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Krisenintervention bei Kindern und Jugendlichen. Ingo Vogl Karin Unterluggauer. Psychosoziale Krisen. Definition. Krisendefinition. In der Fachliteratur findet man h ä ufig eine Definition nach Gerald Caplan (1961) …
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Krisenintervention bei Kindern und Jugendlichen Ingo Vogl Karin Unterluggauer
Psychosoziale Krisen Definition
Krisendefinition In der Fachliteratur findet man häufig eine Definition nach Gerald Caplan (1961)… • Unter Krise ist eine „akute Überforderung eines gewohnten Verhaltens- respektive Copingsystems durch belastende äußere oder innere Erlebnisse zu verstehen.“
Psychosoziale Krisen Definition von Reiter & Strotzka (1977) "Als psychosoziale Krisen können bezeichnet werden: • vorwiegend akute Ereignisse und/oder Erlebnisse, • die überraschend eintreten, • in der Regel einen Verlust mit sich bringen, • den Charakter des Bedrohlichen haben, da sie Ziele und Werte in Frage stellen;
Psychosoziale Krisen • von Angst, Insuffizienzgefühlen und Hilflosigkeit begleitet sind, • Entscheidungen und Anpassungsleistungen in relativ kurzer Zeit erzwingen, • dabei die Problembewältigungskapazität aufs äußerste beanspruchen bzw. überfordern; • deren Ausgang ungewiß ist und die • die Chance zur Neuorientierung bieten."
Rolle der Bewertung Rolle der Bewertung Als Ergänzung ist der Ansatz von Ulich (1987) wichtig, der die subjektive Bewertung betont… • Rolle der Einschätzung der Situation und der Bewältigungsmöglichkeiten und • subjektiven Bewertung/ Bedeutung für das Individuum
Bewältigung von Krisen Sonneck (1998) beschreibt bestimmte Einflussfaktoren für die Bewältigung von Krisen… • Krisenanlass, Konflikt • Vulnerabilität und Disposition • Subjektive Bedeutung und Bewertung • vorhandene Ressourcen: sozial, materiell, etc. • Wahrnehmen von Hilfsmöglichkeiten • Reaktion der Umwelt • Ausmaß sozialer Integration
Krise im beruflichen Kontext • Dynamik von Krisensituationen stellt hohe Anforderungen an die HelferInnen. • Krisensituationen sind gekennzeichnet durch… • Charakteristika wie Unkontrollierbarkeit, Unvorhersehbarkeit der Entwicklung, Mehrdeutigkeit sowie Antizipation von negativen Konsequenzen (Mason, 1968). • Hohe eigene emotionale Betroffenheit • Notwendigkeit Entscheidungen zu treffen • Großer Zeitdruck • Informationsmangel • …
Trauma • Was ist ein Trauma? Ist es dasselbe für Kinder und Erwachsene? • Typische Reaktionen? Dieselben für Kinder und Erwachsene?
Trauma erzeugt eine Lücke zwischen wahrgenommener Bedrohung und der Fähigkeit diese zu bewältigen Trauma (Fischer & Riedesser)
Wichtige Fragen, die sich daraus ergeben • In welchem Ausmaß hat das Kind die Bedrohung wahrgenommen? • Welche Möglichkeiten der Bewältigung hat das Kind wahrgenommen?
