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Potsdam, 19.12.2006 Seminar: Einführung in die Mathematikdidaktik Dozent: Prof. Dr. Thomas Jahnke. Genetisches Lernen nach Martin Wagenschein. Referentinnen: Katharina Doerfel Máren B. Meisel Caroline Petersen. Übersicht. 1. Einleitung – Biographie M. Wagenscheins 2. Filmausschnitt
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Potsdam, 19.12.2006 Seminar: Einführung in die Mathematikdidaktik Dozent: Prof. Dr. Thomas Jahnke Genetisches Lernen nach Martin Wagenschein Referentinnen: Katharina Doerfel Máren B. Meisel Caroline Petersen
Übersicht • 1. Einleitung – Biographie M. Wagenscheins • 2. Filmausschnitt • 3. Genetisches Lernen: • Exemplarisch • Genetisch • Sokratisch • 4. Zusammenfassung evtl. Diskussion
Einleitung • Martin Wagenschein
Martin Wagenschein • * 03.12.1896 in Gießen • † 03.04.1988 in Trautheim zu Mühltal (Hessen) • 1914 – 1920 Studium in Gießen und Freiburg im Breisgau • Abschluss mit 1. Staatsexamen in Mathematik, Physik, Geographie • „Das Studium – in Gießen – eröffnete mir Mathematik und Didaktik zugleich. Ich erfuhr an mir, wie Mathematik sich durch den einen Lehrer eröffnen und durch einen anderen verschließen kann.“(Wagenschein, Martin: Erinnerungen für Morgen – Eine pädagogische Autobiographie. Weinheim und Basel 1989. S.19) • Promotion in Experimentalphysik
Martin Wagenschein Martin Wagenschein • 1920 – 1921 Arbeit als Hochschulassistent • „Der Zauber der Wissenschaft hatte begonnen, mich in seinen Sog zu nehmen. Aber in ihrem Raum zu bleiben, wie mir bisweilen nahegelegt wurde, dazu war es mir dort zu menschenleer. – Die Möglichkeit, in Südafrika mit dem Echolot Erzlager auszumachen, verweilte nur kurz am Horizont. –Aber auch Lehrer wurde ich nur zögernd. Es war mir zwar aufgefallen, daß ich Kommilitonen etwas klar machen konnte, falls ich es selber verstanden hatte.“ (Wagenschein, Martin: Erinnerungen für Morgen – Eine pädagogische Autobiographie. Weinheim und Basel 1989. S.23)
Martin Wagenschein • 1921 – 1923 Lehramtsreferendariat und Probejahr • „Eine Notiz aus dieser Zeit: ‚Es charakterisiert diese Schule, daß man sich an Kindern von ihr erholen muß.‘“(Martin Wagenschein. Erinnerungen für Morgen – Eine pädagogische Autobiographie. S.23) • 1923 Abschluss mit 2. Staatsexamen • 1924 Heirat mit Wera Biermer • 1923 – 1957 Tätigkeit im staatlichen Schuldienst • 1924 – 1933 vom Staatsdienst beurlaubt um an der Odenwaldschule von Paul Geheeb zu arbeiten
Martin Wagenschein • Paul Geheeb (1870 – 1961), deutscher Reformpädagoge und Gründer der Odenwaldschule • „Wollte man mich nach dem Geheimnis von Paul Geheebs Wirkung fragen, so würde ich, eben weil sie ein Geheimnis ist, nicht viel zu sagen wissen, außer einem, daß ganz gewiß ist: Er schenkte Vertrauen und lehrte so, Vertrauen zu geben. Damit versetzte er uns, Mitarbeiter und Kameraden, in das Grundelement der pädagogischen Atmosphäre. Schule ohne Vertrauen hat keine Zukunft.“(Martin Wagenschein. Erinnerungen für Morgen – Eine pädagogische Autobiographie. S.35)
Martin Wagenschein • „Kameraden“, Bezeichnung der Kinder die dort zur Schule gingen als bewusste Abgrenzung des Wortes „Schüler“ in den staatlichen Schulen • „ ‚Austausch‘, nicht ‚Belehrung‘, wurde mir in der Odenwaldschule die unverrückbare Basis des Unterrichts. Ich wurde dort nicht so sehr Erzieher wie Unterrichter.Einzelne Kinder vorsätzlich zu erziehen habe ich nie Neigung und Fähigkeit in mir gespürt, es sei denn, sie fragten mich um Rat.
