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Prozesse II: Frieden. Frieden. Frieden ist mehr als kein Krieg Ein Wert [wie Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlfahrt] Ein Prozess [politisch-ökonomisch-gesellschaftlich Reduzierung des gewaltsamen Konfliktaustrags, zunehmende Gleichverteilung menschlicher Entfaltungschancen]
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Frieden Frieden ist mehr als kein Krieg • Ein Wert [wie Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlfahrt] • Ein Prozess [politisch-ökonomisch-gesellschaftlich Reduzierung des gewaltsamen Konfliktaustrags, zunehmende Gleichverteilung menschlicher Entfaltungschancen] • Ein Zustand [gerechter und gewaltfreier Interessenausgleich zwischen Konfliktparteien] • Eine Vision [Gemeinsamkeit der Überlebensbedingungen im nuklearen Zeitalter Friede der Menschen mit sich selbst und mit der gesamten Schöpfung]
Frieden … … bedeutet im alltäglichen Verständnis die Abwesenheit von Krieg. Die Friedens- und Konfliktforschung fasst den Begriff jedoch weiter. Sie unterscheidet zwischen dem negativen Frieden als der Abwesenheit direkter, personaler, durch ein Subjekt-Objekt-Verhältnis gekennzeichneter Gewaltanwendung und dem positiven Frieden als der Abwesenheit indirekter, struktureller, d.h. in politischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen wurzelnder Gewalt. In strukturellen Gewaltverhältnissen lassen sich zwar noch die Objekte, in aller Regel aber nicht mehr die (Einzel-) Subjekte der Gewaltausübung konkret benennen; Gewalt – als Macht der gesellschaftlichen Verhältnisse – zeigt sich in Abhängigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung.
Die erweiterten Begriffe von Gewalt und Frieden nach Johann Galtung GEWALT personale (direkte) strukturelle (indirekte) Abwesenheit von struktureller Gewalt oder positiver Frieden Abwesenheit von personaler Gewalt oder negativer Frieden FRIEDEN
Grundbegriffe MACHT HERRSCHAFT DIREKTE GEWALT militärische Gewaltanwendung (insbesondere ökonomische) Vor- und Nachteile STRUKTURELLE GEWALT ABHÄNGIGKEIT EINFLUSS
Der Friedensbegriff – eine Dauerbaustelle! Das Kennzeichen beider Friedensbegriffe ist zunächst ihre Orientierung auf einen politisch-gesellschaftlichen (Ideal-) Zustand, der – ähnlich wie der Begriff der Gesundheit in der Medizin – durch das Nichtvorhandensein wie auch immer im einzelnen definierter Störfaktoren beschrieben wird. Über diese Störfaktoren – etwa Gewalt, Not, Unfreiheit – lässt sich in Politik wie Wissenschaft Konsens relativ einfach herstellen.
NEGATIVER / POSITIVER FRIEDE Friede als Zustand der politischen Ordnung beendet den Krieg, wird aber zugleich seinerseits durch kriegerische Auseinandersetzungen beendet. Krieg stellt eine von Zeit zu Zeit unausweichliche und funktional auf das Ziel des Friedens bezogene Form politischer Auseinandersetzung dar. NEGATION Friede als Nicht-Krieg (oder als Zwischenzeit zweier Kriege) Ordnung des internationalen Systems bestimmt durch die Abwesenheit direkter Gewaltanwendung Zustand innerhalb eines Systems grösserer Gruppen von Menschen, besonders von Nationen, in dem keine organisierte kollektive Anwendung von oder Drohung mit Gewalt stattfindet Friede: Gegenbegriff zu Krieg und organisierter Gewaltanwendung
Der Friedensbegriff – eine Dauerbaustelle (2) Die positiv-inhaltliche Definition dessen, was den (Ideal-) Zustand des Friedens ausmacht, trifft hingegen auf erhebliche Schwierigkeiten. Sie hängt ab von den moralisch-ethischen Grundannahmen und Normen, von den gesellschaftlichen und politischen Wertvorstellungen des Einzelnen oder der Gruppe, die sich mit dem Inhalt des Friedensbegriffs jeweils auseinandersetzen. Folglich gibt es im Prinzip so viele positiv-inhaltlichen Umschreibungen von Frieden, wie es Gesellschafts- und Politikmodelle, Weltanschauungen, Glaubensbekenntnisse – und natürlich auch Friedenstheorien – gibt.
