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Sprach kontakt/Sprach spuren. Historischer Sprachkontakt im Mittelalter und der Neuzeit. Einflussrichtungen von Sprachen (Wh.). Wenn verschiedene Sprachen auf einander treffen, beeinflussen sie sich gegenseitig Substrat Superstrat Adstrat. Substratwirkung.
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Sprachkontakt/Sprachspuren Historischer Sprachkontakt im Mittelalter und der Neuzeit
Einflussrichtungen von Sprachen (Wh.) • Wenn verschiedene Sprachen auf einander treffen, beeinflussen sie sich gegenseitig • Substrat • Superstrat • Adstrat Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Substratwirkung • Eine Sprache wird zugunsten einer Eroberersprache aufgegeben • Die Eroberersprache übernimmt etwas von der ursprünglichen Sprache • Vgl. Latein in Gallien: Elemente der keltischen Sprache • Wortschatz der Landwirtschaft: • afr. mesgue < gall. *mesigus 'Molke' • afr. brèche < gall. brisca 'Wabe' • afr. lie < gall. līga 'Trester' Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Superstratwirkung • Die Eroberer übernehmen die im eroberten Land gesprochene Sprache. • Einige Elemente aus ihrer Sprache fließen in diese Sprache ein • Beispiele: Einfluss des Fränkischen auf das Französische • 'h aspiré' in Wörtern wie hâte, honte, • Entwicklung des Indefinitpronomens on (dt. man) • obligatorische Setzung des Personal-pronomens beim Verb: je chante wie ich singe Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Adstratwirkung • Beeinflussung durch eine andere Sprache infolge lange währender Nachbarschaft • wechselseitige sprachlich-kulturelle Einflüsse von Sprachen ("Kulturkontakt") • Beispiele aus der Geschichte des Deutschen: • hier viele Einflüsse durch die Kultur- und Schriftsprache Latein und die Nachbarsprachen Französisch und Englisch Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Sprachkontakt im Mittelalter • Zwischen dem 9. und 13. Jh. wird das Deutsche maßgeblich von zwei Tendenzen geprägt: • Der lateinischen Klosterkultur (v.a. 9./10. Jh.) • Der französischen Hofkultur (v.a. im 12. Jh.) Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Einflüsse des Lateinischen im Mittelalter • Wortschatz im Bereich der Kirche und Klosterkultur • Einflüsse im Bereich der Semantik • Einflüsse in Syntax und Morphologie durch die Übersetzungspraxis Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Wortschatz • kirchliche Einrichtungen: Papst (< papa), Kloster (< mlat. clostrum), Kaplan (< capellanus), Pilger (< pelegrinus), Kreuz (< crux, crucis), Zelle (< cella) • Schreib- und Schriftkultur: schreiben (< scribere), Tinte (< acqua tincta), Pergament (< pergamentum), Griffel (< graphium, aber auch ahd. grîfan), Tafel (< tabula) • neue Pflanzen der Klostergärten: Petersilie (< mlat. petrosilium), Zwiebel (< mlat. cipolla), Salbei (< salvia) Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Einflüsse im Bereich der Semantik • Lehnbedeutung z.B. Buße: germ. 'Nutzen, Vorteil' > ahd. 'Heilung durch Zauber' > ahd. Kirchensprache: 'die religiöse Genugtuung des Sünders vor Gott' für lat. poenitentia • Lehnübersetzung Ge-wissen (< con-scientia), Heiligtum (< sanctuarium) • Verdrängung alter Begriffe mit griechischer Medizin (über römische) verdrängt Arzt (vlat. archiater) das heimische leikari 'Besprecher' Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Syntax und Morphosyntax • Ahd. Phase: völlig von Sprachkontakt geprägt • Schreiber waren alle mehrsprachig: schriftsprachlich sozialisiert im Lateinischen, Muttersprache war der ahd. Dialekt • Strukturen konzeptioneller Schriftlichkeit wurden aus dem Lateinischen kopiert • Übersetzungspraxis: teilweise Nachahmung der lateinischen Wort-stellung, Nachbildung lateinischer Partizipien Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Übersetzungsbeispiele aus dem ahd. Tatian Tatian 15,5 et dixit illi: haec tibi omnia dabo, si cadens adoraveris me. inti quad imo: this allu gibu ih thir, oba thû nidarfalllenti betôs mih. und sagte ihm: dieses alles gebe ich dir, wenn du niederfallend anbetest