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Demenzen und andere psychische Störungen des Alters. Hauptvorlesung Psychiatrie und Psychotherapie am 12.1.2010. Priv.-Doz. Dr. med. T. Supprian Abteilung Gerontopsychiatrie LVR-Klinikum Düsseldorf Kliniken der Heinrich Heine Universität Düsseldorf 40629 Düsseldorf.
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Demenzen und andere psychische Störungen des Alters Hauptvorlesung Psychiatrie und Psychotherapieam 12.1.2010 Priv.-Doz. Dr. med. T. Supprian Abteilung Gerontopsychiatrie LVR-Klinikum Düsseldorf Kliniken der Heinrich Heine Universität Düsseldorf 40629 Düsseldorf
Delirium = akuter Verwirrtheitszustand mit einer organischen Ursache • Delirien können unterschiedliche Auslöser haben z.B. • Alkoholentzugsdelir • anticholinerges Delir • Fieber-Delir • postoperatives Delir • usw
Das delirante Syndrom • ein Delirium ist grundsätzlich reversibel • monokausale / kryptogen? • Klinisches Erscheinungsbild: • Bewusstseinsstörung (Fluktuationen, „luzide Intervalle“) • Störung der Aufmerksamkeit und Orientierung • psychomotorische Unruhe und Erregung • Denkstörungen • Wahrnehmungsstörungen (Halluzinationen, v.a. optisch) • Amnesie nach Abklingen
Das Delir in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) F0.5 Delir, nicht durch Alkohol oder psychotrope Substanzen bedingt F05.0 Delir ohne Demenz F05.1 Delir mit Demenz F05.8 anderes F05.9 nicht näher bezeichnetes F1 Psychische Störungen und Verhaltens- störungen durch psychotrope Substanzen F1x.03 mit Delir F 1x.4 Entzugssyndrom mit Delir
Das anticholinerge Syndrom • zentral • Delirium mit optischen Halluzinationen • Bewusststeinsstörungen (Somnolenz bis Koma) • epileptische Krampfanfälle • peripher • Mundtrockenheit • warme und trockene Haut • Hyperthermie • Miktionsstörungen • Obstipation bis paralytischer Ileus • Mydriasis mit Akkommodationsstörungen
Auslösung deliranter Syndrome durch anticholinerge Substanzen • trizyklische Antidepressiva (z.B. Doxepin, Amitriptylin, Maprotilin, Trimipramin, usw.) • einzelne Hypnotika (z.B. Diphenhydramin) • einzelne Neuroleptika (z.B. Clozapin) • einzelne Antihistaminika (z.B. Hydroxyzin) • einzelne Parkinsonmittel (z.B. Biperiden) • akzidentelle Intoxikationen durch Atropin- und Scopolamin (z.B. Engelstrompete, Stechapfel) • systemische Effekte lokal applizierter Mydriatika
Auslösung deliranter Syndrome im höheren Lebensalter häufig durch: • Exsikkose (Hämatokrit, Hautturgor) • Fieber (z.B. bei Pneumonie, Harnwegsinfekt) • medikamentös induziert (Psychopharmaka u.v.a) • post-operativ • auch als Entzugssyndrom (Alkohol, Benzodiazepine, Analgetika) • Risikofaktor: Demenz vom Alzheimer-Typ, cerebrale Vorschädigung (Mikroangiopathie)
Sekundäre zerebrale Ursachen eines Delirs: • Niereninsuffizienz (z.B. Urämie) • Leberversagen • Anämie • Hypoglykämie • Hypoxie bei resp. Insuffizienz • Endokrine Störungen (z.B. Schilddrüse) • Medikamentennebenwirkungen • Störungen des Elektrolythaushalts • Infektionserkrankungen • u.v.m.
Primär zerebrale Ursachen eines Delirs: • Schädel-Hirn-Traumata • Entzündliche Prozesse (z.B. Meningitis, Encephalitis) • Vaskulär-ischämische Prozesse (z.B. hypertensive Encephalopathie) • Intoxikationen • Entzugssyndrome • O2-Mangel (Höhenlage) • u.v.m.
