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Autonomieentwicklung im Jugendalter. Friedrich-Schiller-Universität Jena Seminar: Entwicklung im Jugendalter Semester: WS 09/10 Seminarleiter: PD Dr. Eva Schmitt- Rodermund Referenten: Constanze Doering und Nicol Drechsel. Gliederung. 1. Allgemeines
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Autonomieentwicklung im Jugendalter Friedrich-Schiller-Universität Jena Seminar: Entwicklung im Jugendalter Semester: WS 09/10 Seminarleiter: PD Dr. Eva Schmitt-Rodermund Referenten: Constanze Doering und Nicol Drechsel
Gliederung 1. Allgemeines 2. Die Entwicklung von Autonomie im Jugendalter 3. Stufentheorie des moralischen Verhaltens - Kohlbergs Dilemmata 4. Theorien zum Verlauf der Autonomieentwicklung 5. Die Rolle von Konflikten 6. Studie
1. Allgemeines Autonomiebegriff • Autonomie = Prozess, in dem das eigene Handeln und Erleben als zunehmend unabhängig vom Handeln und Erleben anderer Personen begriffen wird eingeschätzten aktuellen Zustand + gewünschte Zustand der Unabhängigkeit • Autonomieentwicklung: Person bildet zunehmend individuellen Besonderheiten heraus
Befunde zur Autonomieentwicklung: • Unklar wie genau Prozess der Entwicklung angestoßen wird: wechselseitiges Verstärken körperlicher und sozialer Faktoren -findet in allen Kontexten statt, in denen Jugendliche agieren • Familie als Plattform, von der aus die explorativen Aktivitäten erfolgen
Zunehmende Orientierung an Gleichaltrigen • Empfänglich für direkte u. indirekte Einflüsse • Themen: Freizeit, Sexualität, Beziehungen vs. Eltern: zukunftsorientierte Fragen • Eltern: Übertragung von rechten und Pflichten elterliche Kontrolle • Bezugsgruppen tragen dazu bei Autonomieentwicklung in Gang zu bringen
2. Die Entwicklung von Autonomie im Jugendalter • Steinberg (2005) unterscheidet zwischen emotionaler, kognitiver und Verhaltens-Autonomie
= die Abgrenzung des eigenen Ichs von dem der anderen Familienmitglieder, insbesondere der Eltern • 3 Facetten: • (1) „Verteidigung der Territorien des Selbst“ • - materielle (z.B. Taschengeld) • räumliche (z.B. eigenes Zimmer) • zeitliche (z.B. Zubettgehen) • psychische (z.B. Briefgeheimnis) • (2) „Deidealisierung“ • - Jugendliche erkennen, dass Eltern nicht allwissend und allmächtig sind • (3) „Selbstbehauptung“ • - Bewusstsein des eigenen Standpunktes und den Willen und die Fähigkeit diesen zu behaupten • Aspekte emotionaler Autonomie weitgehend unkorreliert • Emotionale Autonomie
= die Fähigkeit zur Bewältigung der meisten Alltagsroutinen ohne Eltern (hier ergeben sich Altersabhängigkeiten) - Mit zunehmenden Alter schätzen Jugendliche mehr Risiken ein und sind sich möglicher Konsequenzen bewusster - Offene Frage: Wann ist ein Kind „reif“ für bestimmte Entscheidungen? z.B. Pille nehmen oder allein in den Urlaub fliegen Emotionale und Verhaltens-Autonomie erfolgen besonders deutlich in der frühen und mittleren Adoleszenz • Verhaltensautonomie
