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Il giovane Thomas Mann. XV Buddenbrooks (1901) Johann e Jean.
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Il giovane Thomas Mann XV Buddenbrooks (1901) Johann e Jean
„Dazu Kleider und Schuhe“, sprach sie, „Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind“, Acker und Vieh…“ Bei diesen Worten aber brach der alte Monsieur Johann Buddenbrook einfach in Gelächter aus […]. Er lachte vor Vergnügen, sich über den Katechismus mokieren zu können, und hatte wahrscheinlich nur zu diesem Zwecke das kleine Examen vorgenommen […] Der Konsul aber sagte mit einem Gemisch von entgegenkömmenden Lächeln und Vorwurf in der Stimme: „Aber Vater, Sie belustigen sich wieder einmal über das Heiligste!“ (I, 1)
„Gleichviel“, beharrte der Konsul […] „ich begreife es nicht, ich begreife nicht die Bewunderung für diesen Unmenschen! Als christlicher Mann, als Mensch von religiösem Empfinden finde ich in meinem Herzen keinen Raum für ein solches Gefühl“ (I, 5) […] wieder durchschauerte ihn die schwärmerische Ehrfurcht seiner Generation vor menschlichen Gefühlen, die stets mit seinem nüchternen und praktischen Geschäftssinn in Hader gelegen hatte. (IV, 8)
„Wann ist das Haus noch gebaut worden?“ fragte Herr Hoffstede […] „Anno … warte mal … Um 1680, wenn ich nicht irre. Mein Sohn weiß übrigens besser mit solchen Daten Bescheid …“ „Zweiundachtzig“, bestätigte, sich vorbeugend, der Konsul […] „1682, im Winter, ist es fertig geworden. Mit Ratenkamp & Co. Fing es damals an, aufs glänzendsten bergauf zu gehen … Traurig, dieses Sinken der Firma in den letzten zwanzig Jahren“ (I, 4)
Ein Bein über das andere geschlagen, blätterte er langsam in dem Hefte zurück, um hie und da einen Abschnitt der Daten und Betrachtungen zu lesen, die sich von seiner Hand dort vorfanden, und sich wieder einmal dankbar der Erkenntnis zu freuen, wie immer und in aller Gefahr Gottes Hand ihn sichtbar gesegnet. [….] „Ich könnte gar vieles anführen“ hieß es an anderer Stelle, „wenn ich gewilligt wäre, meine Leidenschaften zu entdecken, allein…“ Nun, hierüber ging der Konsul hinweg und begann, hie und da ein paar Zeilen aus der Zeit seiner Verheiratung und seiner ersten Vaterschaft zu lesen. Diese Verbindung war, sollte er ehrlich sein, nicht gerade das gewesen, was man eine Liebesheirat nennt. (II, 1)
Mit der zweiten Heirat seines Vaters hatte es sich ja nicht anders verhalten. […] Bedauerlich, wie wenig Sinn er für alle diese alten Aufzeichnungen und Papiere besaß. Er stand mit beiden Beinen in der Gegenwart und beschäftigte sich nicht vbile mit der Vergangenheit der Familie, wenngleich er ehemals dem Dicken Goldschnittheft immerhin ein paar Notizen […] hinzugefügt hatte, und zwar hauptsächlich in betreff seiner ersten Ehe. […] Ja, Johann Buddenbrook mußte diese erste Gattin, die Tochter eines Bremer Kaufmanns, in rührender Weise geliebt haben, und das eine, kurze Jahr, das er an ihrer Seite hatte verleben dürfen, schien sein schönstes gewesen zu sein. „L’année la plus hereuse de ma vie”, stand dort, mit einer krausen Wellenlinie unterstrichen, auf die Gefahr hin, daß Madame Antoinette es las… Dann aber war Gotthold gekommen, und das Kind hatte Josephinen zugrunde gerichtet… Wunderliche Bemerkungen standen, was dies betrifft, auf dem rauhen Papier, Johann Buddenbrook schien dieses neue Wesen ehrlich und bitterlich gehaßt zu haben […]. Der Konsul verstand das nicht. (II, 1)
da: Fr. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874) Zu allem Handeln gehört Vergessen: wie zum Leben alles Organischen nicht nur Licht, sondern auch Dunkel gehört. Ein Mensch, der durch und durch nur historisch empfinden wollte, wäre dem ähnlich, der sich des Schlafens zu enthalten gezwungen würde […]. Also: es ist möglich, fast ohne Erinnerung zu leben, ja glücklich zu leben, wie das Tier zeigt; es ist aber ganz und gar unmöglich, ohne Vergessen überhaupt zu leben. Oder, um mich noch einfacher über mein Thema zu erklären: es gibt einen Grad von Schlaflosigkeit, von Wiederkäuen, von historischem Sinne, bei dem das Lebendige zu Schaden kommt und zuletzt zugrunde geht, sei es nun ein Mensch oder ein Volk oder eine Kultur. […] Die Heiterkeit, das gute Gewissen, die frohe Tat, das Vertrauen auf das Kommende - alles das hängt, bei dem einzelnen wie bei dem Volke, davon ab, […] daß man ebenso gut zur rechten Zeit zu vergessen weiß, als man sich zur rechten Zeit erinnert; davon, daß man mit kräftigem Instinkte herausfühlt, wann es nötig ist, historisch, wann, unhistorisch zu empfinden. Dies gerade ist der Satz, zu dessen Betrachtung der Leser eingeladen ist: das Unhistorische und das Historische ist gleichermaßen für die Gesundheit eines einzelnen, eines Volkes und einer Kultur nötig.
