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Il giovane Thomas Mann. XVIII Buddenbrooks (1901) Christian. Nach Tische setzte er sich an das kleine Harmonium, das im
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Il giovane Thomas Mann XVIII Buddenbrooks (1901) Christian
Nach Tische setzte er sich an das kleine Harmonium, das im Eßsaale stand, und machte einen Klaviervirtuosen. Er tat, als ob er sein Haar zurückwürfe, rieb sich die Hände und blickte von unten herauf ins Zimmer; dann, lautlos, ohne die Bälge zu treten, denn er konnte durchaus nicht spielen und war überhaupt unmusikalisch wie die meisten Buddenbrooks, begann er, emsig vornübergebeugt, den Baß zu bearbeiten, vollführte wahnsinnige Passagen, warf sich zurück, blickte entzückt nach oben und griff mit beiden Händen machtvoll und sieghaft in die Tasten... Selbst Clara geriet ins Lachen. Sein Spiel war täuschend, voll von Leidenschaft und Charlatanerie, voll von unwiderstehlicher Komik, die den burlesken und exzentrischen englisch-amerikanischen Charakter trug und weit entfernt war, einen Augenblick unangenehm zu berühren, denn er selbst fühlte sich allzu wohl und sicher darin. „Ich bin immer sehr häufig in Conzerte gegangen“, sagte er; „ich sehe es gar zu gern, wie die Leute sich mit ihren Instrumenten benehmen!... Ja, es ist wahrhaftig wunderschön, ein Künstler zu sein!“ (V, 2)
„Ich verstehe recht wohl, was du meinst, Tony. Christian ist herzlich indiskret... es ist schwer, es auszudrücken. Ihm fehlt etwas, was man das Gleichgewicht, das persönliche Gleichgewicht nennen kann. […] Ach, die Sache ist ganz einfach die, daß Christian sich zu viel mit sich selbst beschäftigt, mit den Vorgängen in seinem eignen Inneren. Manchmal ergreift ihn eine wahre Manie, die kleinsten und tiefsten dieser Vorgänge ans Licht zu ziehen und auszusprechen... Vorgänge, um die ein verständiger Mensch sich gar nicht bekümmert, von denen er gar nichts wissen will, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil er sich genieren würde, sie mitzuteilen. Es liegt so viel Schamlosigkeit in solcher Mitteilerei, Tony!... Siehst du, auch ein anderer Mensch als Christian mag sagen, daß er das Theater liebt; aber er wird es mit einem anderen Akzent, beiläufiger, kurz: bescheidener sagen. Christian aber sagt es mit einer Betonung, die bedeutet: Ist meine Schwärmerei für die Bühne nicht etwas ungeheuer Merkwürdiges und Interessantes? Er kämpft mit den Worten dabei, er tut, als ringe er danach, etwas ausbündig Feines, Verborgenes und Seltsames zum Ausdruck zu bringen...“ (V, 2)
„Ich will dir Eines sagen“, fuhr er nach einer Pause fort [...] „Ich selbst habe manchmal über diese ängstliche, eitle und neugierige Beschäftigung mit sich selbst nachgedacht, denn ich habe früher ebenfalls dazu geneigt. Aber ich habe gemerkt, daß sie zerfahren, untüchtig und haltlos macht... und die Haltung, das Gleichgewicht ist für mich meinerseits die Hauptsache. Es wird immer Menschen geben, die zu diesem Interesse an sich selbst, diesem eingehenden Beobachten ihrer Empfindungen berechtigt sind, Dichter, die ihr bevorzugtes Innenleben mit Sicherheit und Schönheit auszusprechen vermögen und damit die Gefühlswelt der anderen Leute bereichern. Aber wir sind bloß einfache Kaufleute, mein Kind; unsere Selbstbeobachtungen sind verzweifelt unbeträchtlich. Wir können zur Not hervorbringen, daß das Stimmen von Orchester-Instrumenten uns ein merkwürdiges Vergnügen macht, und daß wir manchmal nicht wagen, schlucken zu wollen... Ach, wir sollen uns hinsetzen, zum Teufel, und etwas leisten, wie unsere Vorfahren etwas geleistet haben...“ (V, 2)
Wir Psychologen der Zukunft – wir haben wenig guten Willen zur Selbstbeobachtung: wir nehmen es fast als ein Zeichen von Entartung, wenn ein Instrument »sich selbst zu erkennen« sucht: wir sind Instrumente der Erkenntnis und möchten die ganze Naivität und Präzision eines Instrumentes haben, – folglich dürfen wir uns selbst nicht analysieren, nicht »kennen«. Erstes Merkmal von Selbsterhaltungs-Instinkt des großen Psychologen: er sucht sich nie, er hat kein Auge, kein Interesse, keine Neugierde für sich [...]. Wir haben weder Zeit noch Neugierde genug, uns dergestalt um uns selbst zu drehen. Es steht, tiefer angesehn, sogar noch anders: wir mißtrauen allen Nabelbeschauern aus dem Grunde, weil uns die Selbstbeobachtung als eine Entartungsform […] gilt. (dal Nachlaß di Friedrich Nietzsche)
