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Mythen und Modelle des Sprachursprungs (in unterschiedlichen Wissenskulturen)

Mythen und Modelle des Sprachursprungs (in unterschiedlichen Wissenskulturen). Prof. Dr. Wolfgang Wildgen. Vortrag im Zentrum philosophische Grundlagen der Wissenschaften, Universität Bremen . 5. Dezember 2006; 17:15, SFG 3070. Inhaltsverzeichnis: 1 Mythen oder Modelle (übersprungen)

Gabriel
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Mythen und Modelle des Sprachursprungs (in unterschiedlichen Wissenskulturen)

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  1. Mythen und Modelle des Sprachursprungs(in unterschiedlichen Wissenskulturen) Prof. Dr. Wolfgang Wildgen Vortrag im Zentrum philosophische Grundlagen der Wissenschaften, Universität Bremen 5. Dezember 2006; 17:15, SFG 3070

  2. Inhaltsverzeichnis: 1 Mythen oder Modelle (übersprungen) 2 Die Vielfalt der Sprachursprungsmythen 3 Die Version des Alten Testaments 4 Der griechische Mythos der drei Weltalter 5 Vom Mythos zu ersten „vernünftigen“ und „natürlichen“ Modellen im 18. Jh. 6 Aktuelle Modelle des Sprachursprungs oder nur neue Mythen? 7 Einschränkende Bedingungen für jedes wissenschaftliche Modell des Sprachursprungs 8 Die funktionale Kontinuität zwischen Mythen und Modellen

  3. Mythen und Modelle: Wo liegt die Grenze • Mythen sind für den eingeweihten Gläubigen einer Religion Inhalte von besonderer Würde und tiefer, unergründlicher Wahrheit. Dagegen sind alltägliche Urteile unzuverlässig, subjektiv, ja oft trügerisch, täuschend. In diesem Sinne einer dichterisch mit dem Siegel unergründlicher Wahrheit versehenen Erzählung begegnen wir dem Begriff „Mythos“ bei Homer, d.h. im vorsokratischen Griechenland.

  4. Vom Standpunkt einer anderen Kultur betrachtet, einer geografisch oder historisch entfernten, wird daraus aber eine phantasievolle Geschichte, eine Mär, vielleicht sogar eine freche Lüge. Die Römer benützten den Begriff „fabula“, den wir in „fabulieren“ in seiner negativen Bedeutung vorfinden. • In der griechischen (sokratischen) Aufklärung wird dagegen das gewöhnliche Wort, der Logos, zum Ideal des richtigen Redens und Denkens emporgehoben.

  5. Sprachursprungsmythen – Entwicklung in der Neuzeit • In der Renaissance werden, zumindest in der Kunst, die antiken Mythen der christlichen Bilderwelt hinzu-gefügt. • Die hermetische Bewegung versucht, die Einheit des Mythos durch Rückgriff auf chaldäische und ägyptische Mythen (wieder) herzustellen und gefährdet damit den Wahrheitsanspruch der christlichen Bibel. • Die Reformation und Gegenreformation werden diese Bewegung abwehren und dabei extreme Denker wie Giordano Bruno, der das Christentum auf ägyptische (vormosaische) reine Mythen zurückführen und gleichzeitig rational (kopernikanisch) fundieren wollte, verurteilen.

  6. Nach dem zähen Behauptungskampf des Rationalis-mus gegen Feudalsystem und Klerus im 18. Jh.(Fr. Revolution) wird der Mythos von den Romantikern wieder entdeckt. Charakteristisch ist das Sammeln von Mythen und Märchen durch die Brüder Grimm. • Die Bewegung wird für die nationale Neubesinnung instrumentalisiert und schließlich von Wagner und Chamberlain zu einer Form geführt, die in Rosen-bergs „Mythus des 20. Jh.“ in der Nazi-Zeit ihr hässlichstes Gesicht zeigt. • „Mythos“ ist jetzt nicht nur zur haltlosen Phantasterei, sondern gar zur Technik des politischen Betrugs und zum Instrument des Völkermordes geworden (vgl. Cassirer, 1945: The Myth of the State).

