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Schuldrecht AT, 20.05.2014. PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.). § 5: Leistungsstörungen Allgemeiner Überblick Ein Schuldverhältnis kann ordnungsgemäß durch Erfüllung oder durch Erfüllungssurrogate beendet werden oder es können Störungen auftreten. Arten der Störungen:
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Schuldrecht AT, 20.05.2014 PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)
§ 5: Leistungsstörungen • Allgemeiner Überblick • Ein Schuldverhältnis kann ordnungsgemäß durch Erfüllung oder durch Erfüllungssurrogate beendet werden oder es können Störungen auftreten. • Arten der Störungen: • Bei Leistungspflichten (§ 241 I BGB): • Nichtleistung, weil die Leistung nicht (mehr) erbracht werden kann (Unmöglichkeit) • Verzögerte (zu späte) Leistung • (Inhaltlich)schlechte Leistung • Bei Schutzpflichten (§ 241 II BGB): • Verletzung der Schutzpflicht
Folgen der Störungen • Die Leistungs- und/oder die Gegenleistungspflicht können von selbst (ipso iure) untergehen • Grundsätzlich bleiben die Pflichten auch bei Störungen bestehen • Ausnahme: Pflicht ist unmöglich geworden (§ 275) • Der Gläubiger kann sich wegen der Störung von dem Vertrag lösen wollen (Rücktrittsrecht) • Der Gläubiger kann Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch die Störung entstanden ist • Ein Schadensersatzanspruch setzt neben der Störungen regelmäßig noch die Verantwortlichkeit des Schuldners voraus • Allgemeines und besonderes Leistungsstörungsrecht
Die Pflichtverletzung • Das modernisierte Schuldrecht geht von einem einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung aus (§ 280 Abs. 1 BGB) Begriff der Pflichtverletzung:Jedes objektiv gegen den Pflichtenkreis ver-stoßende und damit nicht dem Schuldverhält-nis entsprechende Verhalten des Schuldners • Eine Pflichtverletzung setzt kein Verschulden voraus • Die meisten Folgerechte (Sekundärrechte) haben neben einer Pflichtverletzung noch weitere Tatbestandsvoraussetzungen!
Die Unmöglichkeit (§ 275 BGB) • Früher der zentrale Begriff des Rechts der Leistungsstörungen, heute immer noch wichtig(st)er Spezialfall einer Pflichtverletzung • Wenn eine Leistung unmöglich ist, entfällt die primäre Leistungspflicht nach § 275 BGB • Auch die Rechtsposition des Gläubigers einer unmöglich gewordenen Leistungspflicht ändert sich regelmäßig (§ 275 Abs. 4 BGB) • die Pflicht zur Gegenleistung entfällt grundsätzlich gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB; • der Gläubiger erhält ein Rücktrittsrecht nach § 326 Abs. 5 BGB;und • der Gläubiger hat ggf. einen Schadensersatz-anspruch nach § 283 BGB oder § 311a BGB.
Echte Unmöglichkeit § 275 BGB. Ausschluss der Leistungspflicht(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. • § 275 Abs. 1 BGB regelt nur die Fälle, in denen die Leistung wirklich nicht erbracht werden kann. • Bei einem unüberwindbaren Leistungshindernis ist die Aufrechterhaltung der Leistungspflicht sinnlos. • § 275 Abs. 1 BGB schließt deshalb die Leistungspflicht bei echter Unmöglichkeit kraft Gesetzes aus. • Es kommt nicht darauf an, ob der Schuldner sich auf § 275 I BGB beruft; der Schuldner kann kein Interesse an der Erbringung der (unmöglichen) Leistung haben
Naturgesetzliche Unmöglichkeit • Der Leistungsgegenstand kann nicht existieren oder nicht herstellbar sein (z.B. perpetuum mobile) oder physisch untergegangen sein (z.B. verbranntes Bild). • Die Leistungspflicht kann auch auf naturgesetzlich ausgeschlossene Dinge gerichtet sein. Beispiel (nach BGH NJW 2011, 756):M ist von seiner Frau verlassen worden und steckt in einer Lebenskrise. Er wendet sich deshalb an die Wahrsagerin W, die ihm Karten legen und ihm Rat für die Zukunft geben soll. Für solche Leistungen zahlt M der W 2012 gut 35.000 Euro. Für weiteres Kartenlegen im Januar 2013 verlangt W weitere 6700 Euro. M ist mittlerweile ernüchtert und meint, dass er für solchen Hokuspokus nicht zahlen brauche. Hat M recht?
