730 likes | 1.31k Views
2. VORLESUNGSPROGRAMM. 1. Doppelstunde, Donnerstag, 23.09.2010Thema: EINFHRUNG2. Doppelstunde, Donnerstag, 30.09.2010Thema: RECHTS- UND HANDLUNGSFHIGKEIT 3. Doppelstunde, Donnerstag, 7.10.2010Thema: ANFANG UND ENDE DER PERSNLICHKEIT, VERWANDTSCHAFT, HEIMAT-, BRGERRECHT, WOHNSITZ, NAME4.
E N D
1. PERSONENRECHT HS 2010 Prof. Dr. iur. P. Breitschmid
Stand Vorlesungsunterlagen: 20.09.2010
Erstellt von lic. iur. D. Keller
2. 2 VORLESUNGSPROGRAMM 1. Doppelstunde, Donnerstag, 23.09.2010
Thema: EINFÜHRUNG
2. Doppelstunde, Donnerstag, 30.09.2010
Thema: RECHTS- UND HANDLUNGSFÄHIGKEIT
3. Doppelstunde, Donnerstag, 7.10.2010
Thema: ANFANG UND ENDE DER PERSÖNLICHKEIT, VERWANDTSCHAFT, HEIMAT-, BÜRGERRECHT, WOHNSITZ, NAME
4. & 5. Doppelstunde, Donnerstag, 14.10.2010/21.10.2010
Thema: SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT
6. & 7. Doppelstunde, Donnerstag, 28.10.2010/4.11.2010
Thema: JURISTISCHE PERSONEN, VEREINSRECHT UND STIFTUNGSRECHT
3. 3 VORLESUNGSPROGRAMM 1. Doppelstunde, Donnerstag, 23.09.2010
Thema: EINFÜHRUNG
Entstehung des ZGB; systematische Einordnung des Personenrechts und Querbezüge; Einleitungsartikel (ZGB 1-10) und Personenrecht als „Allgemeiner Teil“ des Privatrechts.
Grundfragen der „Person im Recht“; Begriffe: „Personen“, „Persönlichkeit“, „Rechtsfähigkeit“, „Handlungsfähigkeit“.
Pflichtlektüre (alternativ):
HÜRLIMANN-KAUP/SCHMID § 5-12
4. 4 EINFÜHRUNG (1) Anwendung des Rechts ZGB 1
Bestimmung sagt nicht, wie das Recht im konkreten Sachverhalt angewendet werden muss, sondern lediglich, wie das Gericht vorzugehen hat.
ZGB 1 I: Anwendung des Gesetzes:
Wortlaut und Auslegung
Auslegungsmethoden:
Grammatikalisches Element (sprachliche Bedeutung von Wort oder Wendung)
Systematisches Element (Norm wird in Gesamtzusammenhang gestellt, Marginalien sind Teil des Gesetzes)
Teleologisches Element (Frage nach Sinn und Zweck einer Gesetzesbestimmung, ratio legis)
Historisches Element (Äusserungen des historischen Gesetzgebers, Gesetzesmaterialien)
ZGB 1 II: Gewohnheitsrecht und Anerkennung von Gesetzeslücken
ZGB 1 III: Berücksichtigung von Lehre und Überlieferung
5. 5 EINFÜHRUNG (2) Lücken
6. 6 EINFÜHRUNG (3) Handeln nach Treu und Glauben ZGB 2 I
Konkretisierung im Vertrauensprinzip
Clausula rebus sic stantibus
Fairnessgebot
Verbot der Gesetzes- oder Vertragsumgehung
Verbot des Rechtsmissbrauch ZGB 2 II
Es gibt keine gesetzliche Definition des Rechtsmissbrauchs. Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.
Dies ist der Fall bei:
Nutzloser Rechtsausübung
(z.B. wenn an der Ausübung eines Rechts überhaupt kein sachliches Interesse besteht)
Krassem Missverhältnis der Interessen
(z.B. BGE 95 II 14: Es ging um die Errichtung einer Bootseinfahrt, welche ein Fischereirecht tangierte. Das BGer bewilligte die Bootseinfahrt mit der Begründung, das Fischereirecht sei nur geringfügig betroffen und es bestehe daher ein krasses Missverhältnis in der Gewichtung der Interessen)
Widersprüchlichem Verhalten
(z.B. vor 1973 brauchte es für die Adoption eines Kindes die Zustimmung der leiblichen Eltern. Ein Vater, der sich auf dieses Recht berief und seine Zustimmung verweigerte, obwohl er sich nie um das Kind bemühte, handelte widersprüchlich. Seit 1973 ist diese unechte Lücke im Gesetz durch ZGB 265c erfasst.)
7. 7 EINFÜHRUNG (4) Guter Glaube ZGB 3
ZGB 3 enthält keinen allgemeinen Gutglaubensschutz, sondern greift nur ein, wo eine bestimmte Einzelvorschrift einen solchen Schutz sinngemäss oder wörtlich vorsieht. Aus der jeweiligen Gesetzesbestimmung ergeben sich Inhalt und Folgen des Gutglaubensschutzes (vgl. ZGB 714, 673).
Wenn der Rechtsmangel erkennbar war (z.B. sehr tiefer Preis) und die nötige Aufmerksamkeit unterlassen wurde, kann man sich gemäss ZGB 3 II nicht auf den guten Glauben berufen, und muss ggf. die Sache wieder herausgeben.
Gerichtliches Ermessen ZGB 4
Hierbei handelt es sich um Lücken, die innerhalb des Gesetzes bestehen. Das Gesetz ist bewusst flexibel konzipiert, damit die Gerichte im Einzelfall eine zwar dem System des Gesetzes konforme, aber doch möglichst individualisierte Lösung treffen können (z.B. um eine bessere Anpassung an künftige Entwicklungen der Verhältnisse zu ermöglichen).
Kantonales Zivilrecht und Ortsübung ZGB 5
Das Privatrecht ist abschliessend im Bundesrecht geregelt, hauptsächlich im OR und ZGB. Wo im Gesetz ein ausdrücklicher Vorbehalt besteht, kann kantonales Privatrecht zur Anwendung kommen (z.B. ZGB 688, 695, Zürcher EG-ZGB).
In einzelnen Bestimmungen wird im Bundeszivilrecht auch auf den Ortsgebrauch oder die Übung verwiesen. Dabei handelt es sich um Erscheinungsformen der Verkehrssitte (z.B. ZGB 644, 684).
Öffentliches Recht der Kantone ZGB 6
Die Kantone können das öffentliche Recht im Rahmen ihrer Kompetenzen, die sich aus der Bundesverfassung (BV 122) ergeben, selber regeln.
8. 8 EINFÜHRUNG (5) Allgemeine Bestimmungen des Obligationenrechts ZGB 7
Das OR und das ZGB stellen materiell eine Einheit dar. Neben den allgemeinen Bestimmungen des OR sind auch alle anderen Bestimmungen des allgemeinen Teils des OR sowie allgemeine Bestimmungen anderer Teile des OR auf Rechtsverhältnisse des ZGB anwendbar.
Die Bestimmungen des OR dürfen nur sinngemäss auf Fragen des ZGB anwendet werden, d.h. es muss immer geprüft werden, ob eine abweichende Vorschrift des ZGB oder die besondere Natur des betreffenden Rechtsinstituts eine solche analoge Anwendung verbietet.
Beweislast ZGB 8
Das Privatrecht sagt, ob einer Person ein bestimmtes Recht zusteht und das Prozessrecht sagt, wie ein solcher Anspruch durchgesetzt wird.
Die Schweizerische Zivilprozessordnung tritt per 1.1.2011 in Kraft.
ZGB 8 regelt die Beweislastverteilung, d.h. wer in einem Streit seine Behauptung beweisen muss.
Grundsätzlich muss jede Prozesspartei ihren Standpunkt beweisen. Die Klägerin muss die Tatsachen vorbringen, die sie durch das Gericht gewürdigt haben will. Wenn sie den Beweis nicht erbringen kann, weist das Gericht die Klage ab. Kann sie den Beweis erbringen, dann kann die beklagte Partei Einwendungen und Einreden machen (vgl. ZPO 152).
Regelbeweismass: Der Beweis gilt als erbracht, wenn „das Gericht nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist und keine ernsthaften Zweifel mehr bestehen“. (Ausnahmen: OR 42 II, ZGB 256b II).
9. 9 EINFÜHRUNG (6) Beweis mit öffentlicher Urkunde ZGB 9
Die Zulässigkeit und Würdigung von Beweismitteln ist grundsätzlich eine Frage des kantonalen Prozessrechts. Lediglich bei öffentlichen Urkunden und Registern greift ZGB 9.
ZGB 9 wird durch nZPO 179 ergänzt.
Beweisvorschriften aZGB 10
„Wo das Bundesrecht für die Gültigkeit eines Rechtsgeschäftes keine besondere Form vorsieht, darf das kantonale Recht auch für die Beweisbarkeit des Rechtsgeschäftes eine solche nicht vorschreiben“ (aZGB 10).
Dieser Gedanke ist auch in OR 11 enthalten: Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besonderen Form, wenn das Bundesprivatrecht eine solche vorsieht.
Diese Bestimmung wird durch Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung aufgehoben, da keine Notwendigkeit mehr besteht.
10. 10 VORLESUNGSPROGRAMM 2. Doppelstunde, Donnerstag, 30.09.2010
Thema: RECHTS- UND HANDLUNGSFÄHIGKEIT
Grundlagen der Handlungsfähigkeit; Begriff der Urteilsfähigkeit (ZGB 16); Vorgehen bei beeinträchtigter Handlungsfähigkeit (Vormundschafts-/ Erwachsenenschutzrecht; dazu die Botschaft (BBl 2006 7001 ff.) bzw. nunmehr den definitiven Gesetzestext in BBl 2009 141 ff.
Pflichtlektüre (alternativ):
RIEMER §§ 2 und 3; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO § 9; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER §§ 2 und 6; HÜRLIMANN- KAUP/SCHMID § 14-15; entsprechende Auszüge aus dem CHK
Übersicht über die Ziele der Revision des Vormundschaftsrechts (v.a. BBl 2006 7002-7004)
Ergänzende Literatur:
GUTZWILLER, Zur Bedeutung der Urteilsfähigkeit im Rahmen des „Vorsorgeauftrages“, AJP 2007 556-560
Materialien:
Schweizerische Zivilprozessordnung, BBl 2009 21
11. 11 RECHTSFÄHIGKEIT Rechtsfähigkeit (ZGB 11)
Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben, also Rechtsträger zu sein (ZGB 11). Sie beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod.
Rechtsfähig im Sinne des Gesetzes sind alle Menschen; Tiere sind nicht rechtsfähig (ZGB 641a I)
Die Rechtsfähigkeit eines einzelnen Menschen besteht immer nur im Rahmen der Rechtsordnung, d.h. dass Jugendliche z.B. rechtsfähig sind, aber trotzdem keine Ehe schliessen können, da das Gesetz für die Heirat ein Mindestalter vorsieht.
In der Schweizerischen Zivilprozessordnung ist die Parteifähigkeit in ZPO 66 geregelt (Problem: Parteifähigkeit mehrerer Personen, z.B. Geschwister in Elterngemeinschaft).
12. 12 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (1) Begriff (ZGB 12 ff.)
Die Handlungsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit Rechte und Pflichten zu begründen, ist die Voraussetzung um irgendwelche Geschäfte tätigen zu können (ZGB 12).
Die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit sind Mündigkeit und Urteilsfähigkeit (ZGB 13).
In der Schweizerischen Zivilprozessordnung ist die Prozessfähigkeit ist in ZPO 67 geregelt.
„Unvermögen der Partei“ (ZPO 69)
Problem: Prozessfähigkeit von Michael Kohlhaas oder von Peter Kneubühl
Mündigkeit
Mündig ist, wer das 18. Altersjahr vollendet hat (ZGB 14) und nicht bevormundet ist.
Die religiöse Mündigkeit wird bereits mit 16 Jahren erlangt (ZGB 303 III).
Das öffentliche Recht ist vom zivilrechtlichen unabhängig, es regelt selbständig, mit welchem Alter man die öffentlich-rechtliche Mündigkeit erreicht.
13. 13 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (2) Urteilsfähigkeit
„Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist ein jeder, dem nicht wegen seines Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln“ (ZGB 16).
Weitere Zustände können sein: Drogensucht, Medikamentensucht, Fieberzustände, Bewusstlosigkeit, Hypnose, Narkose, Schlaf, Aufregungszustände.
Die Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeit aufgrund dieser Zustände kann sich auf zwei Arten auswirken (Verstandesdefekt, Willensdefekt).
14. 14 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (3) Urteilsfähigkeit (Fortsetzung)
Relativität der Urteilsfähigkeit: Menschen sind entweder dauernd oder relativ urteilsunfähig. Es ist also immer zu prüfen, ob die Urteilsunfähigkeit in Bezug auf die konkret in Frage stehende Rechtshandlung gegeben war oder nicht.
Relativität der Urteilsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht ist gegeben bei Narkose oder Schlaf. Problematischer ist die zeitliche Begrenzung der Urteilsfähigkeit bei Drogenkonsumenten zu erfassen, da bei längerfristigem Konsum eine generelle Beschränkung der Urteilsfähigkeit möglich sein kann.
Ausnahme: Bei der Schizophrenie muss immer genau untersucht werden, ob die Person in einem lucidum intervallum oder in einem akut kranken Zustand gehandelt hat.
Relativität der Urteilsfähigkeit in sachlicher Hinsicht: Die Urteilsfähigkeit kann bei ein und derselben Person bezüglich einer bestimmten Handlung gegeben und bezüglich einer bestimmten anderen Handlung nicht gegeben sein.
Vermutung der Urteilsfähigkeit:
Wer behauptet, eine Person sei urteilsunfähig (um aus dieser Behauptung Rechte abzuleiten), hat dies zu beweisen (vgl. ZGB 8).
Im BGE 124 III 8, 9 hat das das BGer folgende Präzisierung vorgenommen: „ Führt die Lebenserfahrung – etwa bei Kindern, bei bestimmten Geisteskranken oder altersschwachen Personen – zur umgekehrten Vermutung, dass die handelnde Person ihrer allgemeinen Verfassung nach im Normalfall und mit Wahrscheinlichkeit als urteilsunfähig gelten muss, ist der Beweispflicht insoweit Genüge getan und die Vermutung der Urteilsfähigkeit umgestossen; der Gegenpartei steht in diesem Fall der Gegenbeweis offen, dass die betreffende Person trotz ihrer grundsätzlichen Urteilsunfähigkeit aufgrund ihrer allgemeinen Gesundheitssituation in einem luziden Intervall gehandelt hat.“
> Somit führt die genannte Lebenserfahrung zu einer sog. Umkehr der Beweislast.