Diagnostische Kriterien des Delirs nach ICD-10 – Teil 1 • Bewußtseinsstörung, d.h. verminderte Klarheit der Umgebungswahrnehmung mit eingeschränkter Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu richten, aufrecht zu erhalten und zu verlagern • Globale Störungen der Kognition, Wahrnehmungs-störungen, wie Verzerrungen der Wahrnehmung, Illusionen und meist optische Halluzinationen; Beeinträchtigung des abstrakten Denkens und der Auffassung, mit oder ohne flüchtige Wahnideen, aber typischerweise mit einem gewissen Grad an Inkohärenz; Beeinträchtigung des Arbeits- und Kurzzeitgedächtnisses, mit relativ intaktem Langzeitgedächtnis; zeitliche Desorientiertheit, in schweren Fällen auch Desorientierung zu Ort und Person
Diagnostische Kriterien des Delirs nach ICD-10 – Teil 2 3. Psychomotorische Störungen (Hypo- oder Hyperaktivität mit nicht vorhersehbarem Wechsel zwischen beiden; verlängerte Reaktionszeit; vermehrter oder verminderter Redefluss; verstärkte Schreckreaktion) 4. Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (Schlafstörung, in schweren Fällen völlige Schlaflosigkeit, mit oder ohne Schläfrigkeit am Tag oder Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus; nächtliche Verschlimmerung der Symptomatik, unangenehme Träume oder Albträume, die nach dem Erwachen als Halluzinationen oder Illusionen wieder bestehen können) 3. Affektive Störungen wie Depression, Angst oder Furcht, Reizbarkeit, Euphorie, Apathie oder staunende Ratlosigkeit
Diagnostische Kriterien des Delirs nach ICD-10 – Teil 3 das Störungsbild entwickelt sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne (gewöhnlich innerhalb von Tagen oder Stunden) und fluktuiert üblicherweise im Tagesverlauf. Die Gesamtdauer der Störung beträgt weniger als 6 Monate eine ziemlich zuverlässige Diagnose eines Delirs kann sogar dann gestellt werden, wenn die zugrunde liegende Ursache nicht nachzuweisen ist.
Allgemeine Maßnahmen in der Therapie des Delirs: • Therapie der zugrunde liegenden Erkrankungen • Überprüfung der Medikation auf anticholinerg wirksame Substanzen • stationäre Überwachung der Patienten • engmaschige Kontrolle der Vitalwerte • orientierungsfördernde Maßnahmen (Uhr, Kalender, häufige Ansprache) • Vermeidung von Reizdeprivation (Hörgerät, Brille, Licht) • Kontinuität in der personellen Betreuung • Sicherstellung einer ungestörten Nachtruhe
Medikamentöse Therapie des deliranten Syndroms: • Entzugssyndrom? (bei Alkoholentzugssyndromen Clomethiazol is zu 5 x 2 Kps.) • medikamentöse Behandlung: • Sedierung (Pipamperon, Benzodiazepine) • bei Halluzinationen und Wahn: Neuroleptika • (Haldol 0.5 – 5 mg, Risperidon 0.5 – 4 mg) • Anfallsprophylaxe: Carbamazepin
Demenz vom Alzheimer-Typ © Prof. Dr. W. Reith, Abt. f. Neuroradiologie, Universitätskliniken des Saarlandes
Amyloid-Vorläufer-Protein (APP) APP-Spaltung durch Sekretasen Amyloidogener Prozess Nicht-amyloidogener Prozess TM • CS-GAG p p CHO CHO Signal peptide Aß KPI • Cu(II) Zn(II) exon 7 exon 15 Cu (II) • Heparin Heparin Zn(II) sAPPß C-99 Aß ß- g- Secretase sAPPa C-83 a- Secretase
Amyloid-Ablagerungen im Laufe des Lebens 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Präsenile Demenz Senile Demenz
Alzheimer-typische Symptome in unterschiedlichen Krankheitsstadien frühes Stadium: affektive Veränderungen (chronische depressive Verstimmungen) Interesselosigkeit, sozialer Rückzug, Aufgeben von Hobbies Sprachveränderungen, Wortfindungsstörungen mittleres Stadium: Gedächtnisstörungen Orientierungsstörungen paranoide Syndrome (Beeinträchtigungswahn) Personenverkennungen schweres Stadium: Tag-Nacht-Rhythmus-Störungen Angst- und Unruhezustände Halluzinationen feindseliges Verhalten schwerstes Stadium: Mutismus Immobilität Schluckstörungen
