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Ernst Jandl Dozentur für Poetik Szenen aus dem wirklichen Leben? Literatur und Biographie

Ernst Jandl Dozentur für Poetik Szenen aus dem wirklichen Leben? Literatur und Biographie 25.5.2011. Ernst Jandls Stücke "die humanisten", 1976 "Aus der Fremde", 1978.

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Ernst Jandl Dozentur für Poetik Szenen aus dem wirklichen Leben? Literatur und Biographie

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Presentation Transcript


  1. Ernst Jandl Dozentur für Poetik • Szenen aus dem wirklichen Leben? • Literatur und Biographie • 25.5.2011

  2. Ernst Jandls Stücke • "die humanisten", 1976 • "Aus der Fremde", 1978

  3. "Erstmals in meiner Praxis als Schreibender ging die Arbeit nahezu vollständig am Tonbandgerät vor sich, indem Szene für Szene auf Band gesprochen wurde, ehe es zur Niederschrift kam. Das gab den Dialogen von vornherein Spontaneität und Tempo, gegenüber dem Verzögerungseffekt, der beim Schreiben zwangsläufig eintritt. Die Steuerung des Gesamtverlaufs konnte von Szene zu Szene erfolgen, unabhängig vom Gerät." (Jandl)

  4. "Ich jedenfalls ging, aufs Gesamtkunstwerk längst schon pfeifend, bei den "humanisten" von der Idee eines Sprechstückes aus, das aus sichtbaren Sprechern und hörbarem Gesprochenen und überdies den sichtbaren Bewegungen der sich hörbar machenden Sprecher und sonst aus fast nichts besteht." (Jandl)

  5. "ich sein mein sprach • mein deutsch sprach • mein schön deutsch sprach"

  6. "nicht sprach von häusselwand • sein sprach von bühnen • sein bühnendeutschen • sein von burgtheatern • nicht sprach von häusselwand"

  7. ""Es ist nicht die satirisch-parodistische Note, die zur Verballhornung führt, sondern die Schaffung einer Sprache, an deren Gedankenlosigkeit eben das zerbrechen soll, gegen das es sich richtet. Parodie, Satire oder Travestie hat nicht zuletzt auch bestätigenden Charakter, indem darin das Attackierte in anderer Proportion oder entstellt wiederholt wird." • (Schmidt-Dengler)

  8. "[…] einen im Geist der Neuzeit entwickelten Satirebegriff auf Rabelais anwendet. Für ihn ist Satire die Kritik an einzelnen privaten Charakterzügen und nicht Kritik an der gesamten Lebensordnung (inklusive der herrschenden Wahrheit), nicht Kritik, die untrennbar mit der Bestätigung des geborenwerdenden Neuen verbunden ist." • (Bachtin 1987, 348)

  9. "[…] sich auch auf die Lachenden selbst, das Volk tritt nicht heraus aus dem stets werdenden Weltganzen. Es ist genauso unvollkommen, wird ebenfalls im Sterben neu geboren und erneuert. Darin liegt einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen dem volkstümlichen festlichen Lachen und dem rein satirischen Lachen der Neuzeit. • (Bachtin 1987, 348)

  10. […] Der Satiriker, der bloß das negierende Lachen kennt, stellt sich außerhalb der belachten Erscheinung, stellt sich ihr gegenüber und zerstört dadurch die Einheit des komischen Aspekts der Welt; das Lächerliche (Negative) wird zum Besonderen. Das ambivalente Lachen der Volkskultur jedoch bezieht sich auf das entstehende Weltganze, an dem auch der Lachende teilhat." (Bachtin 1987, 61)

  11. "Er [Jandl über sich selbst, Anm.] hatte beim Verfassen des Stückes den Unmut nicht vergessen, den der vorangegangene steirische herbst bei vielen braven Bürgern hinterlassen hatte, und wenn es darüber ein Gespräch gab, also nicht nur Empörung und Bitterkeit, sondern aufrichtig Gespräch, dann wollte er mit seinem Stück dazu beitragen." • (Jandl)

  12. "der kurten sein furten • die missen geburten • jetzt es gehen uns gurten"

  13. "viel kunst heut nicht gut sein • sein viel schmutzen • kunst schmutzen"

  14. "Endspiel: es kommt nichts nachher. Wer Humanist ist wie diese beiden, an dem gibt es nichts zu verändern, er bleibt's bis zum Tod, und daß er es bleibt, ist zu zeigen, indem sein Weg bis zum Tod gezeigt wird." (Jandl)

  15. Aus der Fremde • Das müde Ich als "er"

  16. 1 sie: ob er • noch was • essen wolle • 2 er: ob sie • auch tatsächlich • satt sei • 3 das verderbliche • werde er hinaus • in den kühlschrank tun

  17. 85 er: dass sie wohl wisse wie • er seine depression • zum schreiben nütze

  18. 34 aus dem gefängnis des hauses • trete er jetzt • ins gefängnis der straße

  19. 94 wobei konjunktiv ebenso • wie dritte person • ein gleiches erreichten • 95 nämlich objektivierung • relativierung • und zerbrechen der illusion

  20. 96 der konjunktiv • bewirke stets • eine verbindung zu anderem • 97 das nicht im konjunktiv sei • aber hier • da alles im konjunktiv sei

  21. 98 bewirke es eine verbindung • zu immer dem gleichen • und das nenne er relativierung • 100 er: zur objektivierung • im sinne der zerstörung von illusion • trage der konjunktiv ebenfalls bei.