15. 15 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (4) Stufen der Handlungsfähigkeit
Elemente der Handlungsfähigkeit
Geschäftsfähigkeit: Fähigkeit, durch eigenes rechtsgeschäftliches Handeln allein die gewollten rechtlichen Wirkungen herbeizuführen. Die Geschäftsfähigkeit wird in folgende Fähigkeiten aufgegliedert:
Vertragsfähigkeit
Testierfähigkeit
Prozessfähigkeit
Deliktsfähigkeit: Fähigkeit, durch widerrechtliche Handlungen schadenersatzpflichtig zu werden
Folgen der Handlungsunfähigkeit
Personen, die entweder urteilsunfähig oder unmündig sind, sind handlungsunfähig (z.B. Entmündigung (ZGB 369-372) oder Minderjährigkeit (ZGB 14)).
Grundsätzlich vermögen die Handlungen eines Urteilsunfähigen keine Rechtswirkungen zu erzeugen (ZGB 18)
Ausnahmen bestehen in folgenden Fällen:
Eintritt der Rechtswirkung unabhängig von der Urteilsfähigkeit (von Gesetzes wegen, z.B. ZGB 727 Abs. 1, OR 62 ff.)
Rechtswirkungen aus unerlaubter Handlung (Billigkeitshaftung nach OR 54)
Damit die Handlungen von Urteilsunfähigen Rechtswirkungen erzeugen, braucht es Personen, die für diese handeln, sog. gesetzliche Vertreter: Eltern (ZGB 304 I), Vormund (ZGB 407), vorläufiger Vormund (ZGB 395 II bzw. Beistände, nZGB 390 ff.).
Absolut höchstpersönliche Rechte müssen durch die betroffene Person selbst ausgeübt werden, da diese Rechte so persönlicher und intimer Natur sind, dass sie vertretungsfeindlich sind. Dabei handelt es sich z.B. um:
Eingehung eines Verlöbnisses (ZGB 90 I)
Eheabschluss (ZGB 94 I)
Errichtung eines Testaments (ZGB 467)
16. 16 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (5) Stufen der Handlungsfähigkeit (Fortsetzung)
Relativ höchstpersönliche Rechte sind nicht generell vertretungsfeindlich, z.B.:
Schutz der ehelichen Gemeinschaft (ZGB 171 ff.)
Allgemeiner Persönlichkeitsschutz (ZGB 28 ff.)
Grundsatz: Unmündige sind handlungsunfähig
„Urteilsfähige unmündige oder entmündigte Personen können sich nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter [ZGB 304 III, 305 I, 410, 411] durch ihre Handlungen verpflichten“ (ZGB 19 I)
Diese Zustimmung kann als nachträgliche Genehmigung oder als vorausgehendes Einverständnis erfolgen.
Ausnahmen: Handlungsfähigkeit trotz fehlender Mündigkeit
Begrenzte Handlungsunfähigkeit (ZGB 19 II, III, 321-323, 411 II, 412, 414)
Rechtsgeschäfte, die kein wirtschaftliches Risiko oder eine Gefahr in sich bergen, sondern ihnen nur Vorteile bringen, dürfen diese selbst abschliessen (ZGB 19 II erster Satzteil)
Höchstpersönliche Rechte können durch den urteilsfähigen Unmündigen oder Entmündigten selbst und allein ausgeübt werden (beachte: relativ höchstpersönliche Rechte nur durch von ihm selbst ernannte Vertreter)
Urteilsfähige Unmündige oder Entmündigte sind generell deliktsfähig, d.h. ZGB 19 III hält fest, dass solche Personen aus unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig werden.
Freies Vermögen i.S.v. ZGB 321, 322, 414 steht unter der selbständigen Verwaltung und Nutzung des urteilsfähigen Unmündigen oder Entmündigten
Beschränkte Handlungsfähigkeit
Hierbei handelt es sich um Personen, die urteilsfähig und mündig sind, d.h. grundsätzlich handlungsfähig sind.
Die Handlungsfähigkeit wird somit nicht grundsätzlich aufgehoben, sondern partiell beschränkt. Diese Fälle sind teils im Familienrecht und teils im OR geregelt (nicht im Personenrecht des ZGB):
Beiratschaft (ZGB 395)
Eheabschluss (ZGB 169 I, ZGB 230, OR 226b Abs. 1, OR 228, OR 266m, OR 494 I und III)
17. 17 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (6) Änderungen der Handlungsfähigkeit im Rahmen der Revision zum Vormundschaftsrecht (aus:
Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7002-7004) (F
„Das geltende Vormundschaftsrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Art. 360-455 ZGB) ist seit seinem lnkrafttreten im Jahr 1912 - abgesehen von den Bestimmungen über die fürsorgerische Freiheitsentziehung (Art. 397a-f ZGB) - praktisch unverändert geblieben. Es entspricht unseren heutigen Verhältnissen und Anschauungen nicht mehr und soll deshalb grundlegend erneuert werden.
Eines der Ziele der Revision ist es, das Selbstbestimmungsrecht zu fördern. Die Vorlage stellt im Abschnitt «Die eigene Vorsorge» (Art. 360-373 nZGB) zwei neue Rechtsinstitute im Zivilgesetzbuch zur Diskussion: Mit einem Vorsorgeauftrag soll eine handlungsfähige Person eine natürliche oder juristische Person bezeichnen können, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit die Personensorge oder die Vermögenssorge übernehmen oder sie im Rechtsverkehr vertreten soll. Mit einer Patientenverfügung soll eine urteilsfähige Person zum einen festlegen können, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt, zum andern aber auch eine natürliche Person bezeichnen dürfen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit entscheidungsbefugt ist.
Wird eine Person vorübergehend oder - beispielsweise gegen Ende des Lebens - dauernd urteilsunfähig, so behilft sich die heutige Praxis auf vielfältige Art mit einem pragmatischen Vorgehen. Das neue Erwachsenenschutzrecht will deshalb dem Bedürfnis Rechnung tragen, dass die Angehörigen urteilsunfähiger Personen ohne grosse Umstände gewisse Entscheide treffen können. Damit wird die Solidarität in der Familie gestärkt und es wird vermieden, dass die Behörden systematisch Beistandschaften anordnen müssen. Bestimmte Kreise von Angehörigen sollen - nach dem Vorbild gewisser kantonaler Gesetze - das Recht erhalten, für die urteilsunfähige Person die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung zu erteilen oder zu verweigern (Art. 379 nZGB), sofern keine Patientenverfügung vorliegt. Vorbehalten bleiben spezialgesetzliche Sonderregelungen, beispielsweise für die Sterilisation, die Transplantationsmedizin oder die Forschung. Im Weiteren räumt der Entwurf dem Ehegatten sowie der eingetragenen Partnerin oder dem eingetragenen Partner der urteilsunfähigen Person das Recht ein, die Post zu öffnen, für die ordentliche Verwaltung des Einkommens und des Vermögens zu sorgen und alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind (Art. 374 nZGB).
18. 18 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (7) Änderungen der Handlungsfähigkeit im Rahmen der Revision zum Vormundschaftsrecht (aus:
Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7002-7004) (Fortsetzung)
Urteilsunfähige Personen, die in Einrichtungen leben, geniessen nicht immer den Schutz, den sie benötigen. Der Entwurf versucht, hier Abhilfe zu schaffen (Art. 382-387 nZGB). Er schreibt u.a. vor, dass für diese Personen ein schriftlicher Betreuungsvertrag abgeschlossen werden muss, damit über die Leistungen, die erbracht werden, Transparenz besteht. Weiter werden die Voraussetzungen umschrieben, unter denen Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit zulässig sind. Schliesslich sollen die Kantone verpflichtet werden, Wohn- und Pflegeeinrichtungen, die urteilsunfähige Personen betreuen, zu beaufsichtigen.
Die heutigen amtsgebundenen behördlichen Massnahmen, nämlich die Vormundschaft, die Beiratschaft und die Beistandschaft, haben einen bestimmten vorgegebenen Inhalt und tragen deshalb dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht ausreichend Rechnung. An ihre Stelle soll als einheitliches Rechtsinstitut die Beistandschaft (Art. 390-425 nZGB) treten, wenn eine Person wegen einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen Schwächezustands ihre Angelegenheiten nicht mehr besorgen kann und die Unterstützung durch Angehörige oder private oder öffentliche Dienste nicht ausreicht. Statt der Anordnung standardisierter Massnahmen ist künftig von den Behörden Massarbeit gefordert, damit im Einzelfall nur so viel staatliche Betreuung erfolgt, wie wirklich nötig ist.
Der Entwurf unterscheidet vier Arten von Beistandschaften, nämlich die Begleit-, die Vertretungs-, die Mitwirkungs- und die umfassende Beistandschaft. Eine Begleitbeistandschaft wird nur mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet und lässt die Handlungsfähigkeit unberührt. Bei der Vertretungsbeistandschaft muss sich die betroffene Person die Handlungen des Beistands oder der Beiständin anrechnen oder gefallen lassen. Die Behörde kann auch je nach Situation die Handlungsfähigkeit punktuell einschränken. Die Mitwirkungsbeistandschaft wird errichtet, wenn bestimmte Handlungen der hilfsbedürftigen Person zu deren Schutz der Zustimmung des Beistands oder der Beiständin bedürfen. Die umfassende Beistandschaft schliesslich ist das Nachfolgeinstitut zur Entmündigung (Art. 369-372 ZGB) und lässt die Handlungsfähigkeit von Gesetzes wegen entfallen. Angeordnet wird sie insbesondere, wenn eine Person dauernd urteilsunfähig ist.
Die Begleit-, die Vertretungs- und die Mitwirkungsbeistandschaft können miteinander kombiniert werden. Während der Aufgabenbereich des Beistands oder der Beiständin bei der umfassenden Beistandschaft alle Angelegenheiten der Personensorge, der Vermögenssorge und des Rechtsverkehrs umfasst, muss ihn die Behörde bei den übrigen Beistandschaften entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Person, d. h. massgeschneidert, festlegen.
19. 19 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (8) Änderungen der Handlungsfähigkeit im Rahmen der Revision zum Vormundschaftsrecht (aus:
Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7002-7004) (Fortsetzung)
Auf die erstreckte elterliche Sorge (Art. 385 Abs. 3 ZGB) soll verzichtet werden. Dafür wird die Behörde die Eltern von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die behördliche Zustimmung einzuholen, entbinden können. Die gleiche Flexibilität soll gelten, wenn der Ehegatte, die Ehegattin, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner als Beistand oder Beiständin eingesetzt wird (Art. 420 nZGB).
Im Abschnitt über die fürsorgerische Unterbringung in einer Einrichtung (Art. 426-439 nZGB) sollen der Rechtsschutz ausgebaut und Lücken geschlossen werden. Unter anderem werden die ärztliche Einweisungskompetenz beschränkt und wichtige Verfahrensvorschriften gesetzlich verankert. Vorgesehen sind ferner das Recht auf den Beizug einer Vertrauensperson und die Pflicht der Behörde zur periodischen Überprüfung der Unterbringung. Neu wird eine abschliessende bundesrechtliche Regelung für die stationäre Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung der betroffenen Person vorgeschlagen. Dabei wird versucht, das Selbstbestimmungsrecht so weit wie möglich zu wahren. Die Kantone können eine behördlich angeordnete ambulante Behandlung wider den Willen der betroffenen Person einführen.
Das Vormundschaftswesen ist heute uneinheitlich und unübersichtlich organisiert. Während in den welschen Kantonen die vormundschaftlichen Behörden in der Regel Gerichte sind, amten an verschiedenen Orten der deutschen Schweiz als Vormundschaftsbehörde Laien, die politisch gewählt sind und keine einschlägigen fachlichen Vorgaben erfüllen müssen. Von Fachleuten wird schon seit längerer Zeit eine Verbesserung der Verhältnisse gefordert. Gewisse Kantone haben diese von sich aus eingeleitet oder bereits durchgeführt. Mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts sollen alle Entscheide im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes bei einer Fachbehörde konzentriert werden (Art. 440 nZGB). Für die innere Organisation der Behörde sind die Kantone zuständig; namentlich bestimmen sie, wie gross der Spruchkörper sein soll. Im Gegensatz zum Vorentwurf, der ein interdisziplinäres Fachgericht vorschreiben wollte, kann als Fachbehörde eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht eingesetzt werden. Die Organisationsfreiheit der Kantone wird so weit wie möglich gewahrt.
Im Hinblick auf diese veränderte Ausgangslage schlägt der Bundesrat vor, auf das spezielle Verfahrensgesetz, so wie es in die Vernehmlassung geschickt worden ist, zu verzichten, aber die darin enthaltenen wesentlichen Verfahrensgrundsätze für den Kindes- und Erwachsenenschutz im Sinn eines bundesrechtlich vereinheitlichten gesamtschweizerischen Standards im Zivilgesetzbuch zu verankern (Art. 443 ff. nZGB).
20. 20 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (9) Änderungen der Handlungsfähigkeit im Rahmen der Revision zum Vormundschaftsrecht (aus:
Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7002-7004) (Fortsetzung)
Im Kindes- und Erwachsenenschutz spielen die Grundrechte eine zentrale Rolle. Dieser Umstand erfordert bei der Gestaltung des Verfahrens besondere Beachtung. Daneben haben die Verfahrensgrundsätze aber auch darauf Rücksicht zu nehmen, dass im Kindes- und Erwachsenenschutz vielfältige Geschäfte bestehen, die auf einfache und unbürokratische Art erledigt werden können und sollen. Die vorgeschlagenen Verfahrensnormen tragen beiden Anliegen Rechnung. Im Übrigen soll von Bundesrechts wegen - beispielsweise für den Fristenlauf, die Ausstandsgründe und die Beweisverfahren - die Zivilprozessordnung zur Anwendung kommen. Die Kantone bleiben aber frei, etwas anderes zu bestimmen (Art. 450f nZGB).
Nach dem geltenden Vormundschaftsrecht (Art. 426 ff. ZGB) haften sowohl die Mandatsträger und Mandatsträgerinnen wie auch die Behördenmitglieder in erster Linie persönlich. Nur wenn sie den Schaden nicht decken können, haften die Kantone und Gemeinden. Für die fürsorgerische Freiheitsentziehung gilt indessen bereits seit 1981 die direkte Staatshaftung mit einem Regressrecht auf fehlbar Handelnde (Art. 429a ZGB). Eine solche moderne Haftungsregelung für hoheitliches Handeln soll künftig im ganzen behördlichen Erwachsenen- und Kindesschutz gelten (Art. 454 nZGB), die Umschreibung der Voraussetzungen für den Regress soll indessen den Kantonen überlassen bleiben.