Literaturtipp • Peter Imbusch / Ralf Zoll (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung. 4., überarbeitete Auflage Wiesbaden: VS-Verlag 2006. • Ernst-Otto Czempiel: Friedensstrategien. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage Opladen 1998. • David Cortright: Peace. A History of Movements and Ideas. Cambridge 2008. • Antony Adolf: Peace. A World History. Cambridge 2009. • Javier Perez de Cuellar / Young Seek Choue (Hrsg.): World Encyclopedia of Peace. 8 Bände, 2. Auflage New York: Oceana 1999. • Lester Kurtz / Jennifer Turpin (Hrsg.): Encyclopedia of Violence, Peace, Conflict . 3 Bände, San Diego: Academic Press 1999.
Friedensbegriff: Probleme • INHALTLICHE Füllung der Leerformeln in politischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht • Friede als ZUSTAND vs. Friede als PROZESS Geschichtlichkeit des Friedens und Offenheit für die Zukunft Grundbedingung: Überleben der Menschheit Indikatoren friedensfördernder Prozesse Abbau von Not Aufhebung von NOT Minderung von NOT Bewahrung der Natur Soziale Gerechtigkeit
Vermeidung von Gewalt • Prinzipieller Gewaltverzicht: Gewalt kein Mittel zum Frieden • Lehre vom gerechten Krieg: unter bestimmten Bedingungen Gewaltanwendung zur Herstellung von Frieden nötig Verminderung von Unfreiheit • Überwindung von Unterdrückung und Entrechtung, Menschenrechte
Grundbedingung: Überleben der Menschheit Die Grundbedingung des Friedens ist mit dem Überleben der Menschheit gegeben. Von Frieden zu reden, ist sinnlos, wenn das Leben auf diesem Planeten zerstört wird. Unfrieden zeigt sich dann aber vor allem in denjenigen Vorgängen, in denen das Leben auf der Erde bedroht, zerstört oder aufs Spiel gesetzt wird. Dies geschieht vor allem in drei Formen: in der Ausbeutung und Zerstörung der außermenschlichen Natur, im täglichen und massenhaften Hungertod von Millionen von Menschen und in der Gefährdung des Lebens durch militärische Mittel. Naturzerstörung, Hunger und Krieg sind diejenigen Vorgänge, von denen gelten muss, dass sie mit der Grundbedingung des Friedens: dem Überleben der Menschheit unvereinbar sind. Schon aus dieser elementaren Bedingung des Friedens lassen sich die Indikatoren ableiten, an denen wir friedensfördernde von friedenshemmenden oder friedensgefährdenden Prozessen unterscheiden. Frieden ist mehr und anderes als die Sicherung menschlichen Lebens. Diese Qualität beschreiben wir durch die drei Indikatoren: Abbau von Not, Vermeidung von Gewalt, Verminderung von Unfreiheit.
Indikator 1: Abbau von Not • In der Menschengeschichte war Not immer wieder ein auslösender Faktor gewaltsamer Auseinandersetzungen. Der Streit um knappen Lebensraum und knappe Ressourcen ist eine der wichtigsten Wurzeln kriegerischer Konflikte. Sich am Frieden zu orientieren heisst, nach der Vermeidung solcher Konflikte und nach dem Abbau der Not zu fragen. Vielen Weltreligionen ist gemeinsam, dass sie die geschichtliche Wirklichkeit aus der Perspektive der Armen, der Hungernden, der Rechtlosen, also derer ansehen, die im massivsten Sinn von Not betroffen sind. Die Aufhebung ihrer Not ist der Inhalt messianischer Verheißungen; die Minderung von Not und Unterdrückung ist das deutlichste Zeichen für eine Veränderung, die den Namen des Friedens verdient.
Indikator1 : Abbau von Not • Der Indikator „Abbau von Not“ enthält heute notwendigerweise zwei Momente in sich. Zum einen setzt er voraus, dass es gelingt, die natürlichen Ressourcen zu bewahren, auf die Menschen um ihres Lebens willen angewiesen sind. Die Bewahrung der Natur ist damit eine Voraussetzung für den Abbau von Not. Zum anderen kann dieser nur in dem Mass gelingen, in dem die Ungerechtigkeit in der Verteilung materieller Güter und des Zugangs zu ihnen verringert wird; soziale Gerechtigkeit ist damit ein notwendiger Maßstab des Friedens.
