370 likes | 679 Views
Depressive Störungen: Erkennen und Behandlen. Praxis der stationären Behandlung und medizinischen Rehabilitation bei depressiven Erkrankungen Prof. Dr. med. Reinhart Schüppel Furth im Wald. Referent. www.fachklinik-furth.de. Worum geht es?. 1. Komorbidität : Sucht und Depression
E N D
Depressive Störungen: Erkennen und Behandlen • Praxis der stationären Behandlung und medizinischen Rehabilitation bei depressiven Erkrankungen • Prof. Dr. med. Reinhart Schüppel • Furth im Wald
Referent www.fachklinik-furth.de
Worum geht es? • 1. Komorbidität: Sucht und Depression • 2. Depressionsbehandlung im stationären Setting • 3. Medizinische Rehabilitation bei depressiven Patienten
1. Komorbidität (1) Angst-störung Sucht Persönlich-keitsstörung Affektive Störung
1. Komorbidität (2) • Vorbemerkungen (1) • Kontinuum Suchtmittelgebrauch: unauffälliger Konsum – riskanter Konsum – Missbrauch – Abhängigkeit • Kontinuum Depression: normale Traurigkeit – Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion – Dysthymie – depressive Episode (abgestuft) • Geschlechtsverteilung: Frauen (Fokus: Angststörung, emotionale Störung) stärker als Männer (Fokus: dissoziale PS) betroffen • Faustregel bei Frauen zuerst die Depression, bei Männern zuerst die Sucht
2. Komorbidität (3) • Vorbemerkungen (2) • 1. Unterscheidung (Schuckit et al 1997a): • Depression substanzabhängig (Konsum oder Entzug) • Depression substanzunabhängig • Nach Abzug substanzinduzierter Störungen depressive Komorbidität deutlich geringer als in gängigen Statistiken • 2. Unterscheidung (Bakken et al. 2003): • Primäre Abhängigkeit (Sucht zeitlich zuerst) • Sekundäre Abhängigkeit (Sucht zeitlich später) • Komorbide Störung in 75% zeitlich vor, in 15% zeitlich nach Diagnose Suchterkrankung
1. Komorbidität (5) • Vorbemerkungen (3) • Große Spannbreite der Komorbiditätsangaben, abhängig von: • Beobachtungs-Setting (ambulant, stationär, hausärztlich, psychiatrisch) • Zeitpunkt der Untersuchung (Verwechslung von protahiertem Entzug und Depression) • Diagnose-Methodik
1. Komorbidität (6) • Daten • Psychische Komorbidität bei Alkoholabhängigen gegenüber Allgemeinbevölkerung um Faktor 2 bis 4 erhöht • Berkson-Bias: Patienten mit multiplen Störungen häufiger in Behandlung als solche mit „nur“ Suchterkrankung • Depressive: ca. 30 % Lebenszeitprävalenz für Sucht (ca. 20% Alkoholabhängigkeit) (Regier et al. 1990). OR : 4,1; OR : 2,7 (Kessler et al. 1997) • Alkoholabhängige: ca. 20% Lebenszeitprävalenz für affektive Störungen (Spannbreite 10-60%, Soyka und Lieb2004) OR : 4,3; OR : 2,1 (Gilman&Abraham 2001)
1. Komorbidität (7) • Zusammenhänge (1) • Beide Störungen unabhängig voneinander aber gleichzeitig oder in nahem Zusammenhang • Erst Depression, dann Alkoholproblem (~ „Selbstmedikationshypothese“) • Ca. 2/3 Alkoholabhängiger zeigen vor der Suchtentwicklung Störungen der Emotionalität (Angst, Depression, Hypomanie), Frauen 90%, Männer 59% (Angst et al. 1991) • Gelernte Wirkungserwartung von Alkohol (Schutte et al. 1995)