  7. Modell: Entwicklung des Konzepts • Der Begriff „Modell“, wird in erster Linie für die im Maßstab verkleinerte Darstellung eines Originals benützt. • In der Nachbarschaft von Theorien, wie Newtons Mechanik, Maxwells Wellenlehre, Einsteins Relativitätstheorie, Plancks Quantenmechanik wird er positiv umgewertet werden. • Er wird zum Inbegriff der wissenschaftlich garantierten Wahrheit und beerbt damit in der Wertschätzung den antiken Mythosbegriff • Allerdings entwickelt sich im Laufe des 20. Jh. eine Skepsis bezüglich Theorien, besonders solchen, welche den Menschen und die Gesellschaft betreffen. Sie erscheinen häufig als beliebige Konstruktionen, die zu dekonstruieren gilt.

  8. Dialektik von Mythos und Modell • In dieser dialektischen Perspektive scheinen Mythen und Modelle fast als Varianten eines Konzepts: sprachlich gestaltete, mehr oder weniger zuverlässige Auseinander-setzungen mit der Wirklichkeit. • Dass „Mythos“ eine gewisse Relevanz, ein Gewicht der Fragestellung voraussetzt und „Modell“ eher verniedlichend wirkt, mag im Folgenden zweitrangig sein, denn Fragen nach dem Ursprung der Welt, des Menschen, der Gesell-schaft sind immer gewichtig. Der Zweifel bezieht sich eher auf die Qualität möglicher Antworten. • Die Qualität der Antworten entwickelt sich gemeinsam mit den Gesellschaften und deren kulturellen (intellektuellen) Niveau. Die Frage, ob Modelle besser sind als (frühere) Mythen ist letztlich die Frage nach der Möglichkeit eines kulturellen Fortschritts.

  9. Die Vielfalt der Sprachursprungsmythen • Bei der Durchsicht der Mythen wird deutlich, dass sie in enger Verbindung zu zentralen kulturellen Erfin-dungen stehen: Jagd, Ackerbau, Viehzucht, Stein- und Metallverarbeitung usw. • Große Naturgewalten spielen eine wichtige Rolle: die Sonne (hell–dunkel), die Winde, vulkanisches Feuer, Erdbeben, Flutwellen. Sie bestimmen den Relevanzhorizont des Mythos. • Die Schöpfung der Sprache ist eng mit der Schöpfung des Menschen verbunden; sie kann als magisches Wort dieser vorausgehen, oder das Wort wird dem Menschen gegeben (bevorzugt als Name, Benennung des vorher Geschaffenen).

  10. Der Mensch wird zuerst sprachlos geschaffen • Im Hopi-Mythos wird den Menschen vom Zwilling Sotukriang die Sprache verliehen, und zwar je nach Hautfarbe eine verschiedene. Hier werden also Sprachursprung und Sprachverschiedenheit simultan erklärt, wobei die Hautfarbe (letztlich das Klima) als Grund der Differenz genannt wird. Viele Sprachursprungsmythen beinhalten eine nachträgliche Ausstattung des geschaffenen Menschen mit Sprache. • In einigen Mythen versucht der Schöpfer mit seinen Geschöpfen zu kommunizieren oder er erwartet von ihnen, angesprochen, angebetet zu werden. Er schafft so lange weitere Wesen, bis er dieses Ziel erreicht hat.

  11. In einem Mythos aus Mikronesien schafft Gott Menschen, aber sie verstehen ihn nicht, da sie taubstumm und einfältig sind. Er vervollkommnet ihren Körper, öffnet ihnen Augen und Ohren, befähigt sie, sich zu bewegen und löst ihnen schließlich die Zunge. Einen ähnlichen Ablauf der „Begabung“ des Menschen finden wir im Mythos des amerikanischen Indianervolkes Winnebago. Hier verleiht der „Erdenbilder“ den Geschöpfen nachein-ander: Verstand (Gedanken)  Zunge  Seele und öffnet ihnen den Mund, so dass sie atmen. • Im Mythos der Quiché-Maya wird der Mensch geschaffen, damit es bessere Wesen als die Tiere gibt. Im Unter-schied zu diesen Geschöpfen zeigten sie höhere Fähig-keiten: • „Und die Menschen sprachen, unterhielten sich, sahen und hörten, liefen und ergriffen Dinge.“ (Steinwede und Fürst, 2004: 147)

  12. Die genannten Mythen bestimmen gleichzeitig eine hierarchische Abfolge von Fähigkeiten, quasi eine evolutionäre Sequenz.

