460 likes | 767 Views
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Psychisches Trauma und Traumafolgestörungen Wintersemester 2012/2013 Dr. med. Elke Weinel. Psychisches Trauma (Definiton).
E N D
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Psychisches Trauma und Traumafolgestörungen Wintersemester 2012/2013 Dr. med. Elke Weinel
Psychisches Trauma (Definiton) • Folge eines katastrophischen Ereignisses bzw. einer kurzzeitigen oder dauernden Extrembelastung, die außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrung liegen • Intensität und Plötzlichkeit der traumatischen Erfahrung überfordern die psychischen Abwehr- und Bewältigungsmechanismen („Zusammenbruch der Abwehr“ in der traumatischen Situation) • Intensive Angst, Schrecken, vor allem Gefühle extremer Hilflosigkeit erschüttern das Selbst- und Weltverständnis (seelische Verletzung)
Psychisches Trauma (Definition) • „Wesentlich ist die Erfahrung der Hilflosigkeit des Ichs angesichts einer unerträglichen Erregungshäufung äußeren oder inneren Ursprungs“ (Freud 1926) • Traumatisierung durch eine eigene „katastrophische Erfahrung“oder durch Beobachtung des traumatischen Erlebnisses einer anderen Person, z.B. als Zeuge eines Gewaltverbrechens • Höhere Belastung bei Traumatisierungen, die durch andere Menschen verursacht werden („Man made desaster“)
Einteilung (nach Terr 1991) • Typ I-Trauma: einmaliges kurz dauerndes, unerwartetes Ereignis („Schocktrauma“) • Apersonal: Naturkatastrophen, Unfälle, technische Katastrophen, etc. • Personal: Kriminelle Gewalttaten wie Vergewaltigung und Überfälle. Plötzlicher Verlust einer Bezugsperson etc.
Einteilung (nach Terr 1991) • Typ II-Trauma: anhaltende oder wiederholte (kumulative) Traumati-sierung („Straintrauma“) • Kollektive und individuelle Gewalterfahrung: Krieg, Folter, Konzentrationslagerhaft, Geiselnahme etc. • Personeller Nahbereich: wiederholte körperliche/sexuelle Gewalt: Kindesmisshandlung und –vernachlässigung, wiederholte Vergewaltigung.
Traumamechanismen • Überforderung aller Ich-Funktionen in der traumatischen Situation • Überflutende Angst • Hilflosigkeit („keine Flucht möglich“) • Ohnmacht („nichts tun können“) Intrapsychische Verarbeitung gelingt nicht, traumatische Erfahrungen können nicht bewältigt (symbolisiert) werden und bleiben im Kern isolierte (abgekapselte) Erfahrungen.
Traumamechanismen • Überforderung der Informationsverar-beitung, da die Inhalte der traumatischen Erfahrung nicht in bestehende innere Ordnungsschemata integrierbar sind. • Neurobiologische Veränderungen,u.a. • Hyperreagibilität der Amygdala (re) • Hippocampusvolumen (li) • Brocazentrum (li) • Veränderung von Gedächtnisfunktionen
Trauma Typ I Typ II Akute Störungen: chronische Folgen: Akute Belastungsreaktion Komplexe PTBS Anpassungsstörungen Persönlichkeitsveränderungen PTBS Persönlichkeitsstörungen: Borderline-Persönlichkeitsstörung
Trauma: Subtypen und Manifestationszeiträume 0 1 2 3 4 5 6 Monate 20 Jahre Akute Belastungsstörung Akute PBS chronische PBS chronische PBS mit verzögertem Beginn
Subtypen und Manifestationszeiträume • Akute Belastungsreaktion • Anpassungsstörung • Posttraumatische Belastungsstörung(PBS) oder Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) • Spätfolgen einer PBS, z.B. anhaltende Persönlichkeitsveränderungen
Gemeinsame Charakteristika: • Entstehung in einem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit psycho-sozialer Belastung oder katastrophischen Erlebnissen (Stress). • Belastendes Ereignis als ausschlaggebender Faktor • Ohne das Ereignis wäre die Störung nicht entstanden • Erhebliche Beeinträchtigung der sozialen Leistungsfähigkeit
Akute Belastungsreaktion • Vorübergehende Reaktion auf außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung bei einem psychisch nicht manifest gestörtem Menschen • Schreckreaktion • Betäubung, Bewußtseinseinengung • Desorientiertheit • Vegetative Zeichen • Unruhe, Überaktivität • rascher Symptomwechsel, spontanes Abklingen
Anpassungsstörungen • Symptomatik: Einteilung nach ICD-10: • kurze oder längere depressive Reaktion • als Angst und depressive Reaktion gemischt • mit vorwiegender Beeinträchtigung anderer Gefühle wie z.B. Sorgen, Anspannung, Ärger • als vorwiegende Störung des Sozialverhaltens • Beginn: innerhalb der ersten 4 Wochen • Dauer: ca. 6 Monate • Bis zu 2 Jahren bei längerer depressiver Reaktion
Anpassungsstörungen • Auftreten bei oder nach schwerer Belastung oder einschneidenden Lebensveränderungen, z.B. • Verlust durch Tod oder Trennung • Migration oder Flucht • Verlust der sozialen Kontinuität („soziales Netz“) • Diskriminierung, Stigmatisierung • schwere und/oder lebensbedrohliche Erkrankungen
TherapieansätzeAkute Belastungsreaktion und Anpassungstörungen • Krisenintervention • entlastende, stützende Gespräche • eventuell Einleitung einer medikamentösen Therapie • Stützung durch Einbeziehung des sozialen Netzes • Kurzzeitpsychotherapie bei kompliziertem Verlauf
Posttraumatische Belastungsstörung (PBS) Eine PBS ist eine komplexe psychobiolo-gische Anpassungsreaktion auf ein äußeres Traumaereignis, das zumindest für den Zeitpunkt der aktuellen Einwirkung die individuellen Verarbeitungsmöglichkeiten einer Person überfordert.
