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Gewalt-Verhältnisse Geschlechtertheoretische Perspektiven und Forschungsansätze. Vortrag an der Universität Wien, 24.10.2012. Mechthild Bereswill. Gliederung. „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ – ein Strukturzusammenhang. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven.
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Gewalt-VerhältnisseGeschlechtertheoretische Perspektiven und Forschungsansätze Vortrag an der Universität Wien, 24.10.2012 Mechthild Bereswill
Gliederung • „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ – ein Strukturzusammenhang Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Gewalt als biographische Konfliktdynamik – Geschlecht als Konfliktkategorie Ausblick
1. „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ – ein Strukturzusammenhang „dass Misshandlung nicht durch die Persönlichkeit und das Verhalten der einzelnen Beteiligten verursacht, sondern in der Gesellschaft verankert ist“ (Hagemann-White 1997: 19)
1. „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ – ein Strukturzusammenhang Gesellschaft wird dabei als Strukturzusammenhang erfasst, als soziales Gefüge, das nach bestimmten Regeln organisiert ist. Diese Organisationsprinzipien, beispielsweise im Bereich der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, regeln auch das Verhältnis verschiedener sozialer Gruppen zueinander. Frauen und Männer werden hierbei als soziale Gruppen gesehen, die in einem – hierarchisch – strukturierten Verhältnis zueinander stehen. Geschlecht ist aus diesem Blickwinkel eine Strukturkategorie. (Becker-Schmidt, Beer, Gerhard)
1. „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ – ein Strukturzusammenhang Der theoretische Blickwinkel ist gesellschaftstheoretisch. Angestrebt wird die wissenschaftliche Aufdeckung von Macht und Herrschaft im Geschlechterverhältnis.
1. „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ – ein Strukturzusammenhang Zur Durchsetzung eines hegemonialen Männlichkeitsmodus oder männlicher Herrschaft (gegenüber anderen Männern und gegenüber Frauen) muss keine offene, rohe Gewalt eingesetzt werden. (vgl. Bourdieu und vgl. Connell) Über- und Unterordnung folgen hier vielmehr kulturellen Aushandlungsprozessen, die durch patriarchale Komplizenschaft (Connell) oder durch eine präreflexive, inkorporierte Selbstunterwerfung der Beherrschten (Bourdieu) gekennzeichnet sind.
1. „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ – ein Strukturzusammenhang Wie sind physische, strukturelle und symbolische Gewalt zueinander vermittelt? In welche gesellschaftlichen Kontexte ist Gewalt eingebettet?
1. „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ – ein Strukturzusammenhang Wie korrespondieren Konstruktionen der Geschlechterdifferenz und Gewaltdynamiken miteinander?
2. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Zuschreibungen, denen wir in der gegenwärtigen geschlechtersensiblen Gewaltforschung häufig begegnen, lauten „männliche“ und „weibliche“ Gewalt oder formulieren das Ansinnen, „Gewalt einmal aus Frauensicht und einmal aus Männersicht“(Bange 2007: 5) zu untersuchen oder zu verstehen.
2. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Gewalt gilt gesellschaftlich als „Normverlängerung“ von Männlichkeit(Hagemann-White 2002).Die Verknüpfung von Weiblichkeit und Gewalt ist demnach ein Normbruch, der auf tief greifende Irritationen der sozialen Ordnung verweist. Die dichotome Optik ist Ausdruck fortwirkender Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen der Moderne.
2. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Die symbolische Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit ist eng verflochten mit der doppelgesichtigen Funktion und Bedeutung, die Gewalt gesellschaftlich zukommt – als ordnungsbildend und die soziale Ordnung gefährdend zugleich. (Meuser 2002)
2. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Ansätze der Männlichkeitsforschung betonen die enge Beziehung von Männlichkeit und Gewalt. Handlungstheoretisch wird davon ausgegangen, dass “doing violence” auch “doing masculinity” bedeuten kann. Gewalt wird als Herstellung und als Bewerkstelligung von Männlichkeit untersucht. (Meuser 2002; Messerschmidt 1993, 2000; Kersten 1997)
2. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Gewalt-Dynamiken und Geschlechterordnungen greifen demnach ineinander. Das bedeutet aber keinesfalls, dass Gewalt und Geschlecht sich gegenseitig erklären und wir ohne Weiteres davon ausgehen können, „Gewalt [sei] ein konstitutives Merkmal von Männlichkeit“(Hollstein 2000: 80).
2. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Im Mittelpunkt einer geschlechtersensiblen Gewaltforschung und Theoriebildung steht die Aufdeckung und Dekonstruktion der Korrespondenzen und gegenseitigen Verschlüsselungen von Gewalt und Geschlecht: Verletzungsoffenheit wird auch in der postmodernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts hartnäckig mit Weiblichkeit und Verletzungsmacht mit Männlichkeit assoziiert. (Bereswill 2007)
2. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Gewalt und Weiblichkeit sind nicht kompatibel. Gewalt bleibt männlich konnotiert.
