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„Eine Rekonstruktion der Wirkungen des Soldatentods. Skizze eines Forschungsvorhabens“. Vortrag auf der 20. Jahrestagung der AG Objektive Hermeneutik , Basel, 18./19.9.2010. Ulrich Franke (U niversität Bielefeld) Ulrich Roos (Universität Augsburg). Gliederung des Vortrags.
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„Eine Rekonstruktion der Wirkungen des Soldatentods. Skizze eines Forschungsvorhabens“ Vortrag auf der 20. Jahrestagung der AG Objektive Hermeneutik, Basel, 18./19.9.2010 Ulrich Franke (Universität Bielefeld) Ulrich Roos (Universität Augsburg)
Gliederung des Vortrags • I. Zeithistorische Kontextualisierung des Untersuchungsgegenstands • II. Annäherung an den Untersuchungsgegenstand: Forschungsinteresse und Forschungsfrage(n) • III. Probleme im Kontext der Vorgehensweise
I. Zeithistorische Kontextualisierung des Untersuchungsgegenstands
Der gewaltsame Tod deutscher Soldaten: Ein altes und zugleich neues Phänomen (I) • Die Bundesrepublik Deutschland als „postheroische“ Gesellschaft (H. Münkler) kannte dieses Phänomen bis 1993 nicht • Von den bislang 28 „durch Fremdeinwirkung gefallenen Soldaten“ der Bundeswehr sind 26 im ISAF-Einsatz (seit 2003) getötet worden (davor je ein Todesfall 1993 u. 2001)
Der gewaltsame Tod deutscher Soldaten: Ein altes und zugleich neues Phänomen (II) • „Tapferkeit und Mut sind Tugenden, die sich häufig erst im Einsatz beweisen. Gefährliche Situationen werden oft geübt, doch kein Soldat weiß vor dem ersten Mal, wie er handelt, wenn er in eine lebensbedrohliche Situation gerät. Ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben bewies der 29-jährige Oberfeldwebel Steffen Knoska in einem Feuergefecht mit Aufständischen in Afghanistan Umsicht, Mut und Tapferkeit. Er rettete einem schwer verletzten Kameraden das Leben und spornte selbst unter massivem Feindfeuer andere Soldaten an. Für sein mutiges und professionelles Verhalten wurde er am 22. Januar [2010] von Verteidigungsminister zu Guttenberg persönlich mit der Tapferkeitsmedaille der Bundeswehr ausgezeichnet“ (Quelle: bundeswehr.de)
Der gewaltsame Tod deutscher Soldaten: Ein altes und zugleich neues Phänomen (III) • (Wieder-)Einführung der Tapferkeitsmedaille im Juli 2009 • Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr im September 2009
II. Annäherung an den Untersuchungsgegenstand: Forschungsinteresse und Forschungsfrage(n)
Was wir nicht untersuchen, obwohl es den Untersuchungsgegenstand berührt • Selbsttötungen • Schwere Verletzungen • Zunahme der PTBS-Fälle • Durch deutsche Soldaten verursachte Todesfälle Dritter (vgl. sog. „Kundus-Affäre“)
Annäherung an den Untersuchungsgegenstand Reflexion des persönlichen Hintergrunds der Forscher (Forschungsinteresse)
Eigener Wertekontext • Familiengeschichte (Zweiter Weltkrieg als traumatisches Ereignis in beiden Familien) • Kinder der „Nie Wieder-“ und der „schweigenden Generation“ (1933, 1939; 1934, 1940) – und der späten „alten Bundesrepublik“ (1973; 1977) • Wie stark ist die Analyse von der eigenen Weltsicht (Kriegsdienstverweigerung etc.) beeinflusst?
Ein Beispiel • „Circa 6.500 Angehörige der Bundeswehr sind heute in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan und am Horn von Afrika. Deutsche Soldatinnen und Soldaten sind als Militärbeobachter im Sudan, in Äthiopien, Eritrea und Georgien. Sie leisten dort einen wichtigen Dienst und legen Ehre für unser Land ein [Lachen, DIE LINKE]. Ihr Auftrag ist gefährlich und sie verdienen den Rückhalt des Parlaments und der Bevölkerung [Beifall, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP]“ (Peter Struck vor dem Deutschen Bundestag, 8.11.2005)
Rekonstruktionen • Verweise auf die Opferbereitschaft der SoldatInnen wirken sich nicht einsatzbeschränkend aus. Das Konzept der Dankbarkeit für die Opferbereitschaft der Streitkräfte wird vielmehr zum Argument, um Kritik an den Einsätzen zu unterdrücken und um so den Handlungsspielraum der Exekutive zu vergrößern, den des Parlaments hingegen zu verkleinern. Es findet eine Verwandlung des Parlamentsvorbehalts in ein Parlamentsplazet statt, indem das Argument eingeführt wird, die Opferbereitschaft der SoldatInnen begründe eine Unterstützung der Einsätze durch das Parlament; die Streitkräfte hätten „einen Anspruch darauf zu wissen, dass der Deutsche Bundestag diese Aufgabe unterstützt“ (Struck 2005)
Fortsetzung der Annäherung an den Untersuchungsgegenstand • Was bedeutet „Soldatentod“? • Was genau soll erforscht werden?
