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Junge Wohnungslose im Wirrwarr des Sozialrechts

Junge Wohnungslose im Wirrwarr des Sozialrechts. Fachtagung „In Between – Junge Wohnungslose“ Fachliche Herausforderung für Wohnungslosen- und Jugendhilfe Am 13. Juni 2013 in Mainz Prof. Dr. Peter Schruth. „Verfahren“ im Viereck sozialrechtlicher Aufgabenerfüllung.

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Junge Wohnungslose im Wirrwarr des Sozialrechts

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Presentation Transcript


  1. Junge Wohnungslose im Wirrwarr des Sozialrechts Fachtagung „In Between – Junge Wohnungslose“ Fachliche Herausforderung für Wohnungslosen- und Jugendhilfe Am 13. Juni 2013 in Mainz Prof. Dr. Peter Schruth

  2. „Verfahren“ im Viereck sozialrechtlicher Aufgabenerfüllung Recht Lebenslage Verfahren Geld

  3. Lebenslagen: „Junge Wohnungslose“ Sind in der Regel junge Volljährige bis ca. 30 Jahre, die... • ...sich in endlosen Konflikten verstricken (z.B. Schulden, Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit, Alkohol, Spielsüchte), • ...die Strukturen in bestehenden Hilfesystemen sprengen (..notfalls „psychiatrische Diagnosen“), • ...irgendwie noch nicht „so richtig“ im Leben angekommen sind, • ...auch als hilferesistent von Institution zu Institution weitergereicht werden.

  4. Sind in der Regel junge Volljährige bis ca. 30 Jahre, die... ...sich nicht „einfach“ anpassen wollen und deshalb schneller als andere im Jobcenter „raussanktioniert“ werden, ...noch vor kurzem zu Hause lebten, rausgeflogen bzw. im Konflikt selbst gegangen sind und nun in prekären Wohn- und Lebensverhältnissen leben, ...wegen des Auszugsverbots des SGB II keine Unterkunftskosten und nur 80% Regelleistungen erhalten ...die streetworker aktuell in Großstädten als „verdeckte Couchsurfer“ wieder entdecken.

  5. Dennis M. (20 Jahre) Dennis hat ab dem 11. Lebensjahr Jugendhilfe bezogen. Er lebte 4 Jahre in einem Heim, anschließend 2 Jahre in einer betreuten Wohngemeinschaft und 1 Jahr im betreuten Einzelwohnen. Mit 18 Jahren wurde er aus der Jugendhilfe entlassen. Das Jobcenter übernahm die Kosten der Unterkunft und auch die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.

  6. Dennis hat es jedoch noch nicht gelernt, mit dem zur Verfügung stehenden Geld zu wirtschaften. Er hat die zugewiesenen Mietzahlungen anderweitig verbraucht, die Wohnung wurde ihm wegen Mietrückständen gekündigt. Dennis wird obdachlos und wendet sich an das Jobcenter, das sich nicht als zuständig ansieht, da die Obdachlosigkeit selbst verschuldet ist. Die Vermittlerin verweist ihn an das Jugendamt.

  7. Dennis spricht mit seiner ehemaligen Sozialarbeiterin, die ihm eine Adresse für betreutes Einzelwohnen (BEW) in einer anderen Stadt gibt. Sie sagt, sie könne nichts mehr für ihn tun, er solle aber bei Herrn X in der Einrichtung nachfragen, ob er dort wohnen könne. Herr X lehnt die Aufnahme von Dennis ab, da seine Einrichtung nicht für die Stadt zuständig ist, aus der Dennis kommt.

  8. Dennis lebt mittlerweile im Wald und möchte auf gar keinen Fall in einer Obdachlosensiedlung unterkommen. Dennis hat nicht die nötige Kraft, um die notwendigen Schritte für eine Hilfeleistung zu unternehmen. Der Kontakt zu ihm ist abgebrochen.

