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Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen. Selbstbestimmung bei entscheidungsunfähigen Patienten aus rechtlicher Sicht. Katholische Akademie „Die Wolfsburg“ 18. November 2009.
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Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Selbstbestimmung bei entscheidungsunfähigen Patienten aus rechtlicher Sicht Katholische Akademie „Die Wolfsburg“ 18. November 2009
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg v. 15.1.2008: • betagte Patientin (P) mit massiven Durchblutungsstörungen im rechten Bein • Vorsorgebevollmächtigter Sohn (S) beantragt bei Vormundschafts-gericht (V) Betreuerbestellung • beauftragte Ärztin empfiehlt wegen beginnender Sepsis dringend OP; Sohn lehnt unter Verweis auf mutmaßlichen Willen der P ab • nervenärztliches Gutachten stellt schweres hirnorganisches Psychosyndrom fest • bei Anhörung ist P nicht ansprechbar • Betreuungsstelle der Stadt teilt mit, dass P bei vorangegangener Behandlung in Klinik Bein-OP explizit abgelehnt hat • V bestellt Berufsbetreuer, der in OP einwilligt, kurz davor verstirbt P
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Vorsorgebevoll-mächtigter Arzt Krankenschwester / Pfleger (in) Betreuer Familie
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen „Autonomie ist essentieller Teil dessen, was es heißt, das Leben als wertvoll anzusehen“ (John Harris, Der Wert des Lebens, 1995)
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Art. 2 I GG „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen ärztliches Gewissen Selbstbestimmung Fürsorge, insbes. Schädigungsverbot
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen verbindliche Koexistenzordnung durch das Recht Gewährleistung Begrenzung der Selbstbestimmung
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Übersicht: 1. Einwilligungsfähigkeit 2. Typen der Selbstbestimmung bei Einwilligungs-unfähigen 3. Patientenverfügung insbesondere
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Einwilligung: „Gestattung und Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechts-kreis des Gestattenden eingreifen" (BGHZ 29, 33) Einwilligungsfähigkeit: Einsicht in „Wesen, Bedeutung und Tragweite“ des bevorstehenden ärztlichen Eingriffs -> ärztliche Aufklärungspflicht!
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen „Problemfälle“: • Bewusstlose • Psychisch Kranke • Kinder und Minderjährige • unerträgliche Schmerzzustände • Kontraindikation der Aufklärung
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen „Selbstbestimmung“: authentische Erklärung in der Entscheidungssituation nach Aufklärung („informedconsent“) Patientenverfügung Gesundheitsbevollmächtigung (§§ 1896 II S. 2, 1904 II BGB) Betreuerentscheidungen (§§ 1901 II, 1902 BGB) mutmaßliche Einwilligung – Alleinentscheidung des Arztes
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen 1. Mutmaßliche Einwilligung: -> Subsidiarität: nur in Notfällen! -> Maßstab (BGHSt 40, 257 ff.): - „hypothetisch-individueller Wille“ zur „Tatzeit“ - „frühere mündliche oder schriftliche Äußerun- gen, religiöse Überzeugung, persönliche Wert-vorstellungen, altersbedingte Lebenserwar-tung oder das Erleiden von Schmerzen“
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität -> „objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin vernünftig oder normal oder den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend haben keine eigenständige Bedeutung“ -> bei non-liquet aber Rückgriff auf „allgemeine ge-sellschaftliche Wertvorstellungen“: „Im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor per-sönlichen Überlegungen des Arztes, des Angehö-rigen oder einer anderen beteiligten Person“; aber „im Einzelfall abhängig von ärztlicher Prognose“
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität § 1901a II BGB i.d.F. des 3. BetreuungsrechtsändG (1.9.2009) (1) … (2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Fest-legungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu ent-scheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berück-sichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schrift-liche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen 2. Vertreterentscheidung: • Gesundheitsbevollmächtigter (§§ 1896 II S. 2, 1904 II BGB) • Betreuerentscheidungen (§§ 1901 II, 1902 BGB) • Vormundschaftsgericht in Eilfällen (§§ 1908i I, 1846 BGB) Handlungsmaßstab für Stellvertreter: => Bindung an „Wünsche“ bzw. „mutmaßlichen Willen“ („subjektives Wohl“) des Vertretenen / Betreuten (§§ 1901 II, III, 1901a, 665 BGB), hilfsweise: „Interesse“ des Patienten („objektiv-mutmaßlicher Wille“)
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen § 1901 II, III BGB: - Maßstab: „Wohl“ des Betreuten - „Wohl“: auch Gestaltung nach „eigenen Wünschen und Vorstellungen“ - „Wünschen“: ist zu entsprechen, „soweit dies dem Wohl des Betreuten nicht zuwiderläuft“
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Sonderfall: Minderjährige zwei Fälle: einwilligungsfähig einwilligungsunfähig Problem: Eltern? dennoch Vetorecht?
