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Entscheiden in kritischen Situationen

Entscheiden in kritischen Situationen Herausforderungen und Handlungsempfehlungen für die öffentliche Verwaltung 16. Europäischer Verwaltungskongress Bremen 2010 Stefan Strohschneider. Gliederung: Entscheidungsforschung: „ old look “ und „ new look “

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Entscheiden in kritischen Situationen

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Presentation Transcript


  1. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation Entscheiden in kritischen Situationen Herausforderungen und Handlungsempfehlungen für die öffentliche Verwaltung 16. Europäischer Verwaltungskongress Bremen 2010 Stefan Strohschneider

  2. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • Gliederung: • Entscheidungsforschung: „oldlook“ und „newlook“ • Die Situation der Führungskraft bei kritischen Entscheidungen • Beiträge verschiedener Forschungsfelder: • Komplexes Problemlösen • High-reliability/high-efficiency Teams • Human Factors-Forschung • Kulturvergleichende Perspektive • Motivations- und Emotionspsychologie • Praktische Schlussfolgerungen: Handlungsempfehlungen

  3. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation 1. Entscheidungsforschung: „old look“ und „new look“ • Der „old look“ der Entscheidungstheorie • Suche nach n ≥ 2 Entscheidungsalternativen • Bewertung der Alternativen nach Kosten und Nutzen • Entscheidung für eine Alternative • Annahmen des Modells • Vollständig sachrationales Denken • Vergleichbarkeit der Analysekriterien und Bewertungsmaßstäbe • Stabile, prognostizierbare Umwelt

  4. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • Hochrisikoumwelten* und der Tod des „old look“ • Menschen entscheiden intuitiv, ohne sachrationale Analyse • Entscheidungsdimensionen werden irregulär und ungleich gewichtet • Es werden keine Entscheidungsalternativen gesucht, sondern Methoden angewendet • Es gibt so etwas wie „Entscheidungslähmung“ • Menschen machen in allen Phasen desEntscheidungsprozesses (im nachhinein)ganz unglaubliche Fehler *: Hochrisikoumwelten:Arbeitsfelder, in denen durch falsche EntscheidungenGefahr für Leib und Leben von Menschen entstehen kann,z.B. Luftfahrt, Ölindustrie, Militär, Atomindustrie, Medizin, …

  5. Umwelteigenschaften

  6. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • Der „new look“ der Entscheidungsforschung • Bei Entscheidungen in kritischen Situationen … • … wägen Menschen keine Alternativen gegeneinander ab, sondern gehen mit klaren Präferenzen in die Entscheidungsfindung • … spielen persönliche Motive, Emotionen und der soziale Kontext eine entscheidende Rolle • … folgen Menschen lokalen Rationalitäten, die oft konträr zur sachlichen Rationalität laufen • … spielt der Zwang zur Komplexitätsreduktion oft eine entscheidende Rolle • … sind Entscheidungen keine punktuellen Ereignisse, sondern in längere Problembewältigungssequenzen eingebettet.

  7. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation 2. Die Situation der Führungskraft in kritischen Situationen

  8. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • 2. Die Situation der Führungskraft in kritischen Situationen • Erhebliche Unsicherheit in jeglicher Hinsicht: • Lage? • Mögliche Entscheidungsalternativen und ihre Konsequenzen? • Risiken? • Rechtlich verankerte Pflichten und Verantwortlichkeiten • Markant geänderte Führungserwartungen des eigenen Umfelds. • Möglicherweise persönliche Betroffenheit durch die reale Gefährdung Schutzbefohlener. • Kaum Erfahrungen mit der eigenen Reaktionstendenz in der Krise, noch mit der der Mitarbeiter. • Unklarheit über die persönlichen Konsequenzen eventueller Fehlentscheidungen. • Möglicherweise Erlebnisse des Kontrollverlustes samt der damit verbundenen psychischen Konsequenzen.

  9. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation 3. Beiträge verschiedener Forschungsfelder • (a) Komplexes Problemlösen • Untersuchung des menschlichen Umgangs mit unbestimmten, komplexen und dynamischen Problemen • Laborforschung, Entwicklung interaktiver, dynamischer Computersimulationen • Dietrich Dörner: Lohhausen-Studie • „Die Logik des Mißlingens“

  10. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • Komplexes Problemlösen • „Entscheiden in kritischen Situationen“ heißt, eine ganze Sequenz von Problemlöseaktivitäten strukturiert abzuarbeiten: These von den „Sieben Kreuzwegstationen“

  11. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • Komplexes Problemlösen • These von der „Notfallreaktion des Kognitiven Systems“ Veränderungen im Handeln, u.a. Methodismus, vertikale Flucht, horizontale Flucht operative Hektik Notfallreaktion des Kognitiven Systems kognitive Veränderungen, u.a.: Reduktion der Informationsaufnahme Tunneldenken „Zerschlagung des Systems“, einfaktorielles Denken Dogmatische Verschanzung physiologisch-emotionale Veränderungen: starke Stresssymptome Aggresivität - Lethargie

  12. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation 3. Beiträge verschiedener Forschungsfelder • (b) High-reliability/high-effiency Teams • Untersuchung der Funktionsweise von zuverlässig funktionierenden Hochleistungsteams wie z.B. Symphonieorchester, Kampfflugzeugbesatzungen, F1-Boxenteams, Besatzungen von Rennsegelyachten • Feldforschung • „bestpractice“-Orientierung

  13. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • (b) High-reliability/high-effiency Teams • Was zeichnet gut funktionierende Teams aus? Unter anderem: • Sehr viel Übung • Sorgsamer, bedachtsamer, manchmal richtiggehend liebevoller Umgang miteinander • Offene Kommunikation • Klare Kommandostrukturen, nur adressierte Äußerungen, Bestätigungen („readbacks“) • „Richtige“ Kommunikation wird gedrillt • Implizite Koordination • Entscheidungsunterstützung

  14. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation (b) High-reliability/high-effiency Teams Ein Beispiel: Crewregeln auf der SY Mariquita* • Leistungsziele: • Besser Segeln als im Vorjahr • In jeder Regatta unter den besten drei sein • Niveau und Inspiration über die Saison hinweg halten • Mannschaftszusammenhalt stärken • Rechte jedes Einzelnen: • „Verpflegung, Bezahlung, Schutz“ • „Anspruch auf Spaß“ • „Recht auf respektvolle Behandlung, Gehör undhilfreiches Feedback sowie jederzeit Unterstützungbeim Tragen schwerer Sachen“ • „Recht auf Anhörung eigener Lösungsvorschläge, auf Vertrauen, ein gewisses Maß an Privatsphäre, Transparenz.“ * Quelle: Die Yacht

  15. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation (b) High-reliability/high-effiency Teams • Pflichten: • Beim Regattasegeln alles zu geben • Den Skipper in den Manövern zu unterstützen • Unkonstruktive Kritik ist zu vermeiden • Gute Leistungen sind anzuerkennen, Anerkennung ist zu artikulieren • Auf andere Crewmitglieder ist physisch und emotional zu achten • Fremde an Bord sind freundlich zu behandeln • Das Schiff ist vor Schäden zu schützen • Drecksarbeit (Schleifen, Lackieren) ist gemeinsam auszuführen • Mit fremden Sachen und dem Platz unter Deck ist respektvoll umzugehen • Auf körperliche Hygiene ist zu achten • Jeder hat darauf zu achten, die ihmübertragenen Aufgaben reibungslos zu erledigen • Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit • Ehrlicher Umgang mit den eigenen Fehlern • Körperliche Fitness.

  16. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation 3. Beiträge verschiedener Forschungsfelder • (c) Human Factors-Forschung • Interdisziplinäre ausgerichtet„Fehlervermeidungsforschung“ • Fehleranalysen • Empfehlungen zur Erhöhung der Sicherheit komplexer soziotechnischer Systeme • Neuerdings zunehmendeResilienzorientierung

  17. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation (c) Human Factors-Forschung Entscheidungen in kritischen Situationen müssen unter systemischer Perspektive analysiert werden:

  18. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • (c) Human Factors-Forschung • Wesentliche Erkenntnisse zur Frage, wie Entscheidungen in kritischen Situationen verbessert werden können: • Aufbau eines „shared mental models“ aller an einer Entscheidung beteiligten Akteure durch: • Ausführliche Visualisierungen • Gemeinsame Lagebesprechungen • (relativ) strikte Rederegeln • Aufrechterhaltung der „situationawareness“ durch: • Verhinderung von Ablenkungen und Störungen aller Art • Sensibilität für physiologische und psychologische Überlastung • Strikte Trennung von Entscheidungsträger („Einsatzleiter“) und Moderator („Stabschef“, Teamleiter)

  19. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation

  20. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation 3. Beiträge verschiedener Forschungsfelder • (d) Kulturvergleichende Perspektive • Klassische verhaltenswissenschaftliche Forschung • Vertritt einen eigentlich sehr engenEntscheidungsbegriff • Weist die Existenz kulturtypischerEntscheidungsstile nach • Interessante Perspektive für dieinternationale Zusammenarbeit imVerwaltungsbereich

  21. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • (d) Kulturvergleichende Perspektive • Ein Beispiel: Denkstilklassifikation nach Radford & Mann • Vigilanz: gründliche Informationssuche, objektive Informationsbewertung, rationale Analyse der Entscheidungsalternativen • Defensive Vermeidung - Flucht vor der Entscheidung durch: • Verzögerung (procrastination) • Verantwortungsdelegation (buck-passing) • Wunschdenken (wishfulthinking) • Hypervigilanz: krampfhaftes, impulsives, bisweilen panikartiges Suchen nach Auswegen aus dem Entscheidungskonflikt

