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6 Wirtschaftliche Interessengruppen. In Anbetracht der hohen außenwirtschaftlichen Verflechtung der deutschen Wirtschaft haben fast alle Wirtschaftsverbände Außeninteressen.
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6 Wirtschaftliche Interessengruppen • In Anbetracht der hohen außenwirtschaftlichen Verflechtung der deutschen Wirtschaft haben fast alle Wirtschaftsverbände Außeninteressen. Dies wird vor allem durch den Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) als Dachorganisation der über 80 Industrie- und Handelskammern (IHK) verdeutlicht. Die Kammern treten nicht nur im Innern als Lobby auf, sie unterhalten auch in 60 Ländern eigene Außenvertretungen als Serviceinstitutionen. Es handelt sich im Fall der Kammern um eine typische Lobby-Gruppe, die zum einen im eigenen Land für die Außenhandelsinteressen eintreten. Die Handelskammern sind zum anderen aber auch transnationale Akteure, weil sie über ihre Niederlassungen im Ausland dort direkt wirken.
Eine der bekanntesten und einflussreichsten Außenwirtschafts-Lobbys der deutschen Nachkriegsgeschichte ist der "Ostaus-schuss der deutschen Wirtschaft". Dieser Ausschuss im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat bei der Anknüpfung und dem Ausbau des Osthandels eine zentrale Rolle gespielt. Neben direkter Delegations- und Vertragsdiplomatie war vor allem die Ministerialbürokratie der Adressat seiner Einflussnahme. Wichtige branchenspezifisch ausgerichtete Einflussorganisationen sind der Verein deutscher Maschinenindustrie (VDMA), der Verband der chemischen Industrie (VCI) und der Zentralverband Elektrotechnik-Elektronikindustrie (ZVEI). Die Bedeutung der Branchenorganisationen ist vor allem dann groß, wenn sie Sonderforderungen stellen, die der BDI als Dachverband nicht mittragen kann. Der BDI selbst ist als Anspruchsteller nur dann stark, wenn sich die Wirtschaft einig ist. Dies trifft meistens auf Grundsatzfragen zu und bei allgemeinen, eher ideologisch besetzten Positionen, wie etwa wenn es um Freihandel oder Protektionismus geht.
Dokument 7Aus dem BDI-Jahresbericht 2002: Agrarverhandlungen – Schlüssel zum Erfolg der WTO-Runde Der BDI hat im Laufe des Jahres zu allen für die Wirtschaft relevanten Verhandlungsbereichen der 2001 in Doha eingeleiteten neuen WTO-Runde detailliert Position bezogen. So setzt sich der BDI zum Beispiel für sektorübergreifende Zollsenkungen, die stärkere Verwendung internationaler Standards, die WTO-weite Harmonisierung von Antidumpingverfahren und die Schaffung von multilateralen Grundregeln für Investitions- und Wettbewerbsfragen ein.... Eine Schlüsselrolle kommt den Agrarverhandlungen zu. Sie werden von vielen Entwicklungsländern als Testfall dafür gewertet, ob die Industriestaaten tatsächlich gewillt sind, den Exportinteressen der ärmeren Länder entgegenzukommen. Werden im Agrarbereich keine Lösungen gefunden, droht die gesamte WTO-Runde Schaden zu nehmen. Der BDI mahnt deswegen eine Reform der EU-Agrarpolitik und Kompromissbereitschaft bei den Agrarverhandlungen an. Quelle: Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Jahresbericht 2002, S.52, in: http://www.bdi-online.de/BDIONLINE_INEAASP/iFILE/XD453EA4CFC6D459E9D5195BCA85A74FC/2F252102116711D5A9C0009027D62C80/PDF/BDI-JB-2002.PDF am 07.11.2003
Wenn es um konkrete Schutzmaßnahmen oder die Förderung einzelner Branchen geht, dann machen die Fachorganisationen ihren Einfluss in Bonn und Berlin lieber selbst geltend. Bei den Subventionen für die Elektronikindustrie, etwa beim Fall der Mikrochips, wo es einen erheblichen Rückstand gegenüber japanischen und amerikanischen Herstellern aufzuholen gibt, hat sich der ZVEI selbst direkt und manifest für seine Belange eingesetzt. Die Chancen hängen nicht zuletzt von der Größe der Organisation ab. Verständlicherweise sind die Aussichten der Schwarzwälder Kuckucksuhren-Hersteller geringer als die des ZVEI mit großen Mitgliedsfirmen wie etwa Siemens und AEG. Die meistens Branchenverbände verfügen mittlerweile auch über eine gesamteuropäische Interessenvertretung in Brüssel. Ihr Dachverband ist die 1959 gegründete Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE, Union des Conféderation de l’Industrie et des Employeurs d’Europe).