  9. Junge Wohnungslose – ein besonderes sozialrechtliches Problem? Vier Vermutungen, die das Problem sozialrechtlich erheblich befördern: • Die faktische Reduzierung der Anwendungspraxis der §§ 13, 41 SGB VIII als sozialpäd. Hilfen zur sozialen Integration bzw. Verselbständigungshilfe junger Volljähriger in der Jugendhilfe • Das existenzgefährdende Sondersanktionsrecht des § 31a Abs.2 SGB II gegenüber Unter-25Jährige • Das sog. Auszugsverbot des § 22 Abs.5 SGB II • Der Verschiebebahnhof der sog. Jungen Wilden raus aus der Jugendhilfe in die Werkstätten für Menschen mit Behinderung

  10. Wo hätte Dennis hingehört: Zuordnungen im Sozialrecht • §§ 41, 13 SGB VIII: Weil es um junge Menschen mit einem besonderen persönlichen Förderbedarf geht • § 35a für 14 – 18Jährige? Nicht bei Wohnungslosigkeit • §§ 53 ff. SGB XII: Weil es um junge Volljährige mit einer körperlichen und/oder geistigen Behinderung geht (keine Anwendung des § 35a SGB VIII) • §§ 3 Abs.2, 14 ff. SGB II: Weil es um arbeitslose junge Menschen geht (mit eigenem Anspruch ab 15. Geburtstag), die der Eingliederungshilfe auf dem Arbeitsmarkt bedürfen

  11. ....im Wirrwarr des Sozialrechts Rechtsanspruch = Geltendmachung = Durchsetzung = Problemlösung? Es gibt nicht die eindeutige Sozialrechtsnorm, die im Sinne der Jugendhilfe ausreichend Wohnungslosigkeit von jungen Menschen verhindert: - das geltende Recht ist widersprüchlich und in der (Nicht-)Anwendung lebenslagenfern bis problemverschärfend, - letzte öffentlich-rechtliche Bastion ist die ordnungsrechtliche Gefahrenabwehr

  12. Anspruch des Sozialrechts • § 17 SGB I: Leistungsträger sind zu Sozialleistungen verpflichtet, - die jeder Berechtigte zeitgemäß, umfassend und zügig erhält und - für die rechtzeitig und ausreichend die erforderlichen Dienste und Einrichtungen zur Verfügung stehen. • Aber: Konterkarierungen durch - Rechtsanwendungspraxis (z.B. Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Mitwirkungspflichten zu Lasten junger Menschen) - Primat einer ungeschriebenen Rechtsfolgenklausel: Was darf die Hilfe kosten? - Leistungskonkurrenzen als Verschiebebahnhöfe

  13. Anwendungsbereich des § 13 Abs.1 SGB VIII ? Tatbestand und Rechtsfolge - Offen zu definierende sozialpädagogische Hilfen (als Soll-Leistung) für junge Menschen mit erhöhtem sozialpädagogischem Unterstützungsbedarf - Hier: Neben „sozialer Benachteiligung“ insb. „individuelle Beeinträchtigungen“ ? = „alle psychischen, physischen oder sonstigen persönlichen Beeinträchtigungen individueller Art (z.B. Abhängigkeit, Überschuldung, Delinquenz, Behinderung, aber auch wirtschaftliche Benachteiligung), vgl. Münder LPK § 13 Rz.12

  14. Aber Anwendungsprobleme: Norm könnte passen (bis 27 Jahre), aber weitgehende Verweigerung der Anwendung durch Jugendämter, weil angeblicher Vorrang des SGB II bzw. angeblich kein subjektiver harter Rechtsanspruch. Verschärfung der Vorrang-Nachrang-Debatte durch besondere Anwendungspraxis des SGB II

  15. Anwendungsbereich der Eingliederungshilfen auf dem Arbeitsmarkt nach den §§ 3, 14 ff. SGB II • Problem: Debatte um Leistungskonkurrenz • Gilt die aliud-Theorie oder die Sozialpädagogisierung des SGB II • Im Ergebnis: Wo ein spezieller sozialpädagogischer Bedarf junger Wohnungsloser festgestellt wird, hört die Zuständigkeit des SGB II auf • Zuständig ist das SGB II eindeutig als Fachbehörde für Vermittlung in Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit. Das Jobcenter ist keine sozialpädagogische Fachbehörde!

