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Migrantenliteratur als Teil der modernen deutschen Literatur

Migrantenliteratur als Teil der modernen deutschen Literatur. Prof.Koloskova S. Inhalt :. Literaturen von Migranten Neue Tendenzen in der "Migrantenliteratur" Eine unübersehbare interkulturelle Vielfalt Der Edelmann als Bürger Über den Chamissopreis Chamisso-Tage an der Ruhr.

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Migrantenliteratur als Teil der modernen deutschen Literatur

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  1. Migrantenliteratur als Teil der modernen deutschen Literatur Prof.Koloskova S.

  2. Inhalt: • Literaturen von Migranten • Neue Tendenzen in der "Migrantenliteratur" • Eine unübersehbare interkulturelle Vielfalt • Der Edelmann als Bürger • Über den Chamissopreis • Chamisso-Tage an der Ruhr

  3. Literaturen von Migranten Im Zusammenhang mit der Arbeitsmigration nach dem 2. Weltkrieg kamen ab 1955 künftige Autoren neuentstehender multikultureller Literaturen zunächst hauptsächlich aus Italien, Spanien, Portugal, Jugoslawien und Griechenland an den deutschen Literaturstandort. Dieser große Teilbereich der deutschsprachigen multikulturellen Literatur im 20. Jahrhundert, die Literatur von Migranten, die in der ersten Phase der sich neu entwickelnden Migration in den deutschsprachigen Raum entstand, wurde zunächst als Gastarbeiterliteratur bezeichnet. Sie knüpfte an die deutsche Tradition der Arbeiterliteratur an, hatte eine kämpferische Motivation und ihre Autoren entstammten nicht selten auch wirklich den Reihen der damals sogenannten Gastarbeiter. Entsprechend der Tatsache, dass die Arbeitsmigration im eigentlichen Sinne 1973 durch ein Anwerbestop beendet und auch die "Gastarbeiter"-Idee sich als Utopie erwies, setzte sich ab den 1980er Jahren eine Reihe von neuen Bezeichnungen durch für die Literatur, die von nicht-deutschsprachigen Autorinnen und Autoren in der Bundesrepublik, in Österreich und der Schweiz geschaffen wurde.

  4. Mit dem Begriff Migrantenliteratur sollte der außerliterarischen Tatsache Rechnung getragen, dass ihre Autoren in den deutschsprachigen Raum migriert sind, weitere Verallgemeinerungen waren nicht beabsichtigt. Die Zahl der zu dieser Kategorie gehörigen Autorinnen und Autoren ist unsicher, eine vorsichtige Schätzung für das Jahr 2000 beläuft sich auf ungefähr 250 Personen. Dass diese Zahl unsicher und veränderlich ist, liegt am außerordentlich dynamischen Charakter des Phänomens selber. Migrantenliteratur ist in Zeiten der zunehmenden globalen Mobilität der Menschen im Zunehmen begriffen und global gesehen handelt es sich um weit höhere Zahlen. Literatur der zweiten und dritten Einwanderergeneration, häufig wenig treffend auch als Migrantenliteratur bezeichnet, ist hierbei noch gar nicht mit eingerechnet.

  5. Gastarbeiterliteratur Der Begriff Gastarbeiterliteratur bezeichnete in den 1970er und 1980er Jahren die Literatur, die von ausländischen Schriftstellern in Deutschland, Österreich und der Schweiz geschaffen wurde. Der Terminus lehnt sich an die Tatsache an, dass man ab 1955 Arbeitsmigranten in großer Zahl in die deutschsprachigen Länder geholt hat und diese als Gastarbeiter bezeichnete. Die Autoren und Autorinnen der Gastarbeiterliteratur entstammten bereits zu Beginn keinesfalls nur ihren Reihen. Dieses außerliterarische Kriterium zur Beschreibung von Literatur stand auch von Anfang an unter kritischer Beobachtung. Aus den Reihen der Schriftsteller selber machten sich besonders die theoretisch führenden Mitglieder des PoLiKunstvereins, der von 1980 bis 1987 existierte, für diese Bezeichnung stark. Es waren Franco Biondi, Rafik Schami, Jusuf Naoum und Suleman Taufiq, die in einer Fußnote zu ihren Literatur der Betroffenheit. Bemerkungen zur Gastarbeiterliteratur auf die Ironie der Bezeichnung hinwiesen.

  6. Gäste ließe man normalerweise nicht arbeiten, auch blieben Gäste nicht so lange wie die Gastarbeiter, die sich in zunehmendem Maße im Lande niederließen, statt es nach einer kürzeren Zeit wieder zu verlassen, wie ursprünglich seitens der Industrie und Politik geplant. Als Kennzeichen einer Gastarbeiterliteratur galt aus der Sicht der anfänglichen deutschen Rezeption die Tatsache, dass sie von fremdsprachigen Autoren auf Deutsch als Fremdsprache geschaffen wurde. Eine erweiterte Sicht der Dinge schließt aber auch sowohl in verschiedenen Fremdsprachen entstandene, dann ins Deutsche übersetzte Literatur von Migranten und Literatur von migrierten Autoren aus deutschsprachigen Minderheiten der verschiedensten Länder ein.

  7. Migrantenliteratur Migrantenliteratur ist einer der neueren Begriffe, die dazu benutzt werden, die Literatur zu bezeichnen, die von Autorinnen und Autoren geschaffen wird, die selbst oder zusammen mit ihren Eltern in ein zunächst fremdes Land migriert sind. Mit der Veränderung des Wohnortes geht bei diesen Autoren meist ein Sprachwechsel und/oder ein Nationalitätswechsel einher. Der Begriff ist teilweise deckungsgleich mit dem Begriff Gastarbeiterliteratur, ohne jedoch eine Zugehörigkeit der Autoren zur Schicht der Arbeiter vorauszusetzen. Einzig die Migration wird im Begriff Migrantenliteratur fokussiert. Auch dieser Begriff ist innerhalb der diesbezüglichen Literaturforschung nicht unumstritten und findet gleichzeitig mit mehreren anderen Verwendung.Ein Sonderfall der Migrantenliteratur ist die Exilliteratur. An ihr sind nicht selten Einflüsse des exilgebenden Landes auszumachen, aber häufig sind die Werke auch unabhängig vom Aufenthaltsort der Autoren allein vom Exil geprägt und können daher nicht in jedem Fall unter den multikulturellen Literaturen subsumiert werden. Die Übergänge zwischen Emigration, Exil und Weitermigration sind jedoch sowohl biographisch als auch thematisch häufig fließend, und nicht wenige Exiltexte loten den Zwischenraum zwischen den Kulturen aus.

  8. Neue Tendenzen in der "Migrantenliteratur" Der Gast, der keiner mehr ist Die deutsche Migrantenliteratur hat sich in den letzten 50 Jahren stark verändert. Die "Gastarbeiterliteratur" ist weit überholt. Die neue Generation der Literatur mit Migrantenhintergrund ist endlich in der "Normalität" angekommen, schreibt Andreas Schumann. Wo sind sie hin, die Romanfiguren, die als Gastarbeiter und Zuwanderer in Deutschland ihr tristes Dasein fristen, um Verständnis und Akzeptanz bitten, sich um ihre Identität in der Fremde bemühen, dem Gastland trotzen? Seit den 1960er Jahren hatten wir uns an diese fiktiven Mitbürgerinnen gewöhnt; selbst wenn ihre Geschichten nur von Wenigen gelesen wurden, so waren sie doch genau so vorhanden wie ihre Widergänger im realen Alltag. Doch seit wenigen Jahren werden sie in der Literatur der Autorinnen, deren Muttersprache nicht die deutsche war, immer seltener.

  9. Liegt dies allein darin begründet, dass die Migration nach Deutschland insgesamt rückläufig ist, mittlerweile die dritte Generation an Zuwanderern hier lebt, arbeitet, schreibt - und somit die Muttersprache mehr und mehr doch die deutsche ist? Oder ist die erst in den 1980er Jahren allmählich entdeckte Literatur der Migranten endlich in der "Normalität" angekommen, ist sie integraler Bestandteil deutschsprachiger Literatur ohne das Zeichen des Exzentrischen und Marginalen geworden?

