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1. Strafrecht Allgemeiner Teil Christof Riedo
2. § 21: Strafbarkeits-voraussetzungen jenseits von Unrecht und Schuld
3. Überblick Objektive Strafbarkeitsbedingungen
Verjährung
Strafantrag
Ermächtigung
4. Objektive Strafbarkeits-bedingungen
5. Objektive Strafbarkeitsbedingungen Begriff:
Materielle Voraussetzungen der Strafbarkeit, die nicht zum Unrecht oder zur Schuld gehören
?Müssen vom Vorsatz nicht erfasst sein
6. Objektive Strafbarkeitsbedingungen Beispiel:
Art. 133: Raufhandel:Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
? Tod oder Körperverletzung eines Menschen als objektive Strafbarkeitsbedingung
7. Objektive Strafbarkeitsbedingungen Normalfall:
8. Objektive Strafbarkeitsbedingungen Sonderfall 1: Objektive Strafbarkeitsbedingung
9. Objektive Strafbarkeitsbedingungen Sonderfall 2: "Überschiessende Innentendenz"
10. Verjährung (Art. 97-101)
11. Verjährung im Allgemeinen Zweck:
Abnahme des Vergeltungsbedürfnisses
Spezialpräventive Sinnlosigkeit später Sanktionierung
Beweisschwierigkeiten
12. Verjährung im Allgemeinen Begriff:
Untergang des staatlichen Strafanspruchs durch Zeitablauf
13. Verjährung im Allgemeinen Arten:
Verfolgungsverjährung: hindert die zuständigen Behörden an der Strafverfolgung
Vollstreckungsverjährung: untersagt die Vollstreckung einer ausgesprochenen Sanktion
14. Verjährung im Allgemeinen Rechtsnatur:
H.L.: Institut des materiellen Strafrechts ("Strafaufhebungsgrund")
A.L.: Institut des formellen Rechts (Prozesshindernis; negative Prozessvoraussetzung)
?Praktische Bedeutung der Frage gering
15. Verfolgungsverjährung Beginn der Frist (Art. 98): Grundsatz
Zeitpunkt der strafbaren Handlung (mit dem Tag, an dem der Täter "die strafbare Tätigkeit ausführt")
?Gilt auch bei Erfolgsdelikten
16. Verfolgungsverjährung Beginn der Frist (Art. 98): Sonderfälle
"Einheitsdelikte": Mit der letzten strafbaren Handlung
Dauerdelikte: Wenn das deliktische Verhalten aufhört
Unterlassungsdelikte: Wenn der Täter spätestens hätte handeln müssen
Beteiligung mehrerer: Sobald der letzte Tatbeitrag geleistet wird
17. Verfolgungsverjährung Dauer der Frist: Grundsätze (Art. 97)
30 Jahre, wenn die Tat mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht ist;
15 Jahre, wenn die Tat mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht ist;
7 Jahre, wenn die Tat mit einer anderen Strafe bedroht ist.
18. Verfolgungsverjährung Dauer der Frist: Sondernormen:
Art. 101: Unverjährbarkeit
Art. 109: Übertretungen
Art. 118 Abs. 4: Schwangerschaftsabbruch
Art. 178: Ehrverletzungen
Art. 302 Abs. 3: Beleidigung fremder Staaten und internationaler Organisationen
Nebenstrafrecht (Art. 333 Abs. 6!)
Art. 123b BV: Unverjährbarkeitsinitiative
19. Verfolgungsverjährung Berechnung, Wahrung und Ablauf der Frist:
Berechnung nach dem Kalender (Art. 110 Abs 6), wobei der Tag des Fristbeginns nicht mitzuzählen ist
Prüfung von Amtes wegen
Wahrung durch Verurteilung in erster Instanz (Art. 97 Abs. 3)
20. Verfolgungsverjährung Rechtsfolgen bei Ablauf der Frist:
Im Untersuchungsverfahren: Einstellung des Verfahrens
Im Hauptverfahren:
?H.L.: Freispruch
?A.L.: Prozessentscheid
21. Verfolgungsverjährung Milderes Recht:
Bei Straftaten vor dem 1.10.2002: Lex mitior: Art. 389
22. Vollstreckungsverjährung Beginn der Frist:
Mit dem Tag, an dem das Urteil vollstreckbar wird (Art. 100 Satz 1 StGB)
23. Vollstreckungsverjährung Dauer der Frist: Art. 99 Abs. 1
30 Jahren, wenn eine lebenslängliche Freiheitsstrafe ausgesprochen wurde;
25 Jahren, wenn eine Freiheitsstrafe von zehn oder mehr Jahren ausgesprochen wurde;
20 Jahren, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf und weniger als zehn Jahren ausgesprochen wurde;
15 Jahren, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als einem und weniger als fünf Jahren ausgesprochen wurde;
