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Der Datenschutz in den Sozialwissenschaften. Prof. Dr. Michael Häder Technische Universität Dresden. Vorbemerkungen. Schwerpunkt: Die Freiheit der Forschung und der Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland 1.1 Die Forschungsfreiheit
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Der Datenschutz in den Sozialwissenschaften Prof. Dr. Michael Häder Technische Universität Dresden
Vorbemerkungen • Schwerpunkt: Die Freiheit der Forschung und der Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland 1.1 Die Forschungsfreiheit 1.2 Das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung 1.3 Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit 1.4 Personenbezogene Daten 1.5 Absolut und faktisch anonymisierte Daten 1.6 Das Datensparsamkeitsgebot • 2. Schwerpunkt: Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes 2.1 Operationalisierung 2.2 Stichprobenziehung bzw. Auswahl der Untersuchungseinheiten
Vorbemerkungen 2.3 Datenschutz beim Pretest 2.4 Datenschutz während der Feldarbeit 2.5 Anonymisierung der Daten 2.6 Pseudoanonymisierung der Daten 2.7 Transkription • 3. Schwerpunkt: Die Diskussion um den Datenschutz bei telefonischen Befragungen 3.1 Der Stellenwert telefonischer Befragungen 3.2 Datenschutzprobleme und Standesrechtliche Regelungen • 4. Schwerpunkt: Wenn es zu Konflikten kommt, Diskussionen um den Datenschutz und der Datenschutz vor Gericht 4.1 Eine unangemeldete telefonische Befragung
Vorbemerkungen 4.2 Die Speicherung in der Sperrdatei 4.3 Verbot telefonischer Werbung • 5. Schwerpunkt: Zwei aktuelle Probleme 5.1 Videoüberwachung im öffentlichen Raum 5.2 Erhebung biometrischer Daten • Zusammenfassung • Literatur
Schwerpunkt:Die Freiheit der Forschung und der Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland 1.1 Die Forschungsfreiheit • In der Bundesrepublik Deutschland ist die Freiheit der Forschung durch den Artikel 5 des Grundgesetzes uneingeschränkt garantiert: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz [GG])
Schwerpunkt:Die Freiheit der Forschung und der Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland 1.2 Das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung • Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ • Wie weit geht dieser Schutz geht? Kann er mit dem Prinzip der Forschungsfreiheit in Konflikt geraten? • Bundesverfassungsgericht: „Jeder Mensch hat das Recht, über Informationen, die seine Person betreffen, selbst zu bestimmen.“ (BVerfGE 65, S. 41 f.).
Schwerpunkt:Die Freiheit der Forschung und der Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland 1.3 Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit • Anzustreben ist, dass möglichst weitgehend die Grundrechte beider Seiten gewährleistet werden. • Sozialforscher: Möglichst wenig in die Privatsphäre der Zielpersonen eindringen! • Betroffener: Minimum an Belastung muss hingenommen werden.
Schwerpunkt:Die Freiheit der Forschung und der Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland 1.4 Personenbezogene Daten • Bundesdatenschutzgesetz: „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person.“ (§ 3 Absatz 1) • Daten sind dann personenbezogen, wenn sie eindeutig einer bestimmten Person zugeordnet sind oder diese Zuordnung zumindest mittelbar erfolgen kann. • Die Identifikationsnummer auf einem sozialwissenschaftlichen Fragebogen ermöglicht eine solche Zuordnung. Ausgefüllte Fragebögen beinhalten personenbezogene Daten.
Schwerpunkt:Die Freiheit der Forschung und der Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland 1.5 Absolut und faktisch anonymisierte Daten sowie pseudoanonymisierte Daten • Anonymisiertes Datum: es kann nicht festgestellt werden, wer die betreffende Person war, auf die sich das Datum bezieht • Faktisch anonymisiertes Datum: es besteht ein Restrisiko, der Deanonymisierung • Pseudoanonymisiertes Datum: mittels einer Zuordnungsprozedur kann die betreffende Person ausfindig gemacht werden
Schwerpunkt:Die Freiheit der Forschung und der Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland 1.6 Das Datensparsamkeitsgebot • Personenbezogene Daten dürfen nicht auf Vorrat gewonnen werden. • Die Erhebung muss stets an ein bestimmtes Forschungsprojekt geknüpft sein. • Dieses Forschungsprojekt muss für so gewichtig eingeschätzt werde, dass es die Gewinnung personenbezogener Daten, und damit ein gewisses Eindringen in die Privatsphäre des Einzelnen, rechtfertigt. • Die Forscher haben zu überlegen, welches methodische Design zur Überprüfung der Forschungshypothesen am wenigsten in die Privatsphäre der Zielpersonen eindringt.
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes 2.1 Operationalisierung • Klären, ob ein Forschungsprojekt eine eigene empirische Erhebung benötigt • Nutzung von Scientific Use Datenbeständen, Abteilung Datenarchiv und Datenanalyse der GESIS, SHARE (UNI MANNHEIM), SOEP (BERLIN) • Möglichkeiten der Forschungsdatenzentren und der Datenservicezentren des Rates für Sozial- und Wirtschaftsdaten nutzen • Eigene empirische Studie so angelegen, dass die angesprochenen Zielpersonen möglichst wenig in ihrer Privatsphäre gestört werden.
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes 2.2 Stichprobenziehung / Auswahl der Untersuchungseinheiten • Der Zugang zu Melderegisterstichproben: sie enthalten Angaben zu Geschlecht, Alter, Staatsbürgerschaft und Adresse → Daten nicht für andere Zwecke nutzen • Generierung von Nummernfolgen für Zufallsstichproben bei den telefonischen Befragungen, auch nicht eingetragene Teilnehmer kontaktieren
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes 2.3 Datenschutz beim Pretest • Vor Beginn einer Untersuchung ist (tatsächliche) Datenlage nicht bekannt • Aber: Verpflichtung, konkrete Auskunft über das Projekt zu geben • Empfehlung (vgl. Metschke/Wellbrock 2000:40f): Ausnahmegenehmigung erwirken, die dem Forscher erlaubt, im Rahmen eines Pretests zunächst an einer kleinen Fallzahl sein Design zu überprüfen.
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes 2.4 Datenschutz während der Feldarbeit • Bei persönlich-mündlichen Befragungen • Auf Honorarbasis tätige Interviewer → Kontrolle (Kontaktprotokolle mit ID) • Von Fragebögen getrennt aufzubewahren, nach Kontrollen löschen → Anonymisierung • Aktenkundige Belehrung aller Mitarbeiter / betrieblicher Datenschutzbeauftragter • Erklärung zum Datenschutz / „Was geschieht mit Ihren Angaben“ • Bundesgerichtshof: Informiertes Einverständnis der Betroffenen; einmalige sozialwissenschaftliche Erhebungen keine schriftliche Einwilligung • Verweigerungen akzeptieren
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes • Befragungen in Schulen, Befragungen von Kindern und Jugendlichen • Befragungen in Schulen: beim zuständigen Ministerium beantragen • Einwilligung des Betroffenen (Konsequenzen klar machen) • Keine Personen unter elf Jahren befragen • zwischen elf und 13 Jahren: Erhebungsinstitut muss Einsichtsfähigkeit prüfen, Einwilligung der Eltern erforderlich • Bei 14- bis 17-jährigen: Einsichtsfähigkeit wird unterstellt.
