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Schuldrecht AT, 05.05.2014. PD Dr. Sebastian A.E. Martens, M.Jur. (Oxon.). Leistung durch Dritte (§ 267 BGB)
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Schuldrecht AT, 05.05.2014 PD Dr. Sebastian A.E. Martens, M.Jur. (Oxon.)
Leistung durch Dritte (§ 267 BGB) § 267 BGB Leistung durch Dritte.(1) 1Hat der Schuldner nicht in Person zu leisten, so kann auch ein Dritter die Leistung bewirken. 2Die Einwilligung des Schuldners ist nicht erforderlich.(2) Der Gläubiger kann die Leistung ablehnen, wenn der Schuldner widerspricht. Unterscheide: • Der Schuldner kann sich zur Erfüllung seiner Pflichten Dritter bedienen. Diese Personen handeln dann als seine Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB. • Dritte können auch unabhängig vom Schuldner eigenständig dessen Pflichten erfüllen. Sie sind dann Dritte nach § 267 BGB.
Voraussetzungeneiner Drittleistung nach § 267: • „Dritter“: Nur Personen, die eine eigene Leistung erbringen • „fremde Schuld“: Der Dritte muss auf eine fremde Schuld leisten (trifft nicht zu bei Gesamtschuldnern (§ 421 BGB) oder Bürgen (§ 765 BGB)). • Der Dritte muss Fremdtilgungswillen haben: • Die Leistung des Dritten muss effektiv, d.h. wie geschuldet bewirkt werden; Hinterlegung oder Auf-rechnung sind nicht zulässig (arg. ex § 268 II BGB).
Beispiel:Student S hatte in letzter Zeit zu große Ausgaben und deshalb einige Schulden angehäuft. Als sein Vater V davon erfährt, bietet V dem S an, die rückständige Miete des S bei X in Höhe von 1000 € zu bezahlen. S verbietet dem V das, weil er seine Angelegenheiten schon selbst regeln könne. V zahlt die 1000 € trotzdem an den X, der froh ist, sein Geld bekommen zu haben. S besteht aber darauf, „seine“ Schulden noch zu bezahlen. • Eine Einwilligung des Schuldners ist nicht nötig (§ 267 I 2 BGB). • Gläubiger kann Drittleistung nur ausnahmsweise ablehnen, wenn der Schuldner der Leistung widerspricht (§ 267 II BGB).
Rechtsfolgen: • Wenn der Dritte nach § 267 I BGB leistet, erlischt die Schuld nach § 362 BGB durch Erfüllung. • Ein Rückgriffsrechtdes Dritten gegen den Schuldner ist in § 267 BGB nicht geregelt. Es folgt ggf. aus allgemeinen Grundsätzen: • Vertrag, z.B. Auftrag (§§ 662ff. BGB), • GoA (§§ 677ff. BGB), • Rückgriffskondiktion (§ 812 I 1 2. Fall BGB).
Privilegierung des Dritten nach § 268 BGB: • Dritter hat ein Ablösungsrecht, dh. § 267 II BGB ist nicht anwendbar, Gläubiger kann auch bei Widerspruch des Schuldners die Leistung des Dritten nicht zurückweisen. • Dritter kann Gläubiger auch durch Aufrechnung und Hinterlegung befriedigen (§ 268 II BGB). • Bei Befriedigung des Gläubigers geht die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner auf den Dritten über (§ 268 III 1 BGB); dabei gelten §§ 412, 399ff. BGB! • Dritter kann also aus der übergegangenen Forderung sowie nach allgemeinen Grundsätzen (Vertrag, GoA, § 812 BGB) Rückgriff nehmen.