5 Jahren, wenn eine andere Strafe ausgesprochen wurde.
?Sonderregeln beachten
24. Vollstreckungsverjährung Berechnung der Frist: Art. 99 Abs. 2
Nach dem Kalender (Art. 110 Abs. 6)
Sonderregeln: Art. 99 Abs. 2: "Verlängerung" der Frist:
um die Zeit, während der sich der Täter im ununterbrochenen Vollzug dieser oder einer anderen Freiheitsstrafe oder Massnahme, die unmittelbar vorausgehend vollzogen wird, befindet;
um die Dauer der Probezeit bei bedingter Entlassung.
25. Strafantrag (Art. 30-33)
26. Strafantrag (Art. 30-33) Normalfall: Offizialdelikte: Straftaten, bei denen die Strafverfolgung unabhängig vom Willen des Verletzten von Amtes wegen durchzuführen ist
Sonderfall: Antragsdelikte:Straftaten, bei denen die Strafverfolgung nur auf Antrag (i.d.R. des Verletzten) hin erfolgt
27. Strafantrag (Art. 30-33) Arten von Antragsdelikten:
Absolute Antragsdelikte: Straftaten, bei denen die Strafverfolgung generell nur auf Antrag hin erfolgt
Relative Antragsdelikte: Straftaten, bei denen die Strafverfolgung grundsätzlich von Amtes wegen erfolgt, bei Vorliegen bestimmter Täter-Opfer-Relationen aber nur auf Antrag hin
28. Strafantrag (Art. 30-33) Relative Antragsdelikte: Beispiel:
Eliane Aeby und Marcel Luginbühl sind seit zwei Jahren miteinander verlobt. Zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte er ihr eine Brosche im Wert von CHF 500 gestohlen. Nun gesteht er seine Tat, gibt ihr das Schmuckstück zurück und fragt sie, ob sie ihn trotz allem heiraten wolle. Sie stimmt diesem Antrag freudig zu, die beiden heiraten. Leider hat auch Elianes Mutter von Marcels Vergehen erfahren - und die zeigt ihn an.
29. Strafantrag (Art. 30-33) Relative Antragsdelikte: Angehörige:
Ehegatten
Eingetragene Partner
Verwandte in gerader Linie
voll- und halbbürtige Geschwister
Adoptiveltern und -geschwister und -kinder
30. Strafantrag (Art. 30-33) Relative Antragsdelikte: Familiengenossen:
Personen, "die im gleichen Haushalte leben".
Enge Auslegung: Personen, die "gemeinsam essen, wohnen und unter einem gemeinsamen Dache schlafen"
Hauptanwendungsfälle: Konkubinate und WGs
31. Strafantrag (Art. 30-33) Rechtfertigung von Antragsdelikten:
Geringer Unrechtsgehalt
Erhebliche Tangierung der Persönlichkeitsrechte des Verletzten
Enge persönliche Beziehungen zwischen Täter und Opfer
32. Strafantrag (Art. 30-33) Strafantrag:
Willenserklärung eines Antragsberechtigten, es sei wegen der Begehung eines Antragsdelikts ein Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen
33. Strafantrag (Art. 30-33) Strafanzeige:
Erklärung gegenüber einer zuständigen Behörde, es sei ein bestimmtes Delikt begangen worden
?blosse Wissenserklärung
?kann von jedermann erstattet werden
34. Strafantrag (Art. 30-33) Rechtsnatur des Strafantrages:
H.L. und Praxis: Prozessvoraussetzung
Prozessvoraussetzungen: prozessuale Bedingungen bzw. Umstände, die erfüllt sein müssen, damit ein Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt werden darf
35. Strafantrag (Art. 30-33) Strafantragsberechtigung
Art. 30 Abs. 1: Jeder, der durch die auf Antrag strafbare Handlung verletzt worden ist, kann die Bestrafung des Täters beantragen
36. Strafantrag (Art. 30-33) Art. 123 / 125: Körperverletzung
Beispiel: Herr Roux wird in einer Beizenschlägerei so stark verletzt, dass er während mehrerer Tage seiner Arbeit in einer Schreinerei nicht nachgehen kann.