Was bedeutet „Soldatentod“? • Todesfälle von Soldaten in Folge gezielter Gewalthandlungen durch äußere Kräfte • Was „Soldatentod“ nicht bedeutet: Todesfälle von Soldaten in Folge von Unfällen bzw. Todesfälle des Zivilpersonals der Streitkräfte
Todesfälle von Soldaten in Folge gezielter Gewalthandlungen durch äußere Kräfte? • Art der äußeren Gewalthandlung irrelevant • Akteur der Gewalthandlung irrelevant • Ort der Gewalthandlung irrelevant • Untersuchungszeitraum wird weiter unten diskutiert
Was genau soll erforscht werden? Die Forschungsfrage (I) • Welche Wirkungen übt das gewaltsame Sterben von Soldaten auf das Selbstverständnis von Streitkräften demokratisch verfasster Staaten aus? (vgl. das Leitbild des „Bürgers in Uniform“)
Was genau soll erforscht werden? Die Forschungsfrage (II) • Welche Wirkungen übt das gewaltsame Sterben von Soldaten demokratisch verfasster Staaten a) auf das Verhältnis von Streitkräften und Regierung, b) von Streitkräften und Parlament, sowie c) auf das Verhältnis von Parlament und Regierung aus? (vgl. Loyalitätsstruktur; Verfassungstreue; Gewaltenteilung, Parlamentsvorbehalt)
Was genau soll erforscht werden? Die Forschungsfrage (III) • Wofür sind die Soldaten gestorben bzw. für welche Werte sollen die Soldaten zukünftig zu sterben bereit sein? (Was ist der konkrete Inhalt der „letzten und höchsten Ziele“ unserer Demokratie?)
Was genau soll erforscht werden? Die Forschungsfrage (IV) • Welche Selbstbeschreibungen hinsichtlich der weltpolitischen Rolle der jeweiligen Staaten lassen sich aus den Protokollen von Formen regierungsamtlichen Gedenkens an gewaltsam ums Leben gekommene Soldaten rekonstruieren? (Zivilreligion; „Mission“; Auftrag; Vorbild; Durchsetzung der eigenen Werte/Interessen)
Was genau soll erforscht werden? Die Forschungsfrage (V) • Welche weiteren politischen Wirkungen werden durch den gewaltsamen Tod von SoldatInnen ausgelöst? • Welche Handlungsregeln, Praktiken, Ziele, Entscheidungen und Begründungen werden dadurch wahrscheinlicher, welche unwahrscheinlicher? • Wie verändert sich der politische Möglichkeitenraum? (vgl. Bundeswehrreform; Loyalitätsstrukturen; demokratische Kontrolle; Einbettung der Streitkräfte in die Gesellschaft; neue Einsatzformen; neues Soldatenbild)
Konkretisierung des Forschungsinteresses (I) Rekonstruktion der eigenen Überzeugungen am Anfang des Forschungsprozesses, um… • …den Einfluss des Forschungsinteresses auf die Sequenzanalyse besser zu reflektieren • …die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Fallrekonstruktion zu verbessern • …der selbstkritischen Reflexion der Plausibilität der eigenen Interpretationen eine stabile Grundlage zu verleihen
Konkretisierung des Forschungsinteresses (II) • Unterstützt eine möglicherweise stattfindende Re-Heroisierung „der Truppe“ eine Re-Militarisierungstendenz der Gesellschaft? • Lässt die Re-Heroisierung der Streitkräfte überkommen geglaubte Ehrenrituale wieder aufleben? • Führt das Erleben des gewaltsamen „Kameradentodes“ zu Tendenzen der Abschottung (Vergemeinschaftung „der Truppe“ vs. Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft) bzw. einer Verselbstständigung der Armee (stockender Informationsfluss in Richtung Regierung bzw. Parlament)?
