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Vorlesung Psychosomatik N. Hennicke. Posttraumatische Belastungsstörung. „Über die Hälfte aller Menschen machen im Verlauf ihres Lebens mindestens einmal eine traumatische Erfahrung“.
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Vorlesung PsychosomatikN. Hennicke Posttraumatische Belastungsstörung
„Über die Hälfte aller Menschen machen im Verlauf ihres Lebens mindestens einmal eine traumatische Erfahrung“
„Etwa 10% der von einem traumatischen Ereignis betroffenen Menschen entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung“
Definition von Trauma • Als Trauma (Plural: Traumata, Traumen) oder Psychotrauma bezeichnet man in der Psychologie eine von außen einwirkende Verletzung der Psyche. Eine traumatisierende Verletzung kann an sich sowohl körperlicher wie auch seelischer Natur sein, zu einer psychischen Traumatisierung kommt es jedoch in beiden Fällen erst dann, wenn das Ereignis die psychischen Belastungsgrenzen des Individuums übersteigt und nicht adäquat verarbeitet werden kann. Beispiele für Erlebnisse, die Traumata auslösen können, sind Gewalt, Krieg, Folter, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, körperliche und seelische Misshandlung, aber auch Unfälle, Katastrophen oder Krankheiten. Auch emotionale Vernachlässigung, Verwahrlosung, soziale Ausgrenzung, oder Mobbing können zu einer Traumatisierung führen. Mitunter kann auch die bloße Zeugenschaft eines solchen Ereignisses traumatisierende Wirkungen auf den Beobachtenden entfalten.
Posttraumatische Belastungsstörung Synonyme: • PTBS - Posttraumatische Belastungsstörung • PTSD - Post Traumatic Stress Disorder Verwandte Störungsbilder:Akute Belastungsreaktion ICD 10: F 43.0Anpassungsstörung ICD 10: F 43.2
Übersicht 1. Einleitung / Historischer Überblick 2. Epidemiologie 3. Diagnostik 4. Risikofaktoren 5. Erklärungsmodelle 6. Neurobiologische Aspekte 7. Therapie
1. Einleitung • „Railway spine“ • Erste wissenschaftliche Beschreibung einer PTBS Mitte des 19. Jhdts. • Syndrom in Folge von Eisenbahnunfällen mit kognitiven und (psycho-) somatischen Beeinträchtigungen • Annahme: Rückenmarkserschütterungen rufen Symptome hervor
Briquet (1859) Erichsen (1866) Da Costa (1871) Page (1885) Oppenheim (1889) Charcot- Pariser Schule Janet (1889) Breuer / Freud (1893) Freud (1990) Deutsche Militärpsychiatrie (1916) „Freud (1919 / 1920) Kardiner (1941) Traumatisierungen - chronische Somatisierungsyndrome Realtrauma vs. Hysterie-Pseudologie-Mythomanie „reilway spine“ „soldier´s heart“ „shell shock“ „traumatic hysteria“ „traumatische Neurose“ Trauma-Hypnoid-Hysterie-Hypnose Trauma–Dissoziation-Somatisierung Abwehr traumatischer Affekterfahrungen-Konversion Realtrauma versus Triebabwehr-Phantasie-subjektive Realität „Kriegszitterer“ – Simulation – „Psychopathenproblem“ „Modell der inakzeptablen Wünsche“ vs. „unerträgliche Situation“ „traumatic war neurosis“ – „physioneurosis“ Historischer Überblick
Deutsche Psychiatrie nach II. DSM-I „ Ventzlaff / von Baeyer / Matussek Lorenzer (1961) Eissler (1963) Krystal / Niederland (1968, 1971) DSM-II (1968) Burgess, Holstrom (1974) Kempe, Kempe (1978) Vietnam veterans DSM-III (1980) DSM-IV (1994) Weltkrieg Problem der Wiedergutmachung - „Begehrneurose“, „Rentenneurose“ severe stress reaction“ „erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel“ vs. „normale Konstitution“ „traumatische Neurose“ als Problem der Psychoanalyse „die Ermordung von wie vielen seiner Kinder muss ein Mensch symptomfrei ertragen können , um eine normale Konstitution zu haben?“ „massive psychic trauma“ – „psychic traumatization“ – „survivor syndrome“ „adjustment reaction“ „rape trauma syndrome“ „battered child syndrome“ „posttraumatic stress disorder“ „acute stress disorder“, „posttraumatic stress disorder“, (DESNOS) Historischer Überblick
2. Epidemiologie • Mindestens 50% aller Menschen machen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal eine traumatische Erfahrung • Etwa 10% davon entwickeln eine PTBS • Interpersonelle Traumata: z.B. Folter, Vergewaltigung, Geiselnahme, schwere Unfälle • Kollektive Trauma: z.B. Naturkatastrophen, Flugzeugabstürze, Großbrände…
2. Epidemiologie • Am häufigsten vorkommende Traumatypen sind schwere Unfälle: In den USA werden 25% der Männer und 14% der Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer eines lebensbedrohlichen Unfalls (ähnliche Zahlen liegen für Deutschland vor) • Verkehrsunfälle stellen ungünstige Kombination von Häufigkeit und Auswirkung einer traumatischen Erfahrung dar
2. Epidemiologie • Viele Menschen verfügen über innere und äußere Ressourcen, die sie vor einer Traumaentwicklung bewahren • Entwicklung eines Traumas verläuft in Abhängigkeit von Art und Stärke des Stressors, biografischen Faktoren und situativen Variablen • Die Lebenszeitprävalenz der PTBS liegt international bei bis zu 8%
2. Epidemiologie • Die Häufigkeit von PTSD ist abhängig von der Art des Traumas. • Ca. 50% Prävalenz nach Vergewaltigung • Ca. 25% Prävalenz nach anderen Gewaltverbrechen • Ca. 20% bei Kriegs- und 15% bei Verkehrsunfallopfern • Ca. 15% bei schweren Organerkrankungen, (Herzinfarkt, Malignome) • Die Lebenszeitprävalenz für PTSD in der Allgemeinbevölkerung liegt zwischen 1% und 7%. • Die Prävalenz subsyndromaler Störungsbilder ist wesentlich höher. • Es besteht eine hohe Chronifizierungsneigung
3. Diagnostik 1.Akute Belastungsstörung -vorübergehende Störung von beträchtlichem Schweregrad -entwickelt sich innerhalb von Minuten nach dem Trauma; Stunden-Tage andauernd
3. DiagnostikAkute Belastungsreaktion (ICD-10: F43.0) I.Außergewöhnliche psychische oder physische Belastung II. Symptombeginn unmittelbar nach Ereignis (innerhalb einer Stunde) III. 1. Symptome einer generalisierten Angststörung 2. a) sozialer Rückzug b) Einengung der Aufmerksamkeit c) Desorientierung d) Ärger oder verbale Aggression e) Verzweiflung/Hoffnungslosigkeit f) unangemessene Überreaktivität g) unkontrollierbare und außergewöhnliche Trauer IV. Nachlassen der Symptome nach 8 bis 48 Stunden
3. Diagnostik PTSD • entsteht als verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis • Innerhalb von 6 Monaten nach dem Ereignis beginnend; >1-4 Monate andauernd
Syndromale Symptomatik • „Flashbacks“ • Vermeidungssymptome • Psychogene Amnesie • Vegetative Übererregbarkeit
3. DiagnostikPosttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) • Kurz- oder langanhaltendes Ereignis von außergwöhnlicher Bedrohung oder mit Katastrophalem Ausmaß (Trauma) • Wiedererleben (Intrusionen) a) Sich aufdrängende lebendige Erinnerungen b) Aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks) c) Sich wiederholende Träume d) Bedrängnis bei Konfrontation mit ähnlichennEreignissen
3. DiagnostikPosttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) III. Vermeidung von „Triggern“ (Auslösern) die mit der Belastung assoziiert sind z.B. Bilder, Gerüche, Geräusche… IV.Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern
3. DiagnostikPosttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) V. Hyperarousal (erhöhte psychische Sensitivotät und Übererregung) a) Ein- und Durchschlafstörungen b) Reizbarkeit oder Wutausbrüche c) Konzentrationsschwierigkeiten d) Hypervigilanz e) erhöhte Schrackhaftigkeit Mindesten 2 der unter a) bis e) genannten VI. Beginn der Symptome innerhalb von 6 Monaten nach der Belastung
Komorbidität Mit hohem psychischem Komorbiditätsrisiko verbunden → Begleiterscheinungen sind Depressionen, Angststörungen, somatoforme Störungen und Substanzmissbrauch