  13. In vielen Mythen lehrt Gott die Menschen sprechen, zeigt ihnen die Namen der Dinge (im Inka-Mythos). Das Sprechen kann aber auch von Tieren gelernt werden. Der sibirische Mythos der Tschukschen bestimmt die Raben als Lehrer: • „Die Raben krächzen, die Menschen krächzen zurück“ (ibidem: 83). • Affen spielen im Mythos der Tolteken eine Rolle. Wie in anderen Mythen, gibt es hier Zyklen der Schöpfung und Zerstörung. Dabei verbrennen die Menschen zu roten Steinen oder werden zu Affen. Der Affe wird als eine Stufe der Reduktion, der Regression gesehen, was zumindest einen Zusammenhang stiftet, der mit Darwins These kommensurabel ist.

  14. Zwischenfrage: Haben alle Kulturen Mythen (Erklärungen des Sprachursprungs)? • Entgegen der seit Durkheim geläufigen Ansicht, gerade „primitive“ Kulturen hätten Mythen, Rituale, Magie, behauptet Douglas (1996) und belegt dies an Bei-spielen, dass es ebenso wie heute immer schon Kulturen gab, die auf rituelle Formen und religiöse Formen weitgehend verzichten und deren Gebrauch für unsinnig halten (z.B. die Pygmäen-Kulturen in Afrika). • Die soziale Konstruktion von Mythen ist an gewisse Formen des Zusammenlebens, der Offenheit / Geschlossenheit des Sozialsystems gebunden. • Soziale Strukturen die eher geschlossen sind, erzeu-gen auch globale Mythen, feste Rituale und stark verbindliche Rollensysteme.

  15. Mythische Grundlagen moderner Modelle • Sicher gab es vor der Jungsteinzeit (dem Neolithikum) ganz andere Kulturen und Mythen. Aus den überlieferten Mythen lässt sich immerhin eine Folk-Theorie ablesen, nach der entweder gewisse Sprechakte: ein magischer Sprechakt, eine Benennung, eine Anbetung am Anfang standen oder in der die Sprache auf andere kognitive, sensorische, motorische Fähigkeit aufbaut bzw. vom Tier (den Raben) gelernt wird oder vom degenerierten Menschen, dem Affen, verlernt wird. • Da die oben beschriebenen Mythen Kulturen entstammen, die nicht zum westlichen Traditionsstamm gehören, mögen sie für jene Vielfalt stehen, die insgesamt existiert. • Die biblische Erzählung und der griechische Mythos wirken dagegen über das Mittelalter und die Renaissance direkt als Vorläufer der ersten „Theorieansätze“ im 18. Jh.

  16. Die biblische Erzählung der Schöpfung Im ersten Buch Moses (Genesis) werden zwei Schöpfungs-mythen zusammengefügt: • Gott schuf die Welt in sechs Tagen. Am sechsten Tag wurden zuerst die Tiere, dann die Menschen (als Mann und Weib) geschaffen. • Gott schuf den Mann aus „Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase“ (Genesis,Erstes Buch 2:7). • Dann setzte er den Menschen in den Garten Eden. Er ließ Bäume dort wachsen; einer dieser Bäume trug verbotene Früchte; es war der Baum der Trennung von Gut und Böse, der eine ethisch-moralische Erkenntnis erlaubte, die Gott reserviert war. Die Tiere wurden auch aus Erde gemacht, die Frau aber wurde aus der Rippe des Mannes geformt, sozusagen durch eine Art (pflanzlicher) Verpfropfung.