1. Komorbidität (8) • Zusammenhänge (2) • Erst Sucht, dann Depression • Akutwirkung des Alkohols • Kater als „kurze depressive Episode“ • Änderung des Schlafrhythmus als Einstieg • Chronische Wirkung des Alkohols • Veränderung an Neurotransmittern (funktionell) • alkoholische Hirnschädigung (strukturell: Charness 1993) • Durch aktuellen Alkoholkonsum bedingte substanzinduzierte Depression (Berglund und Nordström 1989) • Reaktion auf psychosoziale Probleme
1. Komorbidität (9) • Zusammenhänge (3) • GemeinsameUrsache • gemeinsame Prädisposition (Meier et al. 1996) • Genetik: Dissoziale PS (Fu et al. Arch Gen Psychiatry 2002) • Bipolare Störung (Helzer und Pryzbeck 1988) • serotonerge Unterfunktion (Hunt 1990) • dopaminerge Unterfunktion (Schmidt et al. 2001) • positive Familienanamnese als Prädiktor (Dawson und Grant J Stud Alcohol 1998) • sexueller Missbrauch (Kumpulainen et al. 2002)
1. Komorbidität (10) • Verlauf (1) • Alkoholabhängigkeit plus komorbide Depression • günstiger für Suchterkrankung: Trinkmenge (Holdcraft et al. 1989) • ungünstiger für Suchterkrankung: Zeit bis zum ersten Rückfall, Rückfallhäufigkeit (Greenfield et al 1998, Hesselbrock et al. 1985) • Ungünstiger für depressive Erkrankung (Swedsen et al. 1998) • Depressive Erkrankung Risikofaktor für Suizid(versuch) bei Alkoholkranken (Cornelius et al. 1995)
1. Komorbidität (11) • Verlauf (2) • Depression kann sich auch durch „reine“ Entwöhnungstherapie bessern (Schuckit et al. 1997b) • Phase nach Entlassung oft mit erhöhter Depressivität verbunden (Driessen et al. 2001) • Outcome-Ergebnisse von Entwöhnung bei depressiver Komorbidität inkonsistent (O‘Sullivan et al. 1988)
1. Komorbidität (12) • Therapie • Trend: Störungsspezifisch statt schulenspezifisch • Unbedingt erkennen: Bipolare Störung, dissoziale PS • Medikamente: SSRI: antidepressiv und anticraving • Psychotherapie: erste Wahl bei primärer Abhängigkeit • Setting: ambulant? stationär?
1. Komorbidität (13) • Setting Moggi und Donati 2004
1. Komorbidität (14) • Outcome
2. Stationäres Setting (1) • Definitionen • Bundessozialgericht, Definition „stationär“: Behandlung mindestens einen Tag und eine Nacht (geplant, kann im Einzelfall aber nach Aufnahme bei speziellen Gründen entfallen) • Voraussetzungen Reha (§107 Abs. 2 SGB V, §15 Abs. 2 SGB VI) stationäre Behandlung von Patienten: • Unter ständiger ärztlicher Verantwortung • besonders geschultes Personal, • Unterbringung und Verpflegung
2. Stationäres Setting (2) Stationäres Setting Medizinische/thera-peutische/sonstige Maßnahmen „Hotelleistungen“ einzelne evidenzbasiert, Kombination empirisch nicht evaluiert, kaum geschätzt
2. Stationäres Setting (3) • Essen • Regelmäßigkeit der Mahlzeiten (Selbstfürsorge) • „Tischmanieren“ (soziale Kompetenz) • Speisesaal (komorbide Angststörung) • Essverhalten (komorbide Essstörungen) • Spezialdiäten (komorbide Körpererkrankung) • Übernachtung • Tag-Nachtrhythmus (Tagesstruktur) • Hausordnung (Autoritätskonflikt, soziale Kompetenz) • Zimmerordnung (Training Achtsamkeit) • Gemeinschaft „nach der Therapie“ • Freizeitgestaltung (Teilhabe am sozialen Leben)