Indikator 2: Vermeidung von Gewalt Kann die Drohung mit Gewalt oder gar ihr Einsatz heute noch dem Frieden dienen? Das ist einer der wichtigsten Streitpunkte, mit denen sich jede Friedensethik auseinanderzusetzen hat. Die Tradition der christlichen Friedensethik lässt sich so beschreiben, dass ihre repräsentativen Grundpositionen genau an dieser Frage auseinander treten. Während die Position des prinzipiellen Gewaltverzichts behauptet, dass Gewalt nie als Mittel zum Frieden verantwortet werden kann, beruht die Lehre vom gerechten Krieg auf der Überzeugung, dass unter bestimmten Bedingungen die Gewaltanwendung um des Friedens willen unausweichlich und gerechtfertigt sein kann. Doch beide Positionen stimmen darin überein, dass die Vermeidung und die Verminderung von Gewalt einen entscheidenden Indikator des Friedens bilden. ...
Literaturtipp • James Turner Johnson: The Quest for Peace. Three Moral Traditions in Western Cultural History. Princeton, N.J. 1987. • James Turner Johnson: Just War Tradition and the Restraint of War. A Moral and Historical Inquiry. Princeton, N.J. 1981. • Michael Walzer: Gibt es den gerechten Krieg ? Stuttgart 1982.
Indikator 3: Verminderung von Unfreiheit Die Verminderung von Unfreiheit bildet den dritten Indikator des Friedens. Er muss deshalb genannt werden, weil Frieden nicht nur das faktische Überleben, sondern eine bestimmte Qualität menschlich-mitmenschlichen Lebens meint. Das lässt sich schon sprachgeschichtlich zeigen. Im Indogermanischen gehen die Worte „Frieden“ und „Freiheit“ auf die gleiche Wurzel „ pri“ zurück; zu ihrem Bedeutungsumkreis gehört : lieben, schonen, freundsein. Beide Worte bezeichnen also die besondere Qualität gelingenden gemeinsamen Lebens. Freiheit hat in dieser engen sprachgeschichtlichen Verbindung mit Frieden nicht jenen abgrenzenden, auf das vereinzelte Individuum bezogenen Ton, der aus der neuzeitlichen Entwicklung vertraut ist. Freiheit meint ein gegen Gewalt und Unterdrückung geschütztes Leben, in dem Menschen von ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten kraft eigener Entscheidung gemeinschaftlichen Gebrauch machen können.
Demgegenüber hat der neuzeitliche Freiheitsbegriff die Selbständigkeit der einzelnen wie der Staaten als nebeneinander, ja nullsummenspielartig gegeneinander existierender Einheiten hervorgehoben [Freiheit von etwas versus Freiheit zu etwas – ein altes Problem der politischen Philosophie]. Der gesellschaftlich-kommunikative Aspekt der Freiheit trat unter den Bedingungen des sich entwickelnden Kapitalismus und eines ihm entsprechenden Besitzindividualismus in den Hintergrund. Gerade der kommunikative Charakter der Freiheit aber wird in Erinnerung gerufen, wenn der enge Zusammenhang von Frieden und Freiheit in reflektierter Weise zum Thema wird.