Das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) § 242 BGB Leistung nach Treu und Glauben.Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. • Die bonafidesim römischen Recht: • Die bonaefideiiudicia: Kauf, Miete, Werk- und Dienstvertrag, Gesellschaft, Auftrag. • Die exceptiodolials Generaleinrede. • Treu und Glauben als gemeinsames Rechtsprinzip der kontinentalen Rechtsordnungen • Ablehnung des „goodfaith“ und „equity“ im Common Law
Der Wortlaut • „Der Schuldner“: Es ist (irgendein) Schuldverhältnis i.e.S. erforderlich. • „ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken“: Es geht um die Art und Weise der Leistungserbringung. • „wie Treu und Glauben … es erfordern“: „Treu“ verweist auf die Vertragstreue und auf einen gerechten Interessenausgleich, „Glaube“ ebenfalls auf das vertragliche Vertrauensverhältnis und die Berücksichtigung schutzwürdigen Vertrauens. • „mit Rücksicht auf die Verkehrssitte“: Subsidiär kommt es auf die im Verkehr tatsächlich geltende (empirisch zu ermittelnde) Verhaltensordnung an.
Die tatsächliche Verwendung des § 242 BGB • Schuldverhältnis wird sehr weit verstanden • § 242 BGB wird nicht nur auf die Leistungserbringung bezogen, sondern als allgemeines Rechtsprinzip gedeutet. • Das Rechtsprinzip ist auch im übrigen Privatrecht und im öffentlichen Recht anwendbar. • Jeder muss bei der Ausübung seiner Rechte und der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben handeln, dh. auf die berechtigten Interessen anderer Rücksicht nehmen. • Die Verkehrssitte wird nicht empirisch ermittelt, sondern ebenfalls „objektiv“ bestimmt.
Unterscheide: „Treu und Glauben“ und „Guter Glauben“ • Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB) als allge-meines Prinzip des Vertrags- bzw. Schuldrechts unterwirft alle Schuldverhältnisse einer objektiven Kontrolle der Interessenbewertung. • Guter Glaube (§§ 122 II, 932 II BGB u.a.) bezieht sich auf die Bewusstseinslage einer bestimmten Person und ihr subjektives Wissen.
§ 242 BGB als Instrument der Rechtsfortbildung • Generalklausel ermöglicht Anpassungen des Gesetzes an den gesellschaftlichen Wandel und Lösung unvorhergesehener Probleme. Mittels § 242 wird eine flexible Rechtsordnung neben dem fixen Gesetzesrecht geschaffen. • Viele unter § 242 BGB entwickelte Institute wurden später kodifiziert: • AGB-Kontrolle (§§ 305ff. BGB) • Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) • Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) • § 242 BGB als Mittel zur „unbegrenzten Auslegung“ und völkischen Umformung des BGB im 3. Reich. • § 242 BGB und die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte.
Beispiel (BAGE 47, 363):D ist als Drucker im Verlag V beschäftigt. D ist aner-kannter Kriegsdienstverweigerer und engagiert sich auch sonst für den Frieden. Eines Tages erhält er von V den Auftrag, für den Kunden K einen Prospekt zu drucken, in dem für Bücher zum Zweiten Welt-krieg geworben wird. Darin wird der Krieg gegen die Sowjetunion u.a. als zunächst „unaufhaltsamer Siegeszug, der alles Vorangehende übertraf“ be-schrieben und ein anderes Buch handelt von „den Assen“ der Luftwaffe. D weigert sich, solche, aus seiner Sicht kriegsverherrlichende Propaganda zu drucken. V meint, dass er als Arbeitgeber zu bestimmen habe. Wer hat Recht?
Methodische Probleme des § 242 BGB • Wortlaut gibt Tatbestand und Rechtsfolgen kaum Grenzen vor. • § 242 BGB enthält kaum normative Vorgaben. • § 242 BGB öffnet das BGB für Wertungen, die nicht in der Kodifikation selbst enthalten sind. • Gefahr der richterlichen Gesetzeskorrektur und ideologischen Umformung des BGB. Daher: • Vorrang der speziellen gesetzlichen Wertungen. • Nur vorsichtige Fortbildung des Rechts. • Stete Anknüpfung an spezifische Normen.