  17. Sprachschöpfung als Taufe Die Benennung der Tiere überlässt Gott dem Menschen Adam (Genesis, Erstes Buch 2:19). • „Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen.“ • Auch der Frau gibt der Mann den Namen (in Luthers Übersetzung) „Männin“. • Diese Sprachgebung im Garten Eden, bei der Gott an Adam die Benennungsgewalt delegiert (und damit auch die Gewalt über Tier, Pflanze und Frau), folgt der Schöpfung (durch Gott) und sie ist ein Taufakt des Menschen, der damit verbindliche Regeln „erlässt“.

  18. Die Vielfalt der Sprachen • Der Mythos von Babel löst die Diskrepanz zwischen dieser ein für alle Mal von Adam angelegten Benennung und der nicht übersehbaren Diversität der Sprachen. Im Abschnitt 11 des Buches Genesis wird gesagt: „Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache“. Diese Einigkeit gipfelt in der Hybris des Turmbaus zu Babel, den Gott verhindert: • „Und der Herr sprach: Siehe es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des anderen Sprache verstehe! So zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder, dass sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen.“

  19. Der Mythos von den Weltaltern • In der hellenischen Antike wird dieser Mythos von Hesiod (griechischer Epiker, 7. Jh. v. Chr.) berichtet. Nach ihm schufen die unsterblichen Götter die redenden Menschen, ein Geschlecht, das wie im Paradies lebte (im goldenen Zeitalter); es wurde durch weniger glückliche Geschlechter (im silbernen und erzenen Zeitalter) abgelöst. • Ab dem 6. Jh. v.Chr. bildeten sich alternative Sichtweise heraus, die entweder auf natürliche Prozesse (in der Naturphilosophie beschrieben), auf pure Willkür (bei den Sophisten) oder auf einen Dämon, eine innere Seelenkraft, letztlich auf die Vernunft (bei Sokrates) setzten. • Letztere Ansicht ist eigentlich eine Weiterentwicklung religiöser Vorstellungen. Dennoch erlitt Sokrates die Todesstrafe wegen Gotteslästerung und Verführung der Jugend.

  20. Beitrag der Renaissance • Die Renaissance brachte schließlich das antike Erbe (von Ägypten über den Hellenismus bis zur römischen Spätantike) wieder zur Geltung. • Die Naturalisierung der Ursprungsfrage prägte nach den Wirren von Reformation und Gegenreformation die Philosophen des 17. Jh. (im Mechanismus von Descartes und im Empirismus von Locke). Zentrales Thema der Philosophie wurde die Ursprungsfrage aber erst mit Condillac, Rousseau und Herder im 18. Jh. Im Prinzip kann man diese Denklinie mit den Ansätzen in der Antike verbinden, d.h. sie setzt die anti-mythologischen (aufklärerischen) Ansätze in Griechenland des 5. vorchristlichen Jh.s fort.

  21. Sprachursprungstheorien des 18. Jahrhunderts • Die naturrechtliche Komponente wird bereits bei Samuel Freiherr von Pufendorf (1632-1694) deutlich. In seinem Hauptwerk „De jure naturae et gentium libri octo“, 1672, bringt er den Ursprung der Sprache in Zusammenhang mit der kulturellen und sozialen Evolution nach Lukrez und mit der Gesellschaftsphilosophie von Hobbes (1588-1679). In den Kapiteln zur Sprache übernimmt Pufendorf die Begründung des Lukrez „Bedürfnis errang der Dinge Benamung“ und weist eine „impositio“, d.h. Einsetzung der Namen ab; dieser würde die gesellschaftliche (oder gar die allgemeine) Gültigkeit fehlen. Einerseits gibt die Natur Sachverhalte vor, die für den Menschen relevant werden, so dass er davon eine Vorstellung bildet. Konstitutiv für die Sprache ist aber ein gesellschaftlicher Konsens, dem das Bedürfnis der gegenseitigen Hilfe zu Grunde liegt, d.h. die Sprache setzt die Gesellschaft und diese die Sprache voraus.