Martin Wagenschein • Die Schule Paul Geheebs, diese einmalige pädagogische Republik, hat ja wohl im Gefolge der Lietzschen Schulgründungen, als einzige den Unterricht wirklich ernst genommen. Er war dort in die alles Leben und Treiben durchdringende erzieherische Atmosphäre ganz einbezogen. Die Art wie wir miteinander umgingen, war nicht ‚antiautoritär‘ aber unautoritär, machtfrei und angstfrei, beiderseits gerichtet auf Achtung. […]
Martin Wagenschein In der Öffentlichen Schule, habe ich dann erprobt, daß dieses Bestreben, den Unterricht in den Dienst der gegenseitigen Achtung zu stellen, dort nicht ganz unterzugehen braucht, auch wenn der Lehrer sich oft damit begnügen muß, ‚Sanitäter‘ zu sein (was ja nichts geringes ist).“(Martin Wagenschein. Erinnerungen für Morgen – Eine pädagogische Autobiographie. S.38) „Nach etwas sechs Jahren Odenwaldschule beunruhigte mich die Frage, ob ich in der Staatsschule je wieder zu gebrauchen sein würde; in die ‚einmal‘ zurückzukehren dem Beurlaubten doch notwendig schien (‚aber nicht so bald‘).“(Martin Wagenschein. Erinnerungen für Morgen – Eine pädagogische Autobiographie. S.40)
Martin Wagenschein • April – Oktober 1930 Lehrer an einer Oberschule in Mainz • 1949 Lehrauftrag am Pädagogischen Institut in Jungenheim für „Naturwissenschaftliche Erkenntnispsychologie“ • 1963 Verlegung des Instituts nach Frankfurt an die Hochschule für Erziehungswissenschaft • Dort bis 1972 Lehrbeauftragter für Didaktik der exakten Naturwissenschaften • 1956 – 1978 Honorarprofessur in Tübingen
Martin Wagenschein • Parallel dazu 1952 – 1987 Lehrauftrag an der Technischen Hochschule Darmstadt für „Praktische Pädagogik“ • Februar 1987 beendet er seinen letzten Lehrauftrag auf Grund von Altersbeschwerden
Genetisches Lernen Genetisches Lernen bedeutet, ein Grundprinzip am einfachen Gegenstand erkennen, mit der Kenntnis dieses Prinzips den nächsten (komplexen) Gegenstand erschließen.
Das exemplarische Lehren Genetisches Lernen: Exemplarisch • „Manchmal kommt es mir vor, als hielten die Eltern diejenige Schule für die beste, die ihre Kinder fähig macht, bei den Quizkonkurrenzen am besten abzuschneiden, schnell und reich an Wortwissen. Und es lohnt sich, wie jene Stenotypistin erfuhr, die in Amerika einmal 16000 Dollar gewann, weil sie binnen 30 Sekunden 7 Brüder Josephs aus dem alten Testament aufzuzählen wusste. Seltsam nur, dass das Handwerk, die Industrie und die Hochschulen gleichzeitig und zunehmend darüber klagen, dass die jungen Menschen nicht mehr selbständig denken und urteilen können.“Martin Wagenschein
1. Kritik am systematischen Lehrgang Genetisches Lernen: Exemplarisch • Martin Wagenschein kritisierte die Stofffülle an Schulen und im Studium. • Es gibt sicher logische Gründe dafür, ein Fach von Anfang bis Ende lehren zu wollen, aber diese Gründe sind nicht pädagogisch. Man sieht nicht das Kind, sondern nur den „fertigen“ Menschen. • Der Stoff wird gehetzt und ungründlich durchgenommen, und das obwohl das Ziel ja eigentlich die Gründlichkeit und Vollständigkeit ist.
1. Kritik am systematischen Lehrgang Genetisches Lernen: Exemplarisch • Ein so gestalteter Lehrgang kann den Schüler kaum für längere Zeiträume motivieren.
1. Kritik am systematischen Lehrgang Genetisches Lernen: Exemplarisch • Durch „subtraktive Auskämmung“ wird der Stoff dünn und gehaltlos. • Die Vielwisserei wird zur Wenigwisserei.
2. Errichtung von Plattformen Genetisches Lernen: Exemplarisch • Man muss also gewisse Themen auswählen und sich auf „das Wesentliche“ beschränken. • Wagenschein empfiehlt „Mut zur Lücke“ zu haben.
2. Errichtung von Plattformen Genetisches Lernen: Exemplarisch • Wagenschein vergleicht dies mit einem Turm mit mehreren Plattformen an denen man sich in Ruhe aufhalten kann. • Das Ganze wird von Plattform zu Plattform durchlaufen, dazwischen liegen spärliche Verbindungstritte.
3. Das exemplarische Verfahren Genetisches Lernen: Exemplarisch • Die Schüler sollen anhand eines Beispiels Einblick in den gesamten Bereich des Lernstoffes haben. • Wagenschein empfiehlt, nur ganz bestimmte Themen auszuwählen und sich diesen dann intensiv zu widmen, so dass man im Einzelnen das Allgemeine auffinden kann.
3. Das exemplarische Verfahren Genetisches Lernen: Exemplarisch • „Das Einzelne, in das man sich hier versenkt, ist nicht Stufe, es ist Spiegel des Ganzen. […] Das exemplarische Betrachten ist das Gegenteil der Spezialisierung. Es will nicht vereinzeln, es sucht im Einzelnen das Ganze.“ (Wagenschein,1956, Zum Begriff des Exemplarischen Lehrens, S. 7/8) • Beispiel: antiker Beweis für das Nicht-Abbrechen der Primzahlenreihe • ohne große Vorkenntnisse können mathematische Vorgehensweisen selbst entdeckt werden und es kann gelernt werden, was es heißt, mathematisch zu denken.
4. Der Einstieg Genetisches Lernen: Exemplarisch • Der Einstieg soll die Problematik aufrollen, Staunen, Interesse und Neugier wecken und Spannung erzeugen. • Der Einstieg geschieht von außen, ohne „bereitgestellte“ Vorkenntnisse. • Als Problem dient eine komplexe, anspruchsvolle Frage, die die Schüler motiviert und ihre Spontaneität herausfordert. • Lehrer und Schüler müssen von diesem Problem ergriffen sein.
4. Der Einstieg Genetisches Lernen: Exemplarisch • Beim Auseinandersetzen mit dem Problem gelangt man vom Problem zum Elementaren. • Die Herausforderung für den Lehrer besteht darin sich ein geeignetes Ausgangsproblem auszuwählen. • Das Kind muss in seiner Ganzheit und seiner Spontaneität ebenso stark einbezogen werden wie das Objekt.
5. Das Verhältnis des Exemplarischen zum Kanon Genetisches Lernen: Exemplarisch • Schüler benötigen am Ende ihrer Schulzeit einen "Kanon", der grundlegendes Wissen beinhaltet. • Es reicht auch hier aus, sich auf das Exemplarische zu reduzieren.
6. Exemplarische Themen Genetisches Lernen: Exemplarisch • Nach Wagenschein kann ein Stoff als exemplarisch angesehen werden, • wenn er besonders bezeichnend für das Fach ist, wenn er mustergültig und repräsentativ ist; • wenn er eine starke innere Problematik hat, die man von Plattform zu Plattform, immer tiefer beleuchten kann. Wenn er uns ermöglicht, alle Bezüge bloßzulegen und dadurch Fundamentales auszulösen; • wenn an ihm die typische Arbeitsweise eines Faches besonders gut sichtbar wird und als Übung angewendet werden kann; • wenn er ein Stoff ist, bei dem man ergriffen oder betroffen ist, in den man sich vertiefen kann.
Genetisches Lernen: Genetisch Grundsatz nach Martin Wagenschein: „Genetisches Lehren bedeutet, den Schüler in eine Lage versetzen, in der das noch unverstandene Problem so vor ihm steht, wie es vor der Menschheit stand, als es noch nicht gelöst war.“ Wagenschein, Martin: Verstehen lernen, Weinheim und Basel 1968 S.14f
Genetisches Lernen: Genetisch • Genetisch = „die Genese betreffend“ • Genese = Entstehung, Entwicklung • Dreiheit • Merkmale • Orientierung • Regeln
Genetisches Lernen: Genetisch • Merkmale • Erstaunliche Phänomene, Exposition • Anwesenheit der Wirklichkeit „Wir lernen mit Zeiten rechnen, die unsere Vorstellungskraft nicht mehr mit dem Gehalt der Erlebens erfüllen kann, mit Zeiträumen, deren Bewältigung die Kräfte der Abstraktion beansprucht. Da und dort wird die Gefahr erkannt, die in diesem Auseinandergehen von abstraktem Wissen und vollem Erleben sich auftut - wo sind aber in unserer Zeit die erzieherischen Versuche, dieser Gefahr zu begegnen?“ Adolf Portmann: Naturwissenschaft und Humanismus, Karl Jaspers: Wahrheit und Wissenschaft, Zwei Reden, München 1960, S.31
Genetisches Lernen: Genetisch Merkmale 3. Volle Geistesgegenwart • Emotion und Motivation • Erlebnis 4. Sokratische Beweglichkeit 5. Lehrgänge historisch geleitet Insgesamt (Merkmale): Expedition statt Museumsführung
Genetisches Lernen: Genetisch Orientierung • Produktive Findigkeit - unbefangener, wacher Blick für das Ganze einer ungewohnten Situation • Einwurzelung „Heutzutage kann ein Mensch den so genannten gebildeten Kreisen angehören, ohne einerseits die geringste Vorstellung zu besitzen, worin das Wesen der menschlichen Bestimmung liegen könnte, oder andererseits etwa zu wissen, dass nicht alle Sternbilder zu jeder Jahreszeit sichtbar sind. Man ist gewöhnlich der Ansicht, ein kleiner Bauernjunge, der nur die Volksschule besucht hat, wisse darüber mehr als Pythagoras, weil er gelehrig nachplappert, dass die Erde sich um die Sonne dreht. In Wirklichkeit betrachtet er die Gestirne nicht mehr. Jene Sonne, von der im Unterricht die Rede ist, hat für ihn nichts gemein mit der Sonne, die er sieht. Man reißt ihn aus dem Allesamt seiner Umwelterfahrungen heraus.“ Simone Weil: Die Einwurzelung, München 1965, S.75
Genetisches Lernen: Genetisch Orientierung • Kritisches Vermögen Insgesamt (Orientierung): Bildung als Lebenskraft
Genetisches Lernen: Genetisch Maxime/Regeln möglichst Epochenunterricht, sonst Doppelstunden • Erstaunliches zuerst • Naturphänomen vor Laborphänomen oder erst das Einfache und Selbstverständliche • Qualitativ vor quantitativ • Phänomen vor Theorie und Modell • Entdeckung vor Erfindung • Hände vor Werkzeug • Fachsprache in mitten Muttersprache (oder Muttersprache vor Fachsprache) • Langsame Schüler vor Schnelle • Mädchen vor Jungen
Genetisches Lernen: Genetisch • „Genetische Verfahren haben eine Tendenz, lange Lehrgänge zu eröffnen, bei denen es geht, wie Wittenberg sagt, um die „Wiederentdeckung einer Wissenschaft von Anfang an“ an der Hand eines herausfordernden und aufschließenden Problems, das uns die unpräparierte Wirklichkeit aufgibt.“ Wagenschein, Martin: Verstehen lernen, Weinheim und Basel 1968 S.94
Genetisches Lernen: Sokratisch • „…hier hängt alles von der Kunst ab, die Schüler von Anfang an auf sich zu stellen, sie das Selbstgehen zu lehren, (so) dass sie eines Tages das Alleingehen wagen dürfen, weil sie die Obacht des Lehrers durch die eigene Obacht ersetzen… Dass also der Lehrer nicht auf schnelle Zustimmung, sondern auf Einwände hofft, ja den Mut hat und die Ruhe des Sokrates, die nach Wahrheit Suchenden in die Irre gehen und straucheln zu lassen. Ja … sie in die Irre zu schicken.‘“ Leonard Nelson, 1922 Die Sokratische Methode