Dies führt zu einer Erschütterung der Grundannahmen über Selbst und Welt Trauma (Fischer & Riedesser)
Grundannahmen (Janoff-Bulman) • Gutartigkeit der Welt „Die Welt um mich herum ist ein sicherer Ort.“ „Nur wer unvorsichtig ist, dem passiert etwas.“ • Sinnhaftigkeit der Welt „Die Welt ist gerecht.“ „Personen verdienen was sie bekommen und sie bekommen was sie verdienen“ • Selbstwert „Ich kann notwendige Dinge selbst tun.“ „Ich kann meine Familie beschützen“ Diese Grundannahmen hängen eng mit unserem Gefühl der Verwundbarkeit zusammen
Grundannahmen, Basic assumptions (Janoff-Bulman) • Gestörtes Grundvertrauen in Welt und Bezugspersonen (verstärktes Zuwendungsbedürfnis) • Erschütterung von Grundwerten (erhöhtes Informationsbedürfnis) • Erschütterter Selbstwert (Bedürfnis nach Wiedererlangung von Kontrolle)
Akute Belastungsreaktion- in und unmittelbar nach der Krise Definition laut ICD 10: • Emotionale Taubheit und Dissoziation • Bewusstseinseinengung und Desorganisiertheit • Überwältigung • Übererregtheit
Symptomatik der PTBS – Besonderheiten bei Kindern(Tabelle v. Weinberg 2005)
Symptomatik der PTBS – Besonderheiten bei Kindern(Tabelle v. Weinberg 2005)
Symptomatik der PTBS – Besonderheiten bei Kindern(Tabelle v. Weinberg 2005)
Zusatzsymptome bei Kindern • Regression • Aggression • Trennungsangst, Klammern • Rückzug
Warum zittere ich immer noch? • Übersetzung: Was ist akuter Stress? • Erste Antwort: „Das ist Stress. Wenn man in Gefahr ist, dann macht der Körper sich bereit für Kampf oder Flucht und das Zittern kommt von der Energie, die noch übrig ist.“
Warum kann ich nicht schlafen? • Übersetzung: Was ist andauernder Stress? • Erste Antwort: „Das macht der Stress. Das, was Sie erlebt haben, war so bedrohlich, dass der Körper besonders viel Stresshormone ausgeschüttet hat und diese nur langsam wieder abbauen kann. Das kann ein paar Tage dauern, bis du wieder gut schlafen kannst. Das ist eine sehr häufige Reaktion.“
Warum sehe ich die Bilder? • Übersetzung: Wie funktioniert das Gedächtnis? • Erste Antwort: „Du siehst die Bilder, weil das Gehirn sie nicht richtig abspeichern kann. Unsere Erinnerung schützt uns vor Gefahren in der Zukunft und weil diese gefährliche Situation so neu ist, speichern wir erst mal alles ab. Erst wenn wir wieder in Sicherheit sind, fangen wir an zu sortieren. Die Bilder zeigen, dass du versuchst, die Erfahrung einzusortieren.“
Warum kann ich mich nicht erinnern? • Übersetzung: Wie funktioniert das Gedächtnis? • Erste Antwort: „Ich weiß nicht, warum du dich nicht erinnern kannst, das kann verschiedene Ursachen haben. Aber viele Leute können sich an den einen oder anderen Moment in solchen belastenden Situationen nicht erinnern, weil die Seele sich schützt. Manchmal kommen die Erinnerungen wieder, wenn man wieder in Sicherheit ist oder mit jemandem darüber redet, manchmal kommen sie auch nicht wieder.“
Warum passiert es ständig wieder? • Übersetzung: Was ist ein Flashback? • Erste Antwort (die meist nicht in der Akutphase gegeben wird, da Flashbacks erst in der Zeit nach dem belastenden Ereignis auftreten.): „Die Erinnerung kommt immer wieder, weil sie so bedrohlich war und wir sie nicht einordnen können. Deswegen werden wir von unserer inneren Zeitmaschineimmer wieder dorthin zurückgeschickt, um daraus zu lernen, wie wir uns in Zukunft schützen können.“
Das hat ewig gedauert! • Übersetzung: Was ist Zeitlupenwahrnehmung? Wieso wird die Zeit verändert wahrgenommen? • Erste Antwort:„In belastenden Situationen kommt es manchmal dazu, dass man das Gefühl hat, als würde alles ganz langsam ablaufen, obwohl eigentlich alles ganz schnell geht. Das ist ein normaler Prozess, den jeder kennt. Wenn wir glücklich sind, verfliegt die Zeit viel zu schnell, bei einer Prüfung will sie einfach nicht vergehen. • Bei belastenden Lebenserfahrungen passiert das auch manchmal. Dann erscheint einem alles ganz langsam und wir glauben, wir hätten anders handeln können, aber wir müssen uns klar machen, dass die Zeit in der Realität schneller vergangen ist, so dass eben keine Möglichkeit war, anders zu handeln. Du hast das bestmögliche getan.“
Werde ich jetzt verrückt? • Übersetzung: Ich habe Angst verrückt zu werden. Ist diese Angst begründet? • Erste Antwort: • „Nein, das sind alles Reaktionen, die ich schon oft bei Menschen gesehen habe, die eine belastende Lebenserfahrung machen mussten.“ • „Nein, das sind alles normale Reaktionen. Die meisten Menschen, die eine belastende Lebenserfahrung machen, haben diese Reaktionen.“
Trauer „Der erste Trost, den wir Erwachsenen einem Kind geben können, ist: Traurig sein zu dürfen.“ (Leist 1982)
Zum Hinschauen gibt es keine Alternative Warum soll die Schule trauern? • Viel Zeit in der Schule • Daher wesentlich: Verarbeitung des Todesfalles (egal ob er in der Schule passiert ist oder nicht) nicht auf das zu Hause der Schüler zu verlagern. Getrauert soll dort werden, wo man seine Beziehungen lebt.
