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Solidarität mit Gewaltüberlebenden - eine Aufgabe für die christliche Gemeinde

Solidarität mit Gewaltüberlebenden - eine Aufgabe für die christliche Gemeinde. 1. Fakten. Im September 2004 wird die ERSTE Studie zur Gewalt gegen Frauen veröffentlicht: „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“

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Solidarität mit Gewaltüberlebenden - eine Aufgabe für die christliche Gemeinde

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Presentation Transcript


  1. Solidarität mit Gewaltüberlebenden- eine Aufgabe für die christliche Gemeinde

  2. 1. Fakten • Im September 2004 wird die ERSTE Studie zur Gewalt gegen Frauen veröffentlicht: „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ • Auftraggeber: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. • Befragt wurden über 10.000 Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Jahren, die über ihre Gewalterfahrungen berichteten.

  3. Bei sexueller Gewalt wurden nur strafrechtlich relevante Formen erfasst, also: • Vergewaltigung, sexuelle Nötigung unter Anwendung von körperlichem Zwang oder von Drohungen.

  4. Zentrale Ergebnisse der Gewaltstudie 37 Prozent aller befragten Frauen haben körperliche Gewalt seit dem 16. Lebensjahr erlebt. 13 Prozent der befragten Frauen haben seit dem 16. Lebensjahr sexuelle Gewalt erlitten.

  5. Insgesamt haben damit 40 % der befragten Frauen körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides seit dem 16. Lebensjahr erlebt. • 58 % der Befragten haben unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung erfahren.

  6. 42 % aller befragten Frauen haben Formen von psychischer Gewalt erlebt. • Dazu gehören: systematische Abwertung, Demütigung, Ausgrenzung, Verleumdung, schwere Beleidigung, Drohung und Psychoterror.

  7. Hinzu kommt, dass jedes 7. Mädchen von 0 - 14 J. und etwa jeder 10. Junge von 0 -14 J. sexuell missbraucht wird (enge Definition = Vergewaltigung). • Gewalt gegen Frauen wird überwiegend durch Männer und dabei überwiegend durch den Partner und im häuslichen Bereich verübt.

  8. Häufigkeit von sexuellem Missbrauch • Die Zahlen schwanken je nachdem, wie eng oder weit der Begriff „sexueller Missbrauch“ gefasst wird. • Unabhängig von Zahlen ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

  9. Das Verhältnis zwischen Anzeigen und Verurteilungen liegt seit 2000 bei ungefähr 4:1. 4 Taten werden angezeigt, 1 Täter wird verurteilt. Anzeigen und Verurteilungenvon schwerem sexuellen Missbrauch und sexuellem Missbrauch von Unmündigen

  10. Renate Bühn: Missbrauch ist ein sicheres Verbrechen1 Von 2000 Sexualtätern werden nur 100 angezeigt und wiederum nur 15 tatsächlich angeklagt. 3 davon werden frei gesprochen, 10 bekommen eine Bewährungsstrafe und nur 2 müssen tatsächlich mit einer Haftstrafe rechnen.

  11. Vatikan 2008 Am 10.4.2008 berichtete das italienische Nachrichten- magazin „Panorama“ im Vorfeld des Papstbesuches in den USA, dass seit 2001 rund 1000 Anzeigen wegen pädophiler Verbrechen von Priestern aus den USA im Vatikan eingegangen seien. In 10 der dem Vatikan angezeigten 1000 Fälle kam es zu einem Strafprozess, also in 1 %.

  12. Verteilung des Missbrauchs auf Jungen und Mädchen • In 3 von vier Fällen sind Mädchen die Opfer von sexuellem Missbrauch. • In einem von vier Fällen sind die Opfer Jungen.

  13. Diagnosen in der Kinderheilkunde (1999)

  14. Alle Zahlen, die in Umlauf sind, sind mit Vorsicht zu be- trachten. Eines jedoch ist sicher: Sexueller Missbrauch und Gewalt gegen Kinder und gegen Frauen hat endemische Formen angenommen.

  15. 2. Das Erleben der Opfer • Bei sexuell missbrauchten Kindern weiß man, dass sie nur zu 25% die Gewalterfahrung in ihr Leben integrieren können. Sie kommen also mit einer zeitweisen Beeinträchtigung ihres Lebens davon. • Alle anderen, d.h. 75 % der Opfer von man-made-Gewalt, kommen nicht davon.

