400 likes | 525 Views
Gewachsene Liturgie: Liturgiegeschichte und ihre Reformen. Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung?
E N D
Gewachsene Liturgie: Liturgiegeschichte und ihre Reformen Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung? Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger: „In der Liturgiegeschichte gibt es Wachstum und Fortschritt, aber keinen Bruch. Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein. Es tut uns allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen sind und ihnen ihren rechten Ort zu geben.“ SC 23: „Damit die gesunde Überlieferung gewahrt bleibe und dennoch einem berechtigten Fortschritt die Tür aufgetan werde, sollen jeweils gründliche theologische, historische und pastorale Untersuchungen vorausgehen, wenn die einzelnen Teile der Liturgie revidiert werden. … (Es) sollen keine Neuerungen eingeführt werden, es sei denn, ein wirklicher und sicher zu erhoffender Nutzen der Kirche verlange es. Dabei ist Sorge zu tragen, dass die neuen Formen aus den schon bestehenden gewissermaßen organisch herauswachsen.“ Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung? Ansatz der organischen Liturgieentwicklung (Alcuin Reid) A. Reid: „Eine organische Entwicklung ist im richtigen Verhältnis offen für Wachstum (bedingt durch pastorale Erfordernisse) und Kontinuität innerhalb der Tradition. Sie hört auf die desiderata der Wissenschaft und erwägt immer wieder aufs Neue den Wert von Bräuchen, die im Laufe der Zeit verloren gegangen sind, um, gestützt auf diese, und nur wenn es wirklich notwendig ist, die liturgische Tradition allmählich zu verbessern. Die kirchliche Autorität muss dieses Wachstum überwachen und bisweilen klug ermessen, was im Lichte der Bedürfnisse einer Zeit angebracht ist, immer darauf achtend, dass die liturgische Tradition niemals verarmt und dass das, was weitergegeben wird, wirklich jenes kostbare Erbe ist, welches wir von unseren Vorfahren empfangen haben - möglicherweise vorsichtig zurechtgestutzt und sorgfältig bereichert (jedoch nicht völlig umgebaut), entsprechend den Gegebenheiten, in denen sich die Kirche in jedem Zeitalter befindet -, um so die Kontinuität von Glaube und liturgischer Praxis zu gewährleisten.“ KKK 1125: „Selbst die höchste Autorität in der Kirche kann die Liturgie nicht nach Belieben ändern, sondern nur im Glaubensgehorsam und in Ehrfurcht vor dem Mysterium der Liturgie.“ Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung? Streitfragen in der Debatte um Bruch und Kontinuität Steht die liturgische Reform, die Paul VI. umgesetzt hat - im Ganzen oder in Teilen - in Kontinuität mit der liturgischen Tradition oder stellt sie einen Bruch derselben dar? Ist sie eine organische Entwicklung traditioneller Überlieferungen oder ist sie eine Abkehr davon - eine radikale Neuerung in Diskontinuität? Fasste das Zweite Vatikanische Konzil die initiierte Liturgiereform als eine organische Weiterentwicklung der liturgischen Tradition oder als einen radikalen Bruch mit den überlieferten liturgischen Traditionen auf? Bild von der Eiche (Jungmann / Reid) Wachstum von der Eichel bis zu Eiche: Letztere ist im Aussehen von der Ersteren völlig verschieden, und dennoch das eine im anderen bereits eingeschlossen Analogie veranschaulicht sehr gut, wie die allmähliche, wahrhaft organische Entwicklung in Laufe der Zeit kontinuierlich eine komplexere, weiter entwickelte Wirklichkeit hervorbringt Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung? Grundthesen Alcuin Reids • Eine angemessene oder wachsende Veränderung liturgischer Riten kann als organische Entwicklung betrachtet werden. Je nach den Erfordernissen entstehen neue Texte und Riten. Andere werden nicht mehr benutzt und schließlich gestrichen. Die Feier der Gläubigen und ihr Erleben der liturgischen Riten sind aber von Kontinuität geprägt. Bsp.: Position des Vater unsers in der Hl. Messe (Gregor d.Gr.); Einführung des Agnus Dei (Sergius I.) • Bedeutende, sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vollziehende Veränderungen führen zu keinem Bruch im liturgischen Leben oder Feiern. Obwohl sich der Verlauf der liturgischen Entwicklung signifikant ändert, reißt die lebendige Tradition nicht ab, wie es bei einem plötzlichen radikalen Wechsel von einer Liturgie zur anderen der Fall wäre. Wenn diese Veränderungen im Laufe der Zeit erfolgen, zunächst lokal und fakultativ, und allmählich einen größeren und beständigen Raum innerhalb der Liturgie erlangen oder diesen bestimmt bekommen, kann solch eine liturgische Entwicklung gleichfalls als organisch bezeichnet werden. Bsp.: Wechsel der Liturgiesprache vom Griechischen zum Lateinischen im 4. Jh., Karolingische Liturgiereform im 8. /9. Jh. • Substantielle rituelle Veränderungen, die nicht im Verhältnis zur existierenden liturgischen Tradition stehen und schnell umgesetzt oder angeordnet werden, sind abzulehnen. Sie bewirken einen Bruch, denn sie verändern viele, wenn nicht die meisten Elemente des liturgischen Lebens und der Feier der Gläubigen in kurzer Zeit radikal. Die Liturgie wird als Ganze voneiner kultischen Entität hin zueiner anderen geändert. Eine Kontinuität der kultischen Formen ist nicht ohne weiteres wahrnehmbar, selbst dann nicht, wenn einige der Elemente der früheren Riten bewahrt wurden. Bsp.: Brevier des Kardinals Quinonez im 16. Jh.; Synode von Pistoia im 18. Jh. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung? Kritik an Reids Ansatz der organischen Liturgieentwicklung Oswald McBride: Evolutive Liturgie / Liturgischer Darwinismus Wie in der Biologie kann man auch in der Liturgie anstelle eines einfachen Entwicklungsprozesses, in dem die Vielfalt mit der Zeit stetig zunimmt viel komplexere Muster episodischer Kreativität und wiederkehrenden Absterbens beobachten, bei denen nur wenige Baupläne erfolgreich genug sind, um zu überleben und als Vorlage für zukünftige Entwicklungen auf der jeweiligen evolutionären Stufe zu dienen. Wenn wir wirklich akzeptieren sollten, dass liturgische Entwicklung in ihrer Natur „organisch“ ist, dann müssen wir den Tod - in diesem Fall den Verlust bestimmter Elemente innerhalb der Liturgie, seien es Texte oder Riten - ebenso als einen normalen Bestandteil des organischen Prozesses akzeptieren. Die Liturgie ist ein Ort, an dem jede Gemeinschaft ihren Glauben ausdrücken kann und jede Generation versucht, die Liturgie zu den Menschen ihrer Zeit „sprechen“ zu lassen. Kritik: Die Liturgie ist nicht vorrangig ein pastorales oder didaktisches Werkzeug. Die Liturgie ist kein Forum, auf dem Menschen ihre eigene Identität reflektieren, sondern sie gibt den Menschen Identität und (mit ausdrücklicher Ausnahme der liturgischen Predigt) „lehrt“ sie durch die rituelle Begegnung, durch die Erfahrung des lebendigen Christus. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung? John F. Baldovin: Liturgiegeschichte als Geschichte der Brüche Die Reform des II. Vatikanums hatte zahlreiche Präzedenzfälle im Laufe der Geschichte, die man als einen „Bruch“ mit der bisherigen Liturgie bezeichnen könnte. Wenn man die Realität (oder die Bedeutung) der Diskontinuität der Tradition bestreitet, wird man gelähmt, hypnotisiert vom Gehalt der Tradition selbst an irgendeinem Punkt der Entwicklung. Die Reform in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils steht voll und ganz im Einklang mit der Tradition, einer Tradition, die schon immer diskontinuierlich war. Kritik Das Prinzip der organischen Entwicklung leugnet weder Veränderung in den liturgischen Formen noch das Aufkommen signifikanter Entwicklungen über Jahrhunderte hinweg Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung? Arnold Angenendt: Liturgische „Brüche“ im Mittelalter Die Behauptung einer organischen Entwicklung der Liturgie ohne Umbrüche und Abbruche ist historisch nicht zu halten „Abbrüche“, die Anzeichen von Brüchen sind, waren im Mittelalter der Empfang der heiligen Kommunion in den Mund, die Zelebration privater Messen und, vielleicht noch schwerwiegender, die theologische (und damit einhergehende kultische) Evolution von der Eucharistie zur „Messe“. Auch das Auftauchen des Römischen Kanons ist weder organisch gewachsen noch altehrwürdig, sondern ein „Prototyp eines Bruches“. Die einfache Liturgie, die aus der patristischen Zeit hervorging, wurde durch spätere Entwicklungen im Mittelalter „korrumpiert“. Kritik In der weit verbreiteten Annahme, die Liturgie des Mittelalters sei einfach nur ein Abfall vom Ideal der Urkirche gewesen, zeigt sich ein mangelnder Respekt für die empfangene liturgische Tradition, die sich (organisch) unter dem Einfluss des Heiliges Geistes entwickelt hat – auch nach dem Ende des 4. Jahrhunderts. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
Hinführung: Liturgiereform als Bruch oder als organische Entwicklung? Andreas Odenthal: Unorganische liturgische Entwicklung Das Bild organischen Wachstums ist kaum geeignet ist, die epochalen Akzentsetzungen zu beschreiben, wie sie im Mittelalter (v.a. unter Bonifatius und den Karolingern) getätigt wurden. Die Verschmelzung unterschiedlicher liturgischer Traditionen, die sich über einen sehr langen Zeitraum hinzog, um dann ihrerseits die römische Liturgie prägend zu verändern, könnten evtl. mit dem Bild organischen Wachstums verbunden werden. In Teilen gibt es immer wieder Brüche der Tradition, indes keinen grundsätzlichen Bruch Eine Kontinuität der Feiertradition schließt indes Brüche in der Feiergestalt und auch in manchem theologischen Gehalt nicht aus (wie das Beispiel der mittelalterlichen Reform ebenso zeigt wie die Reform des II. Vatikanums). Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) • Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) • Neues Testament • keine systematische Darstellung des urchristlichen Gottesdienstes • Ausdrücke für die gottesdienstliche Feier der Urgemeinde: „zusammenkommen“ und „sich versammeln“ • Inhalt dieser häuslichen Versammlungen sind das Brotbrechen und Mahlhalten „in Freude und Einfalt des Herzens“ (Apg 2,46) • Formen des jüdischen Gebetes wie die Berakot (= Lobpreisungen) und Einzelelemente wie das Halleluja, Amen, Hosanna flossen mit ein • In der Verkündigung der Apostel und der anderen Augenzeugen des Lebens Jesu wurden die Erinnerung an die Heilstaten Gottes lebendig • Insbesondere gewann die gottesdienstliche Versammlung am Sonntag schon früh an Bedeutung (aber nur langsame Loslösung von der jüdischen Festfeier) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) • Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) • Neues Testament • Ein Grundelement neutestamentlicher Liturgie war die Spendung der Taufe • Auch die Sündenvergebung spielt eine Rolle • Eine feste Ordnung des Gottesdienstes lässt sich für die Frühzeit nicht erkennen. • Geistgewirkte (charismatische) Vielfalt unter Mitwirkung vieler Gemeindemitglieder (1 Kor 14,26: „Tätige Teilnahme“; Eph 5,19f: Lobpreis und Jubel; 1 Kor 14, 26.40: Ordnung im Gottesdienst) • Mit dem Aufkommen von Häretikern und Pseudocharismatikern wächst am Ende des 1. Jhs die Sorge um die Reinerhaltung der Lehre und des Gottesdienstes (Pastoralbriefe) • Das prophetische Element wird nur noch am Rand erwähnt Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) b. Quellen • Die ersten Generationen von Christen verwendeten im Gottesdienst und bei anderen liturgischen Handlungen abgesehen von der Bibel, aus der vorgelesen wurde, keine geschriebenen Texte. • Sie improvisierten und hielten sich dabei an allmählich entstehende mündliche Traditionen (vgl. Basilius von Caesarea) • Erst allmählich wurden liturgische Texte schriftlich fixiert und bildeten sich bestimmte Liturgien heraus, die in festen Formen weiter tradiert wurden. • Aufgrund dieses langsamen Übergangs von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit sind nur relativ wenige liturgische Texte aus den ersten Jahrhunderten bekannt. • Anders steht es mit theologischen Aussagen zu liturgischen Vollzügen: Hier gibt es viele Informationen in den Quellen der sog. Kirchenordnungen. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) b. Quellen • Didache (Ende 1. Jh.): Älteste liturgische Anweisung zu Taufe und Eucharistie • Justin (Mitte 2. Jh.): Ältester Ablauf eines Gottesdienstes • Tertullian (um 200): „Über die Taufe“, „Über die Buße“; Cyprian (3. Jh.) • Syrische Didaskalie (Mitte 3. Jh.): Kirchenordnung mit Informationen zur Liturgie in Syrien • Legendarische Apostelakten (Johannes- und Thomasakten): geben mit ihren Beschreibungen liturgischer Abläufe die reale Praxis eher wieder als die Normierungen in den Kirchenordnungen • Traditio apostolica (3. Jh.): Trotz Schwierigkeiten btrf. Autor, Redaktor und Titel eine wichtige Quelle für den Gottesdienst im 3. Jh. (erstes eucharistisches Hochgebet) mit großer Auswirkung auf die Reform des 20. Jhs (2. Hochgebet, Bischofsweihegebet) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) b. Quellen • Pilgerbericht Egerias (Itinerarium Egeriae): Detaillierte Beschreibung der Gottesdienste in Jerusalem Ende des 4. Jhs (um 380) – wird ergänzt durch das armenische Lektionar und das georgische Kanonar • Mystagogische Katechesen: Geistliche Erläuterungen der Initiationssakramente (Taufe und Eucharistie), die der Bischof den Neugetauften in der Woche nach Ostern (dem Tauftermin) gegeben hat • Cyrill / Johannes von Jerusalem (um 380/390): Mystagogische Katechesen • Theodor von Mopsuestia († 428): Katechetische Homilien • Johannes Chrysostomus († 407): Mystagogische Katechesen • Ambrosius von Mailand († 397): „De sacramentis“, „De mysteriis“ Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) c. Verbindung zum jüdischen Gottesdienst • Da das Christentum aus dem Judentum entstanden ist, hat es seine gottesdienstlichen Formen im Rahmen des zeitgenössischen Judentums ausgebildet. • Etliche Elemente der christlichen Liturgie gehen auf jüdische Praktiken zurück: Anrufung des einzigen Gottes, Gebetszeiten (Tagzeitenliturgie), Gebetsformen (Berakah – eucharistisches Hochgebet, 18-Bitten-Gebet – Fürbitten), wöchentlicher Rhythmus des Gottesdiensttages, Lesungen und Gesang aus den Psalmen, Ostern und Pfingsten, Eucharistie, Taufe, Buße • Die Übernahme der jüdischen liturgischen Bräuche wird oftmals nicht direkt oder bewusst, sondern wie „von selbst“ stattgefunden haben. • Bild des Paulus vom wilden Zweig, der dem edlen Stamm eingepfropft wurde, hat in dieser Hinsicht eine gewisse Berechtigung (Röm 11). Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) c. Verbindung zum jüdischen Gottesdienst • Beziehung aller liturgischen Handlungen auf Jesus Christus (entscheidende Differenz zwischen jüdischer und christlicher Liturgie) • Neuere Forschung: nicht der Synagogengottesdienst, sondern die jüdische Tempelliturgie war ein wichtiger Ausgangspunkt für die Gestaltung der christlichen Eucharistiefeier. • Neues Priesterverständnis (im Unterschied zum Tempel): alle Mitglieder der Gemeinde haben aufgrund der Taufe priesterliche Würde • Gleichzeitige Entwicklung von christlicher Liturgie und jüdischem Synagogengottesdienst • Parallele Entwicklung der christlichen Kirchen und des rabbinisch geprägten Judentums in der Spätantike Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) d. Austausch und Abgrenzung zur hellenistischen Religiosität • Zunächst ist festzustellen, dass aus der hellenistischen („heidnischen“) Religiosität Elemente in die christliche Liturgie eingegangen sind • Beispiele: Exorzismen und Salbungen bei der Taufe, Wendung beim Gebet nach Osten (entgegen der jüdischen Wendung Richtung Jerusalem), Ostung der Kirchengebäude (gen Sonnenaufgang) • Auch viele liturgische Ausdrücke stammen aus der griechisch-hellenistischen Umwelt: der Begriff „Liturgie“ (leiturgia) selbst, „Mysterium“ und „Sakrament“, „Eucharistie“, „Epiklese“ und „Agape“; dazu kommen einige Gebetsformeln („von Ewigkeit zu Ewigkeit“) und Akklamationen (Kyrie eleison = „Herr, erbarme dich“). Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) d. Austausch und Abgrenzung zur hellenistischen Religiosität • Generell hat sich das Christentum in seiner frühesten Zeit gegen die hellenistischen Religionen und Kulte aber eher abgegrenzt • Unterschiede im Bereich des Kultes klar sichtbar: Christen feierten einen geistigen, innerlichen Gottesdienst in Räumen von Privathäusern (keine Tempel, keine Altäre, keine Götterbilder, keine Opfer, keine Priester) • Vom 3. Jahrhundert an verschwanden diese deutlichen Unterschiede zwischen Christentum und Heidentum im Bereich von Kult und Liturgie • Seit dem 4. Jahrhundert große, repräsentative Kirchenbauten • Immer mehr heidnische kultische Elemente dringen in das liturgische Zeremoniell ein • In Raumgestaltung, Gewandung, Gebärde, Gesang und Sprache waren die Ausdrucksformen der antiken Liturgie seit dem 4. Jh. die der eigenen, zeitgenössischen Kultur Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) e. Suche nach einem Sakramentsbegriff • Die Alte Kirche kannte keinen Sakramentsbegriff als Oberbegriff für bestimmte liturgische Vollzüge, etwa für Eucharistie, Taufe und Buße. • Man benutzte vielmehr einen griechischen Begriff, der ein sehr breites Bedeutungsspektrum aufwies: mysterion, latinisiert zu mysterium („Geheimnis“) oder mit einer Bedeutungsverschiebung übersetzt mit sacramentum („Sakrament“; eigentlich: „Eid“). • „Mysterion“ in der Vätertheologie: „Heilsereignis in Christus“, „Heilslehre“, das „Geheimnis“ des Ratschlusses Gottes • Als im Laufe der Spätantike der Drang nach Abgrenzung von der nichtchristlichen Umgebung schwand, wurden Begriffe und Vorstellungen aus den Mysterienreligionen vielfach im Christentum verwendet • Die christliche Lehre heißt nun „Mystagogie“, der Katechet „Mystagoge“, der Getaufte ist ein „Eingeweihter“. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) e. Suche nach einem Sakramentsbegriff • Das christliche Sakramentsverständnis entfaltete sich von solchen Ansätzen aus in Anlehnung an das antike Mysterienverständnis. • In den alten lateinischen Bibelübersetzungen des 2. Jahrhunderts wurde das griechische mysterion mit sacramentum wiedergegeben • Tertullian übertrug den „Mysterieneid“ bzw. den „Eid“ des Soldaten in die christliche Sphäre, indem er die Taufe als „Eid auf Christus“ deutete und als erster Taufe und Eucharistie als „Mysterium“ bzw. „Sakrament“ bezeichnete. • Die zentralen Riten der Alten Kirche, Eucharistie und Taufe, werden ungefähr ab der Wende vom 2. zum 3. Jh. „Sakramente“ genannt (aber auch andere Riten und Vollzüge, etwa die Salbung, die Fußwaschung und die Ehe) • Die Buße indes wurde in altkirchlicher Zeit nicht als „Sakrament“ bezeichnet. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 1. Die Liturgie in einer verfolgten Kirche (30-312) e. Suche nach einem Sakramentsbegriff • Ansätze theologischer Reflexion auf den Begriff „Mysterium“ bzw. „Sakrament“ findet man Ende des 4. Jhs, beispielsweise bei dem griechischen Theologen Theodor von Mopsuestia († 428). • In der westlich-lateinischen Kirche begann die theologische Klärung des Sakramentsbegriffs um die Wende vom 4. zum 5. Jh. mit Augustinus. • „Sakrament“ als „heiliges Zeichen“ (De civitate Dei X 5) • sichtbares Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit • Differenzierung zwischen den äußeren Zeichen (signa) und der inneren Wirkung (res oder virtus sacramenti) • Sakrament besteht aus einer materiellen Basis (elementum), zu der ein deutendes Wort (verbum) komme – „so etwas wie ein sichtbares Wort“ (In Ioh. Evang. Tract. 80, 3) • Zum sakramentalen Zeichen gehört, wenn es wirksam sein soll, die „Bekehrung des Herzens“ (ebd.) • Unterscheidung zwischen (rechtlicher) Gültigkeit, und (religiöser) Wirksamkeit: objektiven Heiligkeit des Sakraments, die vom Spender unabhängig ist Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) • Toleranzreskript von Mailand (313): Christentum hat volle Freiheit und Gleichberechtigung mit anderen Religionen • Mit der Zeit erfolgten mehrere Privilegien zugunsten der Christen bis zur Proklamation als allein berechtigter Staatsreligion im Jahre 380 unter den Kaisern Gratian (Westen) und Theodosius(Osten). • Aus der verfolgten Kirche von einst wird die privilegierte Reichskirche. • Auswirkungen auf den Gottesdienst • Neuer Kirchentyp: Basilika • eine große überdachte Halle mit einem Mittelschiff, an das sich - getrennt durch Säulenreihen - Seitenschiffe anschließen konnten. • Die christlichen Gemeinden übernahmen diesen Gebäudetyp aus den Städten des Reiches und erweiterten ihn um ein Querschiff und eine Apsis. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) • Auswirkungen auf den Gottesdienst • Zur Inneneinrichtung der Basiliken gehörten eine Stätte für die Lesungen (zwei Ambone für Lesung und Evangelium getrennt), Sitze für die Amtsträger, der Altar und feste Schranken (cancelli), um den Altarraum abzugrenzen (vgl. Basilica di San Clemente in Rom) • Nach und nach jedoch wurden die Sitze für die Amtsträger, die Pulte für die Lesungen und der Altar in allen Kirchen nach vorn in die Apsis verlegt. • Im Osten dagegen gingen die byzantinischen Architekten unter Kaiser Justinian (527-565) zur Kuppeltechnik über, die es ermöglichte, den zentralen Raum zu erweitern. • Das Modell dieser Gattung ist die Hagia Sophia in Konstantinopel • Die neuen Kirchengebäude – ob im Westen mehr die Basilika oder im Osten mehr der zentrale Kuppelbau – brachten von selbst eine feierlichere Liturgie mit sich. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) • Auswirkungen auf den Gottesdienst • Die gesellschaftliche Aufwertung des Bischofs und seines Klerus führte zu einer festlichen Amtskleidung mit bestimmten Insignien, wie Stola, Pallium und Manipel, woraus sich die spätere liturgische Gewandung entwickelt. • Sakralmusik: zunächst Ablehnung der reichen Musikkultur der Antike • die Christen begnügten sich mit dem responsorischen Gesang, erst später trat auch der antiphonische (mit zwei Gesangsgruppen) hinzu. • Besondere Förderung erfuhr der Kirchengesang durch Ambrosius von Mailand, der nicht nur den Psalmengesang mit seiner Gemeinde einübte, sondern auch selbst Hymnen dichtete (siehe dazu später). • Erleichterung des sonntäglichen Gottesdienstbesuches durch das Gesetz Konstantins vom 3. März 321. Es erklärt „den verehrungswürdigen Tag der Sonne“ zum Ruhetag für alle Richter, die Stadtbevölkerung und alle Gewerbetreibenden. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) • Auswirkungen auf den Gottesdienst • Die weitere Entwicklung führt dazu, dass die Arbeitsruhe immer stärker in die Mitte der Sonntagsheiligung gerückt wird. • Veränderung der Gebetsformen und Gebetsanreden (Vater – Sohn – Geist) • Trennungslinie zwischen Altar und Gemeinde wird verstärkt, indem man die Altarschranken erhöht und sie (besonders im Osten) mit Vorhängen versieht, um während der entscheidenden Gebete der Anaphora (= Hochgebet) den Blick zum Altar zu verhindern bzw. ihn je neu zu „entschleiern“ (Ikonostase) • Rückgang des Kommunionempfangs (nur noch 1-2 mal im Jahr) • Verflachung der gottesdienstlichen Mitfeier • Bedeutung der Märtyrerverehrung • Wichtige Quelle: Apostolische Konstitutionen (Syrien: Ende 4. Jh.) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) • Auswirkungen auf den Gottesdienst • Für die Ausgestaltung des Gebetes, insbesondere für die Entwicklung des täglichen Stundengebetes, war die Erstarkung des Mönchtums im 4. Jahrhundert von besonderer Bedeutung. • Für den liturgischen Ablauf des Tagzeitengebetes der Mönche sind als Quellen die Magisterregel und die Regula Benedicti von großer Bedeutung. • Fürbitten: zwei Formen (1. Reihen diakonaler Aufforderungen mit wiederholtem Kyrie eleisonvon Seiten der Gemeinde und einer Schlussoration; 2. Diakonale Aufforderungen, auf die jeweils ein stilles Gebet der Versammlung und ein Vorstehergebet folgen, wie heute noch in der Karfreitagsliturgie) • Im Gottesdienst konnten gleich mehrere Priester predigen bzw. eine Ermahnung halten (Ostkirche!). Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) b. Bildung von Liturgiefamilien in Ost und West • Ab dem 5. Jahrhundert folgen die römische und die byzantinische Liturgie jeweils eigenen Entwicklungslinien. • 1. Unterschied: In der byzantinischen Liturgie ist der Großteil der Gebete der Eucharistiefeier unveränderlich, während in der römischen Liturgie zahlreiche Gesänge und Orationen von Feier zu Feier variieren • Frühes Zeugnis für die Veränderlichkeit der Messtexte im römischen Ritus: Papst Gelasius (495) und die Lupercalia • Veränderlichkeit in der byzantinischen Liturgie v.a. in den Hochgebeten (Anaphoren): Chrysostomus, Basilius (nur an 12 Tagen im Jahr), Jakobus • Sonderfall der Präsanktifikatenliturgie (vgl. Euchologion) • 2. Unterschied: Äußerer Rahmen der Feier • Rom: Minutiöse Etikette bei Papstgottesdiensten (Ordines Romani) • Byzanz: Einfluss vom Zeremoniell des Kaiserhofs, Liturgie als Darstellung der erlösenden Menschwerdung Christi Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) b. Bildung von Liturgiefamilien in Ost und West • Orientalische Liturgiefamilien (siehe auch Handout Meyer) • Antiochien: Jakobus-Liturgie / jakobitische Liturgie; Melchiten /Maroniten; Nestorianer: syro-mesopotamisch/chaldäischer Ritus; Indien: Malabaren und Malankaren • Alexandrien: Markus-Liturgie; Monophysiten: koptischer und äthiopischer Ritus • Jerusalem: Jakobus-Anaphora; bestimmend in Stundengebet und Festzyklus für die anderen Teile der Kirche (Egeria), historisierendes Element • Byzanz / Konstantinopel: Vorrang vor allen anderen Patriarchaten des Ostens ; Missionstätigkeit der hll. Cyrill und Methodius, Übersetzung der Liturgie ins Altslawische (9. Jh.) und Übernahme durch das russische Reich (987); armenische und georgische Liturgie Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) b. Bildung von Liturgiefamilien in Ost und West • Die abendländischen Liturgien (siehe auch Handout Feulner) • Nordafrika (Augustinus): Die Sprache war von Anfang an lateinisch (im Gegensatz zu Rom); keine einheitlichen Texte in den einzelnen Bistümern; wichtig die Prüfung von sachverständigen Mitbrüdern; große Übereinstimmung mit der römischen Liturgie • Rom: Zunächst Blätter bzw. Hefte mit liturgischen Texten (libelli), dann Entstehung der römischen Sakramentare unter Papst Leo I. (Sacramentarium Veronense: 5./6. Jh.), Papst Gelasius I. (Altgelasianum: 6./7. Jh.) und v.a. Papst Gregor I. (Sacramentarium Gregorianum: 6./7. Jh.); sachlich-nüchterner Charakter der altrömischen Gebete (noch heute in den Tagesgebeten des Sonntags im Messbuch); charakteristisch ist der Gebrauch eines einzigen Hochgebetes (Canon Romanus) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) b. Bildung von Liturgiefamilien in Ost und West • Gallischer Liturgietyp: starke Beeinflussung von östlichen Riten (v.a. Byzanz); (lateinische) Sprache ist weitschweifiger und farbiger, das Zeremoniell dramatischer; Gebete wende sich im Gegensatz zur römischen Gepflogenheit öfter direkt an Christus. • Altspanische / Mozarabische Liturgie • Altgallische / Gallikanische Liturgie • Keltische Liturgie (Irland, Schottland, Wales); wichtigstes Dokument ist das Stowe-Missale (8.