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes • Mitarbeiterbefragungen • Durch das Betriebsverfassungsgesetz geregelt • Mitarbeitervertretungen müssen den Erhebungen zustimmen • Record Linkage Studien • Beispiel aus der Medizin: Verschiedene Ärzte verfügen über jeweils unterschiedliche Informationen zu einer Person. • Eine Zusammenführung dieser Informationen kann für die Forschung wichtige Hinweise ergeben. • Dabei: Anonymität gewährleisten! • Aufgabe des Datentreuhänders
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes • Postalischen Befragungen • Ermittlung der Adressen? • Das forschende Institut verfügt nicht über die Anschriften der zu Befragenden → Adressermittlungsverfahren • ID auf den Fragebögen zur Kontrolle des Rücklaufs, auch hier: informiertes Einverständnis • Oder: mit dem Versand der Fragebögen werden zugleich Postkarten verschickt
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes • Nichtreaktive Verfahren • Erhebungssituation übt Einfluss auf die Zielperson aus • Lösung: (z.B) verdeckte und teilnehmend verdeckte Beobachtungen? • Deutschsprachige Soziologie lehnt verdeckte Beobachtung weitgehend ab (vgl. Hopf 2000:592) • Amerikanische Soziologische Gesellschaft regt weniger massive Ablehnung an • Lösung: beobachtete Personen im Nachhinein um Einwilligung bitten, ansonsten Löschung
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes 2.5 Anonymisierung der Daten • Vernichtung der ID, Löschung der gewählten Nummernfolgen usw. • Daten lassen sich nicht mehr mit einer bestimmten Person in Verbindung bringen • Wichtig für die Replikation von Vermeidung von Betrug • Archivierung und Weitergabe der anonymisierten Datenfiles • Aber: Gefahr der De-Anonymisierung
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes • sensible Variablen eines Datensatzes nur in vergröberten Kategorien angeben • Weitergabe des Datensatzes mit besonderer Verpflichtung an die Nutzer
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes 2.6 Pseudoanonymisierung der Daten bei Längsschnittstudien • Informationen zu einer Person aus verschiedenen Erhebungen müssen zusammen gespielt werden • Zielpersonen müssen identifizierbar sein • deshalb: Besondere Hinweise an den Datennutzer & Arbeit mit Sub-Samples & Zweckbindung der Daten
2. Schwerpunkt:Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess und die Facetten des Datenschutzes 2.7 Transkription • qualitative Interviews und Gruppendiskussionen • Aussagen dürfen nicht mit konkreten Personen in Verbindung gebracht werden. • Angaben wie Namen, Adressen oder Orte müssen schon während der Transkription pseudonymisiert oder gelöscht werden • manchmal auf Kosten von Einbußen der Datenqualität
3. Schwerpunkt:Die Diskussion um den Datenschutz bei telefonischen Befragungen 3.1 Bedeutung telefonischer Befragungen • Ergebnisse bieten Kontrastbild zur veröffentlichten Meinung (Politbarometer; ARD-Deutschlandtrend usw.) • Besitzen zahlreiche methodische Vorteile (Kontrolle der Interviewer, kostengünstig, kurze Feldzeiten, ungeklumpte Stichproben) • International anerkannt und genutzt • Gegenstand umfangreicher Forschungen
3. Schwerpunkt:Die Diskussion um den Datenschutz bei telefonischen Befragungen Mögliche Konfliktherde: • Nichteingetragene werden mithilfe generierter Telefonnummern erreicht • Qualitätskontrolle der Arbeit der Interviewer: Mithören !? • Sperrdatei des ADM (Hard-Core Verweigerer)
3. Schwerpunkt:Die Diskussion um den Datenschutz bei telefonischen Befragungen 3.2 Standesrechtliche Regelungen • Anrufzeiten einhalten • Verweigerung ist zumutbar • Keine Alternative zum Mithören als Qualitätskontrolle • Keine Werbung für Produkte am Telefon
4. Schwerpunkt:Wenn es zu Konflikten kommt: Diskussionen um den Datenschutz und der Datenschutz vor Gericht 4.1 Klage wegen einer unangemeldeten telefonischen Befragung • Geklagt hatte ein Rechtsanwalt, dessen Telefonnummer war nicht in einem Verzeichnis enthalten, gefordert wurde eine strafbewehrte Unterlassungserklärung • AG Hamburg - St. Georg lehnte Antrag ab (27. Oktober 2005) • „Eine Abwägung der kollidierenden Interessen ergibt, dass der Verfügungskläger die Anrufe der Beklagten als rechtmäßig hinnehmen musste.“
4. Schwerpunkt:Wenn es zu Konflikten kommt: Diskussionen um den Datenschutz und der Datenschutz vor Gericht • Das Telefon ist vergleichbar mit einem Briefkasten. Wer sich – so das Gericht – einen Telefonanschluss zulegt, der bringt damit zum Ausdruck, auch über dieses Medium kommunizieren zu wollen. • Für eine Person ist zumutbar, den Anruf entgegen zu nehmen und gegebenenfalls zu erklären, nicht für eine Umfrage zur Verfügung zu stehen. Dafür veranschlagt das Gericht 15 bis 30 Sekunden.