  22. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation Kulturvergleich von Konfliktlösungsstilen nach Mann et al. (1998)

  23. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation (d) Kulturvergleichende Perspektive Ein weiteres interessantes Entscheidungsstilkonzept:„Folk precedentmatching“: Orientierung an Vorbildern aus Sagen, aus der Geschichte oder am Vorbild Älterer. […] Whatcouldbethereasonforthis? Wewereruledbyforeignersforover 1000 years. Thus, wehavealwaysbelievedthatpublicissuesbelongedtosomeforeignrulerandthatwehavenorole in solvingthem. Moreover, wehave lost the will toproactivelysolveourownproblemsandhavegotusedto just executingsomeoneelse‘sorders. (...) Thus, havingdonethisovertheyears, thedecisionmakers in oursocietyare not trainedforsolvingproblems. Ourdecisionmakerslooktosomebodyelsetotakedecisions. Unfortunately, thereisnobodytolookupto, andthisisthetragedy. N. R. Narayana Murthi, CEO Infosys in einer Rede am 1. 10. 02

  24. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation 3. Beiträge verschiedener Forschungsfelder • (e) Motivations- und Emotionspsychologie • Theoretische Arbeiten zu den psychologischen Determinanten des Entscheidens in kritischen Situationen • Vier Hauptthesen: • Menschen haben ein „subjektives Kompetenzempfinden“: Einschätzung der eigenen Handlungsfähigkeit und Sicherheit • Das subjektive Kompetenzempfinden hängt (im beruflichen Kontext) vom Ausmaß der Befriedigung dreier Motivklassen ab: Affiliation, Bestimmtheit und Kontrolle • Diese drei Motivklassen können kompensatorisch eingesetzt werden • Das subj. Kompetenzempfinden steuert die Ausrichtung der Rationalität: Sachproblem versus Kompetenzschutz

  25. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation (e) Motivations- und Emotionspsychologie Affiliation Subjektives Kompetenzempfinden Bestimmtheit Kontrolle Rationalitäts-ausrichtung Emotionalität

  26. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation Notfallreaktion des Kognitiven Systems Shared mental models Human Factors ? Subjektives Kompetenz-empfinden Entschei-dungsstile Old look und newlook High-efficiency Teams

  27. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation 4. Praktische Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen Erwerb individueller Erfahrungen. Aufbau von individuellen „genericcompetencies“ zum Umgang mit kritischen Situationen. Organisatorische „Absicherung“ der Entscheidungsfindung Ziel:Stabilisierung, Stützung des subjektiven Kompetenzempfindens der Entscheider

  28. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • 5.1 Erwerb individueller Erfahrungen • Individuelle Auseinandersetzung mit Situationen von Bedrohung, Angst, Unbestimmtheit und Kontrollverlust - und konstruktive Bearbeitung dieser Erfahrungen • Verlassen der „Komfortzone“ – Selbsterkenntnis bei Grenzerfahrungen • Unterstützung bei der Aufarbeitung dieser Erfahrungen durch Reflexionsanweisungen und theoretische Erklärungsmodelle • Notwendigkeit entsprechender Debriefing-Strukturen für Übungen (wie z.B. LÜKEX), Ergänzung rein operativ ausgerichteter Debriefings.

  29. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • 5.2 Aufbau individueller krisenrelevanter„generic competencies“ • Kenntnis zentraler Funktionsmechanismen von Entscheidungsunterstützungsgremien, Beherrschen der Funktionsrollen von Entscheider und/oder Moderator • Beherrschung von Regeln für die Durchführung von Briefings- und Lagebesprechungen • Kommunikationskultur: z.B. unterstützende Sprache, Bestätigungen und Readbacks, Redezeitsteuerung • Multiple Kodierung von Informationen und Visualisierung. • Konfliktreduktion, kognitive Entlastung durch Komplexitätsreduktion, Aufbau gemeinsamer Lagebilder

  30. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation • 5.3 Organisatorische „Absicherung“ des Entscheidens in einer kritischen Situation • Entwicklung und Erprobung adäquater Entscheidungs-strukturen für kritische Situationen (Definition einer „besonderen Organisationsform“) • Klare Kriterien für die Definition von „Krise“ und damit das Umschalten auf Krisenhandeln • Möglichkeit zum Einüben von krisenbezogenen Organisationsformen und Handlungsmustern • (Fehl-)Entscheidungen in der Krise dürfen nicht karriererelevant sein • Fehlerfreundliche Binnenkultur.

  31. Fachgebiet Interkulturelle WirtschaftskommunikationProfessur für Interkulturelle Kommunikation Ich danke für die Aufmerksamkeit ! Diskussionsbedarf, Anregungen, Fragen ?

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