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prof. dr. rainer kilb Wissenschaftliche Grundlagen Konfrontativer Pädagogik. Überblick Wozu Konfrontierende Pädagogik? Gewaltformen und Entstehung einer Gewalttat Angenommene Ausgangssituation bei gewalttätigen Jugendlichen Inhalte des Curriculums Theoretische Verortung Ethische Aspekte
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prof. dr. rainer kilb Wissenschaftliche Grundlagen Konfrontativer Pädagogik
Überblick • Wozu Konfrontierende Pädagogik? • Gewaltformen und Entstehung einer Gewalttat • Angenommene Ausgangssituation bei gewalttätigen Jugendlichen • Inhalte des Curriculums • Theoretische Verortung • Ethische Aspekte • Zur Methodentauglichkeit allgemein
Wozu konfrontative Pädagogik und Anti-Aggressivitätstraining? • Plurale normativeAusdifferenzierungin unserer Gesellschaft erfordert differenzierte“Pädagogiken”. • Manche Adoleszenteerhalten die Konfrontation,die sie ansonsten mit anderen suchen (würden). • Einige Jugendliche respektieren (verstehen) zunächst nur diese“Sprache”. • Manche Jugendliche benötigentemporärnormative Eindeutigkeit.
Gewaltformen mit jeweils spezifischen Ursachen • 1 Zweckorientierte Gewalt: Raub usw. • 2 Wertrationaler Gewalteinsatz: milieutypische „Ehrverständnisse“, Werte, Abgrenzungen usw. • 3 affektuelles Reagieren auf nicht alltägliche Reize („neuronale Entgleisung“): z. B. traumatische Blitzreaktion • 4 Kompensierende Gewalt: Projektion, Übertragung eigener „Traumata“, fehlende Anerkennung • 5 „Der falsche Blick“ als adoleszente Identitätsfindung mit Grenzüberschreitungen, Unterdrückung, Positionieren • 6 Gewalt als „Eigenwert“: Lust an körperlicher Selbsterfahrung durch Kampf, Intensität der Anspannung („Kick“), Erregung, Risikolust usw.
Individuelle Perspektive: Angenommene Ausgangssituation bei gewalttätigen Jugendlichen (1) • Adoleszente Krise, die sich in einer komplizierten Identitätsentwickung zeigt: Reales und Ideales ICH driften extrem auseinander: z. B. männliches Rollenbild des “unangreifbaren Helden” • hierdurch bedingte extreme narzisstische Kränk- und Erregbarkeit • positive Erfahrungen mit dem Machtgefühl bei Gewalttätigkeit: Aggressivität als Vorteil, als Konfliktlösungsmuster und als statussichernd
Individuelle Perspektive: Angenommene Ausgangssituation bei gewalttätigen Jugendlichen (2) • Opfer dient als “Tankstelle” für einen “Selbstwertrausch”: “Gott-sein über...” (Anerkennungsdefizite) • Mangel an Antizipationsfähigkeit: Tatfolgen sind nicht präsent • fehlendes Einfühlungsvermögen in andere Personen • Gewalt als erlerntes Kommunikationsmuster • Revanchistische Impulse durch eigene direkte oder indirekte Opfererfahrungen • Exklusionsdruck/ gescheiterte Integrationsversuche
Pädagogische Ziele des Curriculums • Übernahme von Tatverantwortung • Erlernen pro-sozialen Verhaltens (Teamfähigkeit, Hilfsbereitschaft, Höflichkeit usw.) • Qualifizierung des moralischen Bewusstseins • Stärkung der sozialen Handlungskompetenz • (Opfer-)Empathie steigern • Ambiguitätstoleranz fördern • Rollenreflexionsfähigkeit • Anerkennung anderer • Erreichen von schulischer Qualifikation, Aufbau sekundärer Arbeitstugenden, Förderung von Life Skills
AAT-Curriculum • “Heldentaten”, Lust- und Spaßdimension • Aggressivitätsauslöser • Selbstbild (Ideal- und Real-Selbst) • Neutralisierungstechniken • Opferkommunikation, Tatfolgen • Aggressivität als Vorteil (Kosten-Nutzen) • Provokationstests (Desensibilisierung) • Thematisierung des Lebens in Subkulturen • Kompetenztraining, Nachbetreuung, Alltagstransfer
Curriculare Phasen • Einstiegs- und Integrationsphase: • Aufnahmegespräch, Erwartungen, Veränderungsmotivation, Gruppenbildung, Aggressivitätsauslöser • Konfrontationsphase: • Selbstbild/ Fremdbild, Neutralisierungstechniken, Opferkommunikation, Provokationstests • Vertiefungs-/ Stabilisierungsphase: • Aggressivität als Vorteil (Kosten-Nutzen), Subkultur, Institutionelle Gewalt • Nachbetreuung/ Kompetenztraining: • Ressourcenanalyse, Perspektivenklärung, Kompetenztrainings (psycho-sozial), Selbstinszenierung, Kommunikationstrainings,Coaching und Controlling.