2. Gewalt hat kein Geschlecht – konstruktionstheoretische Perspektiven Die interaktions- und konstruktionstheoretische Perspektive auf Gewalt und Geschlecht lässt die Frage nach der subjektiven Aneignung und lebenslangen Verarbeitung von Konstruktionen der Differenz und Hierarchie offen: Wie gehen Menschen mit der fundamentalen und lebenslangen Erfahrung der eigenen Verletzungsmacht und Verletzungsoffenheit um und vermitteln ihre geschlechtsbezogenen Lebensentwürfe dazu?
3. Gewalt als biographische Konfliktdynamik – Geschlecht als Konfliktkategorie Die subjektive Ausgestaltung von Geschlechter-differenz ist Ausdruck eines lebenslangen, spannungs-reichen und mit fortlaufenden Konflikten verbundenen Aneignungsprozesses. Im Verlauf dieses Prozesses stehen der Eigensinn des Subjekts und gesellschaftliche Erwartungshorizonte in fortlaufender Spannung zueinander. Nach dieser Auffassung einer dialektischen Wechselwirkung von Individuum und Gesellschaft ist Geschlecht eine Konfliktkategorie und Geschlechts-identität keine abgeschlossene Entwicklungsleistung.
3. Gewalt als biographische Konfliktdynamik – Geschlecht als Konfliktkategorie Gewalt wird im Zusammenhang lebensgeschichtlicher Konflikterfahrungen untersucht. (vgl. Beispielsweise Neuber 2009 und Silkenbeumer 2007)
3. Gewalt als biographische Konfliktdynamik – Geschlecht als Konfliktkategorie Aus einer konflikt- und biographietheoretischen Perspektive stehen die Relevanzsetzungen der Subjekte sowie ihre Konstruktions- und Interpretationsleistungen im Vordergrund. Subjektive Deutungs- und Verarbeitungsmuster folgen keinen festen Mustern der Geschlechterdifferenz oder eindeutigen Opfer-Täter-Konstellationen.
3. Gewalt als biographische Konfliktdynamik – Geschlecht als Konfliktkategorie Die Gewaltkonstruktionen junger Frauen und junger Männer verweisen auf eine Tiefenstruktur, die durch die kulturelle Konstruktionen von Geschlechterdifferenz verdeckt und zugleich in Gang gehalten wird. Folgen wir diesem Gedanken, ist Gewalt beides: ein Modus der Herstellung von Geschlechterdifferenz und Ausdruck von biographischen Konflikten.
4. Ausblick Gewalt und Geschlecht können weder einfach miteinander verknüpft, noch kausal aufeinander bezogen oder aus einer additiven Perspektive untersucht werden.
4. Ausblick Dem Verhältnis von Gewalt und Geschlecht auf die Spur zu kommen, erfordert eine fortlaufende Reflexion auf die Komplexität der Kategorie Geschlecht und die Differenzierung von strukturellen, handlungsbezogenen und subjektspezifischen Dimensionen von Gewalt.
4. Ausblick Die Bedeutungsdimensionen der Kategorie Geschlecht verweisen aufeinander. (Geschlechtverhältnisse, Geschlecht als soziale Kategorie, Geschlecht als Konfliktkategorie). Es handelt sich aber nicht um ein Mehrebenenmodell im Sinne makro- meso- und mikrotheoretischer Fragestellungen. Es sind vielmehr verschiedene theoretische Antworten auf die Frage, wie Geschlechterhierarchien, Geschlechterdifferenz und Geschlechtsidentitäten untersucht und gesellschaftswissenschaftlich erfasst werden können.
4. Ausblick • Gewalt und Geschlecht können weder einfach miteinander verknüpft, noch kausal aufeinander bezogen oder aus einer additiven Perspektive untersucht werden. • Dem Verhältnis von Gewalt und Geschlecht auf die Spur zu kommen, erfordert eine fortlaufende Reflexion auf die Komplexität der Kategorie Geschlecht und die Differenzierung von strukturellen, handlungsbezogenen und subjektispezifischen Dimensionen von Gewalt. • Die Bedeutungsdimensionen der Kategorie Geschlecht ergeben kein Mehrebenenmodell (makro- meso- und mikrotheoretische Zugänge). Sie geben verschiedene theoretische Antworten auf die Frage, wie Geschlechterhierarchien, Geschlechterdifferenz und Geschlechtsidentitäten untersucht werden können.
4. Ausblick Bereswill, Mechthild (2011): Gewalt-Verhältnisse. Geschlechtertheoretische Perspektiven. In: Kriminologisches Journal, 43. Jg., 1/2011, S. 10-24.