Der Alte mochte sich erinnern, wie er vor sechsundzwanzig Jahren zum ersten Male am Sterbebette einer Gattin gesessen hatte, und er mochte der wilden Verzweiflung, die damals in ihn aufbegehrt war, die nachdenkliche Wehmut vergleichen, mit der er, nun selbst so alt, in das veränderte, ausdruckslose und entsetzlich gleichgültige Gesicht seiner alten Frau blickte, die ihn niemals ein großen Glück, niemals einen großen Schmerz bereitet […]. Er dachte nicht viel, er sah nur unverwandt und mit einem leisen Kopfschütteln auf sein Leben und das Leben im allgemeinen zurück, das ihm plötzlich so fern und wunderlich erschien, dieses überflüssig geräuschvolle Getümmel, in dessen Mitte er gestanden [….] Manchmal sagte er mit halber Stimme vor sich hin: „Kurios! Kurios!“ […] da änderte sich seine Stimmung nicht, da weinte er nicht einmal, aber dies leise, erstaunte Kopfschütteln blieb ihm, und dies beinahe lächelnde „Kurios!“ wurde sein Lieblingswort (II, 4)
„Mit Papa ist es zum Heulen“, sagte Tony […] „Kann er jemals zur festgesetzten Zeit fertig sein? Er sitzt an seinem Pult und sitzt […] vielleicht ist es wirklich notwendig, ich will nichts gesagt haben […] Gut … wenn es zehn Minuten zu spät ist, fällt ihm sein Versprechen ein, und er kommt die Treppen herauf, indem er immer zwei Stufen überspringt, obgleich er weiß, daß er oben Kongestionen und Herzklöpfen bekommt […]“ […] Verspätete Hundstage hatte diese zweite Septemberwoche gebracht […]. Heute war der Wind ganz nach Westen hin umgeschlagen, und gleichzeitig hatte dieser plötzliche Barometersturz stattgefunden… Noch war ein großer Teil des Himmels blau, aber langsam zog ein Komplex von graublauen Wolken daran herauf, dick und weich wie Kissen. Tom fügte hinzu: „Ich finde auch, der Regen käme höchst erwünscht“. (IV, 11)
Und der Wind, der Westwind, […] regte sich nicht mehr. Es war einen Augenblick vollkommen still. Da, plötzlich trat dieser Moment ein… ereignete sich etwas Lautloses, Erschreckendes. Die Schwüle schien verdoppelt, die Atmosphäre schien einen sich binnen einer Sekunde rapide steigernden Druck auszuüben, der das Gehirn beängstigte, das Herz bedrängte, die Atmung verwehrte […] dieser unentwirrbare Druck, diese Spannung, diese wachsende Beklemmung des Organismus wäre unerträglich geworden, wenn sie den geringsten Teil eines Augenblicks länger gedauert hätte, wenn nicht auf ihrem sofort erreichten Höhepunkt eine Abspannung, ein Überspringen stattgefunden hätte … ein kleiner, erlösender Bruch, der sich unhörbar irgendwo ereignete, und den man gleichwohl zu hören glaubte … wenn nicht in demselben Moment, fast ohne daß ein Tropfenfall vorhergegangen wäre, der Regen herniedergebrochen wäre, daß das Wasser im Rinnstein schäumte und auf dem Bürgersteig hoch emporsprang (IV, 11)