2. Stationäres Setting (4) • Indikationfür stationäre Behandlung von Depression(DGPPN 2000, Veterans Health Administration 2000): • Suizidgefahr/-versuch/andere Selbstschädigung/Eigengefährdung • Fremdgefährdung • (Psychotische Entgleisung) • Probleme in der basalen Selbstversorgung • Ausgeprägte soziale oder berufliche Beeinträchtigung
2. Stationäres Setting (5) • Spezifische Wirkfaktoren • Intensive und multimodale/multiprofessionelle Behandlung • Ständige Präsenz bzw. Verfügbarkeit von Hilfestellung und Bezugspersonen • Überwachung/Monitoring • Zusammenleben von Patienten in therapeutischer Gemeinschaft • Abstand zu pathogenem Milieu/Schutzraum • Entlastung von Patient, Angehörigen und amb. Helfern
2. Stationäres Setting (6) • Stationäres Setting Indikationen • Regressionsförderung gewünscht • Komplexes Krankheitsbild • Schweres Krankheitsbild, ggf. Selbstgefährdung • Schutzraum erforderlich • Milieuwechsel erforderlich • Ambulantes Setting überfordert/ausgereizt
2. Stationäres Setting (7) • Stationäres Setting Kontraindikationen • Zu starke Regessionsförderung nicht indiziert • Nähe-Distanzproblem des Patienten • Einbezug des sozialen Umfeldes notwendig • Stigmatisierung • Abhängigkeit von stationärer Hilfe • Lernen am falschen Modell
2. Stationäres Setting (8) • EBM stationäre Behandlung bei Depression • Psychotherapie wirksam (Böhme et al. 1998, Franz et al. 2000) • Kombination Psychotherapie und Psychopharmako-therapie wirksam (Schramml et al. 2004, Wolfersdorf et al. 2004) • Stufenkonzept (DGPM, DGPPN): • Hausarzt • Facharzt • Stationäre Behandlung
3. Reha bei Depression (1) • „Eminenzbasierung“ (Tölle 1996) • Viele Depressive brauchen keine Reha • Depression nach Verlusterlebnis: ärztliches Gespräch • Depression nach Unfall: Psychiater • Neurotische Depression: Psychosomatik-Reha • Melancholie: nicht generell Reha • Schwere Episode: Reha • Chronischer Verlauf: ambulant Psychiater
3. Reha bei Depression (2) • Reha notwendig? • Etwa 30% chronischer Verlauf • Depressive Erkrankungen: doppelt so hoher Ausfall von Krankheitstagen wie körperliche Erkrankungen • Fokus: chronifizierte Depression mit kompliziertem Verlauf • Leitlinien: kaum Aussagen zu Reha-Indikationen • Wenig Evidenz zu Langzeitverläufen
3. Reha bei Depression (3) • Indikationenmit unterschiedlicher Evidenz(DGPPN 2005, APA 2002, VHA 2000) • Probleme bei der sozialen Reintegration • Probleme bei der beruflichen Reintegration • Anhaltende Funktionsdefizite • Keine Aussagen z. B. zu „Doppeldiagnosen“ • Sekundäre Depression bei somatischen Erkrankungen: gute Datenlage bei stationärer Reha
Fazit • Psychiatrische Komorbidität, insbesondere Suchterkrankung spielt eine wichtige Rolle bei der Depressionsbehandlung, vice versa • Deshalb: Vorhalten von Skills und Tools • Stationäre Depressionsbehandlung wirkt vermutlich auch über Settingfaktoren (zu wenig gewürdigt und evaluiert) und hat einen festen Platz in der Stufentherapie • Die Rehabilitation von „primär“ depressiven Patienten ist intuitiv indiziert und erfolgreich, aber noch zu wenig beforscht