mich. hora erat quasi sexta was thô zît nâh sehsta Es war schon beinahe die sechste Stunde Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Einflüsse des Französischen im Mittelalter • In der mittelhochdeutschen Dichtung: Kulturkontakt mit dem Französischen (Chretiên de Troyes, Troubadourlyrik etc.) • Spuren im Wortschatz • einige Spuren in Morphologie und Pragmatik Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Wortschatz aus der Dichtersprache • in mhd. Zeit: Übernahme von etwa 2000 Wörtern, bis 14. Jh., nur noch wenige erhalten • Bezeichnungen für Kampfspiele (Turnier < afrz. tornei 'ritterliches Waffenspiel), • Unterhaltung (Tanz < frz. danse, Melodie < melodie) • Kleidung und Stoffe (schapel < afrz. chapel 'Kranz, Diadem', Samt < afrz. samit), (Rubin < frz. rubin) • Verben, die ritterliche Tätigkeiten beschreiben: turnieren, parlieren, buhurdieren (obsolet). Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Übernahmen in Morphologie und Pragmatik • Suffixe -ieren:zunächst in entlehnten Verben wie parlieren und buhurdieren wird isoliert und kann ab dem 14. Jh. auch an heimische Basen angehängt werden: vgl. buchstabieren, amtieren. -îe aus melodîe, courtesîe (wird im Fnhd. zu ei) • Höflichkeitsform Erscheinung des Kulturkontakts: Höflichkeitsform mit Ihr Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Sprachkontakt in der Neuzeit • In der Frühen Neuzeit (15. und 16. Jh.): Renaissance des Lateinischen (Humanismus) • Im 18. Jh.: Einfluss des französischen Hofes (Alamode-Zeit) • ab dem 19. Jh.: Einfluss des Englischen Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Latein in der Frühen Neuzeit • Großer Einfluss im Bereich der Gelehrtensprache • Sprache an der Uni: Latein • Luther und seine Kollegen waren perfekt zweisprachig Latein-Deutsch • Luther bringt viele bei den Intellektuellen der Zeit konventionalisierte Entlehnungen ein • hier erstes Zeugnis der Sprachmischung von Schülern Luthers aufgezeichnet: Luthers Tischreden Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Beispiel aus Luthers Tischreden Qui autem vexantur Spiritu tristitiae, inquit, debent summe cavere, ne sint soli, denn Gott hat societatem ecclesiae geschafft et fraternitatem gebotten, sicut scriptura dicit: "Vae homini soli, qui cum cediderit etc." Tristitia quoque cordis coram Deo non placet ei, quanquam tristitiam coram mundo permittat, sed non vult, das ich gegen yhm betrubt sol sein, sicut dicit [lat. Zitat]. Non vult servum, der sich nit guts zu yhm versehe, haec scio, sed wol zehen mal in einem tag wurd ich anderst zu sinn, et tamen resisto Satanae. (Luthers Tischreden, ed. von Veit Dietrich 1531, No. 122) Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Einfluss im Bereich Gelehrter Wortschatz • Universität, Humanität, Pensum, Text, diskutieren, präparieren, Prozess, Akte, legal • Entlehnung vor allem im Fachwortschatz: Zahl der Wortstämme hat sich damit in vielen semantischen Bereichen nahezu verdoppelt. • Möglichkeit der Bedeutungsdifferenzierung: sozial vs. gesellschaftlich, Telegramm vs. Fernschreiben. • Einflüsse auf Alltagssprache: alte deutsche Monats-namen werden durch lateinische ersetzt: Juli, Dezember statt Heumonat, Christmonat Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Einfluss der lateinischen Syntax D. Faustus zauberte einem Ritter ein Hirsch Gewicht [= Geweih] auff sein Kopff Als Doct. Faustus dem Keyser sein Begeren / wie gemeldt / erfullet / hat er sich Abendts / nach dem man gen Hof zu Tisch geblasen / auff eine Zinne gelegt / das Hofgesind auß vnd eingehen zu sehen. Da sihet nun Faustus hinuber in der Ritter Losament [= Unterkunft] / einen schlaffendt vnter dem Fenster liegen (denn es denselben Tag gar heiß war) die Person aber so entschlaffen / hab ich mit Namen nicht nennen wollen / denn es ein Ritter vnd geborner Freyherr war / ob nun wol diese Abenthewer jm zum spott gereicht / so halff doch der Geist Mephostophiles seinem Herrn fleissig / vnd treuwlich darzu / vnd zauberte jhm also schlaffendt / vnter dem Fenster ligend / ein Hirschgewicht vff den Kopff.