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen (1) Einwilligungsfähige Minderjährige: • Rspr./Teil der Lehre: Zuständigkeit der Eltern kraft elterlicher Sorge (zuletzt BGH NJW 2007, 217: Vetorecht bei nur relativ indiziertem Ein-griff mit erheblichen Risiken) • Rechtsgedanke des § 40 IV Nr. 3 S. 4 AMG: doppelte Zustimmungspflichtigkeit • Z.T.: Differenzierung nach Art des Eingriffs • Z.T.: nur Informationsrecht der Eltern • zunehmend h.L.: Alleinentscheidungsrecht des Minderjährigen
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen (2) Einwilligungsunfähige Minderjährige: • Grds.: Alleinentscheidungsrecht der Eltern • Rechtsgedanke des § 40 IV Nr. 3 S. 3 AMG? + Aufklärungspflicht schon bei Minimum an „geistiger Reife“ + Ablehnung „ist zu beachten“
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen 3. Patientenverfügung: - Strafrecht (BGHSt 40, 257, 263): „frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Kranken“ als Indizien zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens - Zivilrecht (BGHZ 154, 205 ff.): „Fortwirken“ einer früheren Willensbekundung auch im Stadium der Einwilligungsunfähigkeit-> „fortdauernde Maßgeblichkeit“
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen ABER: „Reichweitenbegrenzung“: erforderlich, „dass das Grundleiden des Kranken nach ärzt-licher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist und einen tödlichen Verlauf angenommen hat“
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Drittes BetreuungsrechtsändG (ab 1.9.2009): Situationsäquivalente PV: Betreuer/Bevollmächtigter „hat dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen“ (§ 1901a I, V BGB) Begriff: schriftliche Festlegung eines „einwilligungsfähigen Volljähri-gen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit …, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht un-mittelbar bevorstehende Untersuchungen … einwilligt oder sie untersagt“ (§ 1901a I S. 1 BGB)
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Verfahren: behandelnder Arzt stellt Indikation: „Er und der Betreuer [Bevollmächtigte] erörtern diese Maßnahme unter Berück-sichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Entscheidung“ (§ 1901b I BGB) Gerichtliche Beteiligung? Nichteinwilligung durch „Betreuungsgericht“ genehmi-gungsbedürftig nur bei Dissens (§ 1904 II, IV, V BGB); Wirksamkeit der Genehmigung erst zwei Wochen nach Bekanntgabe (§ 287 III ZPO)
Prof. Dr. Gunnar Duttge Zentrum für Medizinrecht Georg-August-Universität Göttingen Was ist nicht Gegenstand des neuen Gesetzes? -Hinterlegung/Registrierung - Anforderungen an wirksamen Widerruf: „formlos“ (§ 1901a I S. 3 BGB) - Status der Angehörigen: beschränkt auf Informations-quelle für (mutmaßlichen) Patientenwillen (§ 1901b II BGB) - ärztliche/rechtliche Beratung - „einseitige“/ „objektive“ Therapiebegrenzung
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