Die Verminderung von Unfreiheit als Indikator des Friedens meint nicht eine Relativierung der Friedensaufgabe, wie sie in vielen Verwendungsweisen der Formel „Frieden in Freiheit“ mitschwingt und in der Aussage, es gebe Wichtigeres als den Frieden, entlarvend zum Ausdruck kommt. Dass die Verminderung von Unfreiheit als Indikator des Friedens anzusehen ist, bedeutet vielmehr, dass an der Überwindung von Unterdrückung und Entrechtung der friedensfördernde Charakter politischer Prozesse abzulesen ist. Damit aber wird die Verwirklichung der politischen wie der sozialen Menschenrechte zu einem wichtigen Kriterium einer Friedensethik ebenso wie zu einem unverzichtbaren Prüfstein einer erfolgreichen Friedenspolitik
Literaturtipp • Wolfgang Huber / Hans-Richard Reuter: Friedensethik. Stuttgart 1990. • Kurt von Raumer: Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. Freiburg 1953. • Gert Sommer/Albert Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden: Handbuchder Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim 2004
Idealtypisierend-vereinfachend lassen sich in der Entwicklung des Friedensgedankens zwei Argumentationsstränge herausschälen. • Friede wird entweder begriffen als kosmisches Ordnungsprinzip, als überhistorischer, gleichsam konzentrierter Ausdruck einer Weltordnung. Diese findet ihren letzten Flucht- und Legitimationspunkt erst in Gott, dann als Folge der Säkularisation des politischen Denkens nach der Reformationszeit in der allen Menschen natürlich gegebenen Vernunft. • Oder Friede wird begriffen als Ausdruck der menschlichen Willensüberzeugung, als ein rational begründbares politisches Kulturprodukt. Dieses bedarf der ausdrücklichen Stiftung durch ver-tragliche Vereinbarungen (Landfriedenseinungen, Gesellschaftsvertrag) ebenso wie des Schutzes durch die öffentliche Gewalt.
Pax et justitia als gesellschaft-liches Ordnungsprinzip PAX als kosmisches Ordnungsprinzip Friede als natürlicher Zustand Gestifteter Friede als Kulturprodukt Friede als Nichtstörung der Rechtsordnung, Waffenruhe in der Fehde (tranquillitas pacis) oder Befriedung besonderer Rechtsbezirke (securitas pacis) Friede resultiert aus Teilhabe an der Gnade Gottes: pax christiana universalis perpetua mit deutlich eschatologischem Charakter PAX CIVILIS PAX SPIRITUALIS Säkularisierung: Emanzipation der Politik von der Ethik
Mit dieser dualen Argumentationsstruktur verbunden ist die Frage nach dem Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit, pax und iustitia: Entweder ist die Gerechtigkeit dem Frieden vorgeordnet, gilt Friede als ihre naturwüchsige Frucht. Oder die gesellschaftlich-politische Friedensordnung ist durch die Herrschaft der öffentlichen Gewalt erst herzustellen und zu sichern. Dann ist die Gerechtigkeit als Legitimationsprinzip einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung, die jedem das Seine zuteilt, dem Frieden nachgeordnet, auch ohne Frieden nicht zu verwirklichen. • Schließlich: im Kontext des ersten Argumentationszuges erscheint der Krieg als Unterbrechung, als Störung des naturwüchsigen Friedens. In der zweiten Traditionslinie ist der Krieg – Folge menschlichen Verfehlens und sündhafter Willensfreiheit – gleichsam der inner- und zwischengesellschaftliche Normalzustand. Friede ist Nicht-Krieg.
Friede als natürlicher vorgesellschaftsvertraglicher Zustand Friede als Ergebnis des gesellschaftsvertraglich begründeten Gewaltmonopols des Staates; pax civilis effectiva als innere und Rechtssicherheit BELLUM RUPTURA PACIS PAX ABSENTIA BELLI gesellschaftsvertragliche Stiftung rationalistisch-naturrechtliche Begründung aus der Vernunftbegabung des Menschen
Schon diese unterschiedlichen Positionen in der dualen Argumentationskette zeigen, dass es eine geschichtliche Epochen übergreifende, vom jeweiligen ethisch - normativen und / oder politisch-philosophischen Kontext losgelöste Allgemeindefinition von Frieden nicht gibt. Wenn überhaupt, lässt sich der Positivgehalt von Frieden nur im Rückgriff auf ein je bestimmtes Politik- und Gesellschaftsverständnis festlegen. Statt allgemeinverbindlich, wird der Begriff Frieden damit notwendigerweise politisch, fordert den Benutzer zur Überprüfung der eigenen Position, zu Zustimmung oder Ablehnung heraus.