  22. Ursprungsmodelle der Aufklärung • Die sensualistisch-empiristischen Ansätze und die Konzeption, dass die Sprache eine Antwort auf grundlegende Bedürfnisse ist (und natürlich auf deren Unterschiedlichkeit und Veränderung), ist sehr klar bei Condillac ausgeprägt. Dessen « Essai sur l’origine des connaissances humaines » erschien 1746. Er lässt den Menschen sich stufenweise über den Zustand des Tieres erheben. Im sozialen Verkehr teilen sich die Menschen ihre Bedürfnisse durch natürliche Laute und Gesten mit. Es kommt zu einer Koevolution des Denkens und der Zeichen, wobei letztere insbesondere die Gedächtnisfähigkeiten außerordentlich erweitern. Später wird die Sprache der natürlichen Empfindungen und der Gesten durch eine organisierte Lautsprache ergänzt, weiterentwickelt, und schließlich werden in den heutigen Sprachen die Bereiche von Mimik und Gestik zurückgedrängt (dies ist die These des gestischen Ursprungs der Lautsprache).

  23. Ursprung der Sprache aus der Leidenschaft • Jean Jacques Rousseau (1712-1778) entwickelt eine pessimistische Kulturtheorie, nach der der Mensch für die kulturelle Entwicklung mit moralischem Verfall „zahlen“ muss. Im Zusammenhang seiner 1756 publizierten Schrift « Discours sur l’origine et les fondement de l’inégalité parmi les hommes » verfasste er ein Kapitel über den Sprachursprung, das posthum (1781) publiziert wurde. • In Abgrenzung zu Condillac, dessen wissenschaftliche Ergebnisse er im Detail anerkennt, stellt Rousseau eine alternative Konzeption vor, bei der die Emotion, die Leidenschaft und nicht Wahrnehmungen und Bedürfnisse zur Entstehung der Sprache geführt hätten. Diese stehe somit der Musik näher als der darstellenden Kunst und sei im Prinzip figurativ, d.h. die Metapher sei der Grundtypus des Bedeutens gewesen noch bevor es präzise Denominationen und Beschreibungen gab.

  24. Johann Gottfried Herder (1744-1803) • Er steht zwischen französischer Aufklärung und beginnender Romantik, zwischen Kant und seinen Kritikern, z.B. dem schwärmerisch, dunklen Hamann. Auch seine Theorie(n) des Sprachursprungs sind Zwitterwesen. • Ein starker Nebeneffekt der engen Verbindung des sich entwickelndem Verstandes und der Sprache ist ein Sprachrelativismus des Denkens. • In der Konsequenz der Verschiedenartigkeit der Sprachen kann dann eine kulturelle Verschiedenheit des Denkens (der Völker) angenommen werden. • Das Denkens wird als inneres Sprechen („seine Kette von Gedanken wird eine Kette von Worten“, ibidem: 85) charakterisiert.

  25. Evolutionstheorie vor und bis Darwin • Die naturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Ursprung von Pflanze, Tier und Mensch, kann bei Carl von Linné als Nullpunkt ansetzen. In seiner großen Systematik der Pflanzen und Tiere von 1737 versucht er die Klassifikationen, die seit der Antike üblich waren, z.B. in der Zoologie und Botanik des Aristoteles, auf eine exakte, d.h. auf natürliche, überprüfbare Merkmale achtende Beobachtungsbasis zu stellen. • Systematischeren Zweifel an der Konstanz der Arten äußerte seit 1800 Jean Baptiste de Lamarck. Er griff auf die seit der Antike akzeptierte Lehre vom natürlichen Drang aller Wesen nach Vervollkommnung zurück. Veränderte Umweltbedingungen zwängen die Tiere, sich in bestimmter Weise zu vervollkommnen.

  26. Aufhebung der Konstanz der Arten • Die Fortschritte der Geologie zwangen die Wissenschaftler zur Aufgabe der Hypothese von der Konstanz der Arten, da sie in verschiedenen geologischen Schichten aufeinander folgende und verschiedene Tier- und Pflanzenwelten nachweisen konnten. • George Cuvier (1769-1832) versuchte, naturwissenschaftliche Evidenz und Schöpfungslehre durch seine „Katastrophentheorie“ zu versöhnen. In verschiedenen Erdepochen lebten danach jeweils unterschiedliche, in der jeweiligen Epoche konstante Arten. In einzelnen Katastrophen (vergleichbar der Sintflut) wurden diese Arten ausgelöscht und eine neue Welt von Pflanzen und Tieren wurde geschaffen.