Das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht hat einen engen Bezug zum Handlungsfähigkeitsrecht des Personenrechts. Dieses ist lückenhaft und damit wenig bürgerfreundlich. Die heutigen Bestimmungen des Vormundschaftsrechts über das eigene Handeln bevormundeter Personen werden deshalb verallgemeinert, etwas erweitert und in das Personenrecht integriert (Art. 19-19d nZGB). Zudem wird die Vormundschaft über Unmündige neu im Kindesrecht geregelt.“
21. 21 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (10) Übersicht über die Änderungen (nZGB 19-19d treten voraussichtlich per 1.1.2013 in Kraft)
22. 22 HANDLUNGSFÄHIGKEIT (11) Übersicht über die Einschränkung der Handlungsfähigkeit nach der Revision (nZGB 19d, 393 ff.)
Erläuterungen:
Die Handlungsfähigkeit wird von Gesetzes wegen eingeschränkt (Mitwirkungsbeistandschaft, umfassende Beistandschaft).
Handlungsfähigkeit wird nicht eingeschränkt in Fällen der Begleitbeistandschaft.
Handlungsfähigkeit kann (muss aber nicht) eingeschränkt werden bei der Vertretungsbeistandschaft.
23. 23 VORLESUNGSPROGRAMM 3. Doppelstunde, Donnerstag, 7.10.2010
Thema: ANFANG UND ENDE DER PERSÖNLICHKEIT, VERWANDTSCHAFT, HEIMAT-, BÜRGERRECHT, WOHNSITZ, NAME
Grundlagen; Beginn und Ende des rechtlichen/physischen Person-Seins
Pflichtlektüre (alternativ):
RIEMER §§ 4-6, 8-11; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO § 10, 12; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER §§ 3 f., 8 f., 16; HÜRLIMANN-KAUP/SCHMID § 16; entsprechende Auszüge aus dem CHK.
Ergänzende Literatur:
Zum Anfang und Ende des Lebens: Lachenmeier, Medizin und Recht: Todeszeitpunkt umstritten, in: plädoyer 2008, 32 ff.
FELBER, Bevormundung nur am Wohnort, in: Jusletter 2. Oktober 2000 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
DERS., Wohnsitz am Ort der Anstalt, in: Jusletter 25. Juni 2001 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
FELBER, Wenn ein Mann seinen «Mädchennamen» wieder will, in: Jusletter 18. Juni 2001 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
SIX, Neues vom Bundesgericht zur Frage der Verwendung von Gemeindenamen als Domänennamen («montana.ch» und «luzern.ch»), in: Jusletter 14. Oktober 2002 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
GRÜTER, „maggi.com“ – zu einfaches Rezept aus Lausanne, in: Jusletter 7. März 2005 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
LEVANTE, Namensänderung in der Rechtsprechung des Bundesgerichts, ZZW 2007 65 ff.
24. 24 VORLESUNGSPROGRAMM Materialien:
Überblick des EJPD betr. Rechtsetzungsprojekt Sterbehilfe mit weiteren Links
Betreuung von Patienten am Lebensende, Medizinisch-ethische Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW)
Parlamentarische Initiative von Nationalrat F. Cavalli: Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe. Neuregelung
SAMW bekräftigt ihr Nein zu aktiver Sterbehilfe (Stellungnahme zur parlamentarischen Initiative von Nationalrat F. Cavalli)
Die Revision des Namensrechtes, die den „Namen fürs ganze Leben“ einführen wollte, wurde vom Nationalrat 2009 knapp abgelehnt: EJPD - Stand betr. Namensänderung; Vorentwurf zur Änderung des ZGB in Sachen Namen und Bürgerrecht; Bericht vom 1. Juni 2007 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates; Bericht vom 27. August 2009 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates; JURIUS, Jusletter 9. Juli 2007; JURIUS, Jusletter 31. August 2009.
Rechtsprechung:
BGer 2P.256/2004 vom 7.1.2005, ein Entscheid, der mit juristisch korrekten, indes im Ergebnis sehr formalen Argumenten über das Wesen der Schwägerschaft eine erbschaftssteuerliche Privilegierung der stiefmütterlichen testamentarischen Zuwendung an die Tochter des vorverstorbenen Ehemannes verweigert.
BGer 2P.139/2004 vom 31.11.2004, betreffend die Erbschafts-/Schenkungs-Steuerpflicht des adoptierten Kindes bei Zuwendungen aus seiner Herkunftsfamilie.
BGer 2P.49/2007 vom 3.8.2007 (unzulässige Verhinderung der Niederlassung einer verbeiständeten, in einer Wohngemeinschaft lebenden Person).
BGer 5P.318/2006 vom 22.12.2006 (Wohnsitz des Kindes)
BGer 5A.4/2005 vom 24.5.2005 (Namensführung nach Eheschliessung)
BGer 4C.376/2004 vom 21.1.2005 („Maggi-Entscheid“)
25. 25 ANFANG UND ENDE DER PERSÖNLICHKEIT (1) Anfang der Rechtspersönlichkeit
„ Die Persönlichkeit beginnt mit dem Leben nach der vollendeten Geburt und endet mit dem Tod“ (ZGB 31 I). Damit ist der Anfang und das Ende der Rechtsfähigkeit gemeint. Vollendet ist die Geburt mit dem vollständigen Austreten des Kindes aus dem Mutterleib. Wenn das Kind während der Geburt stirbt, erlangt es keine Rechtsfähigkeit, dazu benötigt es ein Lebenszeichen wie Herzschlag oder Atmung nach Vollendung der Geburt.
Rechtsstellung des Nasciturus: Ein ungeborenes Kind wird in der Zeit zwischen Zeugung und vollendeten Geburt juristisch als Nasciturus bezeichnet.
Bedingte Rechtsfähigkeit: ZGB 31 II sieht als Ausnahme vom Grundsatz vor, dass auch ein ungeborenes Kind rechtsfähig ist, sofern es lebend geboren wird. Der Hauptfall betrifft die Erbfähigkeit: Ein Nasciturus ist unter dem Vorbehalt erbfähig, dass er lebend geboren wird (ZGB 544 I, 605 I).
Gemäss ZGB 311 I gilt der Entzug der elterlichen Sorge ohne weiteres auch für noch nicht gezeugte Kinder.
Ende der Rechtspersönlichkeit
Die Rechtsfähigkeit endet gemäss ZGB 31 I mit dem Tode.
Massgebend für den Todeszeitpunkt ist der Hirntod, d.h. das Vorliegen eines irreversiblen Funktionsausfalles des Gehirns.
Der Tod eines Menschen hat drei zivilrechtliche Folgen:
Ende der Rechtsfähigkeit (ZGB 31 I)
Auslösung des Erbfalles (ZGB 560 I)
Tod wird eingetragen (ZGB 39 II)
26. 26 ANFANG UND ENDE DER PERSÖNLICHKEIT (2) Beweis von Leben und Tod
ZGB 32 I als Anwendungsfall von ZGB 8 sieht vor, dass diejenige Person, die aus dem Leben oder dem Tod der Drittperson Rechte zu seinen Gunsten ableitet, das Leben bzw. den Tod der in Frage stehenden Person beweisen muss.
Gleichzeitiger Tod als Spezialfall des Todesbeweises: Dieser Spezialfall spielt in Bezug auf das Erbrecht eine zentrale Rolle, denn nur wer eine andere Person überlebt, kann die vorverstorbene Person beerben (ZGB 32 II, z.B. bei einem Unfall).
Tod ohne Leiche als weiterer Spezialfall des Todesbeweises: Normalerweise wird der Tod durch den Arzt festgestellt und danach ins Todesregister am Sterbeort eingetragen. Eine Person kann aber auch verschwunden sein, die ihren Tod als sicher erscheinen lässt (ZGB 34).
Fälle des sicheren Todes (BGE 56 I 550/551):
Wenn eine Person in einem brennenden und durch Feuerbrunst zerstörten Haus geblieben ist
Wenn sie von einer Lawine verschüttet worden ist
Fall in eine Gletscherspalte, aus der es kein Entkommen gibt
Versinken im Meer vor den Augen anderer
Geständnis eines Mörders, die Leiche beseitigt zu haben
27. 27 ANFANG UND ENDE DER PERSÖNLICHKEIT (3) Verschollenenerklärung (ZGB 35-38): Dabei handelt es sich um Fälle in denen die Person seit längerem nachrichtenlos abwesend ist oder wenn sie in hoher Todesgefahr verschwunden ist. Bei der Verschollenenerklärung wird nur hohe Wahrscheinlichkeit des Todes vorausgesetzt.
Beispiel für Verschwinden in hoher Todesgefahr: Keine Rückkehr von einer Schiffsreise.
Das Gesuch um Verschollenerklärung kann im Falle des Verschwindens in hoher Lebensgefahr frühestens 1 Jahr nach dem Vorfall.
Im Fall der nachrichtenlosen Abwesenheit frühestens nach 5 Jahren seit der letzten Nachricht eingereicht werden (ZGB 36 I).
Wenn der Verschollene nach erfolgter Verschollenenerklärung wieder auftaucht, muss diese vom Gericht wieder rückgängig gemacht werden (erbrechtliche Folgen ZGB 547; Ehe lebt nicht wieder auf ZGB 38 III).
28. 28 VERWANDTSCHAFT Verwandtschaftsgrade und -linien
„Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sich vermittelnden Geburten“ (ZGB 20 I). Dies hat zur Folge, dass Eltern und Kind im ersten Grade, Geschwister im zweiten Grade, Onkel und Nichte im dritten Grade und Cousins im vierten Grade verwandt sind.
Von Verwandtschaft in gerader Linie spricht man, wenn von zwei Personen die eine von der anderen abstammt. Wenn zwei Personen von derselben Drittperson abstammt, so spricht man von Verwandtschaft in der Seitenlinie, sofern sie nicht unter sich in gerader Linie verwandt sind (ZGB 20 II).
Voll- und halbbürtige Verwandte; Stiefverwandtschaft
Die zwei Ehepaare (A-B und C-D) lassen sich scheiden oder je ein Ehegatte stirbt. B und C heiraten und haben gemeinsame Kinder (F und G).
F und G sind vollbürtige Geschwister
E und F sind halbbürtige Geschwister (Halbgeschwister, ZGB 95 I 1)
E und H sind stiefverwandt, d.h. nicht im Rechtssinne verwandt
29. 29 HEIMAT UND WOHNSITZ Heimat
Die Heimat einer Person bestimmt sich nach ihrem Bürgerrecht (ZGB 22 I)
Die Heimat ist heute im Personenrecht nur noch zivilstandsregisterrechtlich von Bedeutung (ZGB 39 II 4 und 5).
Bei der Entmündigung besteht eine subsidiäre Anknüpfung an den Heimatort (ZGB 376 II).
Wohnsitz
„Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält“ (ZGB 23 I).
1. Begriffselement - Aufenthalt: Der Aufenthalt ist zu bejahen, wenn eine Person am betreffenden Ort bewohnbare Räume benützt (BGE 96 I 145 ff. E. 4c)
2. Begriffselement - Absicht dauernden Verbleibens: Damit sollen bloss vorübergehende Aufenthaltorte wie z.B. Ferienorte ausgeschlossen werden. Nach BGE 97 II 3 ff. E. 3 und 4 ist trotz des Wortlautes „Absicht“ nicht auf den „inneren Willen“ der betreffenden Person abzustellen, sondern, „auf welche Absicht die erkennbaren Umstände objektiv schliessen lassen“. Falls mehrere solche Orte bestehen, ist der Ort der intensivsten Beziehung massgebend. Der Wohnsitz ist demzufolge der Ort, der die Person zum Mittel- oder Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen gemacht hat und zwar massgebend nach seinem äusseren Verhalten (regelmässige Gebrauch der Räumlichkeiten zur Verbringung des Privatlebens)
Für die Bestimmung des Wohnsitzes ist die Dauer des Aufenthaltes nicht massgebend – ebenso wenig die Hinterlegung von Ausweisschriften bei der Einwohnerkontrolle. Hat eine Person innerhalb von drei Jahren am selben Ort für kurze Zeit zweimal eine Wohnung gemietet, so genügt dies, da sich die psychisch erkrankte Person ansonsten in Kliniken und Wohnheimen aufhielt (Entscheid des Departements des Innern des Kantons St. Gallen, 25.5.2009, in: ZVW 2009 283 ff.).
30. 30 NAMENSRECHT (1) Begriff und Wesen
Der Name ist Mittel zur Unterscheidung von anderen Menschen und dient der Individualisierung der einzelnen Personen (BGE 108 II 162).
Es handelt sich beim Namensschutz um einen besonderen Anwendungsfall des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes.
Namensarten
Bürgerlicher oder ziviler Name: Jedermann besitzt mindestens einen Vornamen und einen Familiennamen. Die Vornamenzahl ist gesetzlich nicht begrenzt. Adelstitel bilden gemäss schweizerischer Rechtsauffassung keinen Namensbestandteil.
Pseudonym: Künstler- und Schriftstellernamen gelten nicht als amtliche Namen.
Erwerb des bürgerlichen oder zivilen Namens
Familienname:
Dieser wird durch Abstammung (ausnahmsweise durch behördlichen Akt, z.B. Findelkind) erworben. Das Kind verheirateter Eltern erhält den gemeinsamen Familienname (ZGB 160 I oder ZGB 30 II); den Namen der Mutter erhält das Kind unverheirateter Eltern (ZGB 270 I, II). Falls die Eltern nachträglich heiraten, erhält das Kind im nachhinein den gemeinsamen Familiennamen (ZGB 259 I).
Vorname:
Dieser wird vom Ehepaar gemeinsam bestimmt (ZGB 301 IV). Bei unverheirateten Eltern kann die Mutter den Vornamen bestimmen (ZStV 69 I). Bei einer fragwürdigen Vornamewahl kann der Zivilstandsbeamte diesen nur zurückweisen, „wenn sie die Interessen des Kindes offensichtlich verletzen“ (ZStV 69 IIbis).
31. 31 NAMENSRECHT (2) Änderung des bürgerlichen oder zivilen Namens von Gesetzes wegen
Grundsatz der Unabänderlichkeit des Namens (Rechts- und Verkehrssicherheit)
Heirat:
Die Ehefrau erhält durch die Eheschliessung von Gesetzes wegen grundsätzlich den Familiennamen des Ehemannes (ZGB 160 Abs. 1).
Der „Allianzname“ setzt sich aus dem Namen des Ehemannes und dem Namen der Ehefrau vor der Heirat zusammen (der Name des Ehemannes wird vorangestellt und zwischen die beiden Namen ein Bindestrich gesetzt)
Die Braut kann gegenüber dem Zivilstandsbeamten erklären, dass sie ihren bisherigen Namen dem Familiennamen voranstellen will (ZGB 160 Abs. 2), dabei handelt es sich um die Führung eines Doppelnamens (ohne Bindestrich)
Scheidung: Nach ZGB 119 Abs. 1 kann beantragt werden, dass die Person wieder den angestammten Namen oder den Namen, den er vor der Heirat trug, führen will.