Weniger bekannt als BDI und DIHT ist der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels (DGA). Er vertritt die Interessen der Industrie, des Handwerks, der Landwirtschaft und des Dienstleistungssektors nach innen und außen. Diese Händler-Lobby agiert auftragsgemäß für marktwirtschaftliche Bedingungen nach innen und außen sowie europäische Integration und liberalen Welthandel. Der DGA ist das Sprachrohr der deutschen Freihändler und hat sich immer wieder gegen Protektionismus, Dirigismus und Subventionierung stark gemacht. Da es den Händlern egal sein kann, wo ihre Produkte herkommen, spielen Arbeitsplatz- und Standortargumente in ihrem Kalkül eine geringere Rolle. Sie geraten damit oft in Kontrast zur Industrie und zur Landwirtschaft.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) als Spitzenorganisation der Landwirtschaft zählt zweifelsfrei zu den mächtigen Erfolgs-Lobbyisten. In der Anfangsphase der Bundesrepublik mag dies noch als Folge einer großen Mitgliederzahl und politisch ziemlich homogenen konservativen Wählerschaft erklärt werden können. Paul Ackermann ging so weit, die Bundesregierung als ein Vollzugsorgan des DBV zu bezeichnen. Doch das eigentliche Lobby-Wunder begann erst danach mit dem Schrumpfen der Klientel durch die Landflucht bei fortdauernden außerordentlichen Erfolgen bei Protektion und Subventionen. Der DBV koalierte auf EG-Ebene besonders mit den französischen Bauern im Ausschuss der landwirtschaftlichen Organisation der EG (COPA, Comité des Organisations Professionelles Agricoles de la C.E.) und setzte so seine Erfolgsserie bei garantierten Agrarpreisen fort. Obwohl der DBV mit seinem Protektionismus den Interessen der industriellen Exportwirtschaft zuwiderhandelte, wurde er nur in seltenen Fällen direkt aus der Wirtschaft selbst attackiert. Nur die schwachen Verbrauchergruppen machten ziemlich erfolglos gegen die Agrarier Front.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Einzelgewerkschaften spielen genau wie die Verbände der Wirtschaft selbst in der Außenpolitik ihre Rollen als außenpolitische Anspruchsteller. Zuerst einmal sind sie an ihrem ureigenen Auftrag interessiert, im Interesse ihrer Mitglieder aktiv zu sein. Dazu zählt jetzt als vornehmste Aufgabe, die Interessen der deutschen Beschäftigten im Konzert der Europäischen Union zu wahren. Als Hochlohnland mit hohem Schutzniveau der Arbeitnehmer ist diese deutsche Spitzenstellung im Zuge einer Harmonisierung in der EU bedroht. Die Forderung der deutschen Gewerkschaften ist deshalb auf Besitzstandswahrung, d. h. Anhebung des Niveaus in den anderen Ländern und nicht Absenkung auf einen mittleren Standard gerichtet.