  27. Vor dem Eklat • Die zugrunde liegende geologische Hypothese einer Folge von Katastrophen als alleinige und punktuelle Ursache der Veränderung wurde durch den Geolo-gen Charles Lyell (1797-1875) insbesondere in seinem Hauptwerk „Principles of Geology“ demon-tiert. Stattdessen wurde die Hypothese eines kon-tinuierlichen Wandels aufgestellt (ein philosophischer Vertreter des Kontinuitätsgedanken war bereits im 17. Jh. Leibniz). Die Situation war also nach 1830 angespannt, die alten Theorien (z.B. Cuviers) und damit der Einklang mit dem Schöpfungsbericht schienen unhaltbar und man wartete in Wissen-schaftlerkreisen auf einen Eklat. Diesen brachte Darwins Buch über die Entstehung der Arten 1859. • Gould (2002) vertritt heute erneut eine Diskontinuitäts-Hypothese; er spricht von „punctuated equilibria“.

  28. Darwin: der Beginn einer Theorie des Sprachursprungs • Unmittelbar nach seinem Buch zur Abstammung des Menschen (1871) veröffentlichte Darwin ein Buch über den „Ausdruck der Gemütsbewegungen bei Menschen und Tieren“ („The Expression of Emotion in Man and Animals“). Bereits früher hatte Darwin darauf hingewiesen (ibidem: 150), dass Affe und Mensch nicht nur körperliche Ähnlichkeiten und Ähnlichkeiten des Geschmacks und der Anfälligkeit für Parasiten aufweisen, auch das Weinen und Lachen, also grundlegende Ausdrucksmuster, weisen auf eine Verwandtschaft hin. • Nach 1872 verbesserte und erweiterte Darwin zwar die weiteren Auflagen der beiden Bücher zur Evolution, er zog sich aber aus der immer heftiger werdenden öffentlichen Diskussion zurück.

  29. Aktuelle Modelle des Sprachursprungs oder nur neue Mythen? • Mit der Entwicklung der Genetik wurde die Darwin’sche Theorie zur so genannten „Synthe-tischen Theorie“ vervollständigt (Fisher, 1930). • Die Populationsgenetik (Cavalli-Sforza, 1996) und die Analyse der DNA (Mitochondrien- und Kern-DNA) lebender oder ausgestorbener Populationen hat um die Millenniumswende eine Situation geschaffen, in der Fragen nach dem Ursprung des Menschen, seiner Kultur und Sprache zumindest im Ansatz mit naturwissenschaftlichen Methoden angegangen werden können.

  30. Folgende Fakten sind Eckpunkte jeder zukünftigen Erklärung: • Der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Schimpanse (dem nächststehenden Primaten) lebte vor ca. 5-7 Millionen Jahren. Die vergleichende Verhaltensforschung kann davon ausgehend versuchen, das Kommunikations- und Sozial-verhalten unserer Vorfahren: Australopithecus – Homo habilis/erectus/ergaster – Homo sapiens (archaischer Typus) abzuschätzen. • Die Mutationsrate der Mitochondrien-DNA erlaubt eine Berechnung der Ausgangspopulation aller heute lebender menschlicher Populationen vor 400-200 000 Jahre (mindestes 10 000 Personen).