Die Ausdifferenzierung des Friedensbegriffs Kriegsverhütung gesellschftl. Strukturänderung komplexe ganzheitliche Modelle Abwesenheit militärischer Gewaltanwendung Abwesenheit struktureller Gewalt Spiritueller innerer Friede Gleichgewicht der Macht/der Mächte Interkultureller Friede Friede mit der Natur Geschlechterfrieden Umwelt Kultur Transnational Zwischenstaatlich Innerstaatlich Innergesellschaftlich Familie/Individuum Innerer Friede FRIEDE
Friede als Prozess Dem Dilemma einer gleichsam konstruktivistischen, je epochenmässig inhaltlich differenten Verortung von Krieg und Frieden sucht die Friedens- und Konfliktforschung seit den 80er Jahren dadurch zu entgehen, daß sie Frieden weniger als (Ideal-) Ziel oder Zustand gesellschaftlichen Handelns begreift, sondern als einen in der Geschichte sich entwickelnden Prozess. In diesem Prozess geht es um die Institutionalisierung dauerhafter, gewaltfreier Formen der Konfliktbearbeitung, nicht allerdings - manch landläufigem Verständnis zuwider - um die Abschaffung des Konfliktes als einer gesellschaftlichen Verhaltensweise an sich. Vielmehr soll die Bearbeitung von Konflikten durch kontinuierliche Verrechtlichung ihrer Austragungsweise zivilisiert werden. Durch zunehmende Gewaltfreiheit des Konfliktaustrags eröffnet sich die Chance zum Abbau von Gewaltsamkeit zunächst im Binnenverhältnis der Einzelgesellschaften, sodann aber auch in der internationalen Politik, im Verhältnis der staatlich verfassten Einzelgesellschaften untereinander.
Nachhaltiger Friede • Gewaltfreiheit • Selbsterhaltung • Innere/Äussere Legitimation • Konstruktive Konfliktransformation • Änderung des moralisch-politischen Klimas • Verheilung der Wunden der Vergangenheit • Engagement für die Zukunft • Versöhnung der Werte • Entwicklung eines Wir-Gefühls und multipler Loyalitäten • politische Demokratisierung • Wirtschaftl. Wiederaufbau • Wiederherstellung des Rechtsstaats • Erziehung und Ausbildung, Gesundheitswesen/-vorsorge Ökologisches Gleichgewicht Mediation, Verhandlung, Schlichtung, Streitbegleitung Versöhnung Sicherheit Abrüstung Rüstungskontrolle Friedenswahrung (robustes)Peace Keeping Wiederaufbau Versöhnung(Reconstruction) (Reconciliation) Friedensschaffung (Peace Building) PRÄVENTION
Literaturtipp • Astrid Sahm u.a. (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens. Eine Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung. Wiesbaden 2002. • Egbert Jahn u.a. (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens. Band 2: Die Friedens- und Konfliktforschung aus der Perspektive der jüngeren Generation. Wiesbaden 2005. • Ulrich Eckern u.a. (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden 2004.
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden I
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden II
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden III
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden IV
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden V • Epoche: nach dem Ende des Ost-West-Konflikts • Kriegsform: Neue Kriege • Charakteristik: Entstaatlichung des Krieges, Privatisierung der innergesellschaftlichen wie zwischengesellschaftlichen Gewaltanwendung • Politische Organisation: Vermischung staatlicher und substaatlicher, öffentlicher und privater Formen von Herrschaft und Machtausübung (Warlords, Mafiagang-Territorien, ethnische Mini-Republiken etc.) • Ökonomische Struktur: Bürgerkriegs- und Mafiaökonomien vermitteln zwischen lokaler/regionaler Ausbeutung von Ressourcen und prädatorischer Aneignung nicht selbst geschaffener (Mehr-) Werte und der Mobilisierung von Fluchtkapital oder (gewaschenem) Schwarzgeld und der Realisierung von Profiten im globalen Masstab • Friedensidee: Noch unbestimmte Entwicklung zwischen den Polen des Post Conflict Peace Building gestützt auf Zivilgesellschaft, Third Track Diplomacy, NGOs etc. und Global Governance andererseits
Friede als Zustand – Friede als Prozess Frieden bedeutet im alltäglichen Verständnis die Abwesenheit von Krieg. Die Friedens- und Konfliktforschung fasst den Begriff jedoch weiter. Sie unterscheidet zwischen dem negativen Frieden als der Abwesenheit direkter, personaler, durch ein Subjekt-Objekt-Verhältnis gekennzeichneter Gewaltanwendung und dem positiven Frieden als der Abwesenheit indirekter, struktureller, d.h. in politischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen wur-zelnder Gewalt. In strukturellen Gewaltverhältnissen lassen sich zwar noch die Objekte, in aller Regel aber nicht mehr die (Einzel-) Subjekte der Gewaltausübung konkret benennen; Gewalt – als Macht der gesellschaft-lichen Verhältnisse – zeigt sich in Abhängigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung. Das Kennzeichen beider Friedensbegriffe ist zunächst ihre Orientierung auf einen politisch-gesellschaftlichen (Ideal-) Zustand, der – ähnlich wie der Begriff der Gesundheit in der Medizin – durch das Nichtvorhandensein wie auch immer im einzelnen definierter Störfaktoren beschrieben wird. Über diese Störfaktoren lässt sich in Politik wie Wissenschaft Konsens relativ einfach herstellen. Die positiv-inhaltliche Definition dessen, was den (Ideal-) Zustand des Friedens ausmacht, trifft hingegen auf erhebliche Schwierigkeiten. Sie hängt ab von den moralisch-ethischen Grundannahmen und Normen, von den gesellschaftlichen und politischen Wertvorstellungen des Einzelnen oder der Gruppe, die sich mit dem Inhalt des Friedensbegriffs jeweils auseinandersetzen. Folglich gibt es im Prinzip so viele positiv-inhaltlichen Umschreibungen von Frieden, wie es Gesellschafts- und Politikmodelle gibt.