Konkretisierung des Forschungsinteresses (III) • Unterspült der Soldatentod die demokratische Kontrolle der Streitkräfte? Stichwort: Wandel vom Parlamentsheer zum Instrument der Exekutive (vgl. Parlamentsbeteiligungsgesetz) aufgrund „taktischer und strategischer“ Argumente (Flexibilität der Einsatzführung, Geheimhaltungsnotwendigkeit aus Sicherheitsgründen)? • Verschiebt sich die Loyalitätsstruktur der Streitkräfte von der Verfassung bzw. dem Parlament hin zum Dienstherrn (dem Verteidigungsminister bzw. der Exekutive) oder zum „Kameraden“ bzw. zur „Truppe“ selbst?
Konkretisierung des Forschungsinteresses (IV) • Verändert sich das Leitbild des „Bürgers in Uniform“ hin zum „Soldaten mit Bürgerrechten“? • Welche Werte (einschl. „nationaler Interessen“) und Ziele (weltpolitische Aufgaben oder gar „Missionen“) begründen zukünftig das Sterberisiko und die Sterbebereitschaft der SodatInnen der Bundesrepublik Deutschland?
III. Probleme im Kontext der Vorgehensweise
Probleme im Kontext der Vorgehensweise Drei Ebenen: • a) Konstitution des Gegenstands • b) Auswahl der Dokumente • c) Analyse konkret vorliegender Dokumente Lokalisierung von Problemen: a), b) >> c)
Probleme im Kontext der Konstitution des Untersuchungsgegenstands • Inwieweit ist es erforderlich, bereits zu Beginn der Forschung über eine „fertige“ Konstitutionstheorie über den Gegenstand „Soldatentod“ (bzw. dessen Einbettung in den Komplex Staat, internationales System, Außenbeziehungen, Krieg und Frieden etc.) zu verfügen? • Wie sähe diese konstitutionstheoretische Einbettung aus? • Wie wäre sie zu begründen? Stichworte: politische Vergemeinschaftung als Kollektiv ganzer Personen, Souveränität, Außenbeziehungen, Krieg und Frieden (allesamt innerhalb der Internationalen Beziehungen höchst umstrittene Konzepte); Vorwissen vs. Offenheit des Forschers
Probleme im Kontext der Auswahl der Dokumente Teilfragen-übergreifende Probleme: • internationaler Vergleich: ja oder nein?; Umfang? • zeitliche Eingrenzung der Datenauswahl: wie? • welche Quellen sind naheliegend bzw. legitim? • Datentypen in Relation zur jeweiligen Teilfrage
Von der Notwendigkeit eines internationalen Vergleichs (I) • Erwartung innerhalb der Internationalen Beziehungen: keine Beschränkung auf einen Staat, Einnehmen „internationaler“ Perspektive • Gegenargument: Kenntnisse anderer Staaten und Sprachen in der Regel immer nur rudimentär (insbesondere wenn außerhalb des eigenen „Kulturkreises“) • Reaktion der Community: Vernetzung mit Forschern aus anderen Staaten und Kulturkreisen • Gegenargument: Gemeinsames Forschen erfordert Vertrauen (gerade bei akribischen Vorgehensweisen)
Von der Notwendigkeit eines internationalen Vergleichs (II) • Andererseits: der Reiz einer international vergleichenden Einordnung der Ergebnisse des deutschen Falles liegt klar auf der Hand; sowohl gegenüber den „alten“ Demokratien des „Westens“ als auch gegenüber mächtigen Nicht-Demokratien • Bevorzugte Vergleichskandidaten wären: USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China (P5) sowie die Türkei Welche Lösung für das „Internationalitätsproblem“?