  31. Der moderne Mensch ist vor etwa 80. 000 Jahren aus Afrika nach Eurasien eingewan- dert (nach Europa erst vor 40.000 Jahren). Seine Anatomie (auch die des rekonstruier-baren Artikulationstraktes) ist weitgehend mit der des heutigen Menschen identisch. • Eine ausgefeilte Werkzeugtechnik und eine hochentwickelte Höhlenkunst existierte mindestens seit 70. 000 bzw. 35.000Jahren. • Diese Daten ergeben die folgende grobe Zeitskala für einzelne Evolutionsstufen der menschlichen Sprache:

  32. Evolutionäre Zeitskala Grobe Skala evolutionärer Ereignisse mit möglichem Bezug zur Evolution der Sprache.

  33. Parallelen zwischen Mythen und aktuellen Modellvorschlägen • Mensch und Affe werden als Varianten angesehen (vergleichbar mit erwähnten Mythen). • Condillacs „Sprache des Handelns“ und die Nähe der Gesten zur Sprache etwa von Taubstummen wird heute als „gestischer Ursprung“ wieder aufgenom-men. • Die Hierarchie der kognitiven Fähigkeiten – kulminiert in der Sprachfähigkeit – (einige Mythen und Condillacs sensualistischer Ansatz). Die Rolle des Gehirns hat auch Herder in seiner Spätschrift („Ideen“) hervorgehoben. Die sog. „spandrel“-Modelle sehen in der Evolution der Sprache einen Nebeneffekt der Evolution des Gehirns.

  34. Einschränkende Bedingungen für jedes wissenschaftliche Modell des Sprachursprungs Auch Mythen unterliegen Einschränkungen, die sich z.B. in der bevorzugten Abfolge der Schöpfungsschritte oder in der Technik der Formgebung (z.B. aus Lehm) und der Beseelung (durch den Odem Gottes) zeigen. Häufig spielen auch Einheitlichkeit (gemeinsamer Ursprung) und Diversität (Divergenz) menschlicher Sprachen eine Rolle. Im 18. Jh. kamen der Vergleich mit Tiersprachen, die Berücksichtigung der großen anthropologischen Variabilität der Kulturen und Sprachen und die Analyse von Ausfallserscheinungen: Kaspar-Hauser-Fälle, Taubstumme sowie Erkenntnisse zur Rolle des Gehirns für die Sprache hinzu.

  35. Der Sprung vom Mythos zum Modell • Die Erklärung muss im Rahmen einer mehrfach abgestützten Theorie, in unserem Falle der synthetische Theorie, d.h. der aktuellen Fassung der Evolutionstheorie Darwins (seit 1959), erfolgen. Dies bedeutet, dass Veränderungen auf zufällige Mutationen und deren epigenetische Folgen zurückzuführen sind. • Alle Funktionen, Wirkungen sind durch einen Selektionsprozess zu erklären, der allerdings auf sehr unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann: • durch innerkörperliche (oder gar molekulare) Selektion, • durch sexuelle Selektion (Präferenz für saliente Eigenschaften) • Durch die Reaktion auf Naturkatastrophen und Klimaänderungen.

  36. Für die jeweilige Selektionsform müssen Submodelle mit realistischen Zeitspannen für die Interaktion von Mutationen (deren Expression) und Selektion. • Der sog. „drift“, zufälliger Verlust von Varianten, muss berücksichtigt werden. • Die Selektion sozialen und insbesondere altruistischen Verhaltens muss erklärt werden. • Wegen der statistischen Natur der Mutationen und der Dynamik von Selbstorganisationsprozessen sollten diese Modelle eine mathematische Form haben und am Rechner simulierbar sein.

  37. Aktuelle Probleme • Die weitere Entwicklung in der Sprachursprungsforschung hängt entscheidend davon ab, ob harte einschränkende Bedingungen und exakte (mathematisierte) Submodelle, deren Voraussagen falsifizierbar sind, gefunden werden. • Sie verbietet Deus-ex-machina-Lösungen und muss ähnliche ad-hoc-Erklärungen abwehren und damit klare Bewertungs-maßstäbe für wissenschaftliche Modelle schaffen. • Wesentliche Informationen fehlen allerdings und müssen entweder durch Zufallsfunde ergänzt werden oder durch neue Techniken aus vorhandenen Daten extrahiert werden. Insbesondere fehlen Informationen über: • Die kulturelle und soziale Evolution von 100.000 bis 40.000. • Den Ausbreitungsweg „out of Africa“ nach 80.000 und über die klturelle/soziale Entwicklung auf diesem Weg. • Zu möglichen Rückwanderungen nach Afrika und zum Gen- bzw. Kulturaustausch mit anderen Arten, die sich aus der Homo erectus Population entwickelt haben (z.B. den Neandertalern).