Syntaktische Besonderheiten • afinite Konstruktion als Mittel syntaktischer Integration: durch Fehlen eines finiten Verbs Nähe von Partizipialkonstruktionen des Lateinischen • nicht direkte Übernahme, sondern Unterstützung des Ausbaus durch analoge Formen in der Kontaktsprache • weiterführender Relativsatz (welches der Keyser ...), möglicherweise angeregt durch relativen Satzanschluss. Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Einflüsse des Französischen im 18. Jh. • Adel und gehobenes Bürgertum orientieren sich nach der Mode (á la mode) von Paris und Königshof • um 1700 in diesen Schichten: Zweisprachigkeit, Sprache des Hofes ist Französisch Voltaire schreibt 1750 vom Hofe Friedrich II.: Man spricht nur unsere Sprache. Das Deutsche ist für die Soldaten und die Pferde • Häufig ist auch die Korrespondenz auf Französisch • Interessant sind in diesem Fall Sprachmischungen innerhalb der Korrespondenz Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Beispiel aus der Korrespondenz Frhr. vom Stein Des lettres de Hufeland me rassurent entièrement sur la poitrine d'Henriette. Il attribue ses incommodités einem im vorigen Jahr in Böhmen erlittenen und nicht gehörig abgewarteten Ausschlagfieber. Il s'attend pour elle et pour vous, ma chère amie, à un effet extrêmement bienfaisant des eaux de Pyrmont. [...]So, hoffe ich, wird endlich einmal die Einrichtung des Hauses geendigt, und wir werden im Fall sein, es ruhig zu bewohnen. Marianne schickt uns einen Gärtner, ich wünschte, sie besuchte Dich in Nassau. Mme de Löw, née Diede, a été en ville, et je l'ai vue plusieurs fois [...] Adieu, ma chère et bonne amie, je fais de vœux pour votre santé et embrasse les enfants.Wann kommen meine Bücher, meine Papiere und mein Schreibtisch von Prag? (Brief vom 24. Juni 1814 an seine Frau)
Übernahmen im Bereich des Wortschatzes Lehnwörter • Mode: Mode, Kostüm, Weste, Parfüm, frisieren, Perücke • Küche: Bouillon, Omelette, Ragout, Torte; Serviette, Tasse, delikat • Wohnkultur: Balkon, Salon, Hotel, Gardine, Sofa, Büfett • Gesellschaftsleben: amüsieren, Maskerade, Billard, Karusell, Promenade • interessant: Verdrängung alter Verwandtschafts-bezeichnungen: Papa, Mama, Onkel, Tante, Cousin, Cousine Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Beispiel für ein Spottgedicht aus der Alamode-Zeit • Reverierte Dame • Phoenix meiner ame • Gebt mir audientz • Euer Gunst meriten • Machen zu falliten • Meine patientz Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Morphologie • Ein neues Pluralmorphem wird mit französischen Substantiven entlehnt, nämlich der -s-Plural • heute obligatorisch bei Substantivierungen ohne Ableitungsmorphem oder Wörtern mit Stammausgang auf Vokal: Hochs, Tiefs, Omas, Uhus, Fotos Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Einfluss des Englischen • Der Einfluss des Englischen auf literarischer Ebene schon im 17. und 18. Jh. verstärkt sich aber deutlich im 19. Jh.: England war Vorbild in Industrie und Handel, im Verkehrs- und Pressewesen: • Trust, Partner, Tunnel, Waggon, Express, Essay, Reporter, Interview Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Englisch im 20. Jh. • Um 1900: Englische als modische Konversations-sprache hat das Französische verdrängt • Im 20. Jh.: in den 20er Jahren Film, Bestseller, Jazz, Song, Pullover, Manager, tanken • puristische Haltungen während des ersten Weltkrieges und in der Nazizeit • ab 1945 angloamerikanischer Einfluss • Verbreitung des Englischen als schulische Fremdsprache • englische Lehnwörter meist graphematisch und phonematisch nicht in das deutsche Laut- und Schriftsystem integriert Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Beispiele • Bedarfs- und Luxuslehnwörter • Meist Bedeutungsdifferenzierung: Drink (alkohol. Getränk), Hit (erfolgreicher Schlager), Meeting (sportliche, geschäftliche Zusammenkunft), Bike (Sportgerät). • Bedürfnislehnwort: Baby vermittelt den Gefühls-wert geg. Säugling • Daneben sog. "Pseudoanglizismen" wie Dressman, Showmaster, Handy, Wellness Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl
Weitere Spuren des Englischen im heutigen Deutsch • Semantik: buchen (< to book) [Reise] buchen, realisieren (< to realize) wahrnehmen • Phraseologie: Das macht Sinn. • Morphologie: Das war in 2002 • Syntax: Ich hoffe so. Ringvorlesung Sprachspuren WS 2009/10, Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Claudia Maria Riehl