Kindesrecht: Die Ehescheidung der Eltern bewirkt keine Namensänderung ihrer Kinder
Adoptionsrecht: Das Adoptivkind erhält den Familiennamen der Adoptiveltern oder des Adoptivelternteils (ZGB 267 Abs. 1).
32. 32 NAMENSRECHT (3) Änderung des bürgerlichen oder zivilen Namens durch behördlichen Akt
Wenn wichtige Gründe (Anwendungsfall von ZGB 4) vorliegen, kann die Regierung des Wohnsitzkantons die Änderung des Namens bewilligen (ZGB 30 I). Es muss nach „Recht und Billigkeit“ entschieden werden, ob wichtige Gründe gegeben sind, d.h. der Richter hat alle objektiv relevanten Umstände des Einzelfalles zu würdigen.
Lächerlicher oder anstössiger Name: In BGE 98 Ia 455 ff. wurde eine Namensänderung bejaht. Dabei ging es um den Namen „Amherd“. Nachdem die Träger des Namens ins französischsprachige Sprachgebiet umzogen, wo der Name als „ah! Merde!“ ausgesprochen wurde, konnte eine Namensänderung in „Amherdt“ gutgeheissen werden.
Fremdländischer Name: Die Praxis ist eher zurückhaltend bei der Änderung fremdländischer Namen, gestattet sind Modifikationen in der Schreibweise aber nicht die Umänderung in einen gebräuchlichen einheimischen Namen.
Kinder: Die Grundtendenz liegt darin, dass das Kind den Namen derjenigen Person erhalten soll, unter deren Obhut es steht (vgl. ZGB 271 III). Es erwachsen dem Kind kaum mehr soziale Nachteile, wenn solche Familienverhältnisse aufgrund des Namens erkennbar sind.
Religionswechsel: Auch ein Religionswechsel kann ein wichtiger Grund gemäss ZGB 30 I sein, wobei es sich v.a. um den Vornamen handelt.
Wenn achtenswerte Gründe vorliegen, kann das Gesuch der Brautleute, von der Trauung an den Namen der Ehefrau als Familiennamen zu führen, bewilligt werden (ZGB 30 II).
Wenn jemand durch die Namensänderung verletzt wird, kann diese angefochten werden (ZGB 30 III, vgl. BGE 129 III 369: Zulässigkeit der Berufung (E. 1); Tragweite des Schutzes eines seltenen Familiennamens (Präzisierung der Rechtsprechung); Berücksichtigung des Zeitablaufs zwischen der Bewilligung der Namensänderung und der Anhebung der Anfechtungsklage bei der Interessenabwägung (E. 3)).
33. 33 NAMENSRECHT (4) Schutz des bürgerlichen oder zivilen Namens (ZGB 29 f.)
Geschützt werden der Familienname, der Vorname, aber auch das Pseudonym. Das Pseudonym aber nur unter der Voraussetzung, dass es eine gewisse Originalität und Bekanntheit hat, die Person also genügend individualisiert (vgl. BGE 92 II 305).
Feststellungsklage (ZGB 29 I): Wenn jemand die Führung seines Namens bestreitet, so kann er auf Feststellung seines Rechts klagen.
Unterlassungsklage (ZGB 29 II): Wenn jemand dadurch beeinträchtigt wird, dass ein anderer sich seinen Namen anmasst, so hat er die Möglichkeit einer Unterlassungsklage. In der Praxis werden meist Namensanmassungen im Geschäftsverkehr eingeklagt. Damit sich jemand gegen eine Namensanmassung wehren kann, muss er in seinen schützenswerten Interessen verletzt werden (vermögensrechtliche, aber auch ideelle Interessen).
Ein ideelles Interesse kann bejaht werden, wenn jemand durch die Verwendung seines Namens in eine gar nicht vorhandene Beziehung zu Personen oder Sachen gebracht wird, die er ablehnt. Dazu ein Beispiel: „Robert David Abraham führte an, dass er in seinen ideellen Interessen verletzt sei, als er einen Antiquitätenladen „Abraham“ wegen Namensanmassung einklagte. Das BGer jedoch entschied, der Name Abraham sei Gemeingut, weshalb der Kläger kein Ausschliesslichkeitsrecht beanspruchen könne. Der weltweite Gebrauch dieses Namens lasse zwischen dem Laden und dem Kläger überhaupt keine Beziehung entstehen (BGE 102 II 305).
34. 34 VORLESUNGSPROGRAMM 4. & 5. Doppelstunde, Donnerstag, 14.10.2010/21.10.2010
Thema: SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT
Schutz der Persönlichkeit (ZGB 27 ff.); Abgrenzung von ZGB 27 und 28 ff.; Tragweite ZGB 28 ff. (Schutz der Persönlichkeit gegen Verletzungen im Allgemeinen, insbesondere ZGB 28b (in Kraft: 1.Juli 2007) als Schutz gegen Gewalt, Drohungen und Nachstellungen), sowie der spezifisch medienrechtlichen Einzelfragen.
Pflichtlektüre (alternativ):
RIEMER §§ 13, TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO § 11; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER §§ 11-15; HÜRLIMANN- KAUP/SCHMID § 17-18; entsprechende Auszüge aus dem CHK.
Ergänzende Literatur:
JURIUS, SMS-Spamming untersagt, in: Jusletter 10. März 2003 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
Problem des „stalking“ durch Journalisten: NZZ 24.3.2005 Nr. 70 S. 71
AEBI-MÜLLER, Widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung durch die Presse, in: Jusletter 20. November 2000 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
BÜCHLER, Persönlichkeitsgüter als Vertragsgegenstand?, Von der Macht des Faktischen und der dogmatischen Ordnung, in: FS Rey, Zürich 2003, 177-195
RIEMER, Gegendarstellungsrecht (Art. 28g-28l ZGB), in: recht 2004 114-118
STUDER, Satire darf nicht alles, aber vieles, in: Jusletter 25. März 2002 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
WEBER, «Vom Bild ohne Geld», in: Jusletter 23. Februar 2005 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
35. 35 VORLESUNGSPROGRAMM Materialien:
Parlamentarische Initiative: Schutz vor Gewalt im Familienkreis und in der Partnerschaft, Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 18. August 2005; Stellungnahme des Bundesrates vom 9. November 2005
Eidg. Datenschutzbeauftragter, Leitfaden über Internet- und E-Mail-Überwachung am Arbeitsplatz;
DERS., Leitfaden über die Bearbeitung von Personendaten im Arbeitsbereich; Merkblatt über die Videoüberwachung durch private Personen; Erläuterungen zur Telefonüberwachung am Arbeitsplatz;
Rechtsprechung:
BGE 135 III 145: Persönlichkeitsverletzung durch Darstellungen in einem Roman (ZGB 28, 28a).
BGE 135 I 169: Schutz der Privatsphäre, Observation versicherter Personen durch von der Unfallversicherung beauftragte Privatdetektive ist erlaubt (E. 4 und 5). Dazu JURIUS, in: Jusletter 22. Juni 2009.
BVerwGer A-8028/2008: Das Anbieten von persönlichen Daten von Stellenbewerbern im Sinne eines „Mitarbeiter-Checks“ stellt eine Persönlichkeitsverletzung dar und ist deshalb verboten. Dazu JURIUS, in: Jusletter 26. Januar 2009.
BGE 133 III 153: ZGB 28a III; Gewinnherausgabe. Der Anspruch auf Gewinnherausgabe setzt keine eigentliche Geschäftsanmassung voraus (E. 2.4). Er kann zum Schadenersatzanspruch hinzutreten (E. 2.5). Zu beweisen sind Persönlichkeitsverletzung, Gewinn und Kausalzusammenhang; wo kein strikter Beweis möglich ist, genügt überwiegende Wahrscheinlichkeit (E. 3.3). Kriterien für die Gewinnermittlung bei der Berichterstattung durch Printmedien (E. 3.4-3.6).
BGE 130 III 1: ZGB 28g ff.; Recht auf Gegendarstellung. Welche Tatsachen dargestellt werden und insoweit zur Gegendarstellung berechtigen, kann eine Frage der Auslegung des Textes unter Berücksichtigung des Kontextes und der Aufmachung des Artikels (Titel, Bilder usw.) sein (E. 2). Der Richter kann die Gegendarstellung kürzen, wenn der geänderte Text inhaltlich gegenüber dem ursprünglichen Text ein Minus darstellt und der gegendarstellungsfähige Inhalt nicht bloss einen nebensächlichen Aspekt der vom Medienunternehmen abgelehnten Gegendarstellung bedeutet (E. 3). Eine andere Form der Gegendarstellung als jene des schriftlichen Textes kommt nur in Frage, wenn dies für die Gegendarstellung unerlässlich ist. Im konkreten Fall wird die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Bildentgegnung verneint (E. 4).
BGE 129 III 529: ZGB 28; Persönlichkeitsverletzung durch Gerichtsberichterstattung. Die Gerichtsberichterstattung dient der mittelbaren Gerichtsöffentlichkeit. Sie liegt für Urteile aller Instanzen im öffentlichen Interesse. Dem Informationsinteresse der Allgemeinheit steht das Schutzinteresse der Prozessbeteiligten gegenüber. Namentlich im Strafprozess erfolgt die Berichterstattung deshalb normalerweise in anonymisierter Form (E. 3.2). Vorliegend war die unter Namensnennung und in eigener Sache erfolgte Berichterstattung des Tages-Anzeigers über den Ausgang eines erstinstanzlichen Verfahrens wegen Persönlichkeitsverletzung zulässig (E. 4).
36. 36 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (1) Allgemeines
Bei den Persönlichkeitsrechten handelt es sich um subjektiven Rechte. Dabei handelt es sich um individuelle Rechte, die einer einzelnen Person zustehen. Diese können unterteilt werden in:
Absolute Rechte: Rechte, die sich gegen jedermann richten und auch von jedermann zu respektieren sind, wie Persönlichkeitsrechte, Immaterialgüterrechte etc.
Relative Rechte: Rechte, die sich nur gegen eine bestimmte Person richten und nur von dieser zu beachten sind, z.B. Vertragsverhältnisse.
Schutz vor übermässiger Bindung (ZGB 27)
„Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten (ZGB 27 I). Niemand kann sich seiner Freiheit entäussern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder sie Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken (ZGB 27 II).“
Diese Bestimmung schützt die Person vor sich selbst.
Ob eine vertragliche Bindung einer Person übermässig ist, muss aufgrund der konkreten Umstände im Einzelfall entschieden werden.
Schranken des Rechts nach ZGB 27 II sind z.B. folgende objektive Normen:
ZGB 70 II: Niemand kann sich verpflichten, während unbegrenzter oder auch längerer Zeit einem Verein anzugehören. Unter gewissen Umständen wird in diesem Zusammenhang sogar ein Austrittsrecht bejaht, dass über ZGB 70 II hinausgeht. Die Rede ist von dem direkt aus ZGB 27 II abgeleiteten fristlosen Austritt.
ZGB 90 III
ZGB 303 III
OR 340, 340a
37. 37 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (2) Schutz vor übermässiger Bindung (ZGB 27) (Fortsetzung)
Schranken des Rechts nach ZGB 27 II ergeben sich auch aus ungeschriebenem Recht:
Auch die Sittlichkeit, nicht nur das Recht, setzen der Selbstbindung Schranken. Im Privatrecht wird unter Sittlichkeit die in der Schweiz herrschenden Moralvorstellungen verstanden. Dies hat zur Folge, dass z.B. ein Rechtsgeschäft auch dann verboten ist, wenn es zwar nicht gegen eine objektive Norm, aber gegen die herrschenden Moralanschauungen verstösst.
Unterwerfungs- oder Knebelungsverträge sind verboten
Im wirtschaftlich-beruflichen Bereich lässt sich nicht generell umschreiben, wo die Grenzen der übermässig vertraglichen Bindung liegt, dies wird durch die BGer-Praxis festgelegt:
Banken vergeben Darlehen und lassen sich als Sicherheit häufig Forderungsrechte, die dem Schuldner zustehen, abtreten. Dies ist zulässig, ausser es würden alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungsrechte des Schuldners abgetreten (vgl. BGE 84 II 355).
Grundsätzlich unzulässig sind ewige Leistungsverpflichtungen. Hingegen zulässig ist eine zwanzig Jahre dauernde, in dieser Zeit unkündbare Bierlieferungsverpflichtung (BGE 114 II 159).
Die Pflicht zum Kauf von Wein im Rahmen eines Mietvertrages über ein Restaurant ist kein „Knebelungsvertrag“ (BGer 4C.255/2004 vom 17.11.2004).
Unsittlich nach ZGB 27 II ist auch ein Berufsverbot von 2 Jahren im Fall des Berufsfussballspielers Perroud. Die Regelung lautete, dass ein Spieler nur mit einer Austrittsbescheinigung seines Clubs in einen anderen Club der Fussball-Nationalliga übertreten kann. Nachdem ihm der Vertrag gekündigt wurde, erhielt er keine Austrittsbescheinigung und blieb 2 Jahre von der Nationalliga ausgeschlossen und war für diese Zeit ohne Einkommen (BGE 102 II 211).
Im nichtwirtschaftlichen Bereich sind die Schranken noch enger zu ziehen:
Niemand kann gezwungen werden, mit jemandem eine Ehe einzugehen oder nicht einzugehen (BGE 44 II 81 f.).
Grundsätzlich zulässig sind Verpflichtungen über den eigenen Körper, Verträge über Operationen oder über Organtransplantationen, sofern sie jederzeit auflösbar sind (vgl. BGE 108 II 59).
38. 38 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (3) Rechtsfolgen übermässiger Selbstbindung
Grundsätzlich führt nach älterer Rechtsprechung des BGer eine übermässige Bindung zur Nichtigkeit der entsprechenden Verpflichtung (vgl. BGE 105 II 211 E.6).
Die jüngere Praxis tendiert zu einer Teilnichtigkeit nach OR 20 II, d.h. es erfolgt eine Reduktion des Übermasses auf ein zulässiges Mass. Möglich ist:
Dauer wird auf ein tragbares Mass reduziert (vgl. Bierlieferungsverpflichtung)
Kündigungsrecht wird eingeräumt, nachdem die Vertragsdauer reduziert wurde
39. 39 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (4) Schutz vor Verletzung durch Dritte (ZGB 28 ff.)
ZGB 28 ff. regelt Verletzungen der Persönlichkeit, die gegen den Willen des Trägers erfolgen (Vergleich dazu: ZGB 27 regelt die Verletzung von Persönlichkeitsrechten, die im Einverständnis mit dem Träger erfolgt).
Voraussetzungen bei Klagen gemäss ZGB 28a
Verletzung der Persönlichkeit (Gesetz umschreibt nicht, was als Persönlichkeitsverletzung zu verstehen ist, die Lehre und Rechtsprechung präzisiert die Fallgruppen)
Verletzung der physischen Integrität bzw. der körperlichen Unversehrtheit
Verletzung der psychischen Integrität (in Angst und Schrecken versetzen) einschliesslich Pietätsgefühle gegenüber Verstorbenen
Verletzung des Rechts auf Freiheit
Verletzung der Ehre (zivilrechtlicher Ehrschutz weiter als strafrechtlicher)
Beeinträchtigung des Privatlebens (Sphärentheorie, BGE 97 II 97, E. 3)
Intim- bzw. Geheimsphäre: Persönliche Angelegenheiten, die Dritten nicht zugänglich gemacht werden sollen (Krankheit, Sexualleben).
Privatsphäre: Lebensvorgänge, die nur einem begrenzten Kreis von Personen zugänglich gemacht werden (engstes Umfeld).
Gemeinsphäre: Tatsachen, die jedem zugänglich sind und auch sein sollen.
ZGB 28 schützt nur die Privat- und Geheimsphäre.
Beeinträchtigung der Persönlichkeit im Wirtschaftsleben (Teilnahme am Wettbewerb)
Recht am eigenen Bild (Ausnahmen möglich bei Personen, die in der Öffentlichkeit stehen)
Organspenden
Fortpflanzungsmedizin, Gentechnologie, Transplantationsmedizin
40. 40 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (5) Voraussetzungen bei Klagen gemäss ZGB 28a (Fortsetzung)
Widerrechtlichkeit
Eine Persönlichkeitsverletzung ist nur dann als widerrechtlich zu betrachten, wenn nicht ein Grund vorliegt, der die Widerrechtlichkeit ausschliesst.
Die Widerrechtlichkeit kann ausgeschlossen werden durch:
Einwilligung des Verletzten (kann vorgängig, nachträglich, ausdrücklich oder konkludent erfolgen)
Gesetzliche Rechtfertigungsgründe (OR 52, 314a, 397a)
Angemessene Wahrung höherer Interessen (z.B. Privatleben Politiker kann von öffentlichem Interesse sein, wenn ein Zusammenhang mit dem öffentlichen Amt besteht, Pressefreiheit BV 17, vgl. BGE 126 III 305)
Die Rechtfertigung durch Einwilligung ist auch stillschweigend möglich.
Ein Sonderfall besteht bei Operationen; dabei ist zu berücksichtigen, dass eine hinreichende Aufklärung des Patienten vor dem Eingriff stattgefunden haben muss. Falls dies nicht möglich ist (wegen Bewusstlosigkeit), gilt der mutmassliche Wille des Betroffenen.
41. 41 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (6) Rechtsschutz bei Klagen gemäss ZGB 28a
Unterlassungsklage (ZGB 28a I 1):
Mit der Unterlassungsklage kann der Beklagte gezwungen werden, von der Persönlichkeitsverletzung abzusehen.
Voraussetzungen:
Wenn Verletzung bevorsteht oder Wiederholungsgefahr besteht.
Wenn ein schutzwürdiges Interesse besteht.
Beseitigungsklage (ZGB 28a I 2):
Die Klage auf Beseitigung des betreffenden persönlichkeitsverletzenden Mittels kann unter folgenden Voraussetzungen erhoben werden:
Die Persönlichkeitsverletzung dauert noch an.
Die Verletzung kann behoben werden.
Feststellungsklage (ZGB 28a I 3):
Die Feststellungsklage enthält auch Elemente der Beseitigungsklage: das zugefügte Unrecht wird beseitigt, indem das Gericht feststellt, es sei Unrecht begangen worden.
Nur zulässig, wenn keine andere Klage möglich ist (Subsidiarität).
42. 42 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (7) Rechtsschutz bei Klagen gemäss ZGB 28a (Fortsetzung)
Berichtigung und Urteilspublikation (ZGB 28a II):
Hierbei handelt es sich nicht um selbständige Rechtsbehelfe. Sie gelangen nur mit den drei oben genannten Rechtsschutzbehelfe zur Anwendung.
Die beklagte Partei muss eine Berichtigung vornehmen oder das Urteil auf ihre Kosten publizieren.
Dazu kann folgendes Urteil als Beispiel aufgeführt werden: BGE 95 II 481 (Ehrverletzung durch die Presse, „Club Medityrannis“)
Beseitigung der Störung durch gerichtliche Feststellung der Widerrechtlichkeit und angemessene Veröffentlichung des Urteils (E. 9, 10): Bei ehrverletzenden Pressepublikationen kann die beklagte Zeitung verpflichtet werden, die Urteile betreffend der ehrverletzenden Publikation ebenfalls zu publizieren.
Der allgemeine Schutz der Persönlichkeit (ZGB 27, 28) kommt grundsätzlich auch den juristischen Personen zu (E. 4)
Begriff der Namensanmassung (ZGB 29 II; E. 3)
Vermögensrechtliche Klagen gemäss ZGB 28a III:
Schadenersatzklage (allgemeine Verschuldenshaftung des Haftpflichtrechts, OR 41 ff.)
Genugtuungsklage (OR 49)
Klage auf Gewinnherausgabe (OR 423)
43. 43 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (8) Vorsorgliche Massnahmen und Gerichtsstand (aZGB 28c-f)
Die Verfahrensfragen über den Gerichtsstand sowie die vorsorglichen Massnahmen werden per 1.1.2011 durch die ZPO geregelt.
Gerichtsstand: ZPO 20
Vorsorgliche Massnahmen: ZPO 261 ff (insbesondere ZGB 266 bezüglich Massnahmen gegen Medien)
Voraussetzungen ZPO 261 I: Das Gericht trifft die vorsorglichen Massnahmen, wenn die gesuchstellende Partei glaubhaft macht, dass:
ein ihr zustehender Anspruch verletzt ist oder eine Verletzung zu befürchten ist; und (ZPO 261 I a)
ihr aus der Verletzung ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht (ZPO 261 I b).
Rechtsschutz bei häuslicher Gewalt und „Stalking“ (ZGB 28b, in Kraft seit 1.7.2007)
Beim „Stalking“ handelt es sich um „das Ausspionieren, fortwährende Aufsuchen physischer Nähe (Verfolgen), Belästigen und Bedrohen eines anderen Menschen“ (BGE 129 IV E 2.3).
Bei häuslicher Gewalt und beim Stalking könnte auch ZGB 28a und ZGB 28c in Betracht kommen. Da der Rechtsweg aber langwierig wäre, wird davon abgesehen.
Für die Anwendung von ZGB 28b genügt jede ernsthafte Bedrohung.
Einzelne Schutzmassnahmen:
Annäherungsverbot (ZGB 28b I 1)
Ortsverbot (ZGB 28b I 2)
Kontaktverbot (ZGB 28b I 3)
Wohnungsausweisung (ZGB 28b II, III)
Kriseninterventionsstelle (ZGB 28b IV)
44. 44 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (9) Gegendarstellungsrecht gemäss ZGB 28g - l
Mit dem Recht auf Gegendarstellung kann sofort reagiert werden, dabei fehlt aber die richterliche Autorität. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die Inanspruchnahme des Gegendarstellungsrechts eine gleichzeitige oder anschliessende Erhebung von ordentlichen Klagen nicht ausschliesst.
Voraussetzungen der Gegendarstellung (ZGB 28g I):
Darstellung in periodisch erscheinenden Medien (Presse, Radio, Fernsehen, Internet).
Tatsachendarstellung bzw. Tatsachenbehauptung (auf Meinungsäusserungen oder Werturteile kann nicht mittels Gegendarstellung reagiert werden): Als Tatsache gilt, was durch äussere oder innere Wahrnehmung erfasst und durch Beweis objektiv auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft werden kann.
Eine Person muss durch die Tatsachendarstellung unmittelbar in ihrer Persönlichkeit betroffen sein.
Form und Inhalt der Gegendarstellung (ZGB 28h I):
Text der Gegendarstellung ist in knapper Form zu verfassen.
Text muss sich auf den Gegenstand der beanstandeten Darstellung beschränken.
Verfahren (ZGB 28i):
Der Betroffene muss den Text der Gegendarstellung innert 20 Tagen, nachdem er von der beanstandeten Tatsachendarstellung Kenntnis erhalten hat, spätestens jedoch 3 Monate nach deren Verbreitung, an da Medienunternehmen absenden (Verwirkungsfrist).
Medienunternehmen hat unverzüglich zu reagieren, evt. durch Nennung des Veröffentlichungsdatums oder mit Begründung, warum es die Veröffentlichung der Gegendarstellung verweigert.
45. 45 SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT (10) Gegendarstellungsrecht gemäss ZGB 28g – l (Fortsetzung)
Rechtsprechung zum Gegendarstellungsrecht (Auswahl)
Fotografie kann auch Tatsachendarstellung sein (Fotomontage wird veröffentlicht, auf die mit der richtigen Fotografie reagiert wird).
In der Gegendarstellung darf nicht auf andere Themen abgeschweift werden.
Die Gegendarstellung muss grds. in der gleichen Rubrik wie die ursprüngliche Darstellung erscheinen (Waffengleichheit).
Zeitung darf der Gegendarstellung eine Bemerkung beifügen, wo sie erklärt, dass offen bleibe, welche Version die richtige sei.
Schutz bei Datenbearbeitung
Durch die Bearbeitung von Personendaten wurden die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen tangiert.
Die Gerichte begegneten diesem Problem damit, dass sie die Rechtsprechung zu ZGB 28 ff. weiterentwickelten und der Bund erliess das Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG), sowie die Verordnung zum Bundesgesetz über den Datenschutz (VDSG). Zu beachten ist auch BV 13 (Schutz der Privatsphäre).
DSG 12 ff. regeln die Persönlichkeitsverletzungen sowie die Rechtfertigungsgründe.
46. 46 VORLESUNGSPROGRAMM 6. & 7. Doppelstunde, Donnerstag, 28.10.2010/4.11.2010
Thema: JURISTISCHE PERSONEN, VEREINSRECHT UND STIFTUNGSRECHT
Wesen, gesellschaftliche Querbezüge; Rekapitulation personenrechtlicher Grundfragen bezogen auf juristische Personen; Entstehung; Rechts- und Handlungsfähigkeit; Sitz, Ende
Pflichtlektüre (alternativ):
RIEMER §§ 14-36, schwerpunktmässig §§ 14, 15, 19, 21, zum Verein §§ 22-24, 26, 27, zur Stiftung §§ 29, 30; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO § 14-17; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER §§ 17-19; HÜRLIMANN- KAUP/SCHMID § 19-21; entsprechende Auszüge aus dem CHK.
Ergänzende Literatur:
BADDELEY, Gesellschaftsformen für Sportvereinigungen, in: Jusletter 10. November 2003 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
SCHERRER, Entschärfung einer vereinsrechtlichen Falle, in: Jusletter 26.September 2005 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
JÄGGI, Unter welchen Voraussetzungen ist der Ausschluss eines Mitgliedes aus einer politischen Partei zulässig?, in: Jusletter 30. Juni 2008 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
WIDMER, Die „richtige“ Rechtsform für Sportvereine und Sportverbände in: ius.full 2009, 194 f.
FELBER, Unternehmensstiftungen bleiben zulässig, in: Jusletter 23. Juli 2001 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
MADÖRIN, Stiftungen mit wirtschaftlichem Zweck verbieten?, in: Jusletter 17. Dezember 2001 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
VEZ, lacunes et droit désirable. Une analyse critique et systématique des articles 80 à 89 CC, thèse Fribourg, Berne 2004;
JURIUS, Stiftungsrecht wird liberalisiert, in: Jusletter 29. August 2005 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
SPRECHER, Die Verbrauchsstiftung und andere Möglichkeiten der Stiftungsgestaltung, in: Jusletter 31. Mai 2010 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
AEBI-MÜLLER/EICKER/VERDE, Verfolgung von Versicherungsmissbrauch mittels Observation – Grenzen aus Sicht des Privat-, des öffentlichen und des Strafrechts, in: Jusletter 3. Mai 2010 (abrufbar unter: www.weblaw.ch)
47. 47 VORLESUNGSPROGRAMM Rechtsprechung:
BGE 135 III 489: Anfechtung von Vereinsbeschlüssen (ZGB 75); Zusätzlich zur Ausschliessung aus dem Verein sind gem. Lehre und Rspr. auch Beschlüsse über Verbandsstrafen - wie z.B. die Verweigerung von Eintragungen in das Hundestammbuch – anfechtbar nach ZGB 75.
BGE 133 III 167: Familienstiftungen (ZGB 335); Begrenzung des Kreises der Begünstigten. Die 1922 gegründete Stiftung schliesst Frauen aus dem Kreis ihrer Begünstigten aus, sobald sie heiraten und den Namen ändern. Muss angesichts der nachfolgenden Entwicklung des Eherechts und der Verankerung des Prinzips der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in der Schweizerischen Bundesverfassung (BV 8) der Zweck dieser Stiftung abgeändert werden, weil er sich objektiv gewandelt hat (ZGB 86) oder weil er widerrechtlich oder unsittlich geworden sein soll (ZGB 88 II)? Die Bedingungen einer Abänderung gemäss Art. 86 ZGB sind nicht gegeben mangels einer objektiven Änderung der Bedeutung und der Wirkung des ursprünglichen Zwecks der Stiftung (E. 3). ZGB 335 I ist nicht gemäss dem durch BV 8 garantierten Prinzip der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau auszulegen (E. 4.2). Die beanstandeten Ausschlussklauseln erweisen sich weder als sittenwidrig noch als rechtswidrig; das geltende Recht verleiht dem Stifter wie dem Erblasser die Freiheit, den Kreis der Destinatäre auf eine bestimmte Gruppe der Familienmitglieder einzuschränken (E. 4.3).
48. 48 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (1) Grundlagen
Die juristische Person ist eine Erfindung des Rechts, damit eine Gruppe von Personen (die im Geschäftsverkehr gemeinsam auftreten) rechtlich als Einheit behandelt werden können.
Gründe, aus denen es zur Gründung juristischer Personen kommt:
Schaffung eines besonderen Haftungssubstrats
Beschränkung der Haftung des einzelnen Beteiligten
Bedürfnis nach Anonymität
Im ZGB herrscht ein sog. Typenzwang, d.h. den Rechtsunterworfenen steht nur eine geschlossene Anzahl von juristischen Personen zur Verfügung, welche auch nicht beliebig individuell ausgestaltet werden können. Ebenfalls besteht eine Formenfixierung, d.h. die zur Verfügung stehenden juristischen Personen dürfen auch nicht miteinander vermischt oder kombiniert werden.