Heute scheinen zwei Dinge modern zu sein: die Analyse des Lebens und die Flucht aus dem Leben. Gering ist die Freude an Handlung, am Zusammenspiel der äußeren und inneren Lebensmächte, am Wilhelm-Meisterlichen Lebenlernen und am Shakespearischen Weltlauf. Man treibt Anatomie des eigenen Seelenlebens, oder man träumt. Reflexion oder Phantasie, Spiegelbild oder Traumbild. Modern sind alte Möbel und junge Nervositäten. Modern ist das psychologische Graswachsenhören und das Plätschern in der reinphantastischen Wunderwelt. Modern ist Paul Bourget und Buddha; das Zerschneiden von Atomen und das Ballspielen mit dem All; modern ist die Zergliederung einer Laune, eines Seufzers, eines Skrupels; und modern ist die instinktmäßige, fast somnambule Hingabe an jede Offenbarung des Schönen, an einen Farbenakkord, aus: Hugo von Hofmannsthal, Gabriele d'Annunzio (1893)
„Alle Kaufleute sind Schwindler, sagst du“, begann er von neuern... „Gut! bist du deines Berufes überdrüssig? Bereust du es, Kaufmann geworden zu sein? […]“ „Ja, Tom“, sagte Christian nachdenklich; „ich würde wahrhaftig lieber studieren! Auf der Universität, weißt du, das muß sehr nett sein... Man geht hin, wenn man Lust hat, ganz freiwillig, setzt sich und hört zu, wie im Theater...“ „Wie im Theater... Ach, ins Cafe chantant gehörst du als Possenreißer... Ich scherze nicht! […]“ beteuerte der Konsul, und Christian widersprach dem durchaus nicht […]. »Und du erfrechst dich, eine solche Bemerkung von dir zu geben, du, der du keine Ahnung […] davon hast, was Arbeit ist, der du dein Leben ausfüllst, indem du dir mit Theater und Bummelei und Narreteien eine Reihe von Gefühlen und Empfindungen und Zuständen verschaffst, mit denen du dich beschäftigen, die du beobachten und pflegen, über die du in schamloser Weise schwatzen kannst...« (VI, 3)
»Ja, Tom«, sagte Christian ein wenig betrübt und strich wieder mit der Hand über seinen Schädel. »Das ist wahr; das hast du ganz richtig ausgedrückt. Das ist der Unterschied zwischen uns, siehst du. Du siehst auch gern ein Theaterstück an und hast früher, unter uns gesagt, auch deine Techtelmechtel gehabt und lasest eine Zeit lang mal mit Vorliebe Romane und Gedichte und dergleichen... Aber du hast es immer so gut verstanden, das alles mit der ordentlichen Arbeit und dem Ernst des Lebens zu verbinden... Das geht mir ab, siehst du. Ich werde von dem anderen, von dem Kram, ganz und gar aufgebraucht, weißt du, und behalte für das Ordentliche gar nichts übrig... Ich weiß nicht, ob du mich verstehst. ..« (VI, 3)
»[…] Gehe hin und verjökele dein Leben, wie du es bisher getan! Aber du kompromittierst uns, uns alle, wo du gehst und stehst! Du bist ein Auswuchs, eine ungesunde Stelle am Körper unserer Familie! Du bist vom Übel hier in dieser Stadt, und wenn dies Haus mein eigen wäre, so würde ich dich hinausweisen, da hinaus, zur Türe hinaus!« schrie er, indem er eine wilde und weite Bewegung über den Garten, den Hof, die große Diele hin vollführte... Er hielt nicht mehr an sich. Eine lange aufgespeicherte Menge von Wut entlud sich... »Was fällt dir ein, Thomas!« sagte Christian. Er hatte einen Anfall von Entrüstung, was sich ziemlich sonderbar ausnahm. (VI, 3)
Aber Christian folgte ihm. Er ging auf Gerda zu, die dort allein bei der Lektüre saß, und gab ihr die Hand. »Gute Nacht, Gerda. Ja, Gerda, ich gehe nun also demnächst wieder nach London. Merkwürdig, wie man umhergeworfen wird. Nun wieder so ins Ungewisse, weißt du, in solche große Stadt, wo es bei jedem dritten Schritt ein Abenteuer gibt und man so viel erleben kann. Sonderbar... kennst du das Gefühl? Es sitzt hier, ungefähr im Magen... ganz sonderbar...« (VII, 2)
„Du hast dir einen Platz im Leben erobert […] und da stehst du nun und weisest kalt und mit Bewußtsein alles zurück, was dich einen Augenblick beirren und dem Gleichgewicht stören konnte, denn das Gleichgewicht, das ist dir das Wichtigste. Aber es ist nicht das Wichtigste, Thomas, es ist vor Gott nicht die Hauptsache. Du bist ein Egoist, ja, das bist du. […] Du bist so ohne Mitleid und Liebe und Demut. Ach!“ rief er […] „Wie satt ich das alles habe, dies Taktgefühl und Feingefühl und Gleichgewicht, diese Haltung und Würde… Wie sterbenssatt!...“ Und dieser letzte Ruf war in einem solchen Grade echt, er kam so sehr von Herzen und brach mit einem solchen Nachdruck von Widerwillen und Überdruß hervor, daß er tatsächlich etwas Niederschmetterndes hatte, ja, daß Thomas ein wenig zusammensank und eine Weile wortlos und mit müder Miene vor sich niederblickte. „Ich bin geworden, wie ich bin“, sagte er endlich, und seine Stimme klang bewegt, „weil ich nicht werden wollte wie du. Wenn ich dich innerlich gemieden habe, so geschah es, weil ich mich vor dir hüten muß, weil dein Sein und Wesen eine Gefahr für mich ist“ (IX, 2)