  10. "Sind sie zu fremd, bist du zu deutsch" Die große "Wende" weg von einer "Migrations-" oder "Ausländerliteratur" wird im Jahre 2000 markiert mit zwei Anthologien: Ilija Trojanow (Hg.): Döner in Walhalla. Texte aus einer anderen deutschen Literatur. (Köln: Kiepenheuer & Witsch) und Jamal Tuschick (Hg.): Morgen Land. Neueste deutsche Literatur. (Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch). Die Veränderungen werden in beiden Büchern an sehr prominenter Stelle betont. Ilija Trojanow leitet seinen Band mit der Frage ein: "Welche Spuren hinterläßt der Gast, der keiner mehr ist?" und in Morgen Land heißt es - in aller Radikalität und Deutlichkeit - "Sind sie zu fremd, bist du zu deutsch." Weder geht es um die Suche nach Möglichkeiten einer Integration in die deutsche Gesellschaft noch um die trotzige Gebärde der Selbstbehauptung, wie in Zaimoglus fiktiven Protokollen Kanak Sprack. 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft (1995), oder Koppstoff. Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft (1998) - allein die Untertitel belegen hier ja noch die selbstinszenierte Eigen- und Randständigkeit der "Migrantenliteratur". Doch davon sind die Beiträge in den beiden Anthologien ebenso weit entfernt wie andere Beispiele der "neuesten deutschen Literatur".

  11. Migrantenliteratur ist "normal" geworden Und noch etwas wird in diesen Bänden augenfällig, nämlich eine Tendenz, die sich während der 1990er Jahre allmählich vorbereitete: Die zunehmende Vielfältigkeit der biographischen Hintergründe der Autorinnen. Die nationale Herkunft spielt kaum mehr eine Rolle, eindeutige Gründe für eine Zuwanderung wie Arbeitsmigration oder politisch motivierte Flucht lassen sich kaum mehr ausmachen.Viele der jüngeren Schreibenden gehören darüber hinaus der so genannten zweiten und dritten Generation an, viele sind bereits in Deutschland geboren, die Sprache, in der sie schreiben ist im Regelfall die deutsche. Wie soll sich da ein gemeinsamer Standpunkt, eine gemeinsame Intention der Schreibenden aus einem Migrationshintergrund einstellen, wie er in den letzten 30 Jahren immer wieder gefordert wurde?Es ist somit wohl mittlerweile unzulässig, von einer "Migrantenliteratur" in Deutschland zu reden, auch ist es nicht mehr eine "Literatur der Fremde" noch eine Kultur vermittelnde Dichtung. Sie braucht keine Ideologie, keinen politisch-moralischen Anspruch, keine geschichtliche Kontinuität, keine nationale Identität, keine Bewertung von Handlungen mehr, braucht scheiternde Kommunikation nicht zu betrauern, kann sich dem Alltag zuwenden, kann die Identität von Gruppen herstellen - und hat sich damit von den Traditionen der Migrantenliteratur emanzipiert und ist "normal" geworden.

  12. Heimat und Fremde gibt es nicht In Zsuzsa Banks Roman Der Schwimmer (2002) hängt die Reise der drei Protagonisten - Vater, Tochter, Sohn - quer durch Ungarn zwar zusammen mit der Flucht der Mutter in den Westen, doch im Mittelpunkt steht die Suche nach einer eigenen Sprache, die der erlebten und erlittenen Situation angemessen sein könnte, nach einer Identität der beiden Kinder auf einer orientierungslosen Reise. Räumliche Bindungen spielen keine Rolle, ein Konzept von Heimatlichkeit steht völlig zur Disposition - nur die Suche nach Identität treibt die Figuren an. Der Roman Alle Tage von Terezia Mora aus dem Jahre 2004 geht noch einen Schritt weiter. Der Protagonist, Abel Nema, wird bereits in der ersten Sequenz vorgestellt, wie er kopfüber an einem Baum hängt und sich die Welt mit einem verkehrten Blick betrachtet - dies könnte noch als traditionelle Metapher innerhalb einer Kultur vermittelnden, Differenzen suchenden Literatur verortet werden.

  13. Doch diese Flair scheitert nicht daran, dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren kann, wie bald klar wird, sondern daran, dass sie sich anderen nicht mitteilen kann, obwohl sie zehn Sprachen beherrscht. Abel Nema ist die Projektionsfläche für die Wünsche und das Begehren aller anderen Figuren in der dargestellten Welt, er selbst hat allerdings genau so wenig Kontur und Bedeutung, wie auch die aufgebotenen Räume durchgängig semantisch leer sind; Kategorien von Heimat oder Fremde existieren nicht mehr - höchstens noch die Unmöglichkeit, in einem Land, einem Raum, einem System, einer Gesellschaft anzukommen. Damit steht auch die Option der Integration in eine andere Gesellschaft oder eine Abgrenzung von ihr nicht mehr zur Verfügung.