Missbrauch der juristischen Person (sog. Durchgriff):
Wenn die juristische Person nur vorgeschoben wird und daher missbraucht wird (finanzielle Vorteile), dann findet dieses Vorgehen keinen Schutz und fällt unter ZGB 2. In diesem Fall wird durch „den Schleier der juristischen Person hindurch“ auf die dahinter stehende natürlich oder juristische Person zugegriffen (vgl. aktienrechtlicher Durchgriff, BGE 4C.327/2005).
Die Praxis ist bei der Anwendung aber sehr zurückhaltend.
Gesetzlich vorgesehen ist der Durchgriff z.B. in StGB 29.
49. 49 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (2) Erscheinungsformen
Die juristischen Personen können unterteilt werden in:
Juristische Personen des Privatrechts
Juristische Personen des öffentlichen Rechts des Bundes, der Kantone und der Gemeinden: ZGB 59 I sieht vor, dass grundsätzlich auf öffentlich-rechtliche juristische Personen das öffentliche Recht anwendbar ist. Ausnahmen bestehen bei den Persönlichkeitsrechten, im Benutzungsverhältnis und dem Haftpflichtrecht.
Die juristischen Personen des Bundesrechts und des kantonalen Rechts:
Bundesrecht: Beispiele sind die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA).
Kantonales Recht: Beispiele sind der Kanton Zürich und die Zürcher Kantonalbank.
Kantonales Privatrecht: ZGB 59 III sieht vor, dass Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften unter den Bestimmungen des kantonalen Rechts verbleiben. Beispiele sind Wald-, Flur-, und Brunnengenossenschaften. Auf die genannten Genossenschaften ist das kantonale Privatrecht gemäss EG ZGB anwendbar, wobei das Bundesprivatrecht subsidiäre Geltung hat.
Körperschaften und Anstalten: Es gibt juristische Personen, die auf einem Zusammenschluss von Personen beruhen und andere, deren Grundlage ein Vermögen ist.
Körperschaften: Hierbei handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Personen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes (Vereine und alle juristischen Personen des OR). Die Mitglieder der Körperschaft bilden deren Willen.
Anstalten: Als Anstalten kommen nur Stiftungen in Frage. Die Grundlage der Stiftung ist das Vermögen. Bei der Stiftungsgründung bestimmt der Stifter, für welchen Zweck das von ihm zur Verfügung gestellte Vermögen zu dienen hat. Bei der Stiftung gibt es keine Mitglieder, die Beteiligten haben nur den Stiftungswillen zu vollziehen.
50. 50 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (3) Erscheinungsformen (Fortsetzung)
Körperschaften und Gesellschaften; Verbände:
Körperschaft und Gesellschaften: Die Gesellschaften umfassen die Körperschaften (ZGB 60-79, OR 620-920) sowie die Rechtsgemeinschaften (OR 530-619).
Verband: Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Vereinen oder Genossenschaften.
Juristische Personen mit kirchlichem und weltlichem Zweck:
Im öffentlichen Recht: Juristische Personen mit weltlichem Zweck sind z.B. politische Gemeinden oder Schulgemeinden. Diejenigen mit kirchlichem Zweck (ZGB 59 I) sind v.a. Kirchgemeinden.
Im Privatrecht: Die Unterscheidung spielt nur bei Stiftungen eine Rolle. Im Steuerrecht werden diese beiden Zwecke unterschiedlich behandelt.
Juristische Personen mit wirtschaftlichem und nichtwirtschaftlichem Zweck:
Wirtschaftlicher Zweck: Das Ziel ist die Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils (Geld oder Natura) zugunsten der Mitglieder. Die Aktiengesellschaft strebt danach, Gewinn zu erzielen, und diesen dann in Form von Dividenden an die Aktionäre verteilen zu können. Die Wohnbaugenossenschaft stellt ihren Mitgliedern möglichst günstig Wohnraum zur Verfügung.
Ideeller Zweck: Das Ziel ist nicht die Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils. Dabei handelt es sich z.B. um Wohltätigkeitsvereine, die beabsichtigen, Geld an bedürftige Dritte zu erbringen.
51. 51 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (4) Errichtung der juristischen Person
Materielle Voraussetzungen:
Errichtungswille: Nur bei Vereinen hat der Errichtungswille eine praktische Bedeutung, da v.a. sie sich zum Erwerb der Rechtsfähigkeit nichts ins Handelsregister eintragen lassen müssen.
Zweck: Das Erfordernis ist gesetzlich in ZGB 60 II und 80 vorgesehen und darf weder widerrechtlich noch unsittlich sein.
Organisation: Eine Organisation muss feststehen (ZGB 64-69, 83).
Vermögen: Bei Vereinen und Genossenschaften ist ein Vermögen nicht vorgeschrieben. Der Verein gelingt durch Vereinsbeiträge zu Vermögen (ZGB 71).
Kennzeichnung: Name oder Firma (ZGB 53)
Formelle Voraussetzungen:
Erfordernis Errichtungsurkunde: Beim Verein genügt die Schriftlichkeit der Statuten (ZGB 60 II).
Erfordernis Eintragung ins Handelsregister:
Grundsatz: Durch die Eintragung werden die zu errichteten Personen zu eigenen Rechtssubjekten (ZGB 52 I). Die Eintragung hat konstitutiven Charakter und Gründungsmängel können durch den Eintrag geheilt werden.
Ausnahme: Nicht eingetragen werden müssen öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten, die Vereine, die nicht wirtschaftliche Zwecke verfolgen, die kirchlichen Stiftungen und die Familienstiftungen. Eine freiwillige Eintragung hat lediglich deklaratorische Wirkung.
Rechtslage bis zum Entstehen der juristischen Person: Solange die Errichtungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, handelt es sich um eine einfache Gesellschaft (OR 530 ff.).
52. 52 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (5) Rechtsfähigkeit der juristischen Person
Grundsatz:
Es handelt sich um die Fähigkeit, in den Schranken der Rechtsordnung Träger von Rechten und Pflichten zu sein.
Der Umfang der Rechtsfähigkeit nach ZGB 53 ist grundsätzlich gleich gross wie bei den natürlichen Personen.
Ausnahmen:
Es gibt Rechte und Pflichten, die eine juristische Person nicht haben kann, z.B. Rechte und Pflichten aus Geburt, Tod, Ehe, Religion, Geschlecht etc.
Die juristische Person kann nicht Erblasserin sein, aber Erbin.
Zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz:
Die juristischen Personen können den Persönlichkeitsschutz in Anspruch nehmen:
Schutz der Persönlichkeit vor übermässiger Bindung (ZGB 53 i.V.m. 27)
Schutz der Persönlichkeit gegen Verletzungen durch Dritte (ZGB 53 i.V.m. 28 ff.)
Namensschutz (ZGB 53 i.V.m. 29)
Handlungsfähigkeit der juristischen Person
Ausgangspunkt:
„Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind“ (ZGB 54).
Rechte, welche die juristische Person nicht inne haben, können auch nicht durch ihre Organe erworben werden.
Wenn der juristischen Person einzelne Organe fehlen, ist die Rechtsfähigkeit ohne Handlungsfähigkeit möglich. Diese Zwischenphasen können überbrückt werden (vgl. ZGB 69c, 83d).
53. 53 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (6) Handlungsfähigkeit der juristischen Person (Fortsetzung)
Organisation der juristischen Person
Die Organisation bestimmt sich einerseits nach dem Gesetz (ZGB 64-69, 83) und andererseits individuell nach den Stiftungsurkunden bzw. Statuten.
Willenbildungsorgan:
Bei den Stiftungen gibt es kein Willenbildungsorgan, denn die Organe haben lediglich die Aufgabe, den Stifterwillen zu vollziehen.
Bei den Körperschaften wird das Willenbildungsorgan durch die Versammlung der Mitglieder gebildet, d.h. die Versammlung der Mitglieder ist zugleich das oberste Organ der Körperschaft (ZGB 64 f.).
Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan:
Bei allen juristischen Personen ist dieses Organ erforderlich.
Die Geschäftsführung (im engeren Sinne) erfüllt alle internen Aufgaben, während das Exekutivorgan das rechtsgeschäftliche Handeln nach aussen vertritt.
Beim Verein heisst das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan Vorstand (ZGB 69). Wenn der Verein im Handelsregister eingetragen ist, richtet sich die Vertretung nach dem Handelsregistereintrag. Falls kein Eintrag vorhanden ist, geht die Lehre davon aus, dass die Vertretung jedem Vorstandsmitglied zukommt.
Bei der Stiftung wird das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan Stiftungsrat genannt (ZGB 83 f.).
Bei den juristischen Personen des OR heisst dieses Organ Verwaltungsrat (OR 707 ff.), Verwaltung (OR 765 ff., OR 894 ff.)
Kontrollorgan:
Die Aufgabe der Kontrollorgane ist die Kontrolle über das Finanzgebaren der juristischen Person.
Die Bezeichnung der Kontrollorgane: Kontrollstelle, Revisorenstelle, Revisionsstelle (ZGB 69b, 83b, OR 727 ff., 906 ff.)
Weitere Organe:
Ein weiteres gesetzliche Organ sind die Liquidatoren (ZGB 58, OR 739 ff.)
Weitere Organe können gemäss Statuten oder Stiftungsurkunde ernannt werden.
54. 54 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (7) Handlungsfähigkeit der juristischen Person (Fortsetzung)
Vertretungsmacht und Vertretungsbefugnis der Organe:
Die Handlungen der Organe werden unmittelbar der juristischen Person zugerechnet (ZGB 55).
Bei der Vertretungsmacht (rechtliches Können) handelt es sich um die Fähigkeit, die juristische Person aus rechtsgeschäftlichem Handeln berechtigen und verpflichten zu können.
Bei der Vertretungsbefugnis (rechtliches Dürfen) ist die interne Berechtigung zur Vertretung gemeint, z.B. können Beschränkungen mittels Finanzkompetenzen festgelegt werden. Die Überschreitung der Vertretungsbefugnis hat zur Folge, dass der Vertrag extern trotzdem gültig ist und dies kann zu Ansprüchen der juristischen Person gegenüber dem fehlerhaft handelnden Organ führen.
Zivilrechtliche Deliktsfähigkeit:
„Sie (die Organe) verpflichten die juristische Person sowohl durch den Abschluss von Rechtsgeschäften als durch ihr sonstiges Verhalten.“ (ZGB 55 II)
Damit die juristische Person haftet, müssen die Organe in ihrer Eigenschaft als Organ und nicht als Privatperson gehandelt haben. Die juristische Person haftet nicht nur für die gesetzlichen oder statutarischen Organe, sondern für alle Personen, die tatsächlich eine wichtige oder leitende Stellung in der betreffenden juristischen Person innehaben.
Haftungsarten: Unerlaubte Handlungen (OR 41 ff.), GoA (OR 419 ff.), Stellvertretung ohne Ermächtigung (OR 38)
Personen, die für die juristische Person handeln, aber keine Organe sind, werden als Hilfspersonen bezeichnet. Diese Unterscheidung ist wichtig, da bei Hilfspersonen eine Haftung nach OR 55 in Betracht fällt und die juristische Person der Entlastungsbeweis offen steht.
Die Organperson haftet auch persönlich (ZGB 55 III).
Die juristische Person und das Organ haften solidarisch (143 ff.).
55. 55 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (8) Handlungsfähigkeit der juristischen Person (Fortsetzung)
Strafrechtliche Deliktsfähigkeit:
Eine juristische Person kann grundsätzlich nicht strafrechtlich belangt werden.
Eine Ausnahme besteht im Strafgesetzbuch unter dem Titel „Verantwortlichkeit des Unternehmens“. StGB 102 schreibt eine Haftung der juristischen Person vor, wenn der Täter nicht identifizierbar ist.
Sitz der juristischen Person
Begriff und Wesen
Der Sitz der juristischen Personen befindet sich grundsätzlich an dem Ort, wo ihre Verwaltung geführt wird (ZGB 56).
Als Grundsatz gilt die Einheit des Sitzes (Der Bundesrat entschied sich bei der UBS für eine Ausnahme und gewährte den doppelten Sitz in Zürich und Basel)
Zweigniederlassungen sind möglich (ZGB 23 III)
Der Sitz gilt als Anknüpfungspunkt beim Gerichtsstand, Betreibungsort, Steuerdomizil und beim Eintrag ins Handelsregister.
Bestimmung des Sitzes
Statutarische Bestimmung:
Unmittelbare Bestimmung: Es gilt die sog. Freiheit der Sitzwahl, die juristische Person kann den Sitz in ihren Statuten oder Stiftungsurkunde frei bestimmen. Zulässig ist auch ein sog. Briefkastendomizil, allerdings muss die Erreichbarkeit gewährleistet sein. Beachtet werden muss immer der Rechtsmissbrauch nach ZGB 2 II.
Ein sog. fliegender Sitz ist bei Vereinen und Stiftungen zulässig, d.h. es wird nicht ein bestimmter Sitz in den Statuten oder in der Stiftungsurkunde bezeichnet, sondern bloss ein objektiv bestimmbarer Ort. In den Statuten kann somit stehen: „Sitz des Vereins ist der Wohnsitz des jeweiligen Präsidenten“.
Ort der Verwaltung:
Es ist zulässig, dass bei Vereinen und Stiftungen gar kein Sitz vorgesehen ist.
Das Gesetz hat dafür eine Ersatzlösung in ZGB 56 getroffen: Sitz befindet sich am Ort der Verwaltung.
56. 56 DIE JURISTISCHEN PERSONEN (9) Aufhebung der juristischen Person
Auflösungsgründe:
Die wichtigsten Auflösungsgründe nennt das Gesetz für den Verein in ZGB 76-78 und für die Stiftungen in ZGB 88.
In der Praxis werden die Vereine oft durch Vereinsbeschluss aufgelöst. Ein Verein darf nicht unauflösbar sein, denn das würde gegen die Vereinsautonomie verstossen.
Ein Verein kann von Gesetzes wegen aufgehoben werden, wenn er zahlungsunfähig ist, sowie wenn der Vorstand nicht mehr statutengemäss bestellt werden kann.
Durch Statutenbestimmung kann die Lebensdauer der juristischen Person beschränkt werden.
Eine juristische Person wird aufgehoben, wenn sich der Zweck als unsittlich oder widerrechtlich erweist (ZGB 57 III).
