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Einführung in die Philosophie 7. November 2012 Prof. Dr. Thomas Schramme 4. Tod. Gliederung. Ausgangspunkt und Vorbemerkungen Argumente, warum der Tod kein Übel sein kann Epikurs Argumentation Einwände Eine alternative Argumentation. Vorbemerkungen.
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Einführung in die Philosophie7. November 2012Prof. Dr. Thomas Schramme 4. Tod
Gliederung Ausgangspunkt und Vorbemerkungen Argumente, warum der Tod kein Übel sein kann Epikurs Argumentation Einwände Eine alternative Argumentation
Vorbemerkungen • Die meisten Menschen glauben, dass der Tod eines der größten Übel ist, die ein Mensch erleiden kann Ich diskutiere nicht: • das mögliche Übel des Sterbeprozesses (Schmerzen etc.) • das Übel, das andere Leute (z.B. Angehörige) erleiden • die Vernünftigkeit der Angst vor dem Tod (selbst wenn der Tod kein Übel wäre, könnte die Furcht vor dem Tod begründet sein, etwa weil man nicht weiß, was einen erwartet)
Argumente, warum der Tod kein Übel sein kann der Tod ist ein Gleichmacher; er trifft alle gleichermaßenABER: auch Ereignisse, die alle betreffen, können schlecht sein der Tod ist ein notwendiges und natürliches Ereignis; etwas, was wir nicht ändern können, sollte nicht als Übel geltenABER: zumindest der Tod vor Ablauf einer normalen Lebensspanne könnte als Übel gelten ein ewiges Leben wäre schrecklichABER: impliziert nicht, dass Tod niemals ein Übel sein kann (vor Ablauf von, sagen wir, 350 Jahren könnte der Tod ein Übel sein)
Argumente, warum der Tod kein Übel sein kann (2) Symmetrie-Argument (Lukrez): Es ist kein Übel für uns, dass wir vor unser Geburt nicht existiert haben, warum sollte also die Nicht-Existenz nach dem Tod ein Übel sein?ABER: es gibt durchaus eine Asymmetrie zwischen der Bewertung pränataler und postmortaler Nicht-Existenz, da vor unserer Zeugung wir noch nicht existierten der Tod ist kein Ereignis, das wir erleben könnten, also kann es kein Übel sein (Epikur) ähnliches Argument: Wer erleidet ein Übel (nach dem Tod)? Schließlich existiert niemand nach dem Tod, für den die Situation schlecht(er) sein könnte
Epikur: Brief an Menoikeus "Gewöhne Dich ferner daran zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlimme ist nur in der Empfindung gegeben; der Tod aber ist die Vernichtung der Empfindung. Daher macht die richtige Erkenntnis – der Tod sei nichts, was uns betrifft – die Sterblichkeit des Lebens erst genussfähig (…). Denn es gibt nichts Schreckliches im Leben für den, der im vollen Sinne erfasst hat, dass nichts Schreckliches im Nicht-Leben liegt. (...) Das Schauererregendste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht; wenn "wir" sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind "wir" nicht." (Epikur, Brief an Menoikeus, in Briefe, Sprüche, Werkfragmente, S.43f.)
Rekonstruktion des Arguments A) Ein Zustand kann nur ein Übel für eine Person P sein, genau dann, wenn P ihn irgendwann erleben kann also B) P's Tod kann für ihn nur schlecht sein, wenn er diesen Zustand irgendwann erleben kann C) P kann nur Zustände erleben, die vor seinem Tod liegen D) P's Tod liegt nicht vor dem Tod von P also E) P's Tod ist kein Zustand, den er irgendwann erleben kann also: P's Tod ist kein Übel für P (vgl.: Stephen E. Rosenbaum: How to be Dead and Not Care: A Defence of Epicurus, American Philosophical Quarterly 23, No.2, April 1986, pp. 217-25.)