  22. 103 der konjunktiv nun • bewirke • dass dieses erzählen • 104 nicht ein erzählen • von etwas • geschehenem sei • 105 sondern dass es das erzählen • von etwas • erzähltem sei

  23. Literatur als Medium für Gedächtnisbildung und Reflexion • Konsequenzen autobiographischer Unverlässlichkeit für Erinnerung in Literatur • Autobiographische Erinnerung

  24. IMAGINATION INFLATION • Imagination von kontrafaktischen Erlebnissen kann das Gedächtnis und zugehörige konstruierbare Erinnerung verändern (Garry and Polaschek, 2000)

  25. IMAGINATION INFLATION • a) „source-confusion“ • Personen vermischen Information einer kürzlich vorgestellten Begebenheit mit einer tatsächlich in der ferneren Vergangenheit stattgehabten Begebenheit: Gedanken, Bilder und Gefühle, die als Erinnerungen empfunden werden, werden vergangenen Erfahrungen zugeschlagen. (Loftus 1993)

  26. IMAGINATION INFLATION • a) „source-confusion“ • b) „familiarity“ • durch Imagination werden die Begebenheiten vertrauter und deshalb fälschlicherweise als reale angenommen

  27. IMAGINATION INFLATION • Vorstellung erweist sich als eine potentielle Ursache falscher Erinnerung (Goff and Roediger, 1998)

  28. IMAGINATION INFLATION • durch Imagination entwickelte „falsche“ Erinnerungen treten am stärksten dann auf, wenn die Probandinnen genötigt werden, sensorische Details in ihre Vorstellungen aufzunehmen • (Thomas, Bulevich, and Loftus, 2003)

  29. IMAGINATION INFLATION • Je größer die Lebendigkeit und Unverwechselbarkeit der erinnerten Handlung, desto wahrscheinlicher ist es zu glauben, dass es sich um eine „wahre“ Erinnerung handelt • (Thomas, Bulevich, and Loftus, 2003, 638)

  30. IMAGINATION INFLATION • ‘‘not as an ability to revive accurately impressions once obtained, but as the integration of impressions into the whole personality and their revival according to the needs of the whole personality“ • (Rapaport 1952, 112–113)

  31. IMAGINATION INFLATION • a) „source confusion“) • b) „familiarity“ • c) „fuzzy trace“- • (cf. Wade and Laney 2008)

  32. IMAGINATION INFLATION • c) „fuzzy trace“ • wortsprachliche Spuren • umfassen sensorische Details der Oberfläche (Gerüche, Farben, Töne) • gist traces (Kernspuren) • umfassen abstrakte Details (Bedeutungen, Interpretationen)

  33. IMAGINATION INFLATION • c) „fuzzy trace“ • wortsprachliche Spuren • umfassen sensorische Details der Oberfläche (Gerüche, Farben, Töne) • gist traces (Kernspuren) • umfassen abstrakte Details (Bedeutungen, Interpretationen) • Falsche Erinnerungen, wenn Bezug auf gist traces • oder wenn wortsprachliche Spuren einer bestimmten Quelle fälschlicherweise für Spuren einer anderen Quelle gehalten werden • (Brainerd and Reyna, 2005)

  34. IMAGINATION INFLATION • false memory studies • gibt es ein Merkmal, das falsche von tatsächlichen Erinnerungen zu unterscheiden erlaubt

  35. IMAGINATION INFLATION (Einhauchen von Vorstellungen) • false memory studies • gibt es ein Merkmal, das falsche von tatsächlichen Erinnerungen zu unterscheiden erlaubt • a) Überzeugung • b) Detailreichtum • c) Lebendigkeit • d) emotionaler Reichtum

  36. IMAGINATION INFLATION • d) emotionaler Reichtum • Laney and Loftus (2008): repräsentieren emotionale Erinnerungen mit besonderer Wahrscheinlichkeit tatsächlich stattgehabte Begebenheiten, gerade aufgrund ihres emotionalen Inhalts?

  37. IMAGINATION INFLATION • d) emotionaler Reichtum • Laney and Loftus (2008): • a) über Nacht im Krankenhaus gewesen zu sein, • b) die Eltern beim Sex erwischt zu haben und • c) die Ausübung einer gewalttätigen Auseinandersetzung der Eltern mit angesehen zu haben

  38. IMAGINATION INFLATION • d) emotionaler Reichtum • „just because a particular memory is emotional for the person who remembers it, that is no guarantee that the memory represents authentic experience“ (Laney and Loftus, 2008, 513).