Liquidation:
Während der Liquidationsphase tritt an die Stelle des bisherigen Zwecks der sog. Liquidationszweck, d.h. die Tätigkeit der Beteiligten ist nur noch auf die Liquidation ausgerichtet.
ZGB 58 verweist für das Liquidationsverfahren auf das Genossenschaftsrecht (OR 913) und dieses wiederum auf das Aktienrecht (OR 739 ff.).
Vermögensverwendung:
Bleibt nach Tilgung der Schulden ein Aktivenüberschuss übrig, wird dieser gemäss ZGB 57 verwendet.
Bei der Auflösung der juristischen Person fällt das Vermögen an das Gemeinwesen, sofern das Gesetz, die Statuten, die Stiftungsurkunde oder die zuständigen Organe nichts anderes bestimmen (ZGB 57 I).
Wenn eine juristische Person wegen unsittlichem oder widerrechtlichem Zweck aufgehoben wurde, fällt das Vermögen an das Gemeinwesen (ZGB 57 III).
Ende der Rechtspersönlichkeit:
Wenn die juristische Person im Handelsregister eingetragen war endet die Rechtspersönlichkeit mit der Löschung im HR.
Falls die juristische Person nicht im Handelsregister eingetragen war, endet die Rechtspersönlichkeit mit dem Abschluss der Liquidation.
57. 57 VEREIN (1) Begriff
Im ZGB findet sich keine gesetzliche Definition.
Es handelt sich um eine körperschaftlich organisierte Personenverbindung mit eigener Rechtspersönlichkeit mit grundsätzlich nichtwirtschaftlichem (ideellem) Zweck.
Gesetzliche Grundlagen finden sich in BV 23 (Schutz der Vereinsfreiheit), ZGB 52-59 sowie ZGB 60-79.
Am 1. Januar 2009 waren im Handelsregister 6‘354 Vereine eingetragen (www.zefix.ch).
„Volkstümlichste“ juristische Person, deren gesetzliche Organisationsstruktur nicht allen Verwendungszwecken problemlos gerecht wird, z.B. standespolitische Organisationen: FMH, SAV etc. (vgl. BBl 2008 1589 ff.)
Vereinsautonomie
Die gesetzliche Grundlage der privatrechtlichen Vereinsfreiheit findet sich in ZGB 63 I; dies bedeutet die Freiheit bei der Abfassung oder Änderung der Vereinsstatuten.
Das zwingende Gesetzesrecht bildet die Schranke der Vereinsautonomie (ZGB 63 II). Auch ungeschriebenes zwingendes Recht gilt es zu beachten, so dürfen z.B. Statutenbestimmungen die guten Sitten nicht verletzen.
Vereinszweck
„Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften (ZGB 59 II).“ Daraus kann gefolgert werden, dass der Verein in der Hauptsache ein ideeller Zweck verfolgen muss.
Ideelle Zwecke können wie folgende sein: Der Verein kann sich einer politischen, religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen, wohltätigen, geselligen oder anderen nicht wirtschaftlichen Aufgabe widmen (ZGB 60 I).
58. 58 VEREIN (2) Vereinszweck (Fortsetzung)
Dies heisst aber nicht, dass ein Verein kein kaufmännisches Unternehmen betreiben kann:
Zulässig sind solche Unternehmen, die nur auf Kostendeckungsbasis betrieben werden (z.B. Behindertenwerkstätte) oder wenn ein Verein Gewinn erzielt mit der Absicht, diesen zugunsten Dritter zu verteilen (Wohltätigkeitszwecke).
Der Eintrag ins Handelsregister ist nötig (ZGB 61 II 1).
Sonderfälle:
Berufs- und Wirtschaftsverbände ohne Kartellcharakter: Hierbei handelt es sich um Vereine mit wirtschafts- oder sozialpolitischer Aufgabe, z.B. Gewerkschaften, Konsumenten, Mieterverbände etc. Sie verfolgen in der Regel keine wirtschaftlichen Zweck und benötigen auch keinen Handelsregistereintrag.
Kartelle: Nach BGer zulässig, aber von der Lehre kritisiert (Verstoss gegen ZGB 60, trotzdem geht ZGB 2 I vor).
Sportvereine: Die Vereinsform ist für Sportvereine grundsätzlich zulässig (vgl. FIFA).
59. 59 VEREIN (3) Gründung des Vereins
Der Gründungsakt besteht „sobald der Wille, als Körperschaft zu bestehen, aus den Statuten ersichtlich ist“ (ZGB 60 I).
Der notwendige Inhalt der Statuten ist in ZGB 60 I und II aufgeführt:
Wille zur Körperschaftsbildung
Zweck
Mittel
Organisation
Mitglieder können natürliche und juristische Personen sein. Für die Gründung braucht es mindestens zwei Mitglieder.
Handelsregistereintrag: Grundsätzlich ist der Verein nicht zum Eintrag verpflichtet aber berechtigt. Ausnahmsweise ergibt sich die Eintragungspflicht aus ZGB 61 II bei:
Revisionspflicht (ZGB 69b)
Betreiben eines kaufmännischen Gewerbes
60. 60 VEREIN (4) Vereine ohne Rechtspersönlichkeit
„Vereine, denen die Persönlichkeit (Rechtspersönlichkeit) nicht zukommt, oder die sie noch nicht erlangt haben, sind den einfachen Gesellschaften gleichgestellt (ZGB 62).“ Es gilt also das Recht der einfachen Gesellschaft nach OR 530 ff. Dies hat zur Folge, dass die Mitglieder solidarisch für persönliche Verbindlichkeiten der einfachen Gesellschaft haften; beim Verein haften nicht die Mitglieder, sondern der Verein.
Anwendungsfälle:
Der Wille fehlt, als Körperschaft zu bestehen.
Die Statuten fehlen oder sind ungenügend.
Der Zweck ist widerrechtlich oder unsittlich.
Organisation des Vereins
Das Gesetz sieht folgende Organe vor: Vereinsversammlung, Vorstand und Revisionsstelle.
Vereinsversammlung (ZGB 64-68):
Bei der Vereinsversammlung handelt es sich um das Willenbildungsorgan, d.h. die Versammlung aller erschienenen Mitglieder an der grundlegende Entscheide getroffen werden.
Beschlussfassung:
Entscheid durch die Mehrheit der Anwesenden (ZGB 66 I, 67 II).
Entscheid durch einstimmige schriftliche Zustimmung aller Mitglieder (ZGB 66 II).
Statutarisch kann eine Delegiertenversammlung vorgesehen sein (analog ZGB 67 II).
Statutarisch kann eine Urabstimmung, d.h. ein schriftlicher Mehrheitsbeschluss vorgesehen sein.
61. 61 VEREIN (5) Organisation des Vereins (Fortsetzung)
Einberufung der Vereinsversammlung:
Die Einberufung erfolgt durch den Vorstand (ZGB 64 II), sofern die Statuten nichts anderes vorsehen.
Zwingend einberufen werden muss eine Vereinsversammlung, wenn ein Fünftel der Mitglieder es verlangt (ZGB 64 III).
Modalitäten der Einberufung: Den Vereinsmitgliedern soll die Vorbereitung wie auch die Teilnahme an der Vereinsversammlung vernünftigerweise ermöglicht werden. Zu beachten ist der Grundsatz von Treu und Glauben (ZGB 2 I). Manipulationen können sein:
Einberufung in der Ferienzeit
an einem abgelegenen Ort
zu einer ungünstigen Tageszeit
Beschlussfähigkeit:
Damit rechtsverbindliche Beschlüsse gefasst werden können, muss die Versammlung:
ordnungsgemäss einberufen worden sein
und die Mitglieder erschienen sein.
Traktandenliste:
Jedes Mitglied sollte gehörig darüber informiert sein, worüber in der nächsten Versammlung beschlossen wird. ZGB 67 III verlangt eine gehörige Ankündigung.
Keine Beschlussfassung ist möglich für Angelegenheiten, wenn auf der Traktandenliste nur von „Diverses“ oder „Varia“ die Rede ist.
Stimmrecht:
Grundsätzlich haben alle Mitglieder in der Vereinsversammlung das gleiche Stimmrecht (ZGB 67 I). Diese Vorschrift ist aber nicht zwingend.
Ein sog. Pluralstimmrecht (Mehrfachstimmrecht) ist möglich, wenn es statutarisch vorgesehen ist. Häufig ist das Mehrfachstimmrecht bei Kartellvereinen, denn bei ihnen richtet sich das Stimmrecht oft nach der wirtschaftlichen Potenz der Mitglieder.
62. 62 VEREIN (6) Organisation des Vereins (Fortsetzung)
Stimmrechtsausschluss:
Der Ausschluss ist zwingend in den Fällen, in denen über ein Rechtsgeschäft oder einen Rechtsstreit zwischen dem Betroffenen, seinem Ehegatten oder einer mit ihm in gerader Linie verwandten Person einerseits und dem Verein andererseits, beschlossen wird (ZGB 68).
Qualifikation der Wahlen ist umstritten.
Kompetenzen der Vereinsversammlung:
Die Kompetenzen sind in ZGB 65 aufgeführt:
Aufnahme und Ausschluss von Mitgliedern
Wahl des Vorstandes
Aufsicht über die Tätigkeit anderer Organe (ZGB 65 II)
Abberufungsrecht aus wichtigen Gründen (ZGB 65 III): Ob es sich um einen wichtigen Grund handelt, muss im Einzelfall je nach dem Zweck des Vereins, der organisatorischen Ausgestaltung und den betroffenen Organen entschieden werden.
Grundsätzlich ist die Vereinsversammlung für alle Entscheidungen zuständig, die nicht vom Gesetz oder von Statuten einem anderen Organ übertragen sind (Auffangzuständigkeit).
Vorstand (ZGB 69, 69a):
Die Kompetenzen des Vorstandes werden durch die Statuten bestimmt.
Die Haftung des Vorstandes richtet sich nach ZGB 55.
Zwischen dem Vorstand und dem Verein besteht entweder ein Auftragsverhältnis (OR 394 ff.) oder ein Arbeitsvertrag (OR 319 ff.).
63. 63 VEREIN (7) Organisation des Vereins (Fortsetzung)
Revisionsstelle (ZGB 69b):
Wenn der Verein zum Eintrag ins Handelsregister verpflichtet ist, dann kommen die Vorschriften des OR über die kaufmännische Buchführung zur Anwendung (ZGB 69a). Wenn zwei der nachstehenden Grössen in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren überschritten werden, muss der Verein seine Buchführung durch eine Revisionsstelle ordentlich prüfen lassen:
Bilanzsumme > 10 Mio.
Umsatzerlös > 20 Mio.
50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt
Wenn ein Vereinsmitglied (das einer persönlichen Haftung oder einer Nachschusspflicht unterliegt) es verlangt, muss eine eingeschränkte Buchführungsprüfung durch eine Revisionsstelle erfolgen (ZGB 69b II).
Wenn die Organisation des Vereins mangelhaft ist (z.B. fehlt ein vorgeschriebenes Organ), kann ein Mitglied oder ein Gläubiger beim Gericht beantragen, dass erforderliche Massnahmen zur Behebung ergriffen werden müssen (ZGB 69c).
Vereinsmitgliedschaft
Die Vereinsmitgliedschaft kann auf zwei Arten erworben werden:
Teilnahme an der Gründung
Beitritt zu einem bereits bestehenden Verein
Es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Beitritt (Teil der Vereinsautonomie).
Ausnahmsweise kann in den Statuten vorgesehen werden, dass für eine bestimmte Berufsgruppe die Aufnahme obligatorisch ist.
Wenn eine Zurückweisung aus diskriminierenden Gründen erfolgt, d.h. eine Persönlichkeitsverletzung darstellt, dann kann sich ausnahmsweise ein Anspruch auf Aufnahme aus ZGB 28 I ergeben.
Es besteht grundsätzlich kein Beitrittszwang (Ausnahmsweise kann eine Zwangsmitgliedschaft durch Sondernormen festgelegt werden (öffentliche Recht, z.B. Krankenkassen).
64. 64 VEREIN (8) Vereinsmitgliedschaft (Fortsetzung)
Beitritt zu einem bestehenden Verein:
Der Mitgliedschaftserwerb erfolgt durch einen sog. Beitritts- oder Aufnahmevertrag (Innominatvertrag, der sich nach den allgemeinen Regeln über Verträge nach OR 1 ff. richtet).
Die Vereinsmitgliedschaft ist weder vererblich noch veräusserlich (ZGB 70 III); Abweichungen können durch die Statuten vorgesehen werden.
Verlust der Mitgliedschaft:
Austritt des Mitglieds:
Die Kündigungsfrist beträgt ein halbes Jahr jeweils auf Ende Jahr (ZGB 70 II). Die Austrittsfrist von einem halben Jahr können durch die Statuten nicht verlängert werden, da der Artikel zwingend ist.
Ein sofortiger Austritt aus wichtigen Gründen ist möglich (ZGB 4). Im Einzelfall muss es für das Mitglied unzumutbar sein, noch bis zum Ende der ordentlichen Austrittsfrist dem Verein anzugehören. Dies kann der Fall sein bei Änderung der religiösen Überzeugung, da wäre es stossend, wenn die Person nicht sofort aus der Religionsgemeinschaft austreten könnte.
Ausschliessung des Mitglieds:
Die Ausschliessung (ZGB 72) erfolgt wie die Aufnahme durch die Vereinsversammlung (ZGB 65 I).
Ausschliessung heisst Verlust der Vereinsmitgliedschaft gegen den Willen des Mitgliedes.
Ausschliessungsgründe:
Die Statuten können eine Ausschliessung ohne Angabe von Gründen vorsehen (ZGB 72 I).
Die Statuten können Gründe angeben, die zum Ausschluss des Mitgliedes führen, z.B. wenn man einem Konkurrenzverein beitritt oder eine Gefährdung der Interessen des Vereins besteht.
Eine Anfechtung der Ausschliessung wegen der Gründe wird durch ZGB 72 II ausgeschlossen.
Aber eine Verletzung des Rechts auf Stellungnahme kann den Ausschluss ungültig machen (Verfahrensfehler, z.B. ZGB 67 III über die gehörige Ankündigung der Traktanden).
Schranken: ZGB 2 II, 28.
Eine Ausschliessung aus wichtigen Gründen nur durch Vereinsbeschluss ist möglich (ZGB 72 III).
65. 65 VEREIN (9) Vereinsmitgliedschaft (Fortsetzung)
Mitgliedschaft kann auch aus folgenden Gründen enden:
Der Tod eines Mitgliedes (ZGB 70 III).
Die Statuten können ebenfalls ein automatisches Erlöschen der Mitgliedschaft vorsehen. Wichtig ist, dass man genau umschreibt, wann und bei Eintritt welcher Bedingung die Mitgliedschaft erlöschen kann (z.B. wegen Säumnis in der Bezahlung der Mitgliederbeiträge).