Über die engen selbstdefinierten Arbeitnehmerinteres-sen hinaus hat der DGB in der deutschen Nachkriegs-geschichte aber auch allgemeine Fragen der Außenpolitik in seinen Forderungskatalog mit aufgenommen. Die Gewerkschaften haben Adenauers Westpolitik und dann auch Brandts Ostpolitik unterstützt. Interessant ist in diesem Kontext etwa die These von Arnulf Baring, der DGB-Vorsitzende Hans Böckler habe Adenauers Zustimmung zur paritätischen Mitbestimmung in der Montan-Industrie im Tausch gegen die Zustimmung des DGB zur Wiederbewaffnung eingehandelt. Diese spannende Frage ist in der Forschung ungeklärt, insbesondere, ob es sich dabei um einen expliziten oder einen impliziten Deal gehandelt haben soll.
Ein zentraler Forderungskatalog des DGB richtet sich gegen die transnationalen Korporationen. Die weltweit operierenden Unternehmen mit Stammsitz in Deutschland berücksichtigen in ihrem Kalkül die nationalen Arbeitnehmerinteressen gewöhnlich nicht. Betriebsstillegungen aus Kostengründen im Inland und Standortverlagerungen in kostengünstigere Produktionsregionen sind dem DGB auftragsgemäß ein Dorn im Auge. Hier ist er freilich ein recht schwacher Akteur, auch wenn sich der DGB auf der europäischen Ebene mit dem 1973 gegründeten Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB), der etwa 44 Mio. gewerkschaftlich organisierte Mitglieder aus 21 Ländern vertritt, und auch weltweit im Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) Gehör zu verschaffen vermag. Kapital ist mobil, Arbeit nur bedingt, besonders aus einem Hochlohnland gibt es wenig Anreiz zur Migration in Länder mit neuen Arbeitsplätzen, aber niedrigerem Lohniveau als zu Hause.
Bewusst haben die deutschen Gewerkschaften Solidarität mit ihren Kollegen in überseeischen Ländern zu zeigen versucht. Der Widerspruch bei den Anforderungen im Sinne einer nationalen Gewerkschaftsposition, die einerseits den Spitzenstandard in Deutschland zu wahren und andererseits das Vertretungs- und Lohnniveau in anderen Ländern anzuheben versucht, ist dabei unübersehbar und auch unauflösbar. Dies unterstreicht erneut die gebrochene Interessenlage der Gewerkschaften, die hier bei regionalen und globalen Operationen eindeutig schlechter gestellt sind als die Unternehmerseite. Die Solidarität mit Gewerkschaften in Niedriglohnländern der Dritten Welt ist deswegen häufig verbal-radikal, aber handlungsschwach. Im Konfliktfall vertritt der DGB die Interessen seiner Mitglieder und eben nicht die von Nicht-Mitgliedern im Ausland.
Dokument 8Aus dem DGB Grundsatzprogramm von 1996: Die Zukunft gestalten Mit dem Ende einer in Ost und West gespaltenen Weltordnung sind nicht nur neue Märkte und Konkurrenten um Arbeitsplätze entstanden, sondern auch Chancen einer friedlichen Entwicklung, der Völkerverständigung und des kulturellen Austausches eröffnet worden. Gleichzeitig bietet die globale Integration neue Chancen einer erweiterten weltwirtschaftlichen Zusammenarbeit des sozialen Ausgleichs, der politischen Gestaltung und ökologischen Erneuerung. Die Gewerkschaften treten für eine demokratische, soziale und wirtschaftlich starke Europäische Union ein. Ihr kommt eine besondere Verantwortung im Rahmen einer sozial gerechten Weltwirtschaftsordnung zu, in der auch Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Chancen Wahrnehmen können. Quelle: Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Grundsatzprogramm von 1996, Kap. Unsere Zukunft - Aufforderung zur Mitarbeit, in: http://www.dgb.de/dgb/Grundsatzprog/unsere_zukunft.htm am 07.11.2003