  39. IMAGINATION INFLATION • KONFABULATION (Wilson 2007)

  40. KONFABULATION (Wilson 2007) • Menschen drücken Erklärungen für ihre Handlungsweisen sprachlich aus, die nichts mit den tatsächlichen Beweggründen unserer Handlungen zu tun haben

  41. KONFABULATION (Wilson 2007) • a) Personen mit organischer Amnesie • b) Hypnotisanden, die posthypnotischen Auftrag erfüllen

  42. KONFABULATION (Wilson 2007) • Selbstbeobachtung (Introspektion) beruht auf der Konstruktion einer Geschichte; viele Fakten der Biographie müssen gefolgert werden, da sie sich nicht direkt beobachten lassen

  43. KONFABULATION (Wilson 2007) • Selbstbeobachtung (Introspektion) beruht auf der Konstruktion einer Geschichte; viele Fakten der Biographie müssen gefolgert werden, da sie sich nicht direkt beobachten lassen • Niederschrift einer Autobiographie mit begrenzten Quelleninformationen

  44. KONFABULATION (Wilson 2007) • Selbstbeobachtung (Introspektion) beruht auf der Konstruktion einer Geschichte; viele Fakten der Biographie müssen gefolgert werden, da sie sich nicht direkt beobachten lassen • Niederschrift einer Autobiographie mit begrenzten Quelleninformationen • Selbstenthüllung oder Selbsterfindung?

  45. Persönliche Erinnerung als Narration? • In sehr vielen Disziplinen (Philosophie, Psychologie, Theologie, Anthropologie, Literaturwissenschaft etc.) besteht – wie gerade geschildert – Übereinkunft, dass Menschen üblicherweise ihr Leben als eine Narration oder eine Erzählung betrachten, ja mehr noch: dass sie ihr Leben auch entlang von solchen Geschichten ‚leben‘ und ‚erleben‘.

  46. Persönliche Erinnerung als Narration? • Diachronische Selbsterfahrung beinhaltet, dass jemand sich als ein konsistentes Selbst versteht, das in der Vergangenheit da war und in der Zukunft da sein wird. Im Gegensatz dazu beinhaltet episodische Selbsterfahrung der so genannten Episodiker, dass sich jemand nicht als ein konsistentes Selbst versteht, das in der Vergangenheit da war und in der Zukunft da sein wird. Diachroniker tendieren dazu, ihr Leben als Erzählung zu sehen, Episodiker nicht.

  47. Persönliche Erinnerung als Narration? • „Geschichten-Erzähl-Tendenz“: Darunter versteht man, dass Personen beim Entwerfen ihres Lebens sich dieses als eines vorstellen, das in das Muster von anerkannten Erzählgattungen passt – so wie halbwegs begabte JournalistInnen, HistorikerInnen oder Trivial-SchriftstellerInnen eine Folge von Ereignissen erzählen würden: nicht nur in einer zeitlichen Abfolge, sondern auch als miteinander kausal verbunden und kohärent.

  48. Persönliche Erinnerung als Narration? • Aus diesen genannten Ansätzen (Falsche Erinnerungen, Konfabulation, und die Gegen-Narrativitäts-These) folgt, dass der Entwurf eines Selbst nach Mustern der Narration und der geordneten Geschichte von einem ‚echten‘, ‚authentischen‘ Selbstverstehen weg führt, damit auch weg von einer angemessenen Möglichkeit, die eigene Existenz zu erfassen.

  49. Kronauer: Der unvermeidliche Gang der Dinge • „Das, was wir erleben, sind keine Geschichten, die ReaIität ist anders. Ohne Zweifel! Das, was sich die Leute im Bus erzählen, hat Anfang und Ende, Höhepunkt und Pointe, das, was wir automatisch tun, wenn uns etwas zustößt, ist das Herausputzen der Details zu Symptomen, das Herstellen einer Geschichte. Was dabei entsteht, ist nicht die Realität. Ohne Zweifel! Dieses Zurechtlegen jedoch auf Sinn, Zusammenhang, Hierarchie der Fakten hin ist eine Realität, zweifellos!“

  50. Kronauer: Der unvermeidliche Gang der Dinge • "Die Texte sind nicht im mindesten psychologisch, aber sie gehen von der obengenannten Beobachtung aus. Sie versuchen, durch die Penetranz einer immer wieder durchgespielten, über die wechselnden Inhalte gestülpten Form die Machbarkeit von Realität zu demonstrieren. Ununterbrochen wird von der Ichperson vor aller Augen die Geschichte auf einen Sinn hin konstruiert, vor aller Augen wird die Wirklichkeit durch den Geschichtenwolf gedreht."

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