-10. Jh.). • Mailänder / Ambrosianische Liturgie (wird heute noch in der gesamten Kirchenprovinz Mailand gefeiert); wichtigster Zeuge: Ambrosius von Mailand; Kanon ist im Wesentlichen der römische, sonst viele Gemeinsamkeiten mit der gallikanischen Liturgie Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen • Liturgischer Gesang: Die Hymnen des Ambrosius • In der Westkirche ist der Neueinsatz der Hymnendichtung untrennbar mit dem Namen Ambrosius von Mailand († 397) verbunden, dem „Vater des lateinischen Kirchengesangs“ • Beginn der „neuen“ Hymnodie räumlich und zeitlich klar zu ermitteln: die oberitalienische Metropole Mailand in den Jahren 385/86 • Drei Zeugnisse berichten von der Einführung der Hymnen: Ambrosius, Augustinus, Paulinus • Konflikt zwischen Kaiser und Bischof um eine Kirche und den rechten Glauben (Nicäa – Arianismus): Gesang des Volkes in der besetzten Kirche (Augustinus: „Damals wurde das Singen von Hymnen und Psalmen nach der Weise der Ostkirche eingeführt, um die Ermattung des Volkes vor Trauer und Überdruss zu verhindern.“) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen • Liturgischer Gesang: Die Hymnen des Ambrosius • 14 als echt anerkannte ambrosianische Hymnen • Die enge Verbindung zwischen Verbreitung der Hymnen und Abwehr der Häretiker führte dazu, dass man in den Schöpfungen des Ambrosius gerne antiarianische Protestlieder sah • Sie stammen aber aus der Spiritualität der Tagzeitenliturgie (vgl. „Aeternererumconditor“) • Bedeutung für die Liturgiereform: Ambrosius hat als ein Element der stärkeren Volksbeteiligung nichtbiblische, poetische Texte in die Mailänder Liturgie einführt, nämlich einmal mit den Psalmen verbundene nichtbiblische Kehrverse, und zum anderen selbständige, nichtbiblische Hymnen (Impuls aus dem syrischen Raum: Theodor von Mopsuestia) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen • Liturgischer Gesang: Die Hymnen des Ambrosius • Gegen die Auffassung, die Bibel sei das vermeintlich alleinberechtigte gottesdienstliche Textbuch, wird mit den Hymnen die Überzeugung dokumentiert, dass jede Generation das Recht habe, neue Lieder zu singen, ihre je eigenen Glaubenserfahrungen in den Gottesdienst einzubringen (vgl. später Luther und die Reformatoren) • Frage nach biblischen oder nichtbiblischen Texten im Gottesdienst ist Dauerbrenner (vgl. 4. Konzil von Toledo 633) • Zweifel / ambivalente Haltung zu nicht-biblischen Hymnen: Augustinus • Bedeutende Kritiker / Gegner von Hymnen und Gesang im Gottesdienst: Hieronymus (stützt sich auf Eph 5,19: man soll im Herzen singen, nicht mit der Stimme) und Abt Pambo / ApophthegmataPatrum (eitler Gesang widerspricht dem monastischen Ideal der katanyxis / Zerknirschung des Herzens) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen • Liturgischer Gesang: Die Hymnen des Ambrosius • Zwei Probleme hinsichtlich der Reform altkirchlicher Hymnen / Gesänge • Bibel und Vergegenwärtigung: christlicher Gottesdienst muss sich seiner grundsätzlichen Verwiesenheit auf das biblische Zeugnis bewusst bleiben; Diese bleibende Verwiesenheit auf die Bibel bedeutet aber nicht - so würde Ambrosius argumentieren - eine starre Begrenzung auf die Bibel. • Innerlichkeit und äußere Form: Es gibt die berechtigte Sorge, dass die äußere Gestalt eine Fassade ohne Innerlichkeit wird (vgl. mit Theaterspielen); andererseits ist die sinnenfällige Gestaltung der Glaubenserfahrung eine anthropologische Notwendigkeit, die letztlich vom Schöpfergott selbst gewollt ist. • Verhältnis von biblischer Botschaft und deren Vergegenwärtigung sowie von innerer Gestimmtheit und äußerer Gestalt sind Probleme, denen sich jede Liturgiereform stellen muss. Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen 2. Entwicklung in Nordafrika – Provinzialkonzilien als Orte der Liturgiereform • Im Zuge der donatistischen Auseinandersetzungen des 4./5. Jhs bemühten sich die Bischöfe Nordafrikas mit Hilfe von Provinzialkonzilien um eine innere und äußere Reform der Kirche • Aurelius, seit 392 Bischof von Karthago und als solcher Primas von Afrika,und Augustinus, ab 395/396 Bischof von Hippo, sind in Zusammenwirken die maßgeblichen Träger dieses fast 40 Jahre währenden Reformprozesses (Konzil von Hippo 393 – 427) • Konzil von Hippo 393: Verhandelte Themen • Festlegung eines einheitlichen Ostertermins; Verbot der Taufe von Toten; Regelung der Taufe von Schwerkranken; Materie der Eucharistie; Eucharistische Nüchternheit; Verbot, Katechumenen und eben Verstorbenen die Eucharistie zu reichen; Liturgische Gebetsrichtung an Gott den Vater; Verbot von Mählern in Kirchen; Definition des biblischen Kanons mit Rücksicht auf die Verwendung von Schrifttexten im Gottesdienst; Zulassung von Märtyrerpassionen zur liturgischen Verlesung Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen 2. Entwicklung in Nordafrika – Provinzialkonzilien als Orte der Liturgiereform • Reformen des Aurelius von Karthago • Reform der Vigilien / Nachtwachen (Durchsetzung einer angemessenen Disziplin im Gottesdienst im Zusammenhang mit der Reform des Märtyrerkultes) • Einführung von Psalmengesang zur Gabenprozession und zur Kommunion (Augustinus: „Brauch, am Altar vor der Darbringung und während der Austeilung dessen, was dargebracht worden war, an das Volk Hymnen aus dem Buch der Psalmen zu singen.