Gleichwohl lassen sich idealtypisierend-vereinfachend in der Entwicklung des Friedensgedankens zwei Argumentationsstränge herausschälen. • Friede wird entweder begriffen als kosmisches Ordnungsprinzip, als überhistorischer, gleichsam konzentrierter Ausdruck einer Weltordnung. Diese findet ihren letzten Flucht- und Legitimationspunkt erst in Gott, dann als Folge der Säkularisation des politischen Denkens nach der Reformationszeit in der allen Menschen natürlich gegebenen Vernunft. • Oder Friede wird begriffen als Ausdruck der menschlichen Willensüber-zeugung, als ein rational begründbares politisches Kulturprodukt. Dieses bedarf der ausdrücklichen Stiftung durch vertragliche Vereinba-rungen (Landfriedenseinungen, Gesellschaftsvertrag) ebenso wie des Schutzes durch die öffentliche Gewalt. Mit dieser dualen Argumentationsstruktur verbunden ist die Frage nach dem Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit: Entweder ist Gerechtigkeit dem Frieden vorgeordnet, gilt Friede als ihre naturwüchsige Frucht. Oder die gesellschaftlich-politische Friedensordnung ist durch die Herrschaft der öffentlichen Gewalt erst herzustellen und zu sichern. Dann ist die Gerechtig-keit als Legitimationsprinzip einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung dem Frieden nachgeordnet, auch ohne Frieden nicht zu verwirklichen. Schließlich: Im Kontext des ersten Argumentationszuges erscheint Krieg als Unterbrechung/Störung des naturwüchsigen Friedens. In der zweiten Tradi-tionslinie ist der Krieg – Folge menschlichen Verfehlens und sündhafter Willensfreiheit – gleichsam der inner- und zwischengesellschaftliche Normalzustand. Friede ist Nicht-Krieg.
Schon diese unterschiedlichen Positionen in der dualen Argumentationskette zeigen, daß es eine geschichtliche Epochen übergreifende, vom jeweiligen ethisch-normativen und/oder politisch-philosophischen Kontext losgelöste Allgemeindefi-nition von Frieden nicht gibt. Wenn überhaupt, läßt sich der Positivgehalt von Frieden nur im Rückgriff auf ein je bestimmtes Politik- und Gesellschaftsver-ständnis festlegen. Statt allgemeinverbindlich wird der Begriff Frieden damit notwendigerweise politisch, fordert den Benutzer zur Überprüfung der eigenen Position, zu Zustimmung oder Ablehnung heraus. • Diesem Dilemma sucht die Friedens- und Konfliktforschung neuerdings dadurch zu entgehen, dass sie Frieden weniger als (Ideal-)Ziel oder Zustand gesellschaftli-chen Handelns begreift, sondern als einen in der Geschichte sich entwickelnden Prozess. In diesem Prozess geht es um die Institutionalisierung dauerhafter, gewaltfreier Formen der Konfliktbearbeitung, nicht allerdings – manch landläufigem Verständnis zuwider – um die Abschaffung des Konfliktes als einer gesellschaftlichen Verhaltensweise an sich. Vielmehr soll die Bearbeitung von Konflikten durch kontinuierliche Verrechtlichung ihrer Austragungsweise zivili-siert werden. Durch zunehmende Gewaltfreiheit des Konfliktaustrags eröffnet sich die Chance zum Abbau von Gewaltsamkeit zunächst im Binnenverhältnis der Einzelgesellschaften, sodann aber auch in der internationalen Politik, im Verhältnis der staatlich verfassten Einzelgesellschaften untereinander.