4. Schwerpunkt:Wenn es zu Konflikten kommt: Diskussionen um den Datenschutz und der Datenschutz vor Gericht 4.2 Urteil zur Speicherung in der Sperrdatei • ADM führt eine Sperrdatei mit Rufnummernfolgen von Personen, die es ausdrücklich nicht wünschen, zu Zwecken der Markt- und Sozialforschung über das Telefon angerufen zu werden. • Am Landgericht Frankfurt am Main fordert ein Kläger, dass seine Rufnummer aus diesem Verzeichnis entfernt wird, da er nicht sein Einverständnis zur Speicherung gegeben hat. Er wünscht auch keine Anrufe, bei denen er um eine Teilnahme an einer Befragung gebeten wird. • Das Landgericht gibt dem Kläger Recht (12. 9. 2007).
4. Schwerpunkt:Wenn es zu Konflikten kommt: Diskussionen um den Datenschutz und der Datenschutz vor Gericht • Gründe: Telefonnummer ist ein personenbezogenes Datum • Speicherung und Weitergabe ist nur mit dem Einverständnis des Betroffenen erlaubt. • Bei Zuwiderhandlung wird ein Ordnungsgeld von 3.000 Euro bzw. Haft angedroht.
4. Schwerpunkt:Wenn es zu Konflikten kommt: Diskussionen um den Datenschutz und der Datenschutz vor Gericht 4.3 Verstoß gegen das Verbot telefonischer Werbung • Gesetz zum Unlauteren Wettbewerb §7 Abs. 2 Nr. 3 • GfK: 1. Quartal 2006: 82,6 Millionen telefonische Werbekontakte, teilweise werden (zunächst) Umfragen vorgetäuscht • aber: Jeder Erwachsene wird nur ein Mal in 10 Jahren zufällig für eine Stichprobe ausgewählt • Kampagnen zum Image der Umfrageforschung sind erforderlich
5. Schwerpunkt:Zwei aktuelle Probleme 5.1 Videoüberwachung im öffentlichen Raum • Eine wohlhabende Unternehmerin betrügt ihren Ehemann; sie befürchtet, erpresst zu werden. Um nicht aufzufallen benutzt sie nicht ihren Sportwagen, sondern den ÖPNV. Dieser wird aber Videoüberwacht … → Regeln für eine solche Überwachung
5. Schwerpunkt:Zwei aktuelle Probleme 5.2 Erhebung biometrischer Daten • USA: Panel-Studie zur Einkommensdynamik: In der Diskussion ist die Erhebung von Bio-Markern • Biometrische Angaben: Körpergröße, gewicht, Blutwerte, genetische Informationen aus der DNA • Daten verdienen einen besonderen Schutz (z.B. keine Verbreitung über das Internet, Zugang mittels Passwort schützen usw.)
5. Schwerpunkt:Zwei aktuelle Probleme Kontovers diskutierte Punkte (vgl. Greely 2009): • Kontrolle über die Nutzung der Daten ist schwierig • Recht des Betroffenen auf Löschung der Daten • Physischer Schutz der Daten, z.B. vor Verlust • Information der Zielperson über ggf. festgestellte Probleme wie Erbkrankheiten usw.
5. Schwerpunkt:Zwei aktuelle Probleme • Einbeziehung von Kindern (das Problem der Vaterschaftstests) • Bitte um Einverständnis bei den Betroffenen zur Verarbeitung der Daten
Zusammenfassung • Bei sozialwissenschaftlichen Forschungen können viele datenschutzrechtliche Probleme auftreten • Teilweise existieren dafür bereits klare Regelungen • Teilweise sind Standesregeln heran zu ziehen • Teilweise gibt es aber auch noch keine solchen Regeln • → dann: Eigenverantwortliches Handeln der Wissenschaftler auf der Basis der geltenden Regeln
Literaturhinweise und eine ausführlichere Darstellung finden sich im Internet unter: • http://www.ratswd.de/download/RatSWD_WP_2009/RatSWD_WP_90.pdf Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!