Beispiel (BGHZ 48, 396): Der frühere Angestellte A der V-GmbH wollte von dieser ein Grundstück kaufen. A und der Geschäfts-führer G der V-GmbH einigten sich auch über einen Preis und setzten einen Kaufvertrag auf. Als A meinte, dass der Vertrag doch wohl notariell beurkundet werden müsste, meinte G, dass das in diesem Fall nicht nötig sei. Die V würde alle ihre Verpflichtungen erfüllen, dafür stehe er, V, ein, und er habe den Kauf-vertrag ja auch selbst unterzeichnet. Da A sich gegen-über V nicht durchsetzen konnte, gab er sich wohl oder übel mit dieser Auskunft zufrieden. Später weigerte sich die V, dem A das Grundstück zu über-tragen. Welche Ansprüche hat A gegen V?
Abgrenzungen • §§ 242 und 157 BGB: § 157 BGB betrifft die Aus-legung von Verträgen. Eigentlicher Maßstab ist der subjektive Parteiwillen, bei dem der objektive Maßstab des § 157 BGB nur ergänzend hinzutritt. • §§ 242 und 138 BGB: § 138 BGB gibt nur einen äußersten sittlichen Rahmen vor, innerhalb derer sich Rechtsgeschäfte halten müssen. Wenn diese „Eingangskontrolle“ passiert ist, regelt § 242 BGB die konkrete Ausgestaltung. • §§ 242 und 226, 826 BGB: Auch §§ 226, 826 BGB setzen mit ihren unflexiblen Rechtsfolgen nur äußerste sittliche Grenzen.
Fallgruppen: • Die Notwendigkeit einer Systematisierung der Masse des Fallrechts nach Fallgruppen • Systematisierung nach Funktionen: • Konkretisierungsfunktion: Nähere Bestimmung des Inhalts der Pflichten • Schrankenfunktion: Beschränkung der Ausübung von Rechten • Korrekturfunktion: Kontrolle privatautonomer Vereinbarungen • Formulierung von (untergesetzlichen) Regeln • Die „Regeln“ des § 242 BGB müssen stets unter Berücksichtigung des Einzelfalls angewandt werden.
Die Konkretisierungsfunktion • Konkretisierung der Hauptleistungspflicht: • Konkretisierung von Leistungsort und –zeit (nicht zur „Unzeit“ und an einem „Unort“). • Besondere Rücksichtnahmepflichten in Dauerschuldverhältnissen. • Geringfügige Abweichungen der Leistung sind hinzunehmen, wenn für den Gläubiger dadurch keine Nachteile entstehen. Beispiele:Leistungsort ist mittlerweile Kriegsgebiet; für den Gläu-biger bedeutungslose Fristüberschreitung; Überweisung auf ein anderes als das angegebene Konto ohne Nachteile.
Leistungsbezogene Nebenpflichten: Der Schuldner muss alles tun, um den Leistungserfolg herbeizuführen, und alles unterlassen, was den Erfolg gefährdet. Beispiel:A braucht einen neuen Anzug und ruft deshalb den Schneider S an, der ihm auch ein gutes Angebot macht. A und S werden sich einig, und A soll demnächst bei S zum Maßnehmen vorbeikommen. A entdeckt freilich zuvor einen günstigen Anzug in einem Modehaus und hat nun an dem Vertrag mit S kein Interesse mehr. Da A nicht zum Maßnehmen kommt, kann S auch keinen Anzug herstellen. S will aber auf das gute Geschäft mit A nicht verzichten.
