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Stadtanthropologische Perspektiven 7

Stadtanthropologische Perspektiven 7. Prof. Dr. Johannes Moser Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie Sommersemester 2010. Stadtanthropologische Perspektiven 2.

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Stadtanthropologische Perspektiven 7

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Presentation Transcript


  1. Stadtanthropologische Perspektiven 7 Prof. Dr. Johannes Moser Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie Sommersemester 2010

  2. Stadtanthropologische Perspektiven 2 Der Habitus der StadtRolf Lindner/Johannes Moser (Hg.): „Dresden. Ethnographische Erkundungen einer Resi-denzstadt“. Leipzig: LUV 2006. • Methodenpluralismus • Es gibt zwei gängige, stereotype Charakterisie-rungen oder Klischees von Dresden, die sich in aktuellen Stadt- und Reiseführern finden las-sen, die eine ist die Bezeichnung von Dresden als „Elbflorenz“, die andere ist die Rede von Dresden als „Residenzstadt“.

  3. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Mit beiden Charakterisierungen wird eine große Vergangenheit der Stadt als noch oder wieder erfahrbar behauptet, eine Vergangenheit vor allem der höfischen Pracht • Klischees und Stereotypen als Repräsentationen der Besonderheit und Differenz (hier einer Stadt) • Gerald D. Suttles: „kumulative Textur“ ist der Prozess der sich aufschichtenden Textbausteine städtischer Repräsentation • Geschichte Dresdens als Residenzstadt als ein Phänomen der longue durée hat sich in den Habitus der Stadt und ihrer Bewohner im wahrsten Sinne des Wortes eingegraben

  4. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Anthropologie der Stadt will die jeweilige Indivi-dualität der in Frage stehenden Städte sichtbar zu machen. • Im Dresden-Projekt sollte nicht nur das Spezifi-sche am Gebilde ‚Stadt’, sondern auch die spe-zifische Stadt, in der die verschiedenen Milieus und Szenen sozusagen ‚zu Hause’ sind, die sonst untersucht werden, in den Blick genommen werden. • Es geht also um die spezifische Stadt, um das, was Urbanisten wie Dieter Hoffmann-Axthelm, als ‚Stadtindividuum’ bezeichnen.

  5. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Die Stadt als Ganzes bildete das eigentliche Untersuchungsobjekt. • Ausgangspunkt war das Klischee von der fort-dauernden Residenzstadt • Arbeitshypothese: der ehemalige Status der Residenzstadt ist bis heute wirkmächtig • Was bedeutet aber eigentlich „Residenzstadt“? • Stadttypologie von Max Weber mit der „Konsu-mentenstadt“, „Produzentenstadt“ und „Händ-lerstadt“ • Kategorisierung nach wirtschaftlichen Gesichts-punkten – Folgen für den Charakter der Stadt

  6. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Produzentenstadt von Fabriken und produzieren-dem Gewerbe abhängig – Industriestadt. • In der Händlerstadt werden fremde oder heimi-sche Produkte gehandelt • Konsumentenstadt von den wichtigsten Groß-konsumenten abhängig • Diese Typologie liefert einen noch recht groben Verweis auf den stadtprägenden Sektor der Ökonomie (Luxuskonsum, Handel, Industrie) • Unterschied, ob in Handelsstadt mit Geld oder Ideen gehandelt wird oder ob in der Industrie-stadt alte Industrien oder neue Technologien zur Anwendung kommen

  7. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • auch Konsum-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen werden davon geprägt: entsprechen den Bedürf-nissen, Interessen und Artikulationsformen der mit den Einrichtungen verbundenen Akteure • Eine Industriestadt weist ein anderes Ambiente, eine andere Atmosphäre, eine andere Ge-schmackslandschaft auf als eine Residenzstadt mit Luxuskonsum • Unschwer lassen sich dafür repräsentative Orte finden: was für die eine Stadt der Tanzschuppen (dance hall) sein mag, ist für die andere der Ballsaal (ball room).

  8. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • In Dresden hat der Aufwand, der am kurfürstli-chen Hofe betrieben wurde, der Stadt eine be-stimmte Färbung gegeben. • Elemente des höfischen Lebens wurden in die Stadtbevölkerung hineingetragen. • Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts gehörten rund ein Zehntel der Dresdner Bevölkerung zu den Familien der unmittelbaren höfischen Funk-tionsträger, was ein unmittelbares (Mit-)Erleben des höfischen Lebens einschloss. • Residenzstadt: das ganze wirtschaftliche und soziale Leben der Stadt dreht sich um die Ansprüche und Kapricen des Hofes – mit Luxus-konsum und Repräsentationskultur

  9. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Schlägt sich in Handwerk und Gewerbe nieder: Kunsthandwerk und die Bereitstellung von Ge-nussmitteln hatten eine besondere Bedeutung. • Typische Berufe oder Berufskulturen. • Werner Schiffauer hat den Städten vier Idealtypen von Berufskulturen zugeordnet, weil durch den jeweiligen Städtetyp eine jeweils dominante Gruppe definiert werde. • Für eine Industriestadt ist demnach die Berufskultur des Kollektivs typisch • In einer Handelsstadt dominiere eine individuali-stische Berufskultur

  10. Wiener Fiaker

  11. Berliner Eckensteher

  12. Münchner Kellnerin - „Die schöne Coletta“ von Toni Aron

  13. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Dresden als Residenz- und Verwaltungsstadt hat(te) eine hierarchische Berufskultur • Typischen Berufe in Dresden: die Beamten, der Adel, das Militär und die politisch einflussreichen Hausbesitzer. Der Adel und das Militär spielen heute keine Rolle mehr • Dresden-Untersuchung ging von der kulturanaly-tischen Überlegung aus, dass sich die Besonder-heiten einer Stadt in einer charakteristischen Ge-schmackslandschaft verdichten, die in einem nicht unerheblichen Ausmaß die Atmosphäre der Stadt bestimmt.