= die Ausbildung eigener Meinungen und Werthaltungen • - Die Ausbildung autonomer moralischer, politischer und religiöser Überzeugungen finden in der Späteren Adoleszenz statt • - Autonome Moral entsteht aus der Selbststeuerung und aus inneren Überzeugungen über die Notwendigkeit des Respekts für andere Menschen • Kohlbergs Stufentheorie des moralischen Verhaltens • Kognitive Autonomie
3. Stufentheorie des moralischen Verhaltens - Kohlbergs Dilemmata = kognitive Entwicklungstheorie des moralischen Urteils von L. Kohlberg moralisches Urteilen baut auf der kognitiven Entwicklung auf (man muss also erst logisch denken können, bevor man moralisch urteilen und handeln kann) - Theorie: das Moralbewusstsein beim Menschen entwickelt sich stufenweise in immer derselben Reihenfolge - jeder Mensch durchläuft die Entwicklungsstufen des moralischen Bewusstseins, aber nicht alle Menschen erreichen die höheren Stufen des Moralbewusstseins
- mit „moralischen Dilemmata“ untersuchte Kohlberg die moralische Entwicklung des Menschen • VP wurden 10 hypothetische Dilemmata vorgelegt (moralische Problemstellungen) • Alle Dilemmata handeln jeweils von zwei sich widersprechenden, nicht zu vereinbarenden moralischen Normen • - Kohlberg führt eine Analyse der Struktur des moralischen Urteils durch: die Argumente bzw. Begründungen für die jeweilige Entscheidungsrichtung sind entscheidend • Seine Theorie unterscheidet nicht in moralisch „gute“ und moralisch „schlechte“ Entscheidungen • Ermittlung moralischer Urteile
„Heinz-Dilemma“ (geläufigste Geschichte) und „Joe-Dilemma“ 1. Bitte lest die Geschichte! 2. Überlegt, wie Ihr die Fragen beantworten würdet und diskutiert dies mit eurem Nachbarn! ca. 10 Minuten
Voraussetzungen um von einer Stufe des Moralbewusstseins zur nächsten zu gelangen: • Erweiterung der sozialen Perspektive • Verbesserung der moralischen Selbstbestimmung (lernen moralische Normen zu hinterfragen und zu begründen) • Verbesserung der Begründung seines Handelns (hin zum Normbegründungskonzept und weg von der egozentrischen Lust/Unlust-Begründung) • Die Stufen des Moralbewusstseins
Präkonventionelle Ebene Entspricht dem Niveau von den meisten Kindern bis zum 9. LJ., einiger Jugendlicher und vieler jugendlicher und erwachsener Straftäter 1. Stufe – Die Orientierung an Strafe und Gehorsam 2. Stufe – Die instrumentell-relativistische Orientierung Konventinelle Ebene -> ein Großteil der Jugendlichen und Erwachsenen 3. Stufe – Die interpersonale Konkordanz- oder „good boy/ nice girl“-Orientierung 4. Stufe – Die Orientierung an Gesetz und Ordnung • 3 Hauptniveaus des moralischen Urteilens mit jeweils 2 Unterstufen
Zwischen- bzw. Übergangsstufe 4 ½. Stufe Postkonventionelle Ebene Nur eine Minderheit von Erwachsenen erreicht diese Ebene und meist nach 20. LJ. 5. Stufe – Die legalistische Orientierung am Sozialvertrag 6. Stufe – Die Orientierung am universalen ethischen Prinzip
„Heinz-Dilemma“ und „Joe-Dilemma“ 3. Wie findet Ihr die Methode zur Bestimmung der jeweiligen Entwicklungsstufe des Moralbewusstseins, in der sich die VP befindet?