37. Strafantrag (Art. 30-33) Art. 123 / 125: Körperverletzung
Beispiel: Schaller schlägt auf Marti ein. Dessen Freund Zosso, der direkt daneben steht, erleidet dadurch einen Schock.
38. Strafantrag (Art. 30-33) Art. 144: Sachbeschädigung
Beispiel: Ein Fernseher wird beschädigt (im Sinne von Art. 144 StGB); der Schaden beträgt CHF 250. Eigentümerin des entwendeten Geräts ist das Fachgeschäft Fernseh AG. Die hat den Fernseher an Herrn Salamin vermietet.
39. Strafantrag (Art. 30-33) Art. 144: Sachbeschädigung
Beispiel: Ein Fernseher wird beschädigt (im Sinne von Art. 144 StGB); der Schaden beträgt CHF 250. Eigentümerin des entwendeten Geräts ist Frau Lopez, allerdings benützt auch deren Liebhaber, Herr Pauli, den Fernseher ab und zu, um sich Fussball-Spiele anzuschauen.
40. Strafantrag (Art. 30-33) Art. 173 ff.: Ehrverletzungen
Beispiel: Künzi bezeichnet die Ehefrau seines Kegelclub-Kollegen Bärtschi als "Luder".
41. Strafantrag (Art. 30-33) Art. 173 ff.: Ehrverletzungen
Beispiel: Künzi bezeichnet die Ehefrau seines Kegelclub-Kollegen Bärtschi als "Hure".
42. Strafantrag (Art. 30-33) Art. 180: Drohung
Beispiel: Eine Lokalpolitikerin erhält einen anonymen Brief mit der Drohung "Ich werde Deinen Mann umbringen".
43. Strafantrag (Art. 30-33) Art. 180: Drohung
Beispiel: Eine Lokalpolitikerin erhält einen anonymen Brief mit der Drohung "Ich werde Dich umbringen".
44. Strafantrag (Art. 30-33) Sonderfall: Mehrere Verletzte
Beispiel: Aus einem Leserbrief: "Das Pastoren-Paar Hurni geht regelmässig auf Diebestour".
45. Strafantrag (Art. 30-33) Bei Handlungsunfähigkeit des Verletzten sind antragsberechtigt (Art. 30 Abs. 2 / 3):
sein gesetzlicher Vertreter (die Eltern, der Vormund);
die Vormundschaftsbehörde, soweit der Verletzte bevormundet ist;
der handlungsunfähige Verletzte selbst, wenn er urteilsfähig ist.
46. Strafantrag (Art. 30-33) Bei Tod des Verletzten: Antragsrecht jedes Angehörigen (Art. 30 Abs. 4):
Beispiel: Herr Carell hat vor einiger Zeit eine Scheidungsklage eingereicht. Frau Nager erzählt überall herum, das sei ja wohl kein Wunder, Frau Carell sei nämlich eine verlogene Gans. Kurz nach der Scheidung stirbt Frau Carell bei einem Autounfall.
47. Strafantrag (Art. 30-33) Was gilt bei "Verletzung" eines Toten?
Beispiel: Nach einem Politskandal setzte sich Uwe Barschel in die Schweiz ab und logierte in einem Genfer Hotel. Ein Stern-Journalist drang ins Hotelzimmer ein, wo er Barschels Leiche vorfand und fotografierte. Die Ehefrau, die Mutter und die Geschwister von Barschel stellten Strafantrag.
(BGE 118 IV 319 = Pra 1995, Nr. 210)
48. Strafantrag (Art. 30-33) Inhalt des Strafantrages
BGer: Gefordert ist eine Willenserklärung des Berechtigten, "dass die Strafverfolgung stattfinden solle, und zwar eine solche Willenserklärung, welche nach dem massgebenden Prozessrecht die Strafverfolgung auch tatsächlich in Gang bringt und das Verfahren ohne weitere Erklärung des Antragstellers seinen Lauf nehmen lässt".
49. Strafantrag (Art. 30-33) Inhalt des Strafantrages: Anforderungen im Überblick
Nennung des Antragsberechtigten
Erklärung des Willens, es solle eine Strafverfolgung stattfinden
Umschreibung der Tat
Bezeichnung des Täters?
Bezeichnung der Willenserklärung?
Unbedingte Erklärung?
