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Abteilung für Medizinische Psychologie. Nichtspezifische, konzeptübergreifende Wirkfaktoren in der Psychotherapie. Univ.-Prof. Dr. Dipl.-Psych. Volker Tschuschke. Abteilung für Medizinische Psychologie. Verständnis von „Therapie“ in der Medizin.
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Abteilung für Medizinische Psychologie Nichtspezifische, konzeptübergreifende Wirkfaktoren in der Psychotherapie Univ.-Prof. Dr. Dipl.-Psych. Volker Tschuschke
Abteilung für Medizinische Psychologie Verständnis von „Therapie“in der Medizin Falls eine Behandlung spezifische und effiziente Kriterien erfüllt, kann geschlossen werden, dass „... die Therapie einige (womöglich derzeit noch unbekannte) wirksame Ingredienzien enthält, die in einem gewissen Ausmaß bestimmte Veränderungen bewirken (die über die Einflüsse allgemeiner Wirkfaktoren, denjenigen von Placebo-Effekten bzw. zufälligen Veränderungen hinaus gehen), und dass dies auf ein bestimmtes Problem, bestimmte Patienten, Settings, Methoden, Therapeuten und Veränderungsmaße zutrifft.“ (Borkovec und Castonguay, 1998, S. 137) Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Psychotherapie muss ihre spezifische Wirksamkeit nachweisen Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Aus dem Anspruch einer spezifischen Wirksamkeit beziehen sämtliche Psychotherapieschulen und -konzepte ihre Daseinsberechtigung Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Aber: wie spezifisch ist Psychotherapie? „Die gemeinsame vs. spezifische Wirkfaktoren-Debatte ist das Herzstück der Fragen zur Politik des nationalen Gesundheitswesens wie das privater Versicherungen.“ (Zitat aus dem Vorwort von Gene V. Glass, 2001; zum Buch von Bruce E. Wampold: The Great Psychotherapy Debate) Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Ist Psychotherapie mehr als Placebo? Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie ... ein paar Effektstärken • unbehandelte Patienten (z.B. Kontrollgruppen) 0.10 • Placebo 0.50 • Psychopharmaka (z.B. Antidepressiva) 0.55 • Psychotherapie-Effekte 0.80 - 1.00 Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Placebo-Kontrollgruppenversus Psychotherapie • Prioleau et al. (1983): PT > Placebo/Kontrollen um ES = 0.42 • Shapiro et al. (1986): PT > Placebo/Kontrollen zwischen ES 0.61 und ES = 1.59 Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008 Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Fazit:Psychotherapie = Placebo Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Problematik des Begriffs„Placebo“ in der Psychotherapie • kann der Begriff überhaupt in der PT verwendet werden? • Placebo bedeutet ja Scheinmedikament, Scheinwirksamkeit („ich werde gefallen“) • ist eine Scheinwirkung überhaupt möglich in der PT, die ja auf menschlicher Begegnung/Beziehung basiert? • wie kann z.B. „therapeutische Wärme“als Placebo bezeichnet werden (weil sie eben keine spezifische Technik sei), wo sie doch substanzielle Wirkung im Veränderungsprozess von Patienten entfaltet, wie viele Studien zeigen? • Empfehlung (Lambert u. Ogles, 2004): anstatt den Begriff des Placebos in der PT zu verwenden, besser von gemeinsamen/ allgemeinen Wirkfaktoren sprechen • manche Forscher sprechen von „unspezifischen“, andere von „gemeinsamen“ oder „allgemeinen“ Wirkfaktoren; gemeint ist Ähnliches Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie unspezifische, allgemeine (common)Wirkfaktoren • Rosenzweig (1936): „kommunale“ Wirkfaktoren, z.b. Persönlichkeiten von Pat. und TH • Rogers (1951): die gesamte CCT ist aufgebaut auf der Basis der therapeutischen Beziehung • Frank (1971): wesentlich sei die emotional involvierende, vertrauensvolle Beziehung • Grawe et al. (1994): Ressourcenaktivierungs-Perspektive, motivationale Klärungsperspektive, Bewältigungsperspektive Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie unterstützende Faktoren Katharsis Identifikation mit TH Verringerung von Isolierung positive Beziehung Rückversicherung (beim TH) Spannungsreduzierung Strukturerhalt therapeutisches Arbeitsbündnis aktive Partizipation in TH-Pat.- Austausch TH-Expertise TH-Wärme TH-Respekt TH-Empathie TH-Echtheit Vertrauen Lern-Faktoren Ratschläge Affektives Erleben Assimilierung von problema- tischen Erfahrungen kognitives Lernen korrigierende emotionale Erfahrung Feedback Einsicht Rational Exploration innerer Bezugs- rahmen sich verändernde Erwartungen bezüglich persönlicher Effektivität verhaltensbezogene Faktoren Verhaltens-Regulation kognitive Bewältigung Ermutigung zur Konfrontation mit Ängsten Eingehen von Risiken Modelllernen Einübung Realitäts-Testung Erfolgs-Erfahrung Durcharbeiten gemeinsame (allgemeine) Wirkfaktoren in der Psychotherapie, nach Lambert u. Ogles (2004) Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Was also ist spezifisch anPsychotherapien? Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Evidenzbasierung in derPsychotherapie Zwei Ansätze: • naturalistische Studien • randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie RCT:Versuch, das medizinischeModell der Psychotherapie überzustülpen Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Wampold (2001) Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie RCT in der Pharmaforschung bzw.medizinischen Forschung • Paradigma aus der Pharmaforschung • Doppelblind-Studien • Kontrolle des Placebo-Effekts • Kontrolle aller möglichen Einfluss-Variablen, mit Ausnahme einer vermutlichen Wirkkomponente • Erhöhung der internen Validität Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie RCT in der Psychotherapieforschung • ungeeignetes Paradigma für die Psychotherapie • keine Doppelblind-Studien möglich • keine Kontrolle aller möglichen Einfluss-Variablen (Illusion) • keine Randomisierung möglich (Verstoß gegen Ethik, gegen Pat.