3. Sonderformen der PTSD I. PTSD mit verzögertem Beginn (late-onset) → mehr als 6 Monate zwischen Ereignis und Beginn der Symptomatik II. ICD-10: F62.0: Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
ICD-10: F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung • Nach andauerndenlebensbedrohlichen Situationen (z.B. Kriegsgefangenschaft, Folter) • Kann auf dem Boden einer PTSD entstehen • Diagnose bei >2 Jahre bestehenden Symptomen
ICD-10: F62.0 • Der Situation unangepasstes Verhalten • Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen, beruflichen und privaten Beziehungen • Feindliche/misstrauische Haltung • Sozialer Rückzug • Leere/Hoffnungslosigkeit • Nervosität/ Gefühl der ständigen Bedrohung • „Flashbacks“
Cave! Übersehen einer PTSD • bei lange zurückliegender Traumatisierung (z.B. sexualisierter Gewalt bei Kindern), • bei klinisch auffälliger Komorbidität (Depression, Angst, Somatisierung, Sucht, Dissoziation) • bei unklaren, therapieresistenten Schmerzsyndromen (z.B. anhaltende somatoforme Schmerzstörung) • bei Persönlichkeitsstörung (traumareaktives Mißtrauen kann Diagnostik erschweren) • bei schweren Organerkrankungen
F43.2 Anpassungsstörungen • Identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht außergewöhnlichen oder katastrophalen Ausmaß; Beginn der Symptome innerhalb eines Monats. • Symptome und Verhaltensstörungen (außer Wahngedanken und Halluzinationen) wie sie bei affektiven Störungen (F3), bei Störungen des Kapitels F40-F48 (neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen) und bei den Störungen des Sozialverhaltens (F91) vorkommen. Die Kriterien einer einzelnen Störung werden aber nicht erfüllt. Die Symptome können in Art und Schwere variieren.Das vorherrschende Erscheinungsbild der Symptome sollte mit der fünften Stelle weiter differenziert werden: • Die Symptome dauern nicht länger als sechs Monate nach Ende der Belastung oder ihrer Folgen an, außer bei der längeren depressiven Reaktion (F43.21). Bis zu einer Dauer von sechs Monaten kann die Diagnose einer Anpassungsstörung gestellt werden.
4. Risikofaktoren Prätraumatische Variablen • weiblich • jüngeres Alter • unterdurchschnittliche Intelligenz • niedriger sozioökonomischer Status • frühere traumatische Erfahrungen • psychische Störungen in der (Familien-) Anamnese • sexueller Missbrauch in der Kindheit
4. RisikofaktorenPeritraumatische Variablen • subjektiv erlebte Bedrohung • objektiver Schweregrad des Traumas • externale Schuldzuschreibung • peritraumatische Dissoziation • früh einsetzende Wiedererlebenssymptome
4. RisikofaktorenPosttraumatische Variablen • ungenügend soziale Unterstützung • traumabedingte körperliche • Funktionseinschränkungen • anhaltende Schmerzen
5. Erklärungsmodelle • Emotional Processing Theory • Dual Representation Theory • Cognitive Model
5. ErklärungsmodelleEmotional Processing Theory • Annahme, dass durch das traumatische Ereignis, negative Sichtweisen erzeugt werden, die durch das Symptomerleben laufend verstärkt werden • Eindruck, hilflos zu sein entsteht • Intervention: Konfrontation in sensu → Angsthabituation → Vermeidung der Angst wird aufgelöst
5. ErklärungsmodelleEmotional Processing Theory Kritik: • Sehr allgemeine Theorie → kann nicht erklären, warum einige Personen kein Trauma entwickeln
5. ErklärungsmodelleDual Representation Theory • Annahme, dass es 2 Gedächtnissysteme gibt, in denen Traumata getrennt abgelegt werden → verbal zugängliches und situativ zugängliches Gedächtnis • Traumata sind nicht im verbal zugänglichen Gedächtnis abgelegt und können deswegen nicht durch bewusstes Denken und Gespräche verarbeitet werden
5. ErklärungsmodelleDual Representation Theory Kritik: • Modell konnte in unabhängigen Studien nicht bestätigt werden