“) • Liturgische Reformen der nordafrikanischen Konzilien (H 393 / K 407) • Ordnung des liturgischen Betens (Gebet am Altar immer an den Vater gerichtet; Prüfung der im Gottesdienst verwendeten Gebete „durch gebildete Brüder“) • Lesungen im Gottesdienst (nur biblische Lesungen in der Eucharistiefeier, Ausnahme Märtyrerpassionen: nur am Gedächtnistag, nie an Stelle der biblischen Lesung, sondern danach) • Nüchternheitsgebot (Bischof und Volk sollen unabhängig von der Tageszeit die Eucharistie nur nüchtern feiern, um üppigen Mählern zu Ehren von Heiligen und Märtyrern keinen Vorschub zu leisten) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen 2. Entwicklung in Nordafrika – Provinzialkonzilien als Orte der Liturgiereform • Liturgische Reformen der nordafrikanischen Konzilien • Verbot der Hausmesse eines Priesters ohne Genehmigung des Bischofs (um Abspaltungen von der Gemeinde zu verhindern und die Rechtgläubigkeit des Gebets zu sichern) • Verbot der Lektoren, die Gemeinde zu grüßen (dabei geht es um den liturgischen Zuruf „Dominus vobiscum“, der damals wie heute nur Klerikern erlaubt ist) • Unterscheidung der eucharistischen Gaben von anderen Naturalgaben (für die eucharistische Feier sollen allein Brot und Wein dargebracht werden, andere Naturalgaben, die auch auf den Altar gelegt werden – wie Milch, Honig, Trauben und Getreide – sollen eine eigene Segnung erhalten, um sie von den eucharistischen Gaben zu unterscheiden) • Verbot der Katechumenen der Kommunion auch am Osterfest • Verbot der Totenkommunion (Brauch, in Gegenwart des Leichnams Eucharistie zu feiern und die Kommunion dann mit dem Toten zu teilen, in dem man ihm ein Stück der konsekrierten Hostie in den Mund schob) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen 2. Entwicklung in Nordafrika – Provinzialkonzilien als Orte der Liturgiereform • Grundprinzipien der liturgischen Reform in Nordafrika im 4./5. Jh. • Kriterium für Änderungen und Erneuerungen ist primär die Norm der Heiligen Schrift, sodann die Einheit der Weltkirche in wesentlichen Dingen. Ansonsten stellen der Glaube und die guten Sitten den leitenden Maßstab dar. • Jede Veränderung ist an ihrer Nützlichkeit zu messen. Veränderungen um ihrer selbst willen haben zu unterbleiben, weil sie Verwirrung stiften und deswegen schädlich sind. • Es geht nicht nur um einzelne rituelle oder textliche Korrekturen, sondern um eine umfassende Erneuerung des gottesdienstlichen Lebens nach den o.g. Kriterien. • Die gottesdienstlichen Erneuerungen sind eingebettet in ihre Zeit, in politische, gesellschaftliche und kirchliche Kontexte. Hintergrund vieler Maßnahmen ist das seit Beginn des 4. Jahrhunderts bestehende donatistische Schisma. • Der Impuls für und die Orientierung der gottesdienstlichen Erneuerungen gehen vor allem von den Konzilien aus. • Daneben ist der Einfluss bestimmter kirchlicher Persönlichkeiten prägend, v.a. des Aurelius von Karthago und des Augustinus, anfangs Presbyter, dann Bischof von Hippo Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015
I. Periode der schöpferischen Anfänge: Von der Himmelfahrt Jesu bis zu Gregor dem Großen (30-604) 2. Die Liturgie der Reichskirche (313-604) c. Beispiele altkirchlicher Reformen 2. Entwicklung in Nordafrika – Provinzialkonzilien als Orte der Liturgiereform • Grundprinzipien der liturgischen Reform in Nordafrika im 4./5. Jh. • Die Liturgie ist im Erneuerungsprozess vorrangiger Ort, weil hier der Glaube der Kirche gelebt und in der Öffentlichkeit dargestellt wird. • Verschiedene Adressaten: Erstrangig der Klerus und andere, die eine besondere Verantwortung für das kirchliche Leben tragen; dann aber auch die christlichen Gemeinden • Eines der wichtigsten Reformziele ist die Schaffung eines theologisch gebildeten und in der Lebensführung disziplinierten Klerus. • Änderung der Mentalität des Volkes (Totenkult, Märtyrerverehrung) • Verbreitung der Anliegen im Volk geschieht in erster Linie durch die Predigt der Bischöfe • Revision der liturgischen Bücher spielt noch keine nennenswerte Rolle (dennoch Erkenntnis der Bedeutung schriftlicher Vorlagen) • Implizites Ziel: Kirchliche Einheit in der afrikanischen Kirche • Nordafrikanische Liturgiereform = Liturgiereform im eigentlichen Sinn (M. Klöckener) Prof. Dr. Cornelius Roth VL Gewachsene Liturgie WS 2014/2015