50. Strafantrag (Art. 30-33) Form des Strafantrages:
Massgebend ist kantonales Prozessrecht
I.d.R. ist der Strafantrag schriftlich einzureichen oder mündlich zu Protokoll zu geben
Bei Formmangel: Ungültigkeit des Strafantrages
51. Strafantrag (Art. 30-33) Adressat des Strafantrages:
Massgebend ist kantonales Prozessrecht
I.d.R. kann der Strafantrag bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder bei Untersuchungsrichter-behörden eingereicht werden
52. Strafantrag (Art. 30-33) Antragsfrist (Art. 31):
Beginn der Frist: Die Strafantragsfrist beginnt am Tag, an welchem dem Antragsberechtigten "der Täter bekannt wird".
?Vorausgesetzt: Kenntnis von Tat und Täter
53. Strafantrag (Art. 30-33) Antragsfrist (Art. 31): Kenntnis der Tat
Beispiel: Im Zuge einer heftig geführten Streiterei über die Benutzung der gemeinschaftlichen Waschmaschine wird Rotzetter von seinem Nachbarn Stadelmann verbal und tätlich angegriffen.
54. Strafantrag (Art. 30-33) Antragsfrist (Art. 31): Kenntnis der Tat
Beispiel: Als Peyer aus den Ferien nach Hause zurückkehrt, muss er feststellen, dass Teile seines Gartenzaunes umgeknickt sind. Eine Nachbarin erzählt ihm, sie hätte letzte Nacht Lärm gehört, sei zum Fenster gegangen und habe gerade noch sehen können, wie Zahno davongefahren sei.
55. Strafantrag (Art. 30-33) Antragsfrist (Art. 31): Kenntnis des Täters
Beispiel: An seinem Arbeitsplatz findet Hayoz eines Morgens eine anonyme Nachricht mit wüsten Beschimpfungen. Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten und der im Umlauf befindlichen Schlüssel steht aber fest, dass nur drei Personen die Tat begangen haben können.
56. Strafantrag (Art. 30-33) Antragsfrist (Art. 31):
Dauer der Frist: Drei Monate
Berechnung der Frist: Nach dem Kalender, wobei der Tag der Kenntnisnahme nicht mitzuzählen ist
57. Strafantrag (Art. 30-33) Antragsfrist (Art. 31): Wahrung der Frist:
Mit Postaufgabe am letzten Tag der Frist (24.00 Uhr)
Endet die Frist an einem Samstag, einem Sonntag oder einem anerkannten Feiertag: Verlängerung der Frist bis zum nächstfolgenden Werktag
58. Strafantrag (Art. 30-33) Unteilbarkeit des Strafantrages (Art. 32):
Beispiel: Zwei Jugendliche entwenden in einem Kiosk gemeinsam Waren im Gesamtwert von CHF 100. Dabei werden sie von einer Angestellten ertappt, die schreit um Hilfe, worauf sich die beiden davonmachen. Am nächsten Tag kommt einer der beiden Täter vorbei und bringt die gestohlene Ware zurück.
59. Strafantrag (Art. 30-33) Unteilbarkeit des Strafantrages (Art. 32):Begriff der Beteiligten:
Mittäter
Anstifter
Gehilfen
60. Strafantrag (Art. 30-33) Unteilbarkeit des Strafantrages (Art. 32): Wirkung des Grundsatzes:
Aufklärungspflicht der Behörden
Keine Ausdehnung des Verfahrens von Amtes wegen
61. Strafantrag (Art. 30-33) Prüfung des Strafantrages:
Ob ein gültiger Strafantrag vorliegt, ist von den zuständigen Behörden in jeder Phase des Verfahrens von Amtes wegen zu prüfen.