  16. Das Sondersanktionsrecht gegenüber Unter-25Jährige im SGB II • Pflichtverstöße nach § 31 SGB II: - sich weigern, die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten zu erfüllen, - sicher weigern, zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern, - eine zumutbare Maßnahme nicht antreten, - absichtlich als Volljährige Einkommen /Vermögen vermindern, um AlG II zu erhalten, - trotz Belehrung unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen, - Sperrzeiten nach SGB III ausgelöst.

  17. Keinen „wichtigen Grund“ nachweisen können ? Prüfung des unbestimmter Rechtsbegriffs: - Waren die Anforderungen rechtmäßig und zumutbar? - Alle Umstände des Einzelfalles, die das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen (insb. soziale, familiäre und gesundheitliche Gründe) - Art und Schwere des Pflichtenverstoßes sind zu berücksichtigen

  18. Sanktionsrecht des § 31 a Abs.2 SGB II • Bei 1. Pflichtenverstoß: AlG II ist auf Bedarfe nach § 22 zu beschränken • Bei 2. Pflichtenverstoß: Das AlG II entfällt vollständig. Dauer: 3 Monate Erfolgt nachträgliche Erklärung, die Pflichten nun einzuhalten, dann Ermessen, Sanktion etwas zu lockern und Bedarfe nach § 22 zu gewähren.

  19. Nichtzuletzt: Das sog. Auszugsverbot des SGB II • Begrenzter Anwendungsbereich: Erstauszug • Voraussetzung bestehender Hilfebedürftigkeit • Keine Mitumzugsverpflichtung • Keine Anwendung bei Rausschmiss • Ausnahmeregelungen nutzen • Bestätigungsschreiben mittels Kooperationen mit Jugendämtern klären

  20. Rückschlüsse auf § 13 SGB VIII und SGB II: Neujustierung erforderlich Vorschlag der Expertenrunde des DPW: • Drop-outs durch SGB II-Reform reduzieren, indem SGB II auf Lebensverhältnisse und Bedürfnisse junger Menschen besondere Rücksicht zu nehmen hat, die Pflicht, Arbeitsgelegenheiten aufzunehmen, gestrichen und das Sondersanktion gegenüber U25 aufgegeben wird. • Ergänzung des § 13 SGB VIII um Abs.4 mit einem unbedingten Rechtsanspruch für sog. integrationsgefährdete junge Menschen

  21. Hilft der § 41 SGB VIII? • Leistungsvoraussetzung der Soll-Norm: Einschränkungen in der Persönlichkeitsentwicklung und in der Fähigkeit, ein eigenständiges Leben zu führen + Mitwirkungsbereitschaft + Ungeschriebene Leistungskriterien: Strittig ist, ob sich die Erfolgsaussicht auf die tatsächliche Eignung der Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung oder nur auf die Notwendigkeit der Hilfe beziehen darf (Gilt letzteres, dann ist die Hilfe immer zu gewähren, wenn sie notwendig ist). • § 41 ist eigenständige Hilfe: - Lediglich bei den Rechtsfolgen des § 41 Verweis auf die Typen der Hilfe zur Erziehung, also ein Hinweis auf Ausgestaltung der Hilfen; - Hypothese: eine Verselbständigung ist, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung erreichbar. • Konstruktion als „Auslaufhilfe“ und Bedeutung der Erfolgsprognose vor dem Hintergrund der „lebenslangen“ Gewährung von Eingliederungshilfe.

  22. Probleme der Anwendung mit bewusst weiter Begrifflichkeit des Gesetzgebers • Fehlende Autonomie und Selbständigkeit und unzureichende Persönlichkeitsentwicklung lassen sich für einen jungen Volljährigen nur beschränkt pauschalierend beschreiben: z.B. die altersgemäße übliche individuelle Entwicklung und gesellschaftliche Integration sei unzureichend bzw. unterdurchschnittlich gelungen (?) • Statt Pauschalierungen besser die Bildung von Fallgruppen ? - Schulische, berufliche und sonstige Abbrüche; - Obdachlosigkeit, Suchtkrankheit; - brüchige Lebenswege wegen Strafhaft bzw. länger in Einrichtungen gelebt; - Kumulation von Defiziten (wie fehlende Wohnung, fehlende berufliche Ausbildung, erhebliche Schulden, keine Zugänge zu Sozialleistungen) • Dagegen steht die Fachkommentierung: Junge Volljährige, die bewusst eigensinnig nach eigenen Lebensentwürfen leben wollen, zählen nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten gemäß § 41 SGB VIII. Unterste Grenze des § 41 ist zumindest ein „gewisser Veränderungswunsch“.