Wann erfolgt am häufigsten Differential-diagnostik zur Alzheimer-Demenz? • bei präseniler Manifestation • bei sehr rascher Progredienz • bei atypischen Verlaufsformen: • Merkfähigkeit nur wenig gestört • frühe Sprachstörungen • frühe Persönlichkeitsveränderungen • bei familiären Häufungen von Demenzerkrankungen
Pharmakotherapie demenzieller Syndrome • Antidementiva • (AChE-Hemmer, Memantine, etc) • Antidepressiva • (Mirtazapin, Citalopram, Moclobemid, etc) • Anxiolytika • (Lorazepam, Pregabalin) • Neuroleptika • (Risperidon, Quetiapin, Haloperidol, etc) • Sedativa • (Pipamperon, Melperon) • Hypnotika • (Zolpidem, Melperon, Clomethiazol, etc) • Analgetika • (Metamizol, Hydromorphon, Pregabalin, Opiat-Pflaster, etc)
Zielsymptome bei Demenzerkrankungen Kognitive Ebene (Verzögerung des kognitiven und mnestischen Abbaus) Verhaltensebene Angst Paranoide Ideen Unruhe Aggressives Verhalten Schlafstörungen Halluzinationen Depression Enthemmung Apathie
Antidementiva leichte bis mittelschwere Alzheimer-Demenz Donepezil (5-10 mg/d) - oral Rivastigmin (3-12 mg/d) - transdermale Applikation Galantamin (8-24 mg/d) - oral moderate bis schwere Alzheimer-Demenz Memantin (-20 mg/d) - oral Raina P et al. Effectiveness of cholinesterase inhibitors and memantine for treating dementia: evidence review for a clinical practice guideline. Ann Intern Med 2008, 148: 379-397 Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Therapie der degenerativen Demenzen, 2005
Wirkmechanismus der Acetylcholinesterase-(AChE)-Hemmer • Verstärkung des Neurotransmitters Acetylcholin (ACh) durch Hemmung des abbauenden Enzyms Acetylcholinesterase (AChE) • Verbesserung der synaptischen Übertragung an cholinergen Neuronen • Nutzen nicht nur auf der kognitiven Ebene: auch Verhaltensstörungen und Halluzinationen werden verbessert • Probleme der AChE-Hemmer: • Non-Responder (ca. 25 %) • Verträglichkeit nicht vorhersagbar • Effekt nur passager: Verzögerung des kognitiven/mnestischen Abbaus um ca. 12-24 Monate • Effekt nur im Gruppenvergleich nachweisbar, im einzelnen Individuum nur schwer evaluierbar
Wirkmechanismus des Glutamatrezeptor-Modulators Memantin • Neurodegeneration führt zu erhöhter Glutamat-Freisetzung – diese hat neurotoxische Effekte • Memantin reduziert den Ca-Einstrom am NMDA-Rezeptor bei tonisch erhöhter Glutamatkonzentration und verbessert physiologische Reizübertragung • Probleme bei Memantin: • Effekte nur im Gruppenvergleich nachweisbar • Keine Response-Prädiktion möglich • Effekt nur passager • bei einigen Pat. resultieren Unruhe, Agitation, usw.
DGN-Leitlinie „Vaskuläre Demenz“ (www.dgn.org) • Vaskuläre Demenzen „ätiopathogentisch heterogene Gruppe“ • Multiinfarktdemenz (mehrere territoriale Infarkte führen durch Untergang einer kritischen Zahl von Neuronen zur Demenz) • Strategische Infarkte (typische zerebrale Schaltstellen sind betroffen, z.B. Thalamus, Striatum, Kopf des Nucleus caudatum oder dem Gyrus angularis der linken Seite) • Multiple lakunäre Infarkte (Status lacunaris) • Binswanger-Erkrankung (subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie mit diffusen Marklagerveränderungen) • Mischung obiger Formen (z. B. Territorialinfarkte und lakunäre Infarkte) • Einzelne oder multiple intrazerebrale Hämatome • Subkortikale familiäre Demenz (CADASIL-Syndrom) • Mixed Dementia (vaskuläre Demenz plus Alzheimer-Demenz)