-Neigung, gegen indikativ-prognostisches Wissen) • keine Erhöhung der internen Validität • keine Auskunft über spezifische Wirkkomponenten, da reine Outcome-Forschung (Black Box-Modell) Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Was ist eigentlich evident an denso genannten evidenzbasierten Behandlungen? Metaanalyse über 52 Metaanalysen (Jensen et al., 2005) • keine Kontrolle unspezifischer Wirkfaktoren • keinerlei Kontrollen, ob überhaupt die vermutet aktiven Ingredienzien tatsächlich für das Ausmaß der Veränderung verantwortlich waren oder nicht • keine Kontrolle der therapeutischen Beziehung • keine Kontrolle von Zeit-Dosis-Wirkungsbeziehungen Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Psychotherapie -nach wie vor eine Black Box? Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie therapeutische Beziehung 30% Patientenfaktoren und extratherapeutische Veränderung 40% Erwartungs- (Placebo-) Effekte 15% Methoden- und Konzeptfaktoren 15% vier Klassen therapeutischer Wirkfaktoren in der Psychotherapie (Asey u. Lambert, 2001) Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Die therapeutische Beziehung als wichtigstes Element in der Psychotherapie • Orlinsky et al. (1994) • stärkste Evidenz für die therapeutische Beziehung • mehr als 1.000 Prozess-Outcome-Studien als Beweis Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Äquivalenzparadox in der vergleichenden Psychotherapieforschung Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Dodo Bird Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Mögliche Erklärungen desÄquivalenzparadoxons • verschiedene Therapien können durch unterschiedliche Prozesse ähnliche Ziele erreichen („viele Wege führen nach Rom; man kann über den Gotthard oder über Paris dorthin reisen“) • unterschiedliche Therapien beinhalten gemeinsame Wirkfaktoren, obwohl sie durch die zugrunde liegende Theorie nicht begründet sind • es gibt tatsächlich differenzielle Outcomes, die aber durch die bisherige Forschung nicht entdeckt worden sind • es gibt differenzielle Prozesse, die auch zu differenziellen Outcomes führen • möglicherweise stehen die allgemeinen Wirkfaktoren für nicht nur einen substanziellen Teil an Verbesserung, sondern für den größten Teil an Zielerreichung durch psychologische Interventionen Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Das Ei des Dodo Bird ... ... noch längst nicht ausgebrütet ... Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Was muss geschehen? • keine RCT - völlig unangemessen für Psychotherapie und dabei große Selbsttäuschung über vermeintliche Exaktheit(grandiose Selbsttäuschung im Bemühen, so wissenschaftlich (medizinisch) wie nur möglich zu erscheinen) • was, bitte, ist „spezifisch“ an störungsspezifischer Psychotherapie? • naturalistische Studien sind erforderlich (externe Validität), aber methodisch sehr aufwendig! • Prozessforschung ist erforderlich (Prozess-Outcome-Forschung), um die Frage nach der Spezifität (also den tatsächlich wirksamen Ingredienzien/spezifischen Wirkfaktoren) zu klären Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008
Abteilung für Medizinische Psychologie Literatur Asay / Lambert (2001): Empirische Argumente für die allen Therapien gemeinsamen Faktoren: quantitative Ergebnisse. In: Hubble / Duncan / Miller (Hrsg.): So wirkt Psychotherapie. Empirische Ergebnisse und praktische Folgerungen. Verlag modernes lernen, Dortmund, S. 41-81 Baumann / Perrez (1998): Klinische Psychologie - Psychotherapie. Huber, Bern Borkovec / Castonguay (1998): Grawe / Donati / Bernauer (1994): Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. Hogrefe, Göttingen Jensen / Weersing / Hoagwood / Goldman (2005): What is the evidence for evidence-based treatments? A hard look at our soft underbelly. Mental Health Services Research 7: 53-74 Lambert / Ogles (2004): The efficacy and effectiveness of psychotherapy. In Lambert (ed.): Bergin and Garfield‘s Handbook of Psychotherapy and Behavior Change. 5th ed., John Wiley & Sons, New York (S. 139-193) Lohr / Olatunji / Parker / DeMaio (2005): Experimental analysis of specific treatment factors: Efficacy and practic implications. Journal of Clinical Psychology 61: 819-834 Orlinsky et al. (1994): Process and outcome in psychotherapy. Noch einmal. In: Bergin / Garfield (eds.): Handbook of Psychotherapy and Behavior Change. 4th ed.. John Wiley & Sons, New York (S. 270-376) Prioleau et al. (1983): Shapiro et al. (1986): Are all psychotherapies equivalent? American Psychologist 41: 165-180 Strauß (2001): Abschied vom Dodo-Vogel: Störungsspezifische versus allgemeine Therapie aus der Sicht der Psychotherapieforschung. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 51: 425-429 Tschuschke (2005): Die Psychotherapie in Zeiten evidenzbasierter Medizin. Fehlentwicklungen und Korrekturvorschläge. Psychotherapeutenjournal 4: 106-115 Wampold (2001): The Great Psychotherapy Debate. Models, Methods, and Findings. Lawrence Earlbaum, Mahwah / New Jersey, USA Volker Tschuschke, ETH-Zürich, 28-06-2008