  23. Der § 41 in der Leistungskonkurrenz • Vorrang von Leistungen nach dem SGB II, wenn es (nur) um Eingliederung in den Arbeitsmarkt als Ziel der Hilfe geht. • Nachrang der Leistungen nach dem SGB XII, weil es im SGB XII um altersunspezifische Überwindung sozialer Schwierigkeiten geht, die durch besondere Lebensverhältnisse bedingt sind. Gründe des Gesetzgebers: Insbesondere wegen längerer Schul- und Ausbildungszeiten und schwieriger Ablösungsprozesse bedürfen junge Menschen wegen spezifischer sozialer Belastungen über die Volljährigkeitsgrenze hinaus weiterer pädagogischer Unterstützungen. • Es sind Vereinbarungen zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe über den Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels erforderlich.

  24. Gleichwohl: Es kommt in Deutschland darauf an, wo man wohnt, um eine Chance auf Leistungen nach § 41 SGB VIII zu haben. • Die reduzierten Anwendungen und Verschiebungen in das SGB II/XII führen oft dazu, dass bestenfalls nur noch eine engagierte JGH Jugendhilfeleistungen für junge Volljährige realisieren kann. • Was ist aber bei fehlender Bereitschaft junger Volljähriger zur Mitwirkung an der Verselbständigung in absehbarer Zeit?

  25. Anwendungsbereich der Eingliederungshilfen der §§ 53 ff. SGB XII Hier gibt es offensichtlich eine neue Praxis der „psychiatrischen Diagnose“, der Unterbringung in Einrichtungen der Eingliederungs- hilfe/WfbMs und unzureichenden Versorgung sog. Junger Wilden: • Vorrang der Eingliederungsleistungen des SGB XII (gegenüber SGB VIII) nur für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind (vgl. § 10 Abs.4 S.2 SGB VIII) • Problem Behinderungsbegriff: Wesentliche Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabefähigkeit (Problem: als dauerhafter Status) • Problem: Integrationsmängel der Hilfen, insbesondere geringe bis keine sozialen Integrationshilfen, eben keine entwickelten Ansätze sozialintegrativer Konzepte (wie eher in der Jugendhilfe) • Frage an die Praxis: Hilfen „von der Stange“ und deshalb oft nicht bedarfsgerecht?

  26. Was tun? • Jungen Menschen wäre erheblich im Umgang mit den „Unzuständigkeiten der Sozialleistungsträger“ durch eindeutige Erstzuständigkeiten der Jugendhilfe für diejenigen jungen Wohnungslosen geholfen, die aus dem SGB II „rausfallen“, die eigentlich nicht ins SGB XII gehören. • Es braucht gerade für besonders schwierige junge Menschen ein qualitatives Hilfeverbundverfahren: Rechtzeitige Beteiligung der Fachkräfte der Jugendhilfe an der Erstellung von Eingliederungsvereinbarungen sowie der Fachkräfte der Jobcenter (U25) an der Hilfeplanung der Jugendhilfe. • Klar sollte sein, dass junge Menschen besonders nach existenzgefährdenden Sondersanktionierungen der Jobcenter die persönliche und materielle Unterstützung der Jugend- und Sozialämter benötigen (strittig, Mindermeinung: Schruth) • Und es braucht die weitere Entwicklung von ombudschaftlichen Verfahren in der Jugendhilfe, um zu mehr Partizipation junger Menschen, zur Stärkung ihrer Betroffenenrechte und zur Entwicklung hilfebedarfsgerechter Projektansätze zu kommen.

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