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Besteht ein Unterschied zwischen konkretem Gefährdungs- und Verletzungsvorsatz?. - Eine rechtsvergleichende Studie - Friedrich Toepel. Ausgangsfall BGH NJW 1968, 660:. Der Angeklagte rammt ein Polizeiauto mit dem Mercedes, den er steuert, um unerkannt entkommen zu können.
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Besteht ein Unterschied zwischen konkretem Gefährdungs- und Verletzungsvorsatz? - Eine rechtsvergleichende Studie - Friedrich Toepel
Ausgangsfall BGH NJW 1968, 660: • Der Angeklagte rammt ein Polizeiauto mit dem Mercedes, den er steuert, um unerkannt entkommen zu können. • Angeklagt wird er wegen versuchten Mordes an den Polizisten in dem gerammten Wagen. • Fraglich ist der bedingte Tötungsvorsatz. • Der BGH greift auf den Lederriemen-Fall zurück:
Lederriemen-Fall BGHSt 7, 363 • Formale Interpretation des „Billigungsmerkmals“: • Billigen = Sich Abfinden mit dem Erfolg • Nach meiner Ansicht ist dies eine kognitive Interpretation auch des Billigungselements.
Lederriemen-Fall BGHSt 7, 363 • Folgen: • 1. Auch ein unerwünschter Erfolg schließt ein Billigen nicht aus. • 2. In BGH NJW 1968, 660 setzt der BGH hinzu: • Hoffen, dass der Erfolg ausbleiben möge, schließt bedingten Vorsatz nicht aus.
Was bleibt für bewusste Fahrlässigkeit? • Bewusst fahrlässig = • wer vertraut, der als möglich vorausgesehene Erfolg werde nicht eintreten • und deshalb die Gefahr in Kauf nimmt (BGHSt 7, 363, 370).
Problem: • Wie kann die Gefahr in Kauf genommen werden, ohne die Gefahrverwirklichung in Kauf zu nehmen? • Wer eine derartige Vorstellung hat, handelt irrational. (so auch Roxin, JuS 1964, 53, 60)
Problem: • Ein irrationales Vertrauen muss von einem • ohnmächtigen Hoffen abgegrenzt werden. • Was ist der Unterschied? • Der irrational Vertrauende hat (schlechte) Gründe für sein Vertrauen, • Der Hoffende hat keine Gründe?
Problem: • NK-Puppe, § 15 Rz 49 f.: • Es ist kaum vertretbar, auf einen so geringen Unterschied die verschiedenen Strafrahmen zu gründen. • Wenn keine Differenz zwischen beiden ausgemacht werden kann, scheint es plausibel zu sein, auch den Unterschied zwischen Verletzungs- und konkretem Gefährdungsvorsatz aufzugeben.
Problem: • Dennoch wird selbst von den neueren Lehren, die eine Beschränkung des Vorsatzes auf die kognitiven Elemente ernst nehmen, vertreten, dass eine Abgrenzung zwischen Verletzungs- und Gefährdungsvorsatz möglich ist:
Frisch, Vorsatz und Risiko S. 299: • Der Täter, der für sich von der Möglichkeit des Eintritts einer Gefahrensituation ausgeht, • kann die Weiterentwicklung anders beurteilen, als dies der objektiven Bewertung entspricht. • Problem: Verkennt nicht die Gefahr, wer die „Weiterentwicklung“ anders beurteilt, als der objektiven Bewertung entspricht?
NK-Puppe, § 15 Rz 86: • 1. konkrete Gefahr = Verletzung für ein Rechtsgutsobjekt nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit • 2. Verletzungsvorsatz = Anwendung einer Verletzungsmethode • keine Anwendung einer Körperverletzungsmethode, solange ein Opfer eine reelle Chance hat, einem rücksichtlosen Kraftfahrer auszuweichen.
Kritik: • Puppe interpretiert die Grenze zwischen Gefährdungs- und Verletzungsvorsatz um und macht sie von der Größe der Gefahr abhängig. • Der Bereich der konkreten Gefahr wird weit ausgedehnt („nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit“) • Wann ist etwas Anwendung einer Verletzungsmethode?
Kritik: • Das ist ein noch vageres Kriterium als das Vertrauen auf den guten Ausgang. • Wie halten es andere Staaten?
Italien: • Dolo eventuale = in etwa bedingter Vorsatz, Stand vor dem Lederriemen-Fall • Corte di Cassazione, sez. I, 13 dicembre 1983, in GM, 1983, II, 961, “Zeugen Jehovas”: • Eltern, die eine lebensrettende Bluttransfusion ihrer Tochter verweigerten, die an einer schweren Blutkrankheit (Beta-Thalassämie) litt.
Italien: • Der Corte di Cassazione annullierte das Urteil der Vorinstanz, dass die Eltern wegen Totschlags durch Unterlassen verurteilt hatte. • Dolus eventualis sei nicht nachgewiesen. • Dolo eventuale wird definiert als • „accettare il rischio che si verifichi un certo evento“
Italien: • Allerdings wird „accettare“ im Sinne einer inneren Billigung und insofern als genuin voluntativ verstanden. • „La mera rappresentazione dell‘evento non è ancora la volontà di produrlo.“ • Das voluntative Element wurde ausgeschlossen, • Die Eltern hätten den Tod der Tochter nicht „intimamente“ (innerlich) gewollt.