5. ErklärungsmodelleCognitive Model • Negative Kognitionen werden identifiziert • Annahmen beziehen sich auf Gegenwart und Vergangenheit • Prätraumatische Einstellungen spielen eine große Rolle bei der Entwicklung von negativen Kognitionen • Peritraumatisches Hilflosigkeitsgefühl (Mental Defeat) ist präsent → da Erinnerung lückenhaft, gelingt es nicht die Überzeugung abzubauen • Intervention: detaillierte und historisch zutreffende Rekonstruktion des Traumas und Einordnung in biographischen Kontext ist essentiell für die Heilung
6. Neurobiologischer Vorgang Zuerst Abwehrreflexe/ Schreckreaktionen (sofort) → Aktivierung des Sympathikus und Freisetzung von Adrenalin (sec.) → Aktivierung der HPA- Achse (min.) → Kortisolausschüttung (min.) → Veränderungen im ZNS (Tage) → Schrumpfung des Hippocampus (Wochen)
6. Neurobiologische Ansätze • HPA-Achse: niedrigere (!) Serum-Kortisolwerte bei Traumapatienten → Aktivität des Hypothalamus (CRH Ausschüttung) erhöht, aber keine entsprechende Reaktion auf der HPA • Kontroverse Diskussion: Vermutung, niedrige Kortisolwerte aufgrund von Anpassung, konnte nicht bestätigt werden • Aktuelle Annahme: evtl. anlagebedingt durch frühen Stress oder genetische Unterschiede (??)
6. Neurobiologische Ansätze • Kortisol: erhöhte Kortisolwerte → Beeinträchtigung des Gedächtnisses • Fehlendes Kortisol → verhindert Vergessen der Traumata → begünstigt PTSD • Niedrige Kortisolgabe kann zu einer Reduktion des Symptoms führen • Noch unerforscht: wie passen PTSD (niedriges Kortisol) und komorbide Depression (hohes Kortisol) zusammen?
6. Neurobiologische Ansätze • Somatische Gesundheitsstörungen: je mehr eine Person traumatischen Erfahrungen in der Kindheit ausgesetzt war, desto höher das Risiko, später an einer körperlichen Krankheit zu leiden • Gesundheitliches Risikoverhalten nimmt in Abhängigkeit von Traumatisierungen zu
7. Therapie • Kognitiv-verhaltensorientierte Verfahren • Psychodynamische Verfahren • EMDR • Medikamente
7. Therapie • Therapieerfolg größer für Psychotherapie als für medikamentöse Behandlungen • Kognitive Verhaltenstherapie (VT): Trauma als aversiver S, der eine CR hervorruft → die erlernte R wird generalisiert und auf ähnliche S übertragen • Vermeidung verstärkt die CR • Intervention: Expositionstherapie, systematische Desensibilisierung, Entspannungsübungen • Kritik: vorübergehende Verstärkung der Symptome
7. Therapie • Prolonged Exposure (PE): Imaginative Konfrontation mit dem Trauma in allen Sinnesmodalitäten → die Angst nimmt ab • Cognitive Processing Therapie (CPT): Konfrontation mit dem Trauma wird auf die schlimmsten Momente beschränkt → Korrektur irrationaler Bewertungen → Habituation an die Angst
7. Therapie • Psychodynamische Verfahren: → Normale psychische Mechanismen werden wieder in Gang gesetzt → Bedeutung des Traumas wird durch Bearbeitung unbewusster Ängste geklärt → dieses wird dem Patienten bewusst gemacht • Kritik: schwierig, unbewusste Mechanismen empirisch zu erfassen
7. Therapie • EMDR • Ähnlich wirksam wie andere verhaltensorientierte Ansätze • Bilaterale Stimulation (Augenbewegungen) • Dabei in-sensu-Exposition
7. Therapie Ablauf einer EMDR-Behandlung Anamnese Stabilisierung Bewertung Desensibilisierung Verankerung Körper-Test Abschluss
Medikamente Häufig in Ergänzung zur Psychotherapie: • Serotoninspezifische Antidepressiva (SSRI) gelten als Medikamente erster Wahl → verbessern depressive Symptomatik und Symptome des Wiedererlebens, Arousal- Symptomatik, Vermeidung • Trizyklische Antidepressiva als 2. Wahl • Benzodiazepine wirken nur auf Arousal-Symptomatik, beeinträchtigen aber die kognitive Leistungsfähigkeit → Nur bei Schlafstörungen empfehlenswert! → Substanzabhängigkeit kann auftreten!
ENDE Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!!