  16. Man kann keine generellen Aussagen über die Gewalt- folgen treffen. Sie hängen mit der bisherigen Lebens- geschichte zusammen, mit den individuellen Ver- arbeitungsmöglichkeiten, mit der Art der erlebten Gewalttaten, mit der Nähe zum Täter. • Kinder sind am schwersten betroffen. • Wer ihnen Schutz und Sicherheit geben sollte, greift das Kind an. • Aufgrund des Mangels an Bindungs- und Halte- Erfahrungen gehen missbrauchte Kinder sehr schutz-los in ihr Erwachsenenleben.

  17. Posttraumatische Belastungsstörung • starke Angst bis hin zu Panikgefühlen • Angst zu sterben (Angst auch im Nahbereich, in der eigenen Wohnung, denn da geschieht ja oft die Gewalt) • Opfer fühlen sich innerlich wie betäubt, leer, stumpf • Alpträume verfolgen sie

  18. Übererregung Das gesamte vegetative System läuft auf Hochtouren und kommt nur langsam auf ein entspanntes, normales Grundniveau. Stellen Sie sich vor, sie müssten tage- und nächtelang, oft über Wochen andauernd sich so fühlen, als hätten sie gerade einen Autounfall hinter sich. Und wenn Sie sich irgendwann wieder entspannt haben, tritt die Übererregung erneut auf.

  19. Vertrauen zerbricht Opfer haben wenig Hoffnung und sind sehr misstrauisch. Die Gewalt haben sie da erlebt, wo sie sich eigentlich sicher und geborgen fühlen sollten: daheim. Und da gibt es niemandem, den sie um Schutz bitten können. In solchen Augenblicken höchster Not zerbricht das Vertrauen von Menschen. Es zersplittert einfach. Es gibt keine Hilfe. Kein Mensch hilft, Gott auch nicht. Das Opfer ist vollkommen alleine.

  20. Leben mit Misstrauen Das Misstrauen erklärt sich daraus, dass immer dann, wenn man glaubt, vertrauen zu dürfen, die Angst hochkommt: Ich wurde ja von denjenigen, denen ich vertraut habe, missbraucht, misshandelt.... Passiert das jetzt wieder? Andere Menschen werden also oft als gefährlich erlebt, auch dann, wenn sie es nicht sind. Dieses Misstrauen macht vertrauensvolle Beziehungen immer neu ziemlich schwierig.

  21. Verdrängung Manche Opfer möchten nicht an das Geschehen erinnert werden. Sie verdrängen es. Das Verdrängen kann bis zur Amnesie gehen – die Opfer wissen nicht mehr, dass sie missbraucht, vergewaltigt, geschlagen wurden oder ihre Kindheit mit Psychoterror verbracht haben. Im Unter- grund wirken die Erfahrungen jedoch weiter. Oft treten dann Symptome auf, die die Opfer oft lange Zeit nicht einordnen können.

  22. Abspaltungen oder Übermaß an Gefühlen Manche Opfer können die Fakten benennen, aber sie finden das „gar nicht so schlimm“, d.h. die Gefühle sind abgespalten. Andere erleben die Gefühle in einem über das Normale hinausgehenden Maß – und wissen nicht, woher diese Gefühle kommen.

  23. Flash-backs Manche Opfer müssen mit sog. flash-backs leben. Das sind Zustände, wie sie während der Gewalterfahrung oder danach auftraten. Die Opfer leben dann ganz plötzlich wieder in der Gewaltsituation, mit allen Ängsten, der Panik, den Schmerzen – so als lägen oft nicht viele Jahre und nicht selten auch Jahrzehnte dazwischen.

  24. Diese Symptome und Gewaltfolgen sind ganz normale Reaktionen auf verrückte und schlimme Erlebnisse. • Nicht die Opfer sind verrückt, sondern das, was sie erleben mussten.