Kriterien für die Diagnose einer vaskulären Demenz: NINDA-AIREN (Roman et al. 1993) • Demenzsyndrom (Definition: Abnahme des Gedächtnisses und 2 oder mehr anderer kognitiver Funktionen, die ein vermindertes Funktionieren im Alltag bedingt, Ausschluß eines Delirs, einer Psychose, einer schweren Aphasie, sensomotorischer Defizite, Systemerkrankungen, einschließlich der Alzheimer-Erkrankung) • Zerebrovaskuläre Krankheit definiert als fokale Zeichen in der neurologischen Untersuchung und Nachweis einer relevanten zerebrovaskulären Erkrankung in der MRT (multiple Territorialinfarkte oder einzelner strategischer Infarkt oder multiple Lakunen in Basalganglien und weißer Substanz oder ausgedehnte periventrkuläre Veränderungen in der weißen Substanz oder eine Kombination dieser Möglichkeiten • Zusammenhang zwischen beiden (d.h. entweder Demenzbeginn innerhalb von 3 Monaten nach Schlaganfall und/oder abrupter Beginn, fluktuierender Verlauf, stufenweise Verschlechterung) Roman GC et al. (1993) Neurology 43(2): 250-260
Subkortikale vaskuläre Enzephalopathie • CT: periventrikuläre Dichteminderungen • T2-gewichtete MRT: fleckförmige, konfluierende Signalanhebungen • Risikofaktoren: • Diabetes mellitus • Art. Hypertonie • Nikotinabusus, etc
CCT: lakunärer Thalamus-Infarkt links
3 klinische Formen der frontotemporalen lobären Degenerationen (FTLD)
frontale Variante der Frontotemporalen Demenz (fvFTD) Synonym: Morbus Pick
Klinische Charakteristika der Demenz von frontalen Typ • frühzeitig Persönlichkeitsveränderungen (Distanzlosigkeit, Apathie, Enthemmung) • frühzeitig fehlende Krankheitseinsicht • Vernachlässigung der Hygiene und sozialer Kontakte • mentale Rigidität, emotionale Abstumpfung • stereotype Verhaltensweisen • Sprachverarmung, Echolalie, später Mutismus • Störung von Exekutivfunktionen (Planen komplexer Aktivitäten, Handlungsinitiierung – und inhibition)
MRT bei fvFDT (Morbus Pick) Prof. Dr. W. Reith, Abt. f. Neuroradiologie, Universitätskliniken des Saarlandes
Primär nicht-flüssige Aphasie (PNFA) • Synonyme: • Primär progressive Aphasie (PPA) • Mesulam-Syndrom
M.-Marsel Mesulam „Slowly Progressive Aphasia Without Generalized Dementia“ Annals of Neurology (1982) 11: 592-598 • Beschreibung von 6 Patienten mit langsam fortschreitender aphasischer Störung „ohne zusätzliche intellektuelle oder Verhaltensstörungen einer Demenz“ • überwiegend präseniler Krankheitsbeginn • fokale zerebrale Degeneration mit Prädilektion der linken perisylvischen Region
Primär nicht-flüssige Aphasie (PNFA) • nicht-flüssige BROCA-Aphasie-ähnliche Sprachstörung • Nachsprechen gestört • syntaktische und phonologische Störung (Störung gram-matikalischer Leistungen) • Fortschreiten bis hin zum Mutismus • Buccofaziale Apraxie typisch (Lippen spitzen, lecken, Streichholz auspusten) • recht gut erhaltene Leistungen beim Benennen • trotz starker sprachlicher Beeinträchtigungen recht gut erhaltene Alltags-Kompetenz, erst spät Verhaltensstörungen
Julie S. Snowdon et al. „Semantic dementia: a form of circumscribed cerebral atrophy“ Behavioral Neurology (1989) 2: 167-182 • Beschreibung von 3 Patienten mit progressiver Sprachstörung • initial Verdacht auf Alzheimer-Demenz wegen mnestischer Störungen und reduzierten Leistungen bei visuo-konstruktiven Leistungen • ausgeprägter Verlust semantischer Funktionen • temporale Pathologie
Semantische Demenz (SD) • starke Störung beim Benennen von Objekten • Störung semantischer Gedächtnisfunktionen (Wort- und Objekt-bedeutung) • Nachsprechen meist ungestört • Syntax meist unbeeinträchtigt, normale Prosodie und Artikulation • starke Wortverständnisstörung (wird meist selbst nicht bemerkt, statt dessen werden Gedächtnisstörungen geklagt) • Spontansprache oberflächlich unauffällig, aber floskelhaft und inhaltsarm • kaum Apraxie: Objektgebrauch meist intakt • deutliche Prosopagnosie (Erkennen von Gesichtern gestört)
Idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS) mit Demenz • IPS nur, wenn Demenz frühestens 1 Jahr nach Beginn des Parkinson-Syndroms auftritt • 75 % der IPS-Patienten entwickeln nach 8 Jahren Krankheitsdauer eine Demenz (1) • wichtige Risikofaktoren für eine Demenz bei IPS (2) sind: • frühe Halluzinationen • akinetisch-rigide Form (1) Neurology 2000, 54: 1596-1602 (2) Arch Neurol 2003, 60: 387-392