 • Verfolgungsdauer • Mittelwert: 26 Monate (1 Monat bis 21 Jahre)
DARMSTÄDTER STALKING STUDIE • Täter • Zahl der untersuchten Personen: 98 • Alter: 13 bis 58 J. , Mittelw. 32 J. • Familienstand: 70% ledig, 10% geschieden o.verwitwet, 20% verheiratet • Gender: 41% weiblich
Verbreitung und Vorkommen • Beziehungskonstellation Zielperson/Täter • Ex-Partner/in 49 % • Bekannte/r 14 % • Arbeitskollege/in 8 % • Fremde/r 8 % • Sonstige 7 % • Freund/in 5 % • Professionelle Bez. 4 % • Ex-Partner/in von Partner/in 3 % • Familienmitglied 2 %
Dauer und Häufigkeit der Kontakte • Dauer im Mittel 28 Monate (1 Monat bis 30 Jahre) 24% länger als 1 Jahr • Häufigkeit einige Male 4% mehrmals im Monat 13% mehrmals in der Woche 26% täglich 12% mehrmals täglich 46%
Stalking-Verhaltenskategorien • Hyperintimität, exzessives Interesse an Beziehung • Annäherung, Beobachten, Nachfolgen • Invasion, Betreten des Privatgeländes, Wohnung • Ausspionieren von Angehörigen, Bekannten • Verängstigen und Belästigen • Bedrohen, Kontrollieren, Druck (auch physisch) • Aggression, Gewalt (auch sexuelle)
Art der KontaktaufnahmeMehrfachnennungen, Angaben in % • Telefonanrufe (85) • Herumtreiben in der Nähe (68) • Über Dritte (65) • Im Umfeld nach Zielperson fragen (55) • Vor Haustür stehen (54) • Briefe (50) • SMS (47) • Nachlaufen (44) • Unerwünschte Geschenke (43)
Wortloses Dasitzen/Dastehen (39) • Nachrichten an Auto/Haustür (35) • E-Mails (35) • Verfolgen mit Auto (35) • Beschädigung von Eigentum (26) • Eindringen in Wohnung (18) • Schockierende Dinge verschicken (13) • Dienstleistungen i. N. der Zielperson (10)
Psychische AuswirkungenMehrfachnennungen, in % • Gefühl der inneren Unruhe (82) • Nervosität, Schreckhaftigkeit (72) • Angst (72) • Mißtrauen gegenüber anderen (69) • Wut, Reizbarkeit, Aggressionen (68) • Depressionen (49) • Panikattacken (33) • Keine (2)
Auswirkungen allgemein(andere Studien) • Persönlichkeitsveränderungen (83%) • Veränderungen im Alltag (82%) • Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen (73%) • Höhere Gewaltbereitschaft und Gewaltausübung in der Beziehung, aggressiver (27%) • Selbst häufiger Opfer von Gewalteinwirkung (sexuell und nicht-sexuell), dabei in mehr als 40% der Fälle Verletzungen
Persönlichkeit und Psychopathologie • Einteilung nach unterschiedlichen Verhaltensweisen und Krankheitsbildern • 5 Haupttypen (n. Mullen et al, 2000)
Typologie Der zurückgewiesene Stalker • Größte Gruppe • Meist Ex-Partner • Oft Motivations-Mix aus Wut und Wiederannäherung • Glauben, dass Opfer sie provoziert • Auch Rachegefühle (narzisstische Kränkung)
Typologie Der beziehungssuchende Stalker • Fehlwahrnehmung von Beziehung • Ignorieren/Uminterpretieren von Feedback des Opfers • Idealisieren des Opfers, „Verehrertypen“ • Oft isolierter Lebensstil des Täters • Opfer kann als Partner/Freund/ Elternfigur gewünscht werden • Unempfindlich gegenüber Abwehr
Typologie Der rachsüchtige Stalker • Opfer steht für Unrecht, das dem Täter vermeintlich angetan wurde • Täter wollen Ohnmacht in Macht wandeln • Opfer soll Angst und Verzweiflung spüren • Täter fühlen sich berechtigt zu stalken, selbst als „Opfer“, das Vergeltung übt