Antiaggressivitätstraining: die Inhalte • Eindeutiger Rahmen für Wert- und Normorientierung • intensive Tatrekonstruktion • Hineinversetzen in die Opferrolle • Positionierung des Tatverhaltens im Selbstbild und Lebensentwurf • erprobt Handlungsalternativen als Kompensation der abzutrainierenden Schwächen • setzt an den eigenen Stärken an
Konfrontationsebenen im AAT • Tat-Konfrontation: Rekonstruktion, Gefühlslage, Heldenstatus • Opfer-Konfrontation: Opferleid, Folgen für das Opfer, Rolle und Perspektive des Opfers durch Rollentausch, Wiedergutmachung/ Ausgleich • Selbstverantwortungs-Konfrontation: Neutralisierungstechniken • Perspektiven-Konfrontation: Kosten-Nutzen-Analyse • Provokation als Konfrontation mit Auslösern: systematische Desensibilisierung • Konfrontation mit eigenen (ggf. brachliegenden) Kompetenzen
Wie gestaltet sich das Antiaggressivitätstraining? • Es findet in einer festen Gruppe statt mit Trainer/n, Tutoren und weiteren Jugendlichen. • Es besteht aus zahlreichen Themen- und Trainingsbausteinen. Das intensivste Modul ist der “Heiße Stuhl”. • Es bezieht sich auf die Lebenswelt der Teilnehmer/innen.
Handlungstheoretische Hintergründe • US-amerikanische “Glen-Mills-Pädagogik” • Elemente von “peergroup-education” • Aspekte der Gestalttherapie, der Verhaltenstherapie (Lerntheorie), der Konfrontativen und Provokativen Therapie, der Kognitionspsychologie • Soziales Training/ Soziale Gruppenarbeit • Empowermentprinzip, Kompetenzansätze
Methodische Platzierung von Konfrontation • Konfrontation als Technik in einem Modul („hot seat“) eines Curriculums (AAT/CT) • Konfrontation als (sozial-) pädagogische Reaktion auf Grenzüberschreitungen bzw. Regelverletzungen: Grenzsetzung als ritualisierte Abfolge von Handlungsschritten • Konfrontation basiert auf einer pädagogischen Haltung: Respekt vor der und Interesse an der Person bei gleichzeitiger Infragestellung/ Verurteilung des Verhaltens
Theoretische Verortung • Regulations- und integrationstheoretische Perspektive: Konfrontation als „vor-pädagogische“ Intervention, um sozialpädagogisch/ therapeutisch überhaupt tätig werden zu können • Paradigmavielfalt und Pluralisierung durch gesellschaftliche Ungleichzeitigkeiten • Kompensatorische Erziehungstechniken • Bisher fehlendes „maskulines“ erzieherisches Element?
Neuroanatomische Befunde • Hypothalamus, präfrontaler Cortex und Amygdalakerne sind bei Aggression beteiligt • Aber Aggressivität lässt sich keiner einzelnen Hirnstruktur zuordnen • Es gibt kein eigentliches Aggressionszentrum (nach Blochmann) • 2 entgegengesetzte Positionen: bewirken psychosoziale Ereignisse neuroanatomische Besonderheiten (Bauer) oder stehen letztere für eine biologische Ausgangsbasis (Roth)?
Zur Methodentauglichkeit • Persönlichkeit Persönlichkeit • Klient Fachkraft • Fallverstehen • was ist der • Fall ? Authentizität • Methode
Ethische Aspekte • Menschenrechtsdimensionen: Würde, Menschenrechtsverletzungen ausschließen usw. • Verhältnismäßigkeit des Methodeneinsatzes • Keine „Kolonisierung“ von Lebenswelten • Gleichheitsgrundsatz in der „Behandlung“ von Klienten • Ausschluss persönlich-revanchistischer Übertragungen der Pädagogen auf den Klienten
Literatur zur Vertiefung • Kilb, R./ Weidner, J./ Gall, R.: Konfrontative Pädagogik in der Schule. Weinheim, München 2009 (2. Aufl.) • Weidner, J./ Kilb, R./ Kreft, D.: Gewalt im Griff (Bd.1). Weinheim, Basel 2010 (5. Aufl.) • Weidner, J./ Kilb, R.: Konfrontative Pädagogik. Wiesbaden 2010 (4. Aufl.) • Kilb, R.: Jugendgewalt im städtischen Raum. Wiesbaden 2009 • Kilb, R./ Peter, J.: Methoden der Sozialen Arbeit in der Schule. München, Basel 2009