62. Strafantrag (Art. 30-33) Wirkungen des gültigen Strafantrages:
Prozessvoraussetzung erfüllt: Vorgehen wie bei einem Offizialdelikt
63. Strafantrag (Art. 30-33) Fehlen eines gültigen Strafantrages:
Prozessvoraussetzung nicht erfüllt: Einstellung des Verfahrens
64. Strafantrag (Art. 30-33) Verzicht auf das Antragsrecht (Art. 30 Abs. 5):
Durch den Berechtigten
Willenserklärung, eine begangene Tat solle nicht verfolgt und bestraft werden
Ausdrückliche Erklärung, aber auch durch konkludentes Verhalten
Verzicht wirkt "endgültig"
65. Strafantrag (Art. 30-33) Rückzug des Strafantrages (Art. 33 Abs. 1-3):
Durch den Berechtigten
Willenserklärung, eine Straftat solle – entgegen einem bereits eingereichten Strafantrag – nun doch nicht verfolgt verurteilt werden
66. Strafantrag (Art. 30-33) Rückzug des Strafantrages (Art. 33 Abs. 1-3):
Bis "das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist"
Unteilbarkeit
Einstellung des Strafverfahrens
Keine Erneuerung des Strafantrages
67. Strafantrag (Art. 30-33) Einspruch (Art. 33 Abs. 4):
Um sich von einem Verdacht "reinzuwaschen"
In der Praxis kaum anzutreffen
68. Relative Offizialdelikte und Verfahrenseinstellung (Art. 55a)
69. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Delikte, bei denen die Strafverfolgung grundsätzlich einen Strafantrag voraussetzt, bei besonderen Täter-Opfer-Beziehungen aber von Amtes wegen zu erfolgen hat
70. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Kriminologisches: Gewalt an Frauen
20.7 % der Frauen wird im Verlaufe ihres Lebens durch den Partner physische und / oder sexuelle Gewalt zugefügt (Gillioz/De Puy/Ducret, Violence, 69 f.).
29.9 % der befragten Frauen waren Opfer von Gewalt oder Drohungen durch frühere Partner (Gloor/Meier, Gewalt, 26).
Kosten von rund 400 Mio CHF jährlich
71. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Kriminologisches: Gewalt an Männern
5 % der befragten Männer gaben an, durch einen Akt häuslicher Gewalt bereits einmal eine Verletzung erlitten zu
10 % wurden von einer Partnerin bereits einmal geohrfeigt
(Jungnitz et. al., Gewalt, 10 f.).
72. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Rechtspolitische Grundidee
Offizialisierung von Gewalt im sozialen Nahraum
Stattdessen: Möglichkeit der Verfahrenseinstellung
Dadurch: Verringerung des Drucks auf das Opfer
73. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Art. 55a: Sachlicher Anwendungsbereich
einfache Körperverletzungen (Art. 123)
wiederholte Tätlichkeiten (Art. 126)
Drohungen (Art. 180)
Nötigungen (Art. 181)
?Abschliessende Aufzählung
74. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Art. 55a: Persönlicher Anwendungsbereich
Straftat zwischen Ehegatten
Straftat zwischen eingetragenen Partnern
Straftat zwischen hetero- oder homosexuellen Lebenspartnern
?Jeweils während der Beziehung oder innert eines Jahres seit der Trennung
75. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Art. 55a: Provisorische Einstellung
Voraussetzung: Ersuchen oder Zustimmung des Opfers bzw. des gesetzlichen Vertreters
76. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Art. 55a: Provisorische Einstellung
Das Verfahren "kann" eingestellt werden
Zwingende Einstellung oder Ermessen der Behörden?
Mögliche Kriterien
77. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Art. 55a: Provisorische Einstellung
Wirkung: Blosse Suspendierung
78. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Art. 55a: Wiederaufnahme
Nach erfolgtem Widerruf: Wiederaufnahme des Verfahrens
Kein Ermessensspielraum der Behörde
79. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Art. 55a: Definitive Einstellung
Bleibt ein Widerruf aus: Definitive Verfahrenseinstellung
Grundsätzlich kein Ermessensspielraum der Behörde
80. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Rechtspolitische Beurteilung:
Zahlreiche Verfahrenseinstellungen
Weiterhin bestehender Druck auf das Opfer
Unter Umständen widersinnige Strafverfolgung
Allenfalls schädliche Nebeneffekte
81. Sonderfall: Relative Offizialdelikte Weitere Schutzbehelfe
Persönlichkeitsschutz gemäss ZGB
Kantonale Polizei- und Gewaltschutzgesetze
82. Ermächtigungsdelikte
83. Ermächtigungsdelikte Begriff: Delikte, deren Verfolgung die besondere Erlaubnis (die "Ermächtigung") einer politischen Behörde voraussetzt
Rechtsnatur: Ermächtigung als Prozessvoraussetzung
Zweck: Schutz von Behördenmitgliedern und Beamten vor mutwilligen Strafanzeigen (und damit Schutz staatlicher Institutionen)
84. Ermächtigungsdelikte Beispiele:
Art. 302 StGB
Art. 14 Verantwortlichkeitsgesetz (SR 170.32):Die Strafverfolgung von durch die Bundes-versammlung gewählten Magistratspersonen wegen strafbarer Handlungen, die sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen, bedarf einer Ermächtigung der eidgenössischen Räte.