Symptomatik • Intrusionen • Vermeidungen • Vegetatives Arousal • „Numbing“
Intrusionen: Sich aufdrängende Erinnerungen von Traumaanteilen in verschiedenster Form: • Flashbacks • Alpträume • Wiederkehrende Bilder
Vermeidungen als Versuch, Personen, Situationen oder Orte, die an das Trauma erinnern könnten, konsequent zu umgehen, was oft zu einer erheblichen Einschränkung des Lebens oder zu sozialem Rückzug führt
Vegetatives Arousal Anhebung des vegetativen Erregungs-niveaus mit: • Schlafstörungen • Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz • Konzentrationsstörungen • Unruhe, Zittern • intermittierende Aggressionsanfälle, Reizbarkeit • Ängste, vegetative Übererregbarkeit
„Numbing“ Emotionale Taubheit, gekennzeichnet durch: • allgemeiner Rückzug • Interessenverlust • innere Teilnahmslosigkeit
Epidemiologie (Flatten 2005) • Die Prävalenz subsyndromaler Störungsbilder ist wesentlich höher. • Lebenszeitprävalenz PBS in der Allgemeinbevölkerung bei 7,8%: • Frauen ca. 10%. • Männer ca. 5% • Die Häufigkeit von PBS ist abhängig von der Art des Traumas:
ca. 50% nach Vergewaltigung • ca. 25% nach anderen Gewalt-verbrechen • ca. 20% bei Kriegsopfern • ca. 15% bei Verkehrsunfallopfern • ca. 15 % bei schweren Organ-erkrankungen(Herzinfarkt, Malignome)
Verlauf • Durchschnittliche Beschwerdedauer 36 Monate mit und 64 Monate ohne Behandlung • Wahrscheinlichkeit der Chronifizierung ca. 30% • Wahrscheinlichkeit von Spontanre-missionen ca. 50%
Traumatische Affekte • Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein • Gefühle des Verlassenseins • Schamgefühle • Schuldgefühle • Ekel, Selbsthass • Gefühle von Leere • Gefühle der Wut und des Hasses
Chronische Folgen Wichtige Langzeiteffekte einer extremen, prolongierten oder repetitiven Traumatisierung • äußern sich in einer Dysregulation des Affekt- und Impulssystems („komplexe“ PTSD) • und haben eine hohe Komorbidität mit anderen psychischen Störungen wie Depression, Angststörungen, Suchterkrankungen, Somatoformen und Dissoziativen Störungen)
Komplexe PTBS, Typ II Trauma • Störungen der Affektregulation • Störungen von Aufmerksamkeit und Bewusstsein • Somatisierungsstörungen • Chronische Persönlichkeitsveränderungen • Charakteristische Beziehungsstörungen • Störungen des persönlichen Wertesystems
Störungen der Regulierung des affektiven Erregungsniveaus: • Chronische Affektdysregulation • Schwierigkeit, Ärger zu modulieren • Selbstdestruktives und suizidales Verhalten • Schwierigkeiten, sexuelles Kontaktverhalten zu regulieren • Impulsive und risikoreiche Verhaltens-weisen
Störungen der Aufmerksamkeit und desBewusstseins • Amnesie • Dissoziation: • komplexer psychophysiologischer Prozess, der zu Veränderungen im Bewusstsein führt und bewirkt, dass Gedanken und Gefühle dem Bewusstsein zumindest teilweise entzogen werden. • kann zu einem Nebeneinander verschiedener Bewusstseinszustände und Formen der Wahrnehmung führen
Dissoziation • Der Dissoziation in der ursprünglichen traumatischen Situation (peritraumatische Dissoziation) kommt eine protektive Funktion zu, um begleitende heftige Affekte zu bewältigen. • Bei der einfachen PTB wird in der primären Dissoziation das traumatische Ereignis abgespalten. • Bei komplexer PTBS werden umfangreiche Systeme aus dem alltäglichen Selbsterleben „abgetrennt“ (sekundäre Dissoziation)
Dissoziation • Pathologische Dissoziation • „Ausschluss aus dem Bewusstsein“ • Verlust der integrativen Funktionen des Bewusstseins und der Persönlichkeit • Depersonalisation, Derealisation • Identitätsveränderung • Identitätskonfusion