Typologie Der attackierende Stalker • Täter immer männlich • Stalking ist Vorstufe zur Gewalttat (Ausspähen, Macht-Fantasien, Üben) • Häufig sexuelle Gewalttat • Opfer bemerken Stalking nicht • Täter manchmal Defizit bei sozialem Beziehungsnetzwerk (Einzelgängertypen)
Typologie Erotomane, morbide, krankhafte Stalker • Meist psychopathische Persönlichkeit, häufig paranoide Störung • Motivation Kontrolle/Dominanz • Opfer als „Jagdobjekt“ • Subtile Stalking-Techniken
Dimensionen • Nach Verhalten: • proximal (vor Haustür stehen, Nachlaufen, Auflauern, mit Auto verfolgen) • distal (Brief, Geschenke, Notizzettel an Tür u. Auto, e-mail, SMS, Telefon)
Dimensionen • nach Motivation • egozentrisch-aggressiv • "Liebeswahn" • "schicksalhafte Liebe" • narzisstisch gekränkt, rachsüchtig • realitätsfern • zwanghaft
Typologie • Narzisstisch gekränkte/Gewalttätige (64 %) • Obsessive (16,5 %) • Liebeswahn/schicksalhafte Bindung (16,5%) • Realitätsferne (3 %)
Risikofaktoren und Pathologie • Häufig Arbeitslosigkeit (50%) • Andere Stressoren (80%) • Drogen- und Alkohol-Mißbrauch (50%) • Häufig Delinquenz • Sozial inkompetent und unangepaßt, häufig in keiner engeren Beziehung (75%) • In klinischen Populationen Störungen auf Achse I und Achse II des DSM (14%)
Pathologie • Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) • Achse I: Schizophrenie und andere psychotische Störungen, Wahnhafte Störungen, Stimmungsschwankungen und Depression , Angststörungen und zwanghafte Störungen • Achse II: Persönlichkeitsstörungen • Paranoide, schizoide Typen (exzentrisch, „seltsam“) • Antisoziale, Borderline, Histrionisch, Narzißtisch • Vermeidende, Abhängige, Zwanghafte
Theoretische Ansätze • Bindungstheorie • Psychoanalytische Objektbeziehungstheorie • Narzissmustheorie und Psychopathologie
Bindungstheorie • mißlungener Aufbau einer stabilen und vertrauensvollen Bindung an die primären Bezugspersonen (unsichere Bindung) • „Arbeitsmodell“ für Beziehungen im späteren Leben • pathologische Bindungs- und Beziehungsmuster im Erwachsenenalter • Auslöser: aktuelle Ereignisse, die einen Bezug zur frühen Bindungsgenese aufweisen
Antecedenz-Konsequenz-Beziehungen • Stalking basiert auf Erfahrungen in der Herkunftsfamilie • Scheidung/Trennung der Eltern • Geschichte von Gewalt in der Ehe d. Eltern • Geschichte des Scheidungs-/Trennungsprozesses • Erfahrungen mit ehelichen Auseinandersetzungen • Verlust der Bindungsfigur in der Herkunftsfamilie - Traumatisierung und Wiederbelebung
Bindungsmodell bei Erwachsenen (n. Bartholomew & Horowitz, 1991) Modell von sich selbst . positiv negativ besitz- ergreifend Modell vom Anderen sicher positiv zurück- weisend ängstlich negativ
Stalking and pathologische Bindungstypen • Besitzergreifender Stalker obsessive Gedanken,instabile Affekte • Ängstlich gebundener Stalker ähnlich dem Besitzergreifenden, doch vermeidet er wegen der negativen Sicht auf Andere enge Beziehungen, mit dem Ergebnis chronischer Frustration und unbefreiedigter Bindungsbedürfnisse Vermeidend gebundener Stalker hält emotionale Distanz ein