  14. Neugier auf literarische Schreibweisen In herausragender Weise spiegelt diese Entwicklung auch die jährliche Verleihung des Adelbert-von-Chamisso-Preises wider. Diese seit 1985 von der Robert-Bosch-Stiftung ausgelobte Auszeichnung für "bedeutende Beiträge zur deutschen Literatur von Autoren nichtdeutscher Muttersprache" ist ein zuverlässiger Indikator für die literarischen Entwicklungen, dessen, waj nicht mehr "Migrantenliteratur" genannt werden sollte - von Aras Ören und Rafik Schami im Jahre 1985 bis zu den Preisträgern des Jahres 2005, Feridun Zaimoglu und Dimitre Dinev.Mit der Veränderung des Preisträgerprofils geht auch eine Hinwendung zu anderen Inhalten einher. Es geht nicht mehr um die Darstellung des Eigenen im Fremden, sondern um die Neugier auf neue literarische Schreibweisen, wie die Beispiele von Aglaja Veteranyi, Marica Bodrozic oder Zsuzsa Bank belegen, oder um einen umgekehrten ethnographischen Blick auf den deutschen Alltag, für den als prominenter Beleg die Auszeichnung von Asfa-Wossen Asserate (Manieren. Frankfurt/Main: Die andere Bibliothek 2003) gelten kann.Der Chamisso-Preis zeigt der interessieren Leserschaft eine neue und spannende Literatur, die sich nicht mehr als Wortmeldungen des Gastes versteht, sondern sich in der deutschen Dichtung heimisch zu fühlen beginnt.

  15. Eine unübersehbare interkulturelle Vielfalt Seit mindestens einem Jahrzehnt ist eine unübersehbare interkulturelle Vielfalt zu einem wichtigen Kennzeichen auch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geworden. Bewirkt wurde diese Vielfalt vor allem durch den mit den Migrationsbewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einhergehenden Kulturwechsels vieler Literaten, der ihre Themen und Sprachbilder prägte und oft die Wahl des Deutschen als Literatursprache nahe legte. Die Migrantenliteratur, die vor 1985 noch eher ein Schattendasein führte, hat in den letzten 20 Jahren äußerst unterschiedliche poetische Konzepte entwickelt und damit die deutsche Literatur bereichert und internationalisiert. Heute gehören einige ihrer Autoren zu den bekannten und viel gelesenen Schriftstellern deutscher Sprache – Feridun Zaimoglu oder SAID, Rafik Schami oder Terezia Mora, Herta Müller oder Zsuzsa Bank haben sich auf dem Buchmarkt etabliert und sind mit ihren Romanen, Erzählungen und Gedichten wichtige Repräsentanten der heutigen deutschen Literatur.

  16. Erst um 1980 wurden literarische Äußerungen von Arbeitsmigranten, damals oft unter denn Etikett "Gastarbeiterliteratur", von der deutschen Öffentlichkeit breiter wahrgenommen. Viele Texte dieser ersten, über die Mitte der achtziger Jahre hinaus anhaltenden Phase hatten die Dialektik von Heimat und Fremde, den migrationsbedingten Sprach- und Kulturwechsel und die Probleme der sich dem "Multikulturellen" nur zögernd öffnenden deutschen Gesellschaft zum Thema. Mit dem Auftauchen von Schriftstellern, die der zweiten oder dritten Migrantengeneration angehören und sich immer häufiger dem "Konflikt zwischen Vereinnahmung und Ausgrenzung" zu entziehen suchen, scheint die Migrantenliteratur allmählich in der deutschen Literatur aufzugehen. Autoren wie Za Jose F.A. Oliver oder Zehra Јirak wollen sich weder der ausländischen noch der deutschen Seite zurechnen lassen.