Zeitliche Eingrenzung der Auswahl der Dokumente (I) • Auswahlkriterium: Kriege (mit gewaltsamem Soldatentod) – aber welche? • „Deutschland“: Afghanistan (ISAF), WK II, WK I, „Einigungskriege“, Anti-Napoleonischer Krieg („Befreiungskrieg“)
Zeitliche Eingrenzung der Auswahl der Dokumente (II) • USA: Afghanistan (seit 2001); Golfkrieg (1990/91); Vietnamkrieg (1965-1973), WK II • Großbritannien: Afghanistan (seit 2001); Golfkrieg (1990/91); Falklandkrieg (1982); WK II • Frankreich: Afghanistan (seit 2001); Golfkrieg (1990/91); Algerien (1954-1962); WK II
Zeitliche Eingrenzung der Auswahl der Dokumente (III) • Russland: Georgien (2008); Tschetschenien I (1994-1996); Sowjetunion: Afghanistan (1979-1989); WK II/Großer Vaterländischer Krieg • VR China: Tiananmen (1989); Vietnam (1979); (Zweite) Quemoy-Krise (1958); WK II/Chinesisch-Japanischer Krieg/Krieg des Widerstands (1937-1945) • Türkei: Afghanistan (seit 2001); Balkan (IFOR 1995/96; SFOR 1996-2005; KFOR seit 1999); Kurdengebiete (1984-1999); Zypern (1974)
Naheliegende, legitime Quellen (I) Allgemeine Formen des Gedenkens: • Rahmung von Schweigeminuten • Ablauf von Trauerfeiern, Staatsakten und Gedenktagen • künstlerische Gestaltung von Mahnmalen (bzw. Beschränkung auf deren Inschriften)
Naheliegende, legitime Quellen (II) Äußerungen von Spitzenpolitikern: • Staatschef, Regierungschef, Außenminister, Verteidigungsminister • Parlamentspräsident, Vorsitzender des Außen- oder Verteidigungsausschusses bzw. Vertreter der (größten) Regierungs- und Oppositionsfraktion(en)
Teilfrage-relevante Datentypen (I) Frage 1:Soldatentod-Wirkung auf Streitkräfte-Selbstverständnis (D, F, USA - ?) • Interviews mit Streitkräften • …
Teilfrage-relevante Datentypen (II) Frage 2:Soldatentod-Wirkung auf staatliches Institutionengefüge (D, F, USA - ?) • offizielle Verlautbarungen aus Parlament, Regierung und Armee • Einschätzungen aus Wissenschaft und Medien • …
Teilfrage-relevante Datentypen (III) Frage 3: Soldatentod für welche Werte? (D, P5, Türkei - ?) • öffentliche Reden, Mahnmale (Inschriften), Kondolenzschreiben* • … * Nachdenken über Kondolenzschreiben als „Gründungsmythos“ des Forschungsvorhabens
Teilfrage-relevante Datentypen (IV) Frage 4: Weltpolitische Selbstbeschreibungen im Kontext des Gedenkens (D, P5, Türkei - ?) • Öffentliche Reden, Mahnmale (Inschriften) • …
Teilfrage-relevante Datentypen (V) Frage 5: Zusätzliche politische Wirkungen? (D - ?) • Nichtunterscheidung von Primär- und Sekundärquellen? • offizielle Verlautbarungen aus Parlament, Regierung und Armee, sowie Einschätzungen aus Wissenschaft und Medien – aber welche?
Analyse konkret vorliegender Dokumente • Validitätsproblem • Internationalitätsproblem • Kleingruppenproblem
Das Problem der Validität der Befunde • Aufgrund der hohen gesellschaftlichen Relevanz des Themas erscheint es notwendig, die Interpretationen möglichst akribisch „abzusichern“: Wie soll/kann dies geschehen bei nur 2-3 beteiligten („finanzierbaren“) Forschern?
Das Internationalitätsproblem • Analyse fremdsprachiger Texte erfordert Zusammenarbeit mit Kollegen, die nicht nur die entsprechende Sprache beherrschen (und Deutsch oder Englisch sprechen), sondern auch „vom Fach“ sind) Rekrutierungs- und Finanzierungsproblem: welche Lösung?
Das Kleingruppenproblem • Nicht nur – aber auch – im Kontext des „Internationalitätsproblems“ besteht das Problem, dass Analysen am besten in kleinen, nicht hierarchischen Gruppen von miteinander vertrauten ForscherInnen erfolgen welche Lösung?
Probleme jenseits des Untersuchungsdesigns • Präsentationsproblem • Finanzierungsproblem
Das Präsentationsproblem • Unsere Vorgehensweisen produzieren „Unmengen“ an Text; gleichzeitig ist der Anspruch, der – beispiellosen – intersubjektiven Nachprüfbarkeit des Forschungsprozesses an die unmittelbare Einsehbarkeit dieser Textmengen gebunden; für Eingeweihte sind diese Texte vertraut, mitunter sogar verständlich – für die größere Gesellschaft indes eher nicht Wie kann ein geeigneter Weg der Präsentation von Ergebnissen aussehen, der unseren Methoden dennoch gerecht wird und entspricht?
Das Finanzierungsproblem • Wer käme als Drittmittelgeber in Frage? • Wäre es legitim, mehrere Anträge gleichzeitig zu versenden (wenn die potentiellen Geldgeber nicht in unmittelbarer Konkurrenz zueinander stehen)?