Sonderfälle: Zweckerreichung: Der vertraglich herbeizuführende Erfolg tritt ohne Zutun des Schuldners ein Beispiel: D ruft die Pannenhilfe P. Bevor P eintrifft, springt der Wagen des D von selbst wieder an. Zweckfortfall: Der Gegenstand, an dem der Erfolg bewirkt werden soll, existiert nicht mehr. Beispiel: D meldet seinen Wagen zur Generalinspektion bei R an. Auf dem Weg zu D gerät D in einen Unfall, und der Wagen ist ein Totalschaden Störung des Zweckinteresses: Der Gläubiger hat kein Interesse an der weiter möglichen Leistung mehr. Beispiel: F lässt sich ein Hochzeitskleid schneidern, aber bevor das Kleid fertig ist, verlässt ihr Bräutigam sie. Achtung: Störung des Interesses kein Fall des § 275 I BGB
Rechtliche Unmöglichkeit • Eine Pflicht kann auch auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet sein Beispiel:E ist neulich sein Fahrrad gestohlen worden. Sein Freund F hat von diesem Pech des E gehört und bietet dem E deshalb ein gutes Fahrrad an, das er selbst gerade sehr günstig auf einem Flohmarkt erstanden habe. E solle ihm nur den Preis zahlen, den er selbst bezahlen musste. E und F einigen sich, ohne dass E das Fahrrad zuvor anguckt. Als E das Rad nach Abschluss des Kaufvertrags erstmals sieht, erkennt er erstaunt sein eigenes gestohlenes Rad wieder.
Objektive und subjektive Unmöglichkeit • Die Leistung kann objektiv, dh. „für jedermann“, oder • subjektiv, d.h. nur „für den Schuldner“ unmöglich sein. Beispiel:K hat bei V eine antike Vase gekauft, die aber vorerst noch im Laden des V stehen bleiben soll. Dort entdeckt sie der X, dem die Vase sehr gut gefällt. X bietet dem V einen so hohen Preis, dass V sie ihm verkauft und auch gleich mitgibt. Als K wenig später seine Vase bei V abholen will, gesteht V ihm alles. K ist empört und verlangt, dass V ihm die Vase trotzdem verschafft. Zurecht?
Anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit • Nach § 275 I BGB kommt es nur darauf an, dass die Leistung nunmehr „unmöglich ist“, nicht darauf, ob die Unmöglichkeit vor (anfängliche U.) oder nach (nachträgliche U.) Vertragsschluss eingetreten ist. • Auch wenn die Leistungspflicht schon bei Vertragsschluss unmöglich und deshalb nach § 275 I BGB ausgeschlossen ist, bleibt der Vertrag als solcher wirksam: § 311a I BGB. • Das modernisierte Schuldrecht unterscheidet nur beim Schadensersatz zwischen anfänglicher (§ 311a II BGB) und nachträglicher Unmöglichkeit (§ 283 BGB).
Vollständige und teilweise Unmöglichkeit • § 275 I BGB erfasst sowohl eine vollständige als auch die auf einen Teil der Leistungspflicht beschränkte Unmöglichkeit. • Bei einer teilweisen Unmöglichkeit ist die Leistungspflicht nur hinsichtlich des unmöglichen Teils („soweit“) ausgeschlossen. • Wenn der Gläubiger an dem übrig gebliebenen Rest der Leistungspflicht kein (vernünftiges) Interesse mehr hat, erhält er aber regelmäßig dieselben Rechte wie bei einer vollständigen Unmöglichkeit. • Eine teilweise Unmöglichkeit kann nur bei teilbaren Schulden vorliegen.
Beispiel: A hat bei B die letzten 400 Flaschen Wein einer Trockenbeerenauslese 2003 bestellt, die B noch in seinem Lager hatte. Da B seinen Wein allzu sehr liebt, zerbrechen ihm beim Verpacken etliche der Flaschen. A ist empört und fragt sich, welche Rechte er nunmehr hat. Variante: A benötigte die 400 Flaschen für die Jubiläumsfeier seiner Firma. Erfahrungsgemäß bechern die Angestellten kräftig, so dass A kaum mit weniger Flaschen auskommen kann.
Unmöglichkeit in der Zeit • Ein Leistungshindernis kann nur vorübergehend vorliegen, dann ist auch die Pflicht nur für diese Zeit nach § 275 I BGB ausgeschlossen. Beispiel:R betreibt ein Restaurant und hat deshalb einen dauerhaften Liefervertrag mit dem Bauern B, der ihm Grünkohl seiner Ernte liefern soll. Ende März stellt B die Lieferung ein und sagt dem R, nun müsse er sich bis zur nächsten Saison gedulden. Zurecht? • Eine Leistung kann aber auch nur zu einem bestimm-ten Zeitpunkt zu erbringen sein (absolutes Fixgeschäft) Beispiel:A hat für die Feier seines 30sten Geburtstag den DJ D engagiert. D taucht aber am Abend der Feier nicht auf.
Praktische oder wirtschaftliche Unmöglichkeit § 275 BGB […] (2) Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzu-mutenden Anstrengungen ist zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. • Anders als bei § 275 I BGB kann die Leistung (theoretisch) noch erbracht werden, aber nur bei einem unverhältnismäßigen Aufwand. • Die Leistungspflicht entfällt nicht automatisch, sondern § 275 II BGB greift nur ein, wenn der Schuldner das will und die Einrede erhebt.