  17. Feridun Zaimoglu lieferte mit Kanak Sprak das Stichwort für eine ganze Generation deutschtürkischer Großstadt-Jugendlicher und versteht sich, ähnlich wie Yade Kara, Selim Özdogan oder Imran Ayata, ganz selbstverständlich als literarischer Vertreter einer postkolonialen, hybriden Mischkultur. Bei den nach 1970 geborenen Autoren mit nicht-deutschem kulturellen Hintergrund haben sich äußerst vielfältige interkulturelle Schreibweisen herausgebildet. Das alles in Betracht gezogen, war auch das Münchner Institut für Deutsch als Fremdsprache maßgeblich an der Einrichtung des 1985 erstmals vergebenen Adelbert-von-Chamisso-Preises beteiligt, der mittlerweile zu den renommiertesten deutschen Literaturpreisen gehört.

  18. Der Edelmann als Bürger Adelbert von Chamisso hatte mehr Glück als viele politische Emigranten unserer Tage, Der gebürtige Franzose fand eine neue Heimat in Berlin, er baute sich eine bürgerliche Existenz auf, wurde noch zu Lebzeiten als Dichter deutscher Sprache und im internationalen Wissenschaftsbetrieb als Naturforscher anerkannt. Doch Chamisso vergaß nie, wie wenig selbstverständlich sein Einwandererschicksal war. Mit elf Jahren wurde der Grafensohn aus einer heilen Kindheitswelt in die Kriegswirren nach der Französischen Revolution hineingezogen. »Von Stadt zu Stadt, von Land zu Land irrend, ohne Bändungen, ohne Vaterland, fast ohne Hoffnung, die Stütze der Elenden, habe ich das Unglück kennengelernt..." Vier Jahre irrte die Familie durch Europa, ehe sie 1796 in Berlin eine dauerhafte Zuflucht fand.

  19. Die Familie fand in Berlin Anschluß an die französische Kolonie der Hugenotten und an den preußischen Hof. Adelbert konnte das Französische Gymnasium besuchen, diente als Page bei der Königin und trat 1798, mit siebzehn Jahren in die preußische Armee ein. In den Jahren 1815 bis 1818 reiste Chamisso als Naturforscher auf einem russischen Expeditionsschiff rund um die Welt. Dieses Abenteuer und seine wissenschaftlichen Erkenntnisse sicherten dem Außenseiter eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Chamisso selbst war sehr stolz, daß er seinen bescheidenen Wohlstand nicht Adelsprivilegien verdankte, sondern sich alles selbst erarbeitet hatte. Der liberale Bürger Chamisso träumte von einer Welt, die sich nicht durch Kriege und Revolutionen, sondern im Streit der Meinungen fortentwickelte.

  20. Über den Chamissopreis Der Adelbert-von-Chamisso-Preis ist ein Literaturpreis, mit dem die Robert Bosch Stiftung seit 1985 deutsch schreibende Autoren nicht deutscher Muttersprache auszeichnet, und der im deutschsprachigen Raum in seiner Ausrichtung einzigartig ist. Die ausgezeichneten Autoren haben ganz unterschiedliche kulturelle Hintergründe und sind durch Arbeitsmigration, Asyl, Exil oder Studium nach Deutschland gekommen. Eines aber verbindet sie: Die deutsche Sprache, in die sie eingewandert sind und die sie zu ihrer eigenen und wichtigsten Ausdrucksform gemacht haben. Dieser Wechsel in die deutsche Sprache geht dabei weit über deren Alltagsgebrauch hinaus. Er vollzieht sich in künstlerischer und literarischer Aneignung und macht das Werk der Adelbert-von-Chamisso-Preisträger zu einem selbstverständlichen Bestandteil der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

  21. Der Preis dokumentiert, dass Literatur und Sprache der Verständigung zwischen den Kulturen dient - in Deutschland, in Europa und darüber hinaus. Die Chamisso-Preisträger, die wie Elazar Benyoeiz und Galsan Tschinag nicht in Deutschland leben und wirken, fördern mit ihren Werken den internationalen Gebrauch des Deutschen als Bildungssprache. Die im deutschen Sprachraum tätigen Preisträger sind Beispiele dafür, wie die Kultur derjenigen, die hier eine neue oder zweite Heimat gefunden haben, mit der unseren zusammenfindet. Die Chamisso-Preisträger sind nicht nur hervorragende Schriftsteller und Vertreter der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, sondern haben auch eine wichtige Vorbildfunktion, insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Uns allen ist deutlich geworden, welche zentrale Rolle die Sprache für gelingende Integration spielt. Ohne ausreichende Sprachbeherrschung ist ein Leben und Arbeiten in der Gesellschaft nicht möglich.