  25. Dauer der Gewaltfolgen • Die Gewaltfolgen wirken im Fall von man-made-Gewalt1 bei ca 75% der Opfer nach, nicht selten lebenslänglich. • Sie tauchen verstärkt in kritischen Lebensphasen auf: Beziehung, Schwangerschaft, Kind(er), Lebensmitte, Rente, Alter, spätes Alter. • 1 menschengemachte Gewalt (sexueller Missbrauch, Vergewaltigung….)

  26. Das erste Schweigen • Kinder müssen 6 Personen über den Missbrauch berichten. • Erst die 7. Person schenkt ihnen Glauben. Capp 1985, amerikan. Präventionsprojekt1

  27. Das 2. Schweigen • Es gibt sehr viele Menschen inzwischen, die über die Opfer sprechen. Es gibt nur sehr wenige, die mit Gewaltopfern sprechen. • Am öffentlichen Gespräch werden die Zuschauer (und die Täter ?) beteiligt, nicht die Opfer.

  28. Opfern wird erklärt, sie seien beides zugleich: Opfer und Täterinnen • Opfern wird unter dem Deckmantel der Fürsorge erklärt, sie könnten bei einem so hochsensiblen Thema nicht mitreden. • In einer solchen Atmosphäre der Verdächtigung wird sich kein Gewaltopfer zu erkennen geben.

  29. Ein wenig ist es so als seien die Gewaltopfer der lebende Beweis, dass jede bisherige Präventions-Anstrengung vergeblich war. Es scheint, als nähme man es den Opfern übel, dass sie Opfer wurden.

  30. Solidarität mit Gewaltüberlebenden Wie schaffen wir eine Atmosphäre, die es den Opfern erlaubt zu sprechen?

  31. Solidarität – Womit ist zu rechnen? • Mit intensiven und gegensätzlichen Gefühlen • Mit eigenen Widerständen • Mit äußeren Widerständen

  32. Solidarität – was ist wichtig?1 • Die Kunst, Missbrauch wahrzunehmen • Gefühle zulassen, ohne sich in ihnen zu verlieren • 1Diese „Impulse für die Praxis“ wurden aus der Praxis für die Praxis entwickelt von Dr. Barbara Haslbeck, „Sexueller Missbrauch und Religiosität. Wenn Frauen das Schweigen brechen: eine empirische Studie“, LIT-Verlag, 2007, in Zusammenarbeit mit Frauen aus der Mailingliste „GottesSuche“, einer Inititative gewaltüberlebender Christinnen (http://www.gottes-suche.de)

  33. Das Recht auf Abstand und die Berücksichtigung der eigenen Belastbarkeit • Der Versuchung des Aktionismus widerstehen • Die eigenen Möglichkeiten nicht unterschätzen • Sich Hilfe holen

  34. Worte anbieten • Nicht über die Täter reden wollen • Nicht zum Opfer stempeln • Bleiben Sie ehrlich und realistisch

  35. Klären Sie Störungen • Ich als Frau/Mann • In Kontakt bleiben • Nicht in Panik geraten

  36. Ressourcen stärken • Vorsicht vor religiösen Interpretationen • Spirituelle Präsenz • Die eigene spirituelle Verankerung pflegen

  37. Anfrage an Christen und Christinnen In jeder christlichen Gemeinde leben Frauen, Kinder (und Männer), die geschlagen, gedemütigt und sexuell aus- gebeutet werden und wurden. Christen müssen erkennen: Wenn wir dazu schweigen, wenn wir apathisch an dieser heimlichen Gewalt vorübergehen, lästern wir den Namen unseres Gottes, denn:

  38. Gotteslästerung1 ist… • die Opfer bei ihrer Suche nach Sinn und Solidarität alleine zu lassen • und damit die Täter zu unterstützen • Es gibt nämlich 3 Gruppen: Opfer – Täter – Zuschauer

  39. „Von … Gott reden heißt fremdes Leid zur Sprache bringen und versäumte Verantwortung, verweigerte Solidarität beklagen.“ (J.B. Metz)

  40. Wichtig ist dabei, dass die Leidenden selbst zum Aus- gangspunkt unseres Sprechens von Gott werden, weil wir sie sonst verfehlen. Wenn wir eine klare Option für Gewaltüberlebende treffen, geben wir unserem Gott ein Antlitz, das den Menschen zugewandt ist – und bevorzugt jenen, die unter die Räuber fielen.

  41. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Mt 25,40

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