Literatur • Angst J, Gamma A, Neuenschwander M, Ajdadic V, Eich D, Rössler W. Syndrom-Spektren im Längsschnitt: Angst, Depression, Hypomania und Alkohol. In: Soyka M, Möller HJ, Wittchen HU (Hrsg.). Psychopathologie im Längsschnitt. Landsberg/Lech, ecomed 2003; 15-27 • Bakken K, Landheim AS, Vaglum P. Primary and secondary misusers: do they differ in substance-induced and substance-independent mental disorders?. Alcohol Alcohol 2003; 38: 54-59 • Berglund M, Nordström (1989) Mood disorders in alcoholism. Curr Opin Psychiat • 2:428-433; • Driessen M, Meier S, Hill A, Wetterling T, Lange W, Junghanns K. The course of anxiety, depression and drinking behaviours after completed detoxification in alcoholics with and without comorbid anxiety and depressive disorders. Alcohol Alcohol 2001; 36: 249-255 • Helzer JE, Pryzbeck TR. The cooccurrence of alcoholism with other psychiatric disorders in the general population and its impact on treatment. J Stud Alcohol 1988; 49: 219-224 • Hesselbrock MN, Meyer RE, Keener J. Psychopathology in hospitalised alcoholics. Arch Gen Psychiatry 1985; 42: 1050-1055 • Hunt WA. Brain mechanisms that underlie the reinforcing effects of ethanol. In: Cox M (Hrsg.). Why people drink, vol. 4. Gardner 1990; 71-83
Literatur • Maier W, Merikangas KR. Co-occurrence and cotransmission of affective disorders and alcoholism in families. Br J Psychiatry 1996; 30: 93-100 • Moggi F, Donati R: Psychische Störungen und Sucht: Doppeldiagnosen. Hogrefe, Göttingen 2004 • Regier DA, Farmer ME, Rae DS, Locke BZ, Keith SJ, Judd LL, Goodwin FK. Comorbidity of mental disorders with alcohol and other drug abuse. Results from the epidemiologic catchment area study (ECA). JAMA 1990; 264: 2511-2518 • Schuckit MA, Tipp JE, Bucholz KK, Nurnberger JI, Hesselbrock VM, Crowe RR, Kramer J. The life-time rates of three major mood disorders and four major anxiety disorders in alcoholics and controls. Addiction 1997a; 92: 1289-1304 • Schuckit MA, Tipp JE, Bergman M, Reich W, Hesselbrock V, Smith TL. Comparison of induced and independent major depressive disorders in 2945 alcoholics. Am J Psychiatry 1997b; 154: 948-957 • Schutte KK, Moos RH, Brennan PL. Depression and drinking behavior among women and men: A three-way longitudinal study of older adults. J Cons Clin Psychol 1995; 63: 810-822 • Soyka M., Lieb M: Depression und Alkoholabhängigkeit – Neue Befunde zu Komorbidität, Neurobiologie und Genetik. J Neurol Neurochir Psyiachtr 2004: 5, 37-46 • Swedsen JD, Merikangas KR, Canino GJ, Kessler RC, Rubio-Stipec M, Angst J. The comorbidity of alcoholism with anxiety and depressive disorders in four geographic communities. Compr Psychiatry 1998; 39: 176-184
Kessler RC, Crum RM, Warner LA, Nelson CB, Schulenberg J, Anthony JC: Lifetime co-occurrence of DSM-III-R alcohol abuse and dependence with other psychiatric disorders in the National Comorbidity Survey. Arch Gen Psychiatry. 1997 Apr;54(4):313-21. • Gilman SE; Abraham HD A longitudinal study of the order of onset of alcohol dependence and major depression. • Drug Alcohol Depend 2001 Aug 1;63(3):277-86 (ISSN: 0376-8716) • Schmidt K1,2, B. Nolte-Zenker1, J. Patzer1, M. Bauer1, L. G. Schmidt1, A. Heinz1, • Psychopathological Correlates of Reduced Dopamine Receptor Sensitivity in Depression,Schizophrenia, and Opiate and Alcohol Dependence[1][2] Pharmacopsychiatry2001; 34: 66-72