4. Theorien zum Verlauf der Autonomieentwicklung Evolutionäre Theorien: Entwicklung von Autonomie im Hinblick auf Erhöhung der reproduktiven Fitness Psychoanalytisch geprägte Konflikttheorien: Körperliche Reifung Verlagerung Libido von Eltern auf Personen anderen Geschlechts Bindungstheorie: Bedeutung andauernder Bindung der Jugendlichen an Eltern für Autonomieentwicklung
Individuationstheorien: • Individuation= heranwachsende Person übernimmt für sich selbst und ihre Handlungen zunehmend Verantwortung • Andauern Verbundenheit + persönliche Individualität der Jugendlichen durch Abgrenzung
5. Die Rolle von Konflikten • Konflikte: bringen • Autonomiestreben zur Geltung • und handeln neue • Beziehungsformen aus • - Anstieg von Konflikten: Vorstellung über Verantwortlichkeit ausgehandelt • Jugendlichen: Verhalten das persönlichen Stil betrifft • Eltern: moralische Normen • Jugendliche versuchen argumentativ ihre Selbstständigkeit gegenüber Eltern zu betonen • Handlungsziele erreichen • Unabhängigkeit verschaffen
mittleres Ausmaß an Konflikten= entwicklungsförderlich • „Syndrom“ das Autonomieentwicklung fördert: sichere, stabile Bindung der Kinder, autoritativer Erziehungsstil mit hoher Wärme und Autonomieförderung, Austauschen unterschiedlicher Meinungen, Aushandeln von neuen Freiheiten und Verantwortlichkeiten
6. Studie • Autonomy and Relatedness in Family Interactions as Predictors of Expressions of Negative Adolescent Affect Von Joseph P. Allen, Stuart T. Hauser, Charlene Eickholt, Kathy L. Bell, and Thomas G. O´Connor
Einleitung • Ausdruck negativer Emotionen durch internalisierende Symptome oder externalisierendes Verhalten • Verstärktes Auftreten in der Jugend • externalisierendes Verhalten: zeigt nach außen gerichtetes negatives Verhalten z.B. Lügen, Streiten, Stehlen, Zerstören • internalisierendes Verhalten: Symptome und Verhalten innerlicher Natur z.B. Konzentrationsschwierigkeiten, Gefühl von Traurigkeit, Ängste
Studie untersucht ob sich Depressionen und negative Affekte bei Jugendlichen aufgrund von Familieninteraktionen vorhersagen lassen
3 Verhaltenstypen: a) autonome Verbundenheit Gründe für Meinungsverschiedenheiten diskutieren, offene Meinungsäußerung, aktives Zuhören, Akzeptieren anderer Standpunkte b) gehemmte Autonomie Druck auf den anderen ausüben, nicht zu Wort kommen lassen, Kontrolle c) gehemmte Verbundenheit Ausdruck von Feindseligkeit, Ignorieren des Anderen, Nähe vermeiden
Annahmen • Schwierigkeiten Autonomie und Verbundenheit herzustellen hängen zusammen mit depressiven Affekt und externalisierendem Verhalten • Es wird vermutet, dass Depression und internalisierendes Verhalten mit dem Fehlverhalten der Eltern zusammen hängen (zu geringe Autonomiegewährung)
Mangel an Verbundenheit externalisierendes und problematisches Verhalten wird wahrscheinlicher • Depressives und internalisierendes Verhalten Mangel an Autonomie • Externalisierendes Verhalten Mangel an Verbundenheit
Methode • Längsschnittstudie: VP: 96 weiße Jugendliche ( 46 m, 50 w) und deren Eltern • 47 aus highschool • 49 in psychiatrischer Behandlung 3 Untersuchungszeitpunkte: • MW=14,4 Jahre • MW=16,7 Jahre • MW=17,5 Jahre
73% der Jugendlichen aus Ein-Eltern-Familien • 62,5% aus Zwei-Eltern-Familien
Vorgehensweise • Bewertungen anhand von: • Selbstberichten der Jugendlichen • Semistrukturierete Interviews • Aufgaben zu familiären Interaktionen Vgl. Kohlbergs Dilemmata
Maßnahmen • Autonomy and Relatedness Coding System - Untersucht autonomiefördernde und -hemmende Reden und die Verbundenheit in familiären Interaktionen • 3 Verhaltenstypen wurden kodiert auf jeweils einer Skala von 0-4