Einwände • Es könnte Erlebnisse nach dem Tod gebenABER: den Erkenntnissen der Wissenschaft zufolge ist das unwahrscheinlich (Erlebnisse setzen beim Menschen ein funktionierendes Nervensystem voraus) • gibt es Leben nach dem Tod: Monty Pythons Erkenntnisse
Übel durch Verschlechterung? Der Tod mag als Ereignis (und Zustand nach dem Tod = Totsein) kein Übel sein, aber er ist dennoch ein Übel, weil er ein kontrafaktisches, aber denkbares Weiterleben verhindert "[T]he thing that is bad for the person is bad for him or her because it deprives the person of pleasures he or she otherwise would have experienced." (Feldman Confrontations With the Reaper 1992, p.138) ABER: ein komparativer Nachteil (Tod schlechter als…) muss nicht zwangläufig ein Übel darstellen; analog: nicht so glücklich wie prinzipiell möglich zu sein ist kein Übel → Feldman bräuchte einen Standard von normalen Erwartungen, wobei ein Unterschreiten dieses Standards das Übel darstellte
Übel durch Privation • ähnliche Argumentation bei T. Nagel:Tod ist nicht ein Übel wegen seiner positiven (gefühlten) Aspekte, sondern wegen seiner negativen Aspekte: Er beraubt uns der guten Dinge des Lebens (Deprivation Account) → Etwas kann für uns gut oder schlecht sein, auch wenn wir es nicht erleben (entgegen der Annahme Epikurs)
Thomas Nagel "Diese Überlegungen lassen sich gut an dem Beispiel eines Schadens veranschaulichen, der fast so schwer wiegt wie der Tod. Angenommen ein intelligenter Mensch verletzt sich das Gehirn so stark, dass er in den Zustand eines zufriedenen Kleinkindes zurückfällt. Seine verbleibenden Bedürfnisse können von einem Pfleger befriedigt werden, er hat also keine Sorgen. Nahezu jedermann würde diesen Vorgang als schreckliches Unglück ansehen, nicht nur für seine Verwandten und Freunde oder für die Gemeinschaft, sondern in erster Linie für ihn selbst. Das bedeutet nicht, dass ein zufriedenes Kleinkind unglücklich ist. Es ist der intelligente Erwachsene, der in diesen Zustand zurückgefallen ist, der das Subjekt des Unglücks ist. Er ist es, den wir bedauern, obwohl ihm sein Zustand selbstverständlich nichts ausmacht (…)" (Nagel, "Tod", in: Über das Leben, die Seele und den Tod, S.19)
Problem des fehlenden Subjekts → Kontrast zwischen Realität und kontrafaktischen Alternativen (möglichen Welten) kann eine Grundlage für die Zuschreibung von Übel sein, da Erlebnis des Übels nicht gegeben sein muss ABER: Im Falle der Bewertung des Todes müsste man die kontrafaktische Situation für A zum Zeitpunkt Tlebend vergleichen mit A's tatsächlicher Situation zum Zeitpunkt Ttot; doch zum Zeitpunkt Ttot gibt es keinen A (anders als in Nagels Beispiel) Der Tod muss für JEMANDEN ein Übel darstellen und dies scheint im Privationsansatz nicht berücksichtigt
Alternative Argumentation • Der Tod ist nicht ein Übel, weil er uns eines möglichen Lebens beraubt, welches im Vergleich zum Tod besser wäre, sondern weil er die Existenz beendet, welche die notwendige Bedingung für ein gelingendes und erwünschtes Leben darstellt → kein Vergleich zwischen Situationen einer Person, die nach dem Tod und während des Lebens liegen → Der Tod ist ein Übel, weil unsere Existenz ein instrumentelles Gut darstellt (als Mittel zum guten Leben)
Formalisierung Benötigte Definitionen: • Existenz: Biologisch am Leben sein • Leben: Persönlich gelebtes Leben • Übel: absolute, d.h. nicht-komparative Beeinträchtigung des individuellen Wohls
Tod als nicht-intrinsisches Übel 1) Ein gelingendes Leben zu leben ist (intrinsisch) gut für A 2) Existenz ist eine notwendige Bedingung eines gelingenden Lebens Also: 3) Zu existieren ist (instrumentell) gut für A 4) Der Tod ist die Beendigung der Existenz Also 5) Der Tod ist ein (instrumentelles) Übel für A
Einwand • Wie kann der Tod ein Übel für A sein, wenn A nach seinem Tod nicht existiert? Antwort: • der Tod ist ein Übel zum Zeitpunkt der Beendigung der Existenz • kein Beispiel ewigen Übels (auch wenn es möglicherweise posthume Übel geben könnte, gehört Tod nicht dazu) • weiterer Einwand: Warum ist nicht auch die Nicht-Existenz vor der Geburt ein Übel? Antwort: • das Symmetrie-Problem kann durch die vorgeschlagene Argumentation gelöst werden, da mangelnde Existenz nicht als intrinsisches Übel gilt; wo es noch kein (personales bzw. persönlich gelebtes) Leben gibt, kann auch kein Übel präsent sein 17
Resümee in der Geschichte der Philosophie wurden immer wieder Argumente vorgebracht, warum der Tod kein Übel für die betroffene Person sein kann das überzeugendste Argument stammt von Epikur, leidet aber darunter, dass es letztlich auf eine Bewertung des Ereignis des Todes bzw. des Zustands des Totseins abzielt (die uns nicht primär interessieren) der Tod ist ein Übel im negativen Sinne, d.h. indem er uns etwas wegnimmt, nämlich das Leben allerdings nicht in dem Sinne, dass er uns etwas vergleichsweise Besseres, sondern indem er uns die Grundlage des Guten nimmt die Bewertung des Todes hängt damit von der Bewertung des jeweils gelebten, d.h. des personalen Lebens ab