Schrankenfunktion • „Unzulässige Rechtsausübung“, wenn der Gläubiger bei der Geltendmachung seines Rechts keine angemessene Rücksicht auf die Belange des Schuldners nimmt. • Die Rechtsausübung als solche wird missbilligt; Bsp.: Kündigung eines Arbeitnehmers in der Probezeit, weil er farbig ist. • Der Gläubiger hat kein schutzwürdiges Eigeninteresse;Bsp.: Der Gläubiger darf keine Leistung fordern, die er sofort wieder zurückerstatten müßte („doloagitquipetitquodstatimrediturusest“)
Die Rechtsausübung des Gläubigers ist unverhältnismäßig (vorsichtig zu handhaben);Beispiel: Vertraglich vereinbartes Kündigungsrecht bei langfristigem Dauerschuldverhältnis wird ohne vorherige Abmahnung ausgeübt. • Unredlicher RechtserwerbBeispiel: Evidenter Mißbrauch der Vertretungsmacht • Widersprüchliches Verhalten (venire contra factumproprium): Der Berechtigte ist gehindert, einen Rechtsstandpunkt geltend zu machen, wenn er zuvor einen entgegenstehenden Vertrauenstat-bestand geschaffen hat.
Beispiel:A hatte als Geschäftsführer der G-GmbH in deren Namen vor vielen Jahren mit dem Vater V des K einen langfristigen Liefervertrag geschlossen. Nach dem Tod des V führte K das Geschäft des K nicht mehr weiter. Da V in seiner Buchführung chaotisch gewesen war, konnte K den Vertrag mit der G-GmbH nicht mehr finden. Weil K immer nur mit A zu tun hatte, ging er davon aus, dass dieser sein Vertragspartner sei. A merkte den Irrtum des K zwar bald, klärte ihn aber nicht auf. Erst als es nach einiger Zeit zu einem Streit wegen angeblich mangelhafter Ware kam, wies A den K darauf hin, dass die G-GmbH sein Vertragspartner sei und K ja sie verklagen könne. Hat K Recht?
Verwirkung: Voraussetzungen: • Der Berechtigte hat sein Recht für längere Zeit nicht ausgeübt (Zeitmoment) • Es liegen besondere Umstände (insbesondere ein vertrauensbegründendes Verhalten des Berechtigten) vor, die die Geltendmachung des Rechts nunmehr treuwidrig erscheinen lassen (Umstandsmoment) Rechtsfolge: • Der Berechtigte darf sein Recht nicht mehr geltend machen.
Beispiel:A hat sich bei V eine neue Waschmaschine gekauft, bei der das Wollwaschprogramm nicht funktioniert. A ruft auch sogleich bei V an und erkundigt sich wegen dieses Mangels. Im Übrigen unternimmt er aber nichts, weil er die Maschine erstmal nutzen will und das Wollwaschprogramm eigentlich sowieso nicht braucht. Erst kurz vor Ablauf der zweijährigen Verjährungsfrist meldet sich A wieder bei V und macht seine Gewährleistungsrechte geltend. V meint, nach beinahe zwei Jahren könne A jetzt nicht mehr wegen dieses Mangels kommen. Lösung: Keine Verwirkung, da man grundsätzlich die Verjährungsfrist gänzlich ausnutzen darf.
Korrekturfunktion • Früher bedeutende Funktion des § 242 BGB, heute weitgehend kodifiziert (§§ 307ff., 313, 314 BGB). • Inhaltskontrolle bei gestörtem Vertragsgleich-gewicht, das auf struktureller Unterlegenheit beruht. • Weiterhin Ergänzung des speziellen Schutzes über § 242 BGB, vor allem bei Verträgen, die nicht der AGB-Kontrolle unterliegen. Beispiele:Verträge im Erb-, Familien und Gesellschaftsrecht; Dienst- und Betriebsvereinbarungen
Literaturhinweise: • Fleischer, Der Rechtsmißbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865-874 • Köhler, Einschränkungen der Nichtigkeit von Rechtsgeschäften, JuS 2010, 665- 671 • Raiser, Recht und Moral, soziologisch betrachtet, JZ 2004, 261-266 • Schimmel/Jenal, § 242 – Verwirkung bei Gestaltungsrechten, JA 2002, 619-621 • de Wall/Wagner, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, JA 2011, 734-740