Genetisches Lernen: Sokratisch • Wagenschein wird durch Minna Specht in die sokratische Methode eingeführt • Minna Specht - langjährige Mitarbeiterin Nelsons • 1946 – 1951 Leiterin der Odenwaldschule • Wagenschein übernimmt Nelsons sokratische Methode nicht 100% • Seine Auffassung zur Rolle des Gesprächleiters weicht etwas ab
Genetisches Lernen: Sokratisch Sokratisch – Was heißt das? • Gruppe interessierter Leute, die gemeinsam eine Frage bearbeiten, mit dem Ziel, einen gemeinsamen Konsens zu finden, die Frage zu beantworten • Es gibt keinen „übermächtigen, herrschenden“ Lehrer, dafür einen Gesprächsleiter/ Moderator • Wenn den Schülern eine Frage gestellt wird, so sind diese nicht aufgefordert eine Antwort zu geben die sie nicht kennen, aber vielleicht aus der Fragestellung erraten können
Genetisches Lernen: Sokratisch • Sollen sich Gedanken machen und durch eigene Überlegungen zu neuem Wissen gelangen • Das heißt auch, dass alle an der Beantwortung der Frage interessiert sind • Interesse für das jeweilige Problem zu wecken, darin sieht Wagenschein eine Aufgabe des Lehrers • Lehrer soll den Kindern Material darbieten, und zwar so, dass die Schüler die gewünschte Frage von alleine stellen, und also ein Interesse daran haben sie zu beantworten
Genetisches Lernen: Sokratisch Prinzipien der sokratischen Methode • Ein Problem wird untersucht, eine Frage beantwortet • Problemlösung, Beantwortung der Frage erfolgt durch ein argumentierendes Miteinander, welches nach bestimmten Regeln abläuft • Grundlage einer solchen Diskussion sind das Vorwissen und die Erfahrungen der einzelnen Diskussionsteilnehmer
Genetisches Lernen: Sokratisch Anforderungen an die Gesprächsteilnehmer „Tugend des einzelnen Schülers: alles den anderen zu sagen, was er zur Sache denkt. Tugend des Lehrers: zu führen durch die möglichste Zurückhaltung seiner selbst (wozu gehört, umfassend zuzuhören und, wenn nötig, das Gespräch bei der Sache zu halten). Tugend eines jeden Teilnehmers: sich dafür mitverantwortlich zu fühlen, dass alle verstehen.“(Wagenschein, Martin: Erinnerungen für Morgen – Eine pädagogische Autobiographie. Weinheim und Basel 1989. S.38)
Genetisches Lernen: Sokratisch Was heißt das? • Schüler sind dazu aufgefordert alle Gedanken frei zu äußern, jeder Gedanke, und mag er dem Schüler noch so lächerlich erscheinen, darf/ soll gesagt werden • Heißt zwangsläufig, dass auch „falsche Gedanken“ geäußert werden • Dies ist zulässig, ja erwünscht! • Halten sich alle Teilnehmer an die Tugend „sich dafür mitverantwortlich zu fühlen, dass alle verstehen“, so wird beim gemeinsamen nachdenken und verstehen der Irrweg letztlich als solcher erkannt und offen gelegt werden und zwar so, dass alle verstehen, dass es sich um einen Irrweg handelt und an welcher Stelle falsch abgebogen wurde
Genetisches Lernen: Sokratisch • Das heißt also auch, jeder ist dazu aufgefordert zu überprüfen, ob noch alle folgen und jeder einzelne ist verpflichtet sich zu melden, wenn er den Anschluss verliert • Dies wiederum verlangt von jedem einzelnen den Mut zuzugeben, dass etwas nicht verstanden wurde und von den anderen Geduld und Toleranz und die Bemühung den Zurückgebliebenen wieder mit einzubeziehen