PsychoanalytischeObjektbeziehungstheorie • Aufbau eines instabilen Selbst in der Frühen Kindheit • dynamische Balance zwischen Autonomie/Trennung und Affiliation/Nähe • Spaltung und Folgen: extreme Idealisierung des Liebesobjekts im Wechsel mit extremer Abwertung und Verfolgung
Narzißmustheorie und Psychopathologie • narzisstische Persönlichkeitsstörung als Basis für Verfolgen und Belästigen • Auslöser: erneute Kränkung/ Zurückweiseung, die an früher Erlebtes anknüpft/erinnert • Primäre Motivation: Ärger, Feindseligkeit
Management-Strategien • Annäherungs-/KontaktverbotFrüherer Erfolg derartiger Maßnahmen? • Vorgeschichte körperlicher Gewalt gegen Opfer? • Ausmaß der Besessenheit • Durchsetzungskraft lokaler Polizei & Justiz
Konsequenzen • Anzeige bei Polizei 36% • Polizeilicher Kontakt mit Täter 4% • Festnahme 7% • Kontaktverbot ausgesprochen 4% • Einweisung in Psychiatrie 0,5% • Geldstrafe 29% • Auflagen des Gerichts 29% • Unterlassungsklage 14 % • Polizeiliche Anordnungen 14 % • Gerichtsverfahren eingestellt 14 % • Keine 22%
Konsequenzen Verfolgung/Belästigung aufgegeben 64,3% (davon 84% "distales" Stalking) Verfolgung/Belästigung trotz Widerstand fortgeführt 35,7 % Auswirkungen auf Verfolger: • Depression (68) • Innere Unruhe (65) • Schlafstörungen (56) • Angst (46) • Gedankliche Fixierung, Obsession (29)
Management von Stalking-Fällen • Zweistufiges Vorgehen • Risiko-Analyse des Falles • Entwicklung vorbeugender und curativer Maßnahmen
Risiko-Analyse • Informationsquellen • Überdauernde Risikofaktoren • Dynamische Risikofaktoren • Situative Risikofaktoren
Informationsquellen • Objektive Daten (Briefe, Nachrichten) • Interview mit Opfer • Berichte anderer Personen • Protokolle (Opfer, Polizei) • Beobachtungen vor Ort
Überdauernde Risikofaktoren • Vorstrafen/frühere Gewalt • Stalker-Opfer-Vorbeziehung • Aktuelle Opfer-Täter-Beziehung (Kinder?)
Dynamische Risikofaktoren Täter • Feindseligkeit • Gewaltbereitschaft • Soziale Ressourcen
Dynamische Risikofaktoren Opfer • Einsichtsfähigkeit • Emotionale Belastbarkeit • Soziale Ressourcen
Situative Risikofaktoren • Räumliche Distanz • Alltagsstruktur, Gewohnheiten • Räumliche „Pufferzonen“
Management von Stalking-Fällen • Zweistufiges Vorgehen • Risiko-Analyse des Falles • Entwicklung vorbeugender und curativer Maßnahmen
Vorbeugung und Therapie • Management-Strategien • Team-Ansatz (Psychol.,Jurist.,Päd.) • Gute Vorbereitung/Planspiele • Offensive vs. Defensive Strategien • Vernetzung (Ämter, Ressourcen) • Gerichtliche/polizeiliche Maßnahmen
Vorbeugung und Therapie • Therapeutische Intervention • Für Täter: • bisher nur i.R. klinischer Fälle • Beratung • Therapie in gemischten Fällen (Drogen, Alkohol) • Für Opfer: • Psychotherapie des posttraumatischen Belastungssyndroms, Traumatherapie • Psychotherapie sonstiger Folgen des Stalking • Unterstützende Medikation