Frankreich: • Dol éventuel: • Wird als eigenes subjektives Element zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit aufgefasst. • „la faute non intentionnelle“ • Für Fahrlässigkeit bleibt aber nur unbewusste Fahrlässigkeit (imprudence, négligence).
Frankreich: • Als Definition des Dol éventuel wird betrachtet: • Art. 121-3 Code Pénal: „mise en danger délibérée de la • personne d’autrui“ • Dafür wird vorausgesetzt: • 1) la création d‘un état dangereux • 2) une cause génératrice (violation d‘une obligation)
Frankreich: • Riskante Verkehrsverstöße wie Überholen vor einer unübersichtlichen Kuppe werden als mit dol èventuel begangen betrachtet. • In Deutschland hingegen: • Bei Fehlen von Anhaltspunkten für suizidale Neigungen oder sonstiger Unempfindlichkeit gegenüber eigenen Verletzungen wäre solches Verhalten • bewusste Fahrlässigkeit
England: • Grenzlinie ähnlich wie Frankreich, nur mit anderer Begrifflichkeit und anderer Tradition: • Für die meisten Delikte genügt • recklessness • hat also dieselbe Funktion wie der deutsche dolus eventualis
England: • Definition von recklessness, • Cunningham test: • „The accused has foreseen that the particular kind of harm might be done and yet has gone on to take the risk.“ • Taken the risk = sehr ähnliche Formulierung wie das deutsche „Sich Abfinden“
England: • Wir unterscheiden zwar „Sich Abfinden mit dem Erfolgseintritt“ und „ Sich Abfinden mit der Gefahr“ • Aber diese Unterschiede werden in der englischen Literatur zumindest zu einem erheblichen Teil als nicht durchführbar betrachtet:
England: • Z. B. Duff (Intention, Agency etc. Seite 177-179) : • Falls das Risiko der Verletzung „untrennbar“ (inseparable)mit der Tathandlung verbunden ist, • soll sich der Täter nicht darauf berufen können, dass der tatbestandliche Erfolg ein Unfall war.
England: • Wann besteht „Untrennbarkeit“ von Verletzungsrisiko und Tathandlung? • Bei Unmöglichkeit, die Handlung auszuführen, ohne auch die tatbestandliche Verletzungsgefahr herbeizuführen. • Diese Unmöglichkeit wird objektiv bestimmt (Duff Seite 177-178).
England: • Damit besteht wiederum ein Gegensatz zur deutschen Literatur, die bei • irrationalem Vertrauen • Raum für bewusste Fahrlässigkeit lässt. • Der Unterschied zeigt sich auch deutlich an Gerichtsfällen, so z. B.
England: • Booth v. Crown Prosecution Service: • Ein Fußgänger überquert eine Straße, ohne sich zu vergewissern, ob gerade Verkehr herrscht. Er kommt so plötzlich zwischen zwei parkenden Fahrzeugen auf die Fahrbahn, dass ein Autofahrer ihn erfasst. • Der Fußgänger wird nicht nur selbst verletzt, sondern beschädigt auch das Kfz.
England: • Er wirdwegen Sachbeschädigung des Wagens verurteilt, • Für die in England recklessness hinreicht. • „Defendant was aware of the risk and closed his mind to it.“ • In Deutschland würde aller Wahrscheinlichkeit nach bedingter Vorsatz ausgeschlossen werden, denn • er wollte sich nicht selbst verletzen.
England: • In England ist diese Kritik nicht vorhanden. • Es wurde nur vorgebracht: • Dass die Tatbestandswürdigung der Magistrates unplausibel war, dass der Täter das Risiko der Sachbeschädigung eingegangen ist, denn • wenn er ein Risiko reflektiert hätte, wäre das sicher nur seine eigene Verletzung gewesen (Blackstone‘s Criminal Practice).
Unterschied England Deutschland: • Nach h. M. genügt nicht, dass der Täter die Prämissen des folgenden Syllogismus kennt: • 1. Singuläre Prämisse: Indizien für Gefahr • 2. Generelle Gesetzmäßigkeiten • 3. Anwendung auf die konkrete Situation
Unterschied England Deutschland: • Der Täter muss auch die Schlussfolgerung ziehen, dass sich die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung aus den Prämissen ergibt. • Aber das ist nicht alles. Andernfalls müsste auch ein bloßes unbegründetes, aber ernstes Hoffen auf das Ausbleiben des Erfolges hinreichen.
Unterschied England Deutschland: • Nach deutscher h. M. scheint der Täter die Schlussfolgerung zumindest aus irrationalen Gründen ablehnen zu müssen, • um in den Genuss des Privilegs bewusster Fahrlässigkeit zu gelangen. • Indessen: Ist dieser Unterschied plausibel?
Unterschied England Deutschland: • Kann es im Zeugen Jehovas-Fall darauf ankommen, ob • die Eltern irrational an eine alternative Heilmethode glauben, oder • ob sie hoffen, die Tochter werde schon überleben, ohne irgendeinen Grund dafür zu haben?