Genetisches Lernen: Sokratisch Anforderungen an den Gesprächsleiter • Ständige Kontrolle ob alle Gesprächsteilnehmer den Gedanken folgen können • Merkt die Gruppe nicht, dass jemand nicht folgen kann, oder will dies übergehen, so muss er eingreifen und das Gespräch so lange an diesem Punkt halten, bis auch der Letzte es verstanden hat • Verhindern, dass das Gespräch zu sehr von der eigentlichen Fragestellung abweicht • Dass heißt nicht, dass es wieder zu einem gelenkten Unterrichtsgespräch kommen soll
Genetisches Lernen: Sokratisch • Irrwege und Umwege sind erlaubt, nur sollte der rote Faden möglichst beibehalten werden • Nelson verlangt, dass der Lehrer sich inhaltlich total aus dem Gespräch heraus hält • Wagenschein weicht hier etwas ab • Er erlaubt dem Lehrer aktives Mitdenken und inhaltliche Einmischung, aber unter größtmöglicher Zurückhaltung • Soweit wie möglich sollen Schüler alleine zu Erkenntnissen kommen
Genetisches Lernen: Sokratisch Typische Fragen für den Moderator • Worüber sprechen wir jetzt? • Was wollten wir eigentlich herausbringen? • Sind wir weitergekommen? • Wer ist einverstanden mit dem, was er eben gesagt hat? • Hast du selbst verstanden, was du eben gesagt hast? Sag es noch einmal anders. • Hat ein anderer verstanden, was er gemeint haben kann?
Genetisches Lernen: Sokratisch • „Man führe das Gespräch sokratisch, etwa im Sinne Leonard Nelsons. […] möglichst schweigend und zuhörend; geduldig wartend, nicht passiv und nicht hart, sondern mit vertrauender stützender Geduld, mit (unsichtbarem) ‚Harren’ (wenn ein fast theologischer Ausdruck erlaubt ist). – Zuerst muß man ja erreichen, dass die Schüler miteinander reden und nicht immer auf den Lehrer schielen, wenn sie etwas gesagt haben; ein trauriges Ergebnis unserer Schule, das bei referierenden jungen Stundenten fast durchweg zu beobachten ist. – Das Wichtigste: dass allen klar ist, worüber gedacht und geredet wird. Andernfalls […] können wir uns nicht wundern, wenn nicht gedacht wird.
Genetisches Lernen: Sokratisch Deshalb wird man, nach Nelsons Vorbild, immer wieder Fragen folgender Art stellen: Worüber sprechen wir jetzt? Was wollten wir eigentlich herausbringen? Sind wir weitergekommen? Wer ist einverstanden mit dem, was er eben gesagt hat? Hast du selbst verstanden, was du eben gesagt hast? Sag es noch einmal anders. Hat ein anderer verstanden, was er gemeint haben kann? – Und so fort, bis fast alle verstanden haben. – Dies zu erreichen ist eine Aufgabe nicht des Lehrers allein (wenn auch er es ist, der zu dieser Aufgabe führt), sondern die gemeinsame Arbeit aller.“ (Wagenschein, Martin: Ursprüngliches Verstehen und exaktes Denken. Band II, Stuttgart 1970, S. 96 f)
Kurzzusammenfassung • Exemplarisch - Beschränkung auf das Wesentliche • Genetisch - der Entwicklung folgend • Sokratisch - das Selbstgehen lehrend
Quellen: • Portmann, Adolf. Naturwissenschaft und Humanismus, Karl Jaspers: Wahrheit und Wissenschaft, Zwei Reden, München 1960 • Wagenschein, Martin. Erinnerungen für Morgen – Eine pädagogische Autobiographie. Weinheim und Basel 1989 • Wagenschein, Martin. Ursprüngliches Verstehen und exaktes Denken. Band II, Stuttgart 1970 • Wagenschein, Martin: Verstehen lernen, Weinheim und Basel 1968 • Wagenschein, Martin. Zum Begriff des Exemplarischen Lehrens. Weinheim und Beltz 1956 • Weil, Simone. Die Einwurzelung. München 1965 • www.martin-wagenschein.de (Dezember 2006)