Rechte des Vereinsmitglieds
Man unterscheidet folgende 3 Kategorien von Mitgliedschaftsrechten:
Mitverwaltungs- oder Mitwirkungsrechte (ZGB 64 ff.)
Benutzungsrechte (wird in Statuten geregelt)
Schutzrechte (ZGB 74, 75)
Bei den Mitverwaltungs- oder Mitwirkungsrechten geht es um die Willensbildung im Verein, d.h. um das aktive und passive Stimmrecht (ZGB 67 I) und das Anwesenheits- und Diskussionsrecht in der GV.
Durch Benutzungsrechte stehen einem das Recht auf Teilnahme an Veranstaltungen zu oder man darf vereinseigene Anlagen benutzen.
Schutz des Vereinszwecks (ZGB 74):
„Eine Umwandlung des Vereinszweckes kann keinem Mitgliede aufgenötigt werden.“ Nur wenn alle Mitglieder zugestimmt haben, ist eine Abänderung des Vereinszweckes zulässig.
Eine Zweckänderung wurde durch das BGer angenommen z.B. bei der Umwandlung eines Alpenklubs in einen Segelklub oder eines Wandervereins in einen solchen zur Förderung des Motorsports.
66. 66 VEREIN (10) Rechte des Vereinsmitglieds (Fortsetzung)
Schutz der Mitgliedschaft (ZGB 75):
Jedes Mitglied kann sich mit der Anfechtungsklage gegen gesetzes- und statutenwidrige Vereinsbeschlüsse innert Monatsfrist (ab Kenntnisnahme; Verwirkungsfrist) wehren.
Zur Klage legitimiert ist jedes Mitglied. Dies gilt auch für Mitglieder, die beim angefochtenen Beschluss nicht stimmberechtigt, sich der Stimme enthalten haben oder abwesend waren. Auch Passivmitglieder sind klagelegitimiert.
Die Nichtigkeit kann jederzeit festgestellt werden. Da die Abgrenzung von anfechtbarem Beschluss zu nichtigem Beschluss sehr schwierig ist, sollte man aufgrund der Rechtssicherheit wenn möglich die Frist von ZGB 75 einhalten.
Auch die Anfechtung von Beschlüssen anderer Organe ist möglich wenn der Beschluss direkt in die Mitgliedschaft eingreift und im Verein letztinstanzlich ist.
Pflichten des Vereinsmitglieds
Nichtvermögensrechtliche (persönliche) Pflichten:
Die nichtvermögensrechtlichen Pflichten sind im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, zu beachten ist aber trotzdem die Treuepflicht
Dadurch können Mitverwaltungsrechte als Pflichten ausgestaltet werden, z.B. die Pflicht zur Übernahme bestimmter Ämter oder das Mitglied eines Sportvereins wird verpflichtet, sich am Training sowie an Wettkämpfen zu beteiligen.
Die Sanktionierung kann durch den Ausschluss erfolgen oder auch durch die mildere Form der Busse.
Vermögensrechtliche Pflichten:
„Beiträge können von den Mitgliedern verlangt werden, sofern die Statuten dies vorsehen (ZGB 71).“
In den Statuten wird normalerweise die Beitragspflicht begrenzt, aber auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, haftet für Schulden lediglich das Vereinsvermögen, sofern die Statuten nichts anderes vorsehen (ZGB 75a). Durch Inkrafttreten des ZGB 75a am 1.1.2005 wurde die bislang unbegrenzte Haftung der Vereinsmitglieder (sofern die Höhe der Mitgliederbeiträge nicht fixiert wurde) aufgehoben.
Eine Nachschusspflicht besteht nur noch bei statutarischer Grundlage.
67. 67 VEREIN (11) Vereinsverbände und Sektionen
Ein Vereinsverband ist die Zusammenfassung von Vereinen.
Bei der Sektion handelt es sich um die Dezentralisierung des Vereinszwecks:
Diese kann nach räumlichen Gesichtspunkten erfolgen, z.B. Mitglieder, die im gleichen Kanton wohnen.
Ebenfalls kann eine Dezentralisierung auch nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgen, z.B. bei einem Hundezüchterverein durch die Sektion Bernhardinerzüchter.
Sektionen ohne eigene Rechtspersönlichkeit: Dies hat zur Folge, dass immer nur der Verband als ganzes rechtsfähig und parteifähig ist.
Sektionen mit eigener Rechtspersönlichkeit: Die einzelnen Sektionen sind selber eigene Vereine.
Das Verbandsklagerecht ist mit Bezug auf Persönlichkeitsverletzung in ZPO 89 geregelt.
Auflösung des Vereins
Auflösungsarten:
Durch Vereinsbeschluss kann der Verein jederzeit aufgelöst werden (ZGB 76).
Von Gesetzes wegen kann der Verein aufgelöst werden, wenn der Verein zahlungsunfähig ist, sowie wenn der Vorstand nicht mehr statutengemäss bestellt werden kann (ZGB 77).
Der Verein kann auch durch den Richter aufgelöst werden, wenn der Zweck des Vereins widerrechtlich oder unsittlich ist (ZGB 78).
Liquidation:
Das Verfahren der Liquidation des Vermögens richtet sich nach den Vorschriften des Genossenschafts- und Aktienrechts (ZGB 58 i.V.m. OR 913 I i.V.m. 739 ff).
Die Vermögensverwendung richtet sich nach ZGB 57.
68. 68 STIFTUNG (1) Einleitung
Das Stiftungsrecht ist in ZGB 80-89bis sowie in ZGB 52-59 geregelt. Es wurde revidiert und trat am 1.1.2006 in neuer Form in Kraft (ergänzt durch weitere Neuerungen am 1.1.2008).
Am 1. Januar 2009 waren im Handelsregister 18‘319 Stiftungen eingetragen (www.zefix.ch).
Die Personalfürsorgestiftung ist heute die wichtigste Erscheinungsform der Stiftung (ZGB 89bis).
Der Stifter kann seine Stiftung grundsätzlich nach seinen Vorstellungen ausgestalten (Schranke: zwingende Gesetzesbestimmungen).
Bei der Gründung der Stiftung handelt es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft.
„Aufblühen“ einer (manchmal auch selbstverliebten) „Philanthropiewirtschaft“:
Überblick in: Stärkung der Philanthropie in der Schweiz, Strategien und Massnahmen für mehr Kooperation und eine bessere Wahrnehmung des Philanthropiesektors
Errichtung einer Stiftung
„Zur Errichtung einer Stiftung bedarf es der Widmung eines Vermögens für einen besonderen Zweck (ZGB 80).“
Materielle Voraussetzungen:
Errichtungswille
Zweck (Zweckumschreibung muss bestimmt und deutlich sein)
Vermögen
69. 69 STIFTUNG (2) Errichtung einer Stiftung (Fortsetzung)
Formelle Voraussetzungen:
Stiftungsurkunde (ZGB 81 I)
Öffentliche Urkunde oder
durch Verfügung von Todes wegen
Handelsregistereintrag (ZGB 81 II, 52 I, HRegV 94 ff.)
Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, besteht ein Anspruch auf Eintragung.
Publizitätswirkung
Konstitutive Wirkung
Anfechtung:
Aktivlegitimation: Erben oder Gläubiger (ZGB 82)
Verfügung von Todes wegen: Anfechtungsmöglichkeit mit der Ungültigkeitsklage (ZGB 519 ff.) und die Herabsetzungsklage (ZGB 522 ff.).
Stiftung unter Lebenden: Regelungen betreffend Schenkung (OR 239 ff.)
70. 70 STIFTUNG (3) Organisation der Stiftung
Durch die Stiftungsurkunde werden die Organe und die Art der Verwaltung festgelegt (ZGB 83).
Damit die Stiftung handlungsfähig ist, muss mindestens ein Organ bestellt werden.
Das oberste Stiftungsorgan ist meist der Stiftungsrat, daneben können weitere Organe vorgesehen werden wie z.B. der Stiftungsvorstand oder eine stiftungsinternes Aufsichtsorgan.
Die Revisionsstelle wird durch das oberste Stiftungsorgan bestellt (ZGB 83b). Die aktienrechtlichen Vorschriften sind analog anwendbar (ZGB 83b III).
Bei Mängeln in der Organisation muss die Aufsichtsbehörde die erforderlichen Massnahmen ergreifen, um den Mangel zu heilen (ZGB 83d).
Beaufsichtigung der Stiftung
Da Stiftungen oft Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit erfüllen und auch kein Willenbildungsorgan haben (wie bei Körperschaften), stehen sie unter Aufsicht des Gemeinwesens (ZGB 84 I).
Welches Gemeinwesen (Bund, Kanton, Gemeinde) für die Aufgabe zuständig ist, bestimmt sich dem Ziel, das sich die Stiftung gesetzt hat (vgl. dazu Zürich EG ZGB 34 I 2, 37, 44 I 12)
Ziel: „Die Aufsichtsbehörde hat dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen seinen Zwecken gemäss verwendet wird (ZGB 84 II).“ Eingeschritten werden darf nur bei Ermessensfehlern.
Aufsichtsmittel:
Präventive: Buchführungs- und Berichterstattungspflicht
Repressive: Mahnungen, Verwarnungen und Verweise
71. 71 STIFTUNG (4) Änderung der Stiftungsurkunde
„Die zuständige Bundes- oder Kantonsbehörde kann auf Antrag der Aufsichtsbehörde und nach Anhörung des obersten Stiftungsorgans die Organisation der Stiftung ändern, wenn die Erhaltung des Vermögens oder die Wahrung des Stiftungszwecks die Änderung dringend erfordert (ZGB 85).“
Grundsätzlich kann die Stiftungsurkunde nicht abgeändert werden. Da der Stifter aber nicht alle Eventualitäten wie z.B. sozialer Wandel oder Veränderung in den Anschauungen voraussehen konnte, wurde den staatlichen Behörden gesetzlich die Möglichkeit eingeräumt, Anpassungen vornehmen zu dürfen, sofern dadurch die Stiftung gerettet werden kann.
Änderung des Zwecks:
Antrag durch Aufsichtsbehörde oder oberstes Stiftungsorgan (ZGB 86)
Antrag des Stifters oder aufgrund seiner Verfügung von Todes wegen (ZGB 86a)
Unwesentliche Änderungen in der Stiftungsurkunde können nach Anhörung des obersten Stiftungsorgans durch die Aufsichtsbehörde selber vorgenommen werden (ZGB 86b).
72. 72 STIFTUNG (5) Aufhebung der Stiftung
Eine Stiftung kann sich nicht selber aufheben, sie wird durch die zuständige Bundes- oder Kantonsbehörde auf Antrag oder von Amtes wegen aufgehoben (ZGB 88).
Zu beachten ist, dass die Aufhebung (ZGB 88) immer subsidiär zur Zweckänderung (ZGB 86) ist.
Aufhebungsgründe:
Unerreichbarkeit des Zwecks (ZGB 88 I 1)
Widerrechtlichkeit oder Unsittlichkeit des Zwecks (ZGB 88 I 2)
Das Antrags- und Klagerecht steht jeder Person zu, die ein Interesse hat (ZGB 89 I).
Die Aufhebung von Familienstiftungen und kirchlichen Stiftungen wird durch das Gericht vorgenommen (ZGB 88 II).
Liquidation:
Das Verfahren der Liquidation des Vermögens richtet sich wie beim Verein nach den Vorschriften des Genossenschafts- und Aktienrechts (ZGB 58 i.V.m. OR 913 I i.V.m. 739 ff).
Die Vermögensverwendung richtet sich nach ZGB 57.
73. 73 STIFTUNG (6) Stiftungen besonderer Art
Familienstiftungen
ZGB 87, 335, 52 II
Familienstiftungen können nur zum Zweck der Erziehung, Ausstattung und Unterstützung von Familienangehörigen errichtet werden (ZGB 335 I).
Stiftungen, die den allgemeinen Lebensunterhalt finanzieren, sind nicht zulässig.
Kirchliche Stiftungen
ZGB 87, 52 II
Zur Definition des kirchlichen Zwecks braucht es folgende Präzisierung: Nur diejenige Stiftung, die in besonderer Verbindung zu einer Religionsgemeinschaft steht (unmittelbarer Glaube an Gott, Gottesdienste etc.), verfolgt einen kirchlichen Zweck. Wenn nur eine Verbindung zur Kirche besteht, aber die Tätigkeit vor allem im sozialen Bereich stattfindet, handelt es sich um eine gewöhnliche Stiftung.
Personalvorsorgestiftung
ZGB 89bis, BVG, OR 331-331e
Der Zweck von Personalvorsorgestiftungen liegt darin, vermögenswerte Leistungen an Arbeitnehmer oder deren Angehörige zu erbringen. Freizügigkeitsstiftungen von Banken und Versicherungen sind klassische Stiftungen (BGE 122 V 326).
74. 74 STIFTUNG (7) Stiftungen besonderer Art (Fortsetzung)
Unternehmensstiftung
Die Unternehmensstiftung ist nicht im ZGB geregelt, sie hat sich aus der Praxis als Sonderform entwickelt.
Im Vordergrund steht nicht der Zweck, sondern das Vermögen.
Erscheinungsformen:
Holdingsstiftung: Die Stiftung betreibt das kaufmännische Unternehmen nur indirekt, d.h. ist an Unternehmen beteiligt (z.B. Kuoni Reisen Holding AG (Kuoni und Hugentobler-Stiftung)).
Unternehmensträgerstiftung (Direktträgerstiftung): Die Stiftung betreibt selbst und direkt ein kaufmännisches Unternehmen, verfolgen aber dennoch einen ideellen Zweck (z.B. Privatschulen, private Altersheime).
Die Zulässigkeit von Unternehmensstiftungen mit einem wirtschaftlichen Zweck sind vom BGer bejaht worden (BGE 127 III 337).
Weitere Stiftungsarten und Trust
Unselbständige Stiftungen
Unselbständigen Stiftungen fehlt die Rechtspersönlichkeit.
Wenn es sich nicht um eine Schenkung, eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis (ZGB 482, OR 245) handelt, ist das Stiftungsrecht zum Teil analog anwendbar, z.B. in Bezug auf die Regelung über die Zweckänderung.
Öffentlich-rechtliche Stiftungen
Öffentlich-rechtliche Stiftungen unterstehen dem öffentlichen Recht (ZGB 59 I).
Beispiele: „Pro Helvetia“, „Sicherheitsfonds“
Trust
Der Trust hat keine Rechtspersönlichkeit und ist nicht vermögensfähig.
Dieses Rechtsinstitut ist im schweizerischen Recht nicht (vgl. aber Haager Übereinkommen über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung vom 1.7.1985, IPRG 149a-e).