Den Kindern und Jugendlichen etwas zumuten heißt,ihnen etwas zutrauen. • Keine Sache von Experten • Schule spielt für die Trauerverarbeitung eine wichtige Rolle. • Lehrerinnen und Lehrer können hier mit einfachen Mitteln sehr viel erreichen. • Verarbeitung von Trauer geschieht in erster Linie durch die Auseinandersetzung mit der Situation im Alltäglichen - hier also im Schulalltag.
Trauer bei Kindern • Je nach Alter und Entwicklungsstand macht sich ein Kind völlig unterschiedliche Vorstellungen vom Tod • Diese Vorstellungen bestimmen seine Ängste und die Fragen, die es stellen wird
Besonderheiten kindlicher Trauerreaktionen (Webb, 2005) • Stand der kognitiven Entwicklung –Entwicklung des Todeskonzepts - erschwert kindliches Verständnis • Können nur begrenzt emotionalen Schmerz ertragen • Können nur eingeschränkt Emotionen verbalbeschreiben • Wollen sich nichtvon ihren gleichaltrigenFreundenunterscheiden • Können ihre Gefühle nur begrenzt verbal, dafür aber besser symbolisch im Spiel ausdrücken
Womit hat das Kind Schwierigkeiten? • Endgültigkeit(Körperfunktionen, nicht wiederkommen können) • Allgemeingültigkeit (auch junge Menschen sterben) • Unvermeidbarkeit (Manchmal kann man nichts dagegen tun, dass jemand stirbt)
Das Vorschulkind (2-7Jahre) • Denkt magisch • Das magische Denken fördert Erklärungen wie: „ich war nicht brav, deshalb ist meine Mama gestorben“. Das Kind glaubt, dass seine Handlungen den Tod herbeiführen können. • Das Kind denkt der Tod ist wie ein Schlaf • Es kann Angst vor dem Einschlafen entwickeln, es braucht die Rückversicherung und Erklärung, dass man nicht stirbt wenn man schläft. • Ein Kind in diesem Alter begreift die Endgültigkeit des Todes nicht • Es denkt, dass der Tod rückgängig gemacht werden kann.
Das Vorschulkind (2-7Jahre) • Das Kind denkt dass einige Körperfunktionen weitergehen (Endgültigkeit). • Auch wenn es das Begräbnis miterlebt, wird es nicht begreifen, dass der tote Körper im Grab nichts mehr fühlt und wird sich vielleicht Sorgen machen, wie ein Toter atmen kann mit all der Erde über sich oder wie er aufs Klo gehen wird können. • Es denkt z.B. dass Tote in Kisten unter der Erde leben, die vielleicht untereinander über Gänge verbunden sind. Peter (6 J.) „der Himmel ist ein Ort tief unter der Erde tiefer als jeder Mensch gehen kann, sogar tiefer als ein Bagger graben kann. Dein Körper geht dorthin wenn du tot bist.“
Das Schulkind (7-11 Jahre) • Kann schon begreifen, dass der Tod endgültig ist (Endgültigkeit) • Es kann auch erkennen, dass jeder von uns früher oder später sterben wird (Allgemeingültigkeit). • Schulkinder glauben, dass der Tod nur den Alten und Schwachen passiert und dass man, wenn man nur schnell genug laufen kann, dem Tod entkommt. • Sie stellen sich den Tod als Person vor, als Skelett oder als Geist • Das Kind in diesem Alter ist sehr interessiert am Tod und kann spezifische Ängste entwickeln, die sich auf die Allgemeingültigkeit beziehen. Es begreift nicht, dass der Tod auch frühzeitig eintreten kann oder dass er ihm selbst auch passieren könnte (Allgemeingültigkeit). • .