  14. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Geschmackslandschaften gewinnen ihr charak-teristisches Gepräge durch das Zusammenspiel der sie konstituierenden Elemente, die in Wech-selwirkung zueinander stehen, auseinander her-vorgehen und sich aufeinander beziehen. • „Pfadabhängigkeit“, Synergieeffekt als Begriffe • Konzept der Geschmackslandschaft betont die Vorstellung einer prästabilisierten Harmonie von Geschmacksorientierungen, ästhetischen Präfe-renzen und stilistischen Konventionen – das eine passt zum anderen • In der Dresdenspezifischen Malerei wird dies ebenso deutlich wie in der Literatur.

  15. Stadtansicht von Bernardo Belloto genannt Canaletto - Canaletto-Blick

  16. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Dresden bildete eine Geschmackslandschaft, die von Verfeinerungen in Handwerk, Gewerbe und in den Künsten durchzogen war, weshalb das Habitus-Konzept von Bourdieu auch in der Stadt-analyse mit Gewinn Anwendung finden kann. • Mit dem Habitus-Konzept ist immer ein Hinweis darauf verbunden, dass unser Handeln nicht voraussetzungslos ist. Stets ist damit etwas bio-graphisch Erworbenes und geschichtlich Gewor-denes gemeint, das das Handeln insofern leitet beziehungsweise kanalisiert, als es etwas Be-stimmtes aufgrund von Geschmack, Neigungen und Vorlieben, kurz: „Dispositionen“ nahe legt.

  17. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Übertragbar ist der Habitus-Begriff nur, wenn wir voraussetzen, dass auch Städte Individuen sind, mit einer eigenen Biographie, Sozialisation und mit ihr eigenen Mustern der Lebensführung. • Mit dem Habitus-Konzept kann man jene Kons-tanz der Dispositionen, des Geschmacks, der Präferenzen erklären kann, die sonst so viel Kopfzerbrechen bereitet. • Nirgendwo wird diese Konstanz, ja die Hart-näckigkeit deutlicher als in den Schwierigkeiten, die der Versuch bereitet, das Image einer Stadt oder besser: ihre verinnerlichten Muster zu ver-ändern.

  18. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Übertragbar wird der Habitus-Begriff, wenn der bewohnte Raum in Anlehnung an Bourdieu als sozial konstruiert und markiert verstanden wird, das heißt mit „Eigenschaften“ versehen • Eine zentrale Aufgabe der Stadtforschung kann dann die Untersuchung der bestimmten Ordnung und Anordnung von Eigenschaften als Spezifi-kum des bewohnten Raums angesehen werden. • In einer Erhebung wurden 515 Studierende der Europäischen Ethnologie nach den „Eigenschaf-ten“ von acht deutschen Städten befragt: Berlin, Dresden, Essen, Frankfurt a.M., Hamburg, Leipzig, München und Stuttgart gefragt.

  19. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Als „Eigenschaften“ wurden zur Auswahl gestellt: dynamisch, abweisend, konservativ, ordinär, freundlich, bieder, multikulturell, schön, aggres-siv, alternativ, gemütlich und fleißig • Eigenschaftslistenverfahren der Psychologen Daniel Katz und Kenneth W. Braly zur Messung von Stereotypen • Der Versuch zeigt, dass sich gerade in der Konfiguration von Eigenschaftszuschreibungen sowohl in Bezug auf eine Stadt als auch im Städtevergleich etwas über diese Stadt „verrät“, so wie Stereotypen generell etwas verraten.

  20. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Von Dresden existiert ein klares Bild • Dresden erreicht sieben „erste Plätze“ bei den positiven und negativen Antworten. Damit ran-giert es noch vor Berlin, das bei sechs Eigen-schaften am häufigsten genannt wird. Weit da-hinter folgen Essen, Frankfurt am Main und Mün-chen, die bei jeweils drei Eigenschaften die Spitzenpositionen einnehmen. • Aussagekräftig sind die Platzierungen jedoch erst, wenn wir die Spitzenplätze bündeln und sehen, ob sich daraus relativ kohärente Zuschreibungen an Orte ablesen lassen

  21. Diagramm2: Eigenschaften, bei denen die Orte jeweils die meisten Nennungen erhielten

  22. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Dresden gilt als schön, freundlich und gemütlich sowie als nicht ordinär, nicht aggressiv, nicht multikulturell. München zum Beispiel als konser-vativ, bieder und nicht alternativ. Berlin gilt als dynamisch, multikulturell und alternativ, als nicht konservativ, nicht bieder und nicht fleißig. • Bei dieser „Clusterung“ der Eigenschaften wird besonders deutlich, über welch klar ausgeprägte Images manche Städte verfügen etwa das schö-ne Dresden oder München mit den zu einer Re-sidenzstadt passenden Kategorien oder die dy-namische Metropole Berlin mit den entsprechen-den Eigenschaften.

  23. Diagramm 3: Die drei Eigenschaften mit jeweils höchster Zustimmung bei den jeweiligen Städten

  24. Einführung in die Europäische Ethnologie – Dresden • Werfen wir noch einen Blick auf die anderen Städte mit Mehrfachnennungen, so setzt sich diese Beobachtung fort. Essen wird als Ruhrgebietsstadt wahrgenommen und als abweisend, ordinär und nicht schön eingeschätzt. Frankfurt am Main hat, wenn wir es so bezeichnen wollen, ein ziemlich negatives Image, denn es gilt als aggressiv, nicht freundlich und nicht gemütlich. • Epistemischer Ort „Gläserne Manufaktur“

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