Somatisierung • Funktionelle Abdominalbeschwerden bei sexueller Traumatisierung und körperlicher Misshandlung in der Vorgeschichte (Drossmann 1995). • Bei Pat. mit Rückenschmerzen ohne somatisches Korrelat gehäuft Vorgeschichte von sexueller Traumatisierung und körperlicher Misshandlung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit somatischem Befund (Schoffermann et al 1993)
Somatisierung • Psychosomatische Symptombildung bei Holocaust-Überlebenden • „Trias der Überlebenden“: Schlaflosigkeit, Albträume, psychosomatische Beschwerden(Niederland 1981) • Somatisierungsstörungen, somatoforme Schmerzstörungen z.B. bei sexualisierter Gewalt in der Vorgeschichte(Egle 1992)
Chronische Persönlichkeitsveränderungen • Änderung in der Selbstwahrnehmung: • Chronische Schuldgefühle • Selbstvorwürfe • Gefühle, nichts bewirken zu können • Gefühle, fortgesetzt geschädigt zu werden
Chronische Persönlichkeitsveränderungen • Änderungen in der Wahrnehmung des Schädigers, traumatische Opferbindung: • Bindung an die misshandelnde Bezugsperson als Notfallreaktion • Innere Bindung an den Vergewaltiger • Liebesbindungen an Folterer und Geiselnehmer („Stockholm-Syndrom“) • Bindungsverstärkung durch intermittierendes liebevolles Verhalten • Traumatische Bindung als Wut und Hass maskiert
Chronische Persönlichkeitsveränderungen • Veränderungen der Beziehung zu anderen Menschen • Störung der sozialen Interaktion: • Unfähigkeit, zu vertrauen und Beziehungen aufrechtzuerhalten • Tendenz, erneut Opfer zu werden • Tendenz, andere zum Opfer zu machen
Veränderungen in Bedeutungssystemen • Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit • Verlust der bisherigen Lebensüber-zeugungen • „Traumatisches Erleben kann die Grundüberzeugung von Sicherheit und Geborgenheit zerstören, ebenso wie die Überzeugung, dass das Leben einer sinnvollen Ordnung folgt“ (Janoff-Bulmann 1992)
Risikofaktoren (Flatten et al 2004) • Objektive Risikofaktoren • Subjektive Risikofaktoren • Individuelle Risikofaktoren
Objektive Risikofaktoren • Art, Intensität und Dauer des traumatischen Ereignisses • Wiederholtes Ausgesetztsein • Ausmaß der physischen Verletzung • Durch Menschen verursachte Traumatisierung • Intentionalität • Irreversibilität der erlittenen Verluste • Höhe der materiellen Schädigung • Ständiges Erinnertwerden an das Geschehen (Triggerung)
Subjektive Risikofaktoren • Unerwartetes Eintreten der traumatischen Ereignisses • Geringer Grad der eigenen Kontrolle über das Geschehen • Schulderleben • Ausbleiben fremder Hilfe
Individuelle Risikofaktoren • Jugendliches oder hohes Lebensalter • Zugehörigkeit zu einer sozialen Randgruppe • Niedriger sozioökonomischer Status • Mangelnde soziale Unterstützung • Psychische oder körperliche Vorerkrankungen • Familiäre Vorbelastung mit traumatischen Erfahrungen
Protektive Faktoren • Gute Beziehung zu einer Betreuungsperson • Möglichkeiten kompensatorischer Beziehungen • Möglichkeiten zur Erholung • Sichere, taktvolle Umgebung • Therapienagebote • Soziale Unterstützung • Sicheres Bindungsverhalten • Intelligenz • Verlässliche Bezugspersonen im Erwachsenenalter
Therapie • Erste Maßnahmen: Herstellen einer sicheren Umgebung, psychoedeukative und psychosoziale Interventionen etc. • Traumaspezifische Stabilisierung: engmaschige therapeutische Behandlung, Krisenintervention, ressourcenorientierte Intervention (z.B. Distanzierungstechniken), adjuvante und symptomorientierte Pharmakotherapie
Traumabearbeitung: • Nur durch entsprechend qualifizierten Psychotherapeuten • Voraussetzung: ausreichende Stabilität, keine weitere Traumaeinwirkung, kein Täterkontakt • Traumaadaptierte Psychotherapieverfahren im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans • Dosierte Rekonfrontation mit dem Ziel der Durcharbeitung und Integrationunter geschützten Bedingungen