  38. Die funktionale Kontinuität zwischen Mythen und Modellen • Der Mythos hat die Funktion einer Fundierung des Heute, des unmittelbar Gegebenen in einer Realität „illo tempo“. Er enthebt das Phänomen, in unserem Falle die Sprache, der Zufälligkeiten, der Bewertungsschwankungen in der Jetzt-Zeit und schafft ein nicht kritisierbares Ideal, an dem jetziges Verhalten gemessen werden kann. • Die wissenschaftliche Theorie führt diese Strategie inso-fern fort, als sie eine Architektur der (kausalen) Begrün-dung aufbaut, für die ein letztes Fundament postuliert werden muss. Wegen der Position solcher Postulate am Anfang einer Begründungskette können sie aber nur geglaubt werden. • Verändert man dieses Fundament, etwa bei einem Paradigmenwechsel, wird diese letzte „Wahrheit“ zum billigen Konstrukt; die Theorie wird demystifiziert.

  39. In der Logik dieser Interpretation sind alle Antworten auf die Ursprungsfrage Mythen und zugleich notwendige Schlusssteine eines theoretischen Fundierungsprozesses. • Das Resultat des Fundierungsversuches erscheint einerseits als eine besondere Leistung und somit als gewichtig, es ist aber andererseits labil, so dass ein schneller Wechsel der Bewertung von hoher Bedeutsamkeit zum trivialen Konstrukt stattfinden kann.

  40. Dennoch gibt es immer mehr Methoden und Argumentationsarchitekturen, welche die Variation der Modelle im Hinblick auf eine zunehmende „Verbesserung“ und auf eine zukünftige Brauchbarkeit gestatten. • Diese Kumulation von Lernfortschritten ist allerdings in den Naturwissenschaften wesentlich stärker entwickelt als in den Geistes- und Kulturwissenschaften. • So notwendig der Begründungsdiskurs für die Wissenschaft ist, so beinhaltet er doch auch ein Moment der Machtergreifung, die dem Gestus des Mythen-Erzeugens nicht unähnlich ist.

  41. Cassirer, Ernst. 1946, Language and Myth. New York/ London. Condillac, Etienne Bonnot de, 1746/1973. Essai sur l’origine des connaissances humaines. Paris: Galilée [Erstausgabe 1746]. Darwin, Charles, 1859. On the Origin of Species by means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life. London (deutsch: 1960, Stuttgart). Darwin, Charles, 1872/1969. The Expression of the Emotions in Man and Animals. [Reprint, Brüssel 1969; Erstausgabe London 1872]. Gould, Stephen Jay, 2002. The Structure of Evolutionary Theory, Belknap Press, Cambridge (Mass.). Herder, Johann Gottfried, 1770/1966. Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Stuttgart: Reclam. Einige bibliographische Hinweise

  42. Herder, Johann Gottfried, 1784/1966. Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Melzer, Darmstadt (Erster Teil, 3. bis 5. Buch). • Lincoln, Bruce, 1999. Theorizing myth. Narrative, ideology, and scholarship. University of Chicago Press, Chicago. • Maynard Smith, John und Eörs Szathmary, 1999. The Major Transitions in Evolution, Freeman, New York. • Wildgen, Wolfgang, 2003. Die Repräsentation von Mensch, Tier (und Pflanze) und ihres Verhältnisses seit der Antike. In Freudenberger, Silja & Hans Jörg Sand-kühler (Eds.), Repräsentation, Krise der Repräsen-tation, Paradigmenwechsel. Frankfurt: Lang: 301-340. • Wildgen, Wolfgang, 2004. The Evolution of Human Languages. Scenarios, Principles, and Cultural Dyna-mics. Benjamins, Amsterdam. • Wildgen, Wolfgang, 2006. The Semiotic Hypercycle and the Run-Away Process of Linguistic (Symbolic) Evolution, Conference: Cradle of Language, Stellenbosch (RSA), 7.11.2006.

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