  22. Es war die kluge Initiative Harald Weinrichs, die Robert Bosch Stiftung von der Einrichtung des Adelbert-von-Chamisso-Preises zu überzeugen. Seit der ersten Preisverleihung 1985 an Aras Ören und Rafik Schami sind insgesamt 48 Schriftsteller aus über zwanzig Herkunftsländern ausgezeichnet worden. Wurde die mit dem Preis gewürdigte Literatur seit den 80er Jahren zunächst ist noch »Gastarbeiterliteratur«, später »Migrationsliteratur« genannt, so ist sie heute zu einem selbstverständlichen Bestandteil deutscher Gegenwartsliteratur geworden, die nicht selten auch als »Chamisso-Literatur« bezeichnet wird. Die seit 1997 verliehene »Ehrengabe zum Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung« wurde bisher an drei Persönlichkeiten vergeben, die durch ihr Lebenswerk in besonderer Weise im Sinne des Preises gewirkt haben: Jiri Grusa, Imre Kertesz und Harald Weinrich.

  23. Die lebhafte Resonanz auf die zahlreichen von der Stiftung angeregten und unterstützten Lesungen der Preisträger an Schulen, Büchereien und Theatern im gesamten deutschsprachigen Raum zeigt das hohe Interesse an dieser Literatur. Es macht den besonderen Charakter des Adelbert-von-Chamisso-Preises aus, dass er nicht allein in einer Prämierung besteht, sondern durch eine Begleitförderung das Lesen der Autoren gerade an Schulen möglich macht. Die Robert Bosch Stiftung veranstaltet in unregelmäßigen Abständen Chamisso-Tage, die an unterschiedlichen Orten im deutschsprachigen Raum durchgeführt werden, zuletzt 2003 in Basel. Im Oktober 2007 wurden die Chamisso-Tage im Ruhrgebiet stattfinden. Sie vergibt darüber hinaus Arbeitsstipendien an die Preisträger und fördert eine Chamisso-Poetikdozentur an der Technischen Universität Dresden. Ein Katalog begleitet eine Fotoausstellung zu den Preisträgern, die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut im deutschsprachigen Raum und bereits in weiten Teilen Europas präsentiert wurde.

  24. Chamisso-Tage an der Ruhr Im Rahmen der Chamisso-Tage, die dieses Jahr erstmalig in Nordrhein-Westfalen zu Gast sind, hat die Stiftung in 13 Städten des Ruhrgebiets zu rund 200 literarischen Veranstaltungen eingeladen. 32 ausgezeichnete Autoren lesen bei den "Chamisso-Tagen an der Ruhr". Insgesamt stehen 200 literarische Veranstaltungen in 13 Städten auf dem Programm, Das Literaturfestival findet erstmals im Ruhrgebiet unter dem Motto "viele Kulturen - eine Sprache" statt. Die Robert Bosch Stiftung verleiht den Adelbert-von-Chamisso-Preis und zeichnet damit deutsch schreibende Autoren aus, deren Muttersprache und kulturelle Herkunft nicht die deutsche ist.

  25. In Zusammenarbeit mit der Robert-Bosch-Stiftung war Dortmund im Oktober zum Zentrum der „Chamisso-Tage an der Ruhr 2007". Rund 80 internationale Autorinnen und Autoren gastieren dann bei Lesungen, Gesprächsforen und Schulprogrammen in der Region und bringen dem Publikum den Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso, (1781 bis 1838) näher. Zahlreiche Ruhrgebietsstädte sind an dem Programm beteiligt, das von Dortmund aus koordiniert wird. Obwohl Französisch Chamissos Muttersprache war, gelang es Chamisso, in der deutschen Fremdsprache unsterbliche Werke zu schaffen. Am bekanntesten sind sicherlich „Peter Schlemihls wundersame Geschichte" (1814) und das Gedicht „Das Riesenspielzeug" über die Burg Nideck im Elsass. Dies erklärt, dass der bisher einzige Literaturpreis für deutschsprachige Migrantenliteratur seinen Namen trägt. Mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis werden seit 1985 in Deutschland Autorinnen und Autoren nichtdeutscher Muttersprache ausgezeichnet.

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