Friede als Zivilisierung des Konfliktaustrags • Zumindest im europäisch-atlantischen Raum läßt sich der Prozess der Zivilisierung des Konfliktaustrags zweifach beispielhaft fassen: Einmal in der Entwicklung des Staates zum unbedingten Friedensverband. Zum anderen in der Entwicklung des Völkerrechts als Mittel zur Einhegung und Verrechtlichung des Krieges: Voraussetzung der Wandlung des Friedens von einem labilen Zustand vorübergehend ruhender zwischenstaatlicher Gewalttätigkeit zum Ergebnis eines Prozesses, in dem sich zunehmend von der Anwendung organisierter militärischer Gewalt befreite Formen internationaler Konfliktbearbeitung durchsetzen. • Die Entwicklung des (früh-) neuzeitlichen Staates zum Friedensverband steht in enger Verbindung zur gebietsrechtlichen Verfestigung politischer Herrschaft, wie sie im Wandel des feudalen Personenverbandsstaates des hohen Mittelalters zum institutionellen Flächenstaat der frühen Moderne greifbar wird. Mit der Delegitimierung der mittelalterlichen Fehde als Mittel rechtlicher Selbsthilfe, dem Aufbau eines landesherrlichen Gerichtswesens, dem Abschluß von Landfriedenseinungen und der Durchsetzung der Verkehrswegesicherheit bilden die Fürsten seit dem 14. / 15. Jahrhundert ihre Landesherrschaft als Friedensraum aus und setzen in den Grenzen ihrer Territorien öffentliche Sicherheit und Rechtsfrieden durch.
Erst dieser innere Friede garantiert die Unverletzlichkeit der Person und des Eigentums, damit aber auch die rationale Planbarkeit und Berechenbarkeit des Wirtschaftshandelns. Territorialherrschaft und Sicherheitsgarantie, Rechtssicherheit und innerer Friede legiti-mieren Existenz und Handeln des modernen Staates. Fassbar im Anspruch auf Souveräni-tät und in der erfolgreichen Behauptung des Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit im Staatsinnern, schließt sich der territoriale Friedensverband seit dem 17. Jahrhundert gegen andere gleichartige räumlich-politische Einheiten durch feste Grenzen ab. Damit wird nicht nur die begriffliche Scheidung von ‚innen‘ und ‚außen‘, von Innen- und Internationaler Politik ermöglicht. Vielmehr wird auch deutlich, dass der innere Frieden mit dem äußeren Unfrieden notwendigerweise Hand in Hand geht: Denn die Staaten erkennen aufgrund ihres Souveränitätsanspruchs im Außenverhältnis keine ihnen übergeordnete, Recht, Ordnung und Frieden in der Staatengesellschaft vermittels eines Gewaltmonopols durchsetzende Autorität an. • Für die internationale Politik wird damit zur Gestaltungsaufgabe, in Analogie das nachzuholen, was die Staaten der Moderne im Binnenverhältnis bereits hinter sich haben: die Entwicklung institutionalisierter Verfahren immer gewaltärmerer, schließlich dann gewaltfreier Konfliktbearbeitung. Mit Blick auf das Kriegsvölkerrecht ist dieses größten-teils gelungen: der Delegitimierung der Fehde als Mittel der Selbsthilfe entspricht die Einschränkung der legitimen Gründe zum, dann die Kodifizierung des Rechts im Kriege, schließlich das völlige Verbot zwischenstaatlicher Gewaltanwendung durch Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta. Mit Blick auf die zentrale Leistung des territorialen Friedensverbands jedoch – Garantie der (Rechts-) Sicherheit durch Behauptung des Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit – wird zugleich deutlich, welch weiten Weg die internationale Politik bis zur analogen Verwirklichung eines solchen (Friedens-) Zieles noch zu gehen hat.