Self-reportedinternalizingandexternalizingsymptoms YSR: 102 Items (Liste von Verhaltensproblemen in den letzten 6 Monaten) • Externalisierende und internalisierenden Faktoren
Observer-rated depressive affect - Unabhängiger Beobachter: 1 h, offenes, semistruktuiertes Interview - Interview: Gedanken und Gefühle in verschiedenen Bereichen und Aussagen über Erwartungen und Hoffnungen für die Zukunft - Bewertung: audiotapes, Protokolle, California Adult Q-set Form III
Resultate • Vorausgehende Analysen - Negatives externalisierendes und internalisierendes Verhalten korrelieren positiv miteinander
Einfache längsschnittliche Vorhersagen • Mangel autonomer Verbundenheit kann vorhergesagt werden durch beobachtungsbewerteten negativen Affekt und selbstberichtetes externalisiertes Verhalten
Regressionsanalysen • Geschlecht und Familienstruktur wurden kontrolliert • Beispielgleichung: • Jugendlicher depressiver Affekt wird vorhergesagt durch • Geschlecht und Familienstruktur und • durch die 3 Verhaltensmaße des Jugendlichen zur Mutter mit 14 Jahren • Tabelle 2: Verhalten Jugendlicher gegenüber Eltern mit 14 um depressiven Affekt mit 16 vorherzusagen • Tabelle 3: Verhalten Jugendlicher gegenüber Eltern mit 16 um depressiven Affekt mit 16 vorherzusagen • Vorhersage depressiver Affekte unter Berücksichtigung demographischer Faktoren
Hinweis das Jugendliche in Ein-Eltern-Familien mehr depressive Affekte haben als Jugendliche in Zwei-Eltern-Familien • Mit 16: die gehemmte Verbundenheit in Familieninteraktionen hängt negativ mit depressiven Affekt zusammen
Vorhersage externalisierendem und internalisierendem Verhaltens unter Betrachtung demographischer Faktoren
Je höher gehemmte Verbundenheit: umso höher Level externalisierenden Verhaltens umso geringer depressiver Affekt
Vorhersage depressiven Affekts und externalisierendem Verhaltens unter Berpcksichtigung vorangehender Psychiatrischen Geschichte
Depressiver Affekt (17) vorhergesagt nach früherer psychischer Behandlung und dem Verhalten Eltern gegenüber Jugendlichen (16) • Assoziiert mit depressivem Affekt: geringe autonome Verbundenheit hohe gehemmte Verbundenheit zu Mutter • Externalisierendes Verhalten (17) vorhergesagt durch Verhalten (16) zu Mutter
Diskussion • Negativer Affekt in Jugend hängt zusammen mit Schwierigkeiten in der Entwicklungsherausforderung Autonomie aufzubauen und Verbundenheit aufrecht zu erhalten
Depressiver Affekt ist auch verbunden mit Vermeidung bzw. Hemmung von Autonomie • liegt nicht an Mangel an Verbundenheit, sondern einem Mangel an Autonomie in der Eltern-Jugend-Beziehung - Depressive Jugendliche zeigen geringes verbundenheits-gehemmtes Verhalten • Depressive Jugendliche zeigen weniger aversives familiäres Verhalten als verhaltensgestörte Jugendliche
Selbstberichtetes externalisierendes Verhalten: • hängt vor allem mit Schwierigkeiten der Verbundenheit zusammen • Keine Beziehung zwischen Familieninteraktion und selbstberichtetem internalisierendem Verhalten der Jugendlichen
Keine statistischen Interaktionen zwischen Geschlecht, Familientyp und psychiatrischer Vorgeschichte keine allg. Interpretationen möglich, da SP zu klein Faktoren wichtig für Vorhersage negativer Affekte
Generalisierung der Ergebnisse schwierig spezifische SP (keine Randomisierung) Replikationen mit anderen Familientypen, breiteren demographischen Faktoren, größerer SP und über längere Zeiträume notwendig - Herstellung von Autonomie und Verbundenheit in Familien hilfreich, um unterschiedliche Aspekte negativen Affekts zu charakterisieren