§ 275 II BGB setzt ein grobes Missverhältnis zwischen dem Aufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers voraus. • Aufwand des Schuldners: Kosten der Leistungserbringung, Arbeitsaufwand usw. • Leistungsinteresse des Gläubigers: Vor allem materieller Wert der Leistung für den Gläubiger, aber auch immaterielle Interessen (Liebhaberwert) • Es kommt nicht darauf an, welches Interesse der Schuldner an der Vertragsdurchführung hat! Beispiel:V hat dem K eine Tonne Silber verkauft, das er sich selbst erst auf dem Markt besorgen will. Kurz nach Vertragsschluss steigt der Silberpreis um 100% an. Steht der Lieferpflicht des V nun § 275 II BGB entgegen?
Besonderer Aufwand kann gefordert werden, wenn der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (§ 275 II 2 BGB). • Auch bei einem nicht zu vertretenden Leistungshindernis kann aber vom Schuldner grundsätzlich einiges gefordert werden. • Der vom Schuldner zu erbringende Aufwand muss je nach den Umständen des Einzelfalls für den konkreten Vertrag („unter Beachtung des Schuldverhältnisses“) nach dem Gebot von Treu und Glauben ermittelt werden. • Besonders viel muss grundsätzlich der Schuldner einer Gattungsschuld aufwenden, weil er das Beschaffungsrisiko übernimmt.
Persönliche Unmöglichkeit § 275 BGB […] (3) Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungs-interesse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. • Die Leistungserbringung kann dem Schuldner unter bestimmten Umständen nicht zumutbar sein. • § 275 III BGB erfasst nur Leistungen, die der Schuldner persönlich erbringen muss und die kein anderer für ihn erbringen darf. • Bei nicht persönlich zu erbringenden Leistungen greift nicht § 275 III BGB, sondern ggf. §§ 242, 313 BGB ein. • § 275 III BGB gibt dem Schuldner eine Einrede!
Voraussetzungen: • Persönliche Leistungspflicht • Unzumutbar aus persönlichen Gründen • Grundsätzlich sind persönliche Gründe unbeachtlich. • Nach h.M. greift § 275 III BGB nur ein, wenn der Gläubiger rechtsmissbräuchlich handelte, wenn er auf der Leistungserbringung durch den Schuldner bestünde. • Abwägung des Leistungshindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers erforderlich • Leistungsinteresse des Gläubigers wie bei § 275 II BGB zu verstehen
Beispiele: • Die Sängerin Maria Koloss (K) ist von der Mettoper für die Rolle der Norma engagiert. Am Tag der Aufführung erkrankt das Kind der Sängerin lebens-bedrohlich. K will deshalb nicht auftreten. Zurecht? • Der überzeugte Pazifist und Ingenieur I arbeitet beim Flugzeughersteller Ehr-Bums. Als das Unternehmen einen Auftrag für die Entwicklung eines neuen atomwaffenfähigen Kampfbombers erhält, weigert sich I, an der Entwicklung mitzuwirken. Zurecht? • Der Ausländer A hat einen Einberufungsbescheid seines Heimatlandes erhalten. Wenn er nicht zum Dienst antritt, droht ihm die Todesstrafe. Kann er dies seinem Arbeitgeber gegenüber geltend machen?
Rechtsfolgen • Leistungspflicht entfällt bei § 275 I BGB, bzw. es steht ihr eine Einrede entgegen (§ 275 II, III BGB) • Der Vertrag ist und bleibt aber wirksam! • Gläubiger ist ggf. zum Rücktritt (§ 326 V BGB) und/oder zum Schadensersatz berechtigt (§§ 283, 311a II BGB) • Die Gegenleistungspflicht entfällt grundsätzlich ebenfalls (§ 326 I 1 BGB), wichtigste Ausnahmen: • § 326 II 1 1. Fall BGB: Der Gläubiger ist für die Unmöglichkeit allein oder weit überwiegend verantwortlich. • § 326 II 1 2. Fall BGB: Die Unmöglichkeit tritt während des Annahmeverzugs des Gläubigers ein.
Literaturhinweise: • Arnold, Die vorübergehende Unmöglichkeit nach der Schuldrechtsreform, JZ 2002, 866-871 • Bernhard, Das grobe Missverhältnis in § 275 Abs. 2 BGB, Jura 2006, 801-811 • Medicus, Die Leistungsstörungen im neuen Schuldrecht, JuS 2003, 521-529 • Musielak, Der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 BGB, JA 2011, 801-810 • Scholl, Die Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung nach § 275 Abs. 3 BGB, Jura 2006, 283-290 • Stürner, „Faktische Unmöglichkeit“ ( § 275 II BGB) und Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), Jura 2010, 721-726 • Wilhelm, Die Pflichtverletzung nach dem neuen Schuldrecht, JZ 2004, 1055-1060