Das Kind ab11 bis 12 Jahren • Beginnt zu begreifen, dass der Tod endgültig ist (Endgültigkeit). • Ein Kind ab 11 Jahren kann die konkreten Elemente des Todes verstehen, z.B. dass die Körperfunktionen nicht mehr länger in Kraft sind. • Es weiss, dass der Tod jedem Menschen zustoßen wird-und dass auch junge Menschen sterben können (Allgemeingültigkeit). • Es hat Schwierigkeiten mit derUnvermeidbarkeit (dass man den Tod manchmal nicht verhindern kann)
Akute Trauerreaktionen (Dyregrov, 2002) • Schock und Unglaube • Bestürzung und Widerrede • Apathie und Überwältigung • Fortfahren gewöhnlicher Aktionen
Subakute Trauerreaktionen I(Dyregrov, 2002) • Ängstlichkeit und Angst • Anschauliche, lebendige Erinnerungen • Schlafstörungen • Traurigkeit und Sehnsucht
Subakute Trauerreaktionen II(Dyregrov, 2002) • Wut und ausagierendes Verhalten • Schuldgefühle, Selbstvorwürfe und Scham • Probleme in der Schule • Physische Beschwerden
Erste Reaktionen auf Todesnachricht Viele kleinere Kinder können sich nicht verbal äußern, sie drücken ihre Verwirrung und Wut aktiver aus. David war neun Jahre alt. Als ich ihm sagte, dass sein Vater tot sei, schlug er auf mich ein. Alles was ich tun konnte war ihn zu halten. Später rannte er jedes mal weg, wenn jemand erwähnte was passiert war und versteckte sich unter seinem Bett.
Erste Reaktionen auf Todesnachricht • Ältere Kinder kontrollieren sich mehr: Anna (11 Jahre): “Ich ging hinunter ins Schwesternzimmer. Ich war wütend. Dort stand ein Rollstuhl. Ich wollte ihn treten. Aber ich kontrollierte mich. Niemand wusste, wie ich mich fühlte.“ • Kinder ab 11 Jahren bewältigen oft durch Ablenkung (z. B.: stundenlanges Starren in den Fernseher, Stereoanlage aufdrehen,. . .)
Wo brauchen KinderHilfe? • Beim Verstehen dessen was geschehen ist und des Todes • Bei der Erinnerung • Beim Verstehen und Regulieren der Gefühle
Tod eines Angehörigen • Reagieren mit ganz großer Tapferkeit, fast „cool“ • Zeigen keine erkennbaren Anzeichen von Trauer • rasche Wechselmöglichkeit zwischen großen Gefühlen die sie zeigen und dann plötzlich – nichts mehr zu spüren. • Fähigkeit, Trauer zu vertagen. • Angst vor Trauerzwang und verordneten Ritualen. Respektieren und tolerieren!
Reaktionen • Mitunter Rückzug aus Familie • Jugendliche nehmen Erwachsenen übel, wenn sie zu schnell zur Tagesordnung übergehen. • Gefühl der Einsamkeit • Führt zu Verletzungen, zu Wut und zu Schuldgefühlen – bis hin zu dem Wunsch, selbst sterben zu wollen – auch um auszuloten, wie wichtig sie selbst noch sind.
Grundregeln im Umgang mit trauernden Jugendlichen • Sprechen und Emotionsausdruck fördern • Zusammenhänge zwischen Ereignis und Reaktionen erklären • Erinnerungshilfen gemeinsam ausarbeiten • Schuldgefühle beachten • Kreativen Ausdruck fördern • Supervision • Erlaubnis geben zum „Kind sein“, nicht in erwachsene Rollen drängen aber dennoch nicht als Kind behandeln
Trauerarbeit mit Kindern Grundregeln: • Helfen Sie dem Kind, den Tod zu begreifen. • Erleichtern Sie das Abschiednehmen (eine Botschaft in den Sarg legen, etc.). • Sprechen Sie ihre eigenen und die Gefühle des Kindes an und normalisieren sie diese.
Trauerarbeit mit Kindern • Lassen Sie das Kind am Begräbnis und allen anderen Familienritualen teilnehmen, wenn es dies wünscht. • Sorgen Sie für adäquate Begleitung. • Zwingen Sie das Kind zu nichts!