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Il giovane Thomas Mann. XX Buddenbrooks (1901) Hanno. Taufe!... Taufe in der Breitenstraße! […] …ein Erbe! Ein Stammhalter! Ein Buddenbrook! Begreift man, was das bedeutet?
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Il giovane Thomas Mann XX Buddenbrooks (1901) Hanno
Taufe!... Taufe in der Breitenstraße! […] …ein Erbe! Ein Stammhalter! Ein Buddenbrook! Begreift man, was das bedeutet? Begreift man das stille Entzücken, mit dem die Kunde, als das erste, leise, ahnende Wort gefallen, von der Breiten- in die Mengstraße getragen worden? Den stummen Enthusiasmus, mit dem Frau Permaneder bei dieser Nachricht ihre Mutter, ihren Bruder und - behutsamer - ihre Schwägerin umarmt hat? Und nun, da der Frühling gekommen, der Frühling des Jahres einundsechzig, nun ist er da und empfängt das Sakrament der heiligen Taufe, er, auf dem langst so viele Hoffnungen ruhen, von dem längst so viel gesprochen, der seit langen Jahren erwartet, ersehnt worden, den man von Gott erbeten und um den man Doktor Grabow gequält hat… (VII, 1)
Und zwischen zwei Kriegen, unberührt und ruhevoll […] spielt der kleine Johann […] die Spiele seiner viereinhalb Jahre... Diese Spiele, deren Tiefsinn und Reiz kein Erwachsener mehr zu verstehen vermag, und zu denen nichts weiter nötig ist als drei Kieselsteine oder ein Stück Holz, das vielleicht eine Löwenzahnblüte als Helm trägt: vor allem aber die reine, starke, inbrünstige, keusche, noch unverstörte und uneingeschüchterte Phantasie jenes glückseligen Alters, wo das Leben sich noch scheut, uns anzutasten, wo noch weder Pflicht noch Schuld Hand an uns zulegen wagt, wo wir sehen, hören, lachen, staunen und träumen dürfen, ohne daß noch die Welt Dienste von uns verlangt... wo die Ungeduld derer, die wir doch lieben möchten, uns noch nicht nach Anzeichen und ersten Beweisen quält, daß wir diese Dienste mit Tüchtigkeit werden leisten können... Ach, nicht lange mehr, und mit plumper Übermacht wird alles über uns herfallen, um uns zu vergewaltigen, zu exerzieren, zu strecken, zu kürzen, zu verderben ... (VII, 8)
Mit einem Bein auf dem Schreibsessel kniend, das weichgewellte hellbraune Haar in die flache Hand gestützt, musterte Hanno das Manuskript ein wenig von der Seite, mit dem mattkritischen und ein bißchen verächtlichen Ernste einer vollkommenen Gleichgültigkeit […] Er las auch, ganz zuletzt, […] seinen eigenen Namen […], was ihm einigen Spaß machte, richtete sich dann ein wenig auf, […] legte das Lineal unter seinen Namen, ließ seine Augen noch einmal über das ganze genealogische Gewimmel hingleiten: und hierauf, mit stiller Miene und gedankenloser Sorgfalt, mechanisch und verträumt, zog er mit der Goldfeder einen schönen, sauberen Doppelstrich quer über das ganze Blatt hinüber […] »Was heißt das! Was ficht dich an! Antworte! Wie kommst du zu dem Unfug!« rief der Senator, indem er mit dem leicht zusammengerollten Heft auf Hannos Wange schlug. Und der kleine Johann, zurückweichend, stammelte, indem er mit der Hand nach seiner Wange fuhr: »Ich glaubte ... ich glaubte... es käme nichts mehr...« (VIII, 7)
Er lauschte auf ihr Spiel und auf ihre Gespräche, und so geschah es, daß, nach den ersten Schritten, die er auf seinem Lebenswege getan, er der Musik als einer außerordentlich ernsten, wichtigen und tiefsinnigen Sache gewahr wurde. Kaum hie und da verstand er ein Wort von dem, was gesprochen wurde, und was erklang, ging meist weit über sein kindliches Verständnis hinaus. Wenn er dennoch immer wiederkam und ohne sich zu langweilen Stunde für Stunde reglos an seinem Platze ausharrte, so waren es Glaube, Liebe und Ehrfurcht, die ihn dazu vermochten. (VIII, 6)
Das singende, schimmernde Glück war verstummt und erloschen, mit fiebrigem Kopfe hatte er sich daheim in seinem Zimmer wiedergefunden und war gewahr geworden, daß nur ein paar Stunden des Schlafes dort in seinem Bett ihn von grauem Alltag trennten. Da hatte ihn ein Anfall jener gänzlichen Verzagtheit überwältigt, die er so wohl kannte. Er hatte wieder empfunden, wie wehe die Schönheit tut, wie tief sie in Scham und sehnsüchtige Verzweiflung stürzt und doch auch den Mut und die Tauglichkeit zum gemeinen Leben verzehrt. (XI, 2)
August von Platen (1796-1835) Tristan (1825) Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, Ist dem Tode schon anheimgegeben, Wird für keinen Dienst auf Erden taugen, Und doch wird er vor dem Tode beben, Wer die Schönheit angeschaut mit Augen! […]
Aber der kleine Johann sah mehr, als er sehen sollte, und seine Augen […] beobachteten zu gut. Er sah nicht nur die sichere Liebenswürdigkeit, die sein Vater auf alle wirken ließ, er sah auch […], wie furchtbar schwer sie zu machen war, wie sein Vater nach jeder Visite wortkarger und bleicher, mit geschlossenen Augen, deren Lider sich gerötet hatten, in der Wagenecke lehnte, und mit Entsetzen im Herzen erlebte er es, daß auf der Schwelle des nächsten Hauses eine Maske über eben dieses Gesicht glitt, immer aufs neue eine plötzliche Elastizität in die Bewegungen eben dieses ermüdeten Körpers kam. Das Auftreten, Reden, Sichbenehmen, Wirken und Handeln unter Menschen stellte sich dem kleinen Johann nicht als ein naives, natürliches und halb unbewußtes Vertreten praktischer Interessen dar, die man mit anderen gemein hat und gegen andere durchsetzen will, sondern als eine Art von Selbstzweck, eine bewußte und künstliche Anstrengung, bei welcher, anstatt der aufrichtigen und einfachen inneren Beteiligung, eine furchtbar schwierige und aufreibende Virtuosität für Haltung und Rückgrat aufkommen mußte. (X, 2)
»Nun ist der Leutnant schon zwei Stunden bei Mama... Hanno... « Und siehe da, bei diesem Klange schlug der kleine Johann seine goldbraunen Augen auf und richtete sie groß, klar und liebevoll wie noch niemals auf seines Vaters Gesicht, dieses Gesicht mit den geröteten Lidern unter den hellen Brauen und den weißen, ein wenig gedunsenen Wangen, die von den lang ausgezogenen Spitzen des Schnurrbartes starr überragt wurden. Gott weiß, wieviel er begriff. Das eine aber war sicher, und sie fühlten es beide, daß in diesen Sekunden, während ihre Blicke ineinander ruhten, jede Fremdheit und Kälte, jeder Zwang und jedes Mißverständnis zwischen ihnen dahinsank, daß Thomas Buddenbrook, wie hier, so überall, wo es sich nicht um Energie, Tüchtigkeit und helläugige Frische, sondern um Furcht und Leiden handelte, des Vertrauens und der Hingabe seines Sohnes gewiß sein konnte. (X, 5)
Abermals stieg ein Widerwille, eine Art von Brechreiz in Hanno Buddenbrook auf und schnürte ihm die Kehle zusammen. Gleichzeitig aber beobachtete er mit entsetzlicher Klarheit, was vor sich ging. […] Wer unter diesen fünfundzwanzig jungen Leuten von rechtschaffener Konstitution, stark und tüchtig für das Leben war, […] der nahm in diesem Augenblicke die Dinge völlig wie sie lagen, fühlte sich nicht durch sie beleidigt und fand, daß alles selbstverständlich und in der Ordnung sei. Aber es gab auch Augen, die sich in finsterer Nachdenklichkeit auf einen Punkt richteten... Der kleine Johann starrte auf Hans Hermann Kilians breiten Rücken, und seine goldbraunen, bläulich umschatteten Augen waren ganz voll von Abscheu, Widerstand und Furcht... […] »Was sagst du jetzt, Hanno! “Wenn sie die Stirn des Cäsar werden sehen...” Du hast ein unerhörtes Glück gehabt!« »Mir ist übel, Kai«, sagte der kleine Johann. »Ich will es gar nicht, das Glück, es macht mir übel. ..« (XI, 2)
Hanno Buddenbrook liebte ihn in diesem Augenblick und blickte unbeweglich in sein hilflos verzogenes Gesicht. […] »Perlemann«, sagte er ohne viel Zuversicht. »Leider dem Wahnsinn verfallen«, sprach Kai Graf Mölln klar und fest; und unter wachsendem Hallo wurde auch dies bestätigt. Da stand Herr Modersohn auf und rief in den Lärm hinein: »Buddenbrook, Sie werden mir eine Strafarbeit anfertigen. Wiederholt sich Ihr Lachen, so werde ich Sie tadeln müssen.« Dann setzte er sich wieder. - In der Tat, Buddenbrook hatte gelacht […]. Als aber Herr Modersohn ihn anherrschte, wurde er ruhig und blickte still und finster auf den Kandidaten. Er sah in diesem Augenblick alles an ihm […]. Er sah auch in sein Inneres hinein. Hanno Buddenbrook war beinahe der einzige, den Herr Modersohn schon mit Namen kannte […]. Er kannte den Schüler Buddenbrook nur deshalb, weil er sich durch stilles Verhalten von den anderen unterschieden hatte, und diese Sanftmut nützte er dazu aus, ihn unaufhörlich die Autorität fühlen zu lassen, die er den Lauten und Frechen gegenüber nicht geltend zu machen wagte. Selbst das Mitleid wird einem auf Erden durch die Gemeinheit unmöglich gemacht, dachte Hanno. (XI, 2)
»Was ist mit meiner Musik, Kai? Es ist nichts damit. Soll ich umherreisen und spielen? Erstens würden sie es mir nicht erlauben, und zweitens werde ich nie genug dazu können. Ich kann beinahe nichts, ich kann nur ein bißchen phantasieren, wenn ich allein bin. Und dann stelle ich mir das Umherreisen auch schrecklich vor... Mit dir ist es so anders. Du hast mehr Mut. Du gehst hier herum und lachst über das Ganze und hast ihnen etwas entgegenzuhalten. Du willst schreiben, willst den Leuten Schönes und Merkwürdiges erzählen, gut, das ist etwas. Und du wirst sicher berühmt werden, du bist so geschickt. Woran liegt es? Du bist lustiger. Manchmal in der Stunde sehen wir uns an, wie vorhin einen Augenblick, bei Herrn Mantelsack, als Petersen unter allen, die abgelesen hatten, einen Tadel bekam. Wir denken dasselbe, aber du schneidest eine Fratze und bist stolz... Ich kann das nicht. Ich werde so müde davon. Ich möchte schlafen und nichts mehr wissen. Ich möchte sterben, Kai!... Nein, es ist nichts mit mir. Ich kann nichts wollen. (XI, 2)
Es war ein ganz einfaches Motiv, das er sich vorführte, ein Nichts, das Bruchstück einer nicht vorhandenen Melodie, eine Figur von anderthalb Takten, und als er sie zum ersten Mal mit einiger Kraft, die man ihm nicht zugetraut hätte, in tiefer Lage als einzelne Stimme ertönen ließ, wie als sollte sie von Posaunen einstimmig und befehlshaberisch als Urstoff und Ausgang alles Kommenden verkündigt werden, war gar nicht abzusehen, was eigentlich gemeint sei. Als er sie aber im Diskant, in einer Klangfarbe von mattem Silber, harmonisiert wiederholte, erwies sich, daß sie im wesentlichen aus einer einzigen Auflösung bestand, einem sehnsüchtigen und schmerzlichen Hinsinken von einer Tonart in die andere... (XI, 2)
Und es kam, es war nicht mehr hintanzuhalten, die Krämpfe der Sehnsucht hätten nicht mehr verlängert werden können, es kam, gleichwie wenn ein Vorhang zerrisse, Tore aufsprängen, Dornenhecken sich erschlossen, Flammenmauern in sich zusammensänken... Die Lösung, die Auflösung, die Erfüllung, die vollkommene Befriedigung brach herein, und mit entzücktem Aufjauchzen entwirrte sich alles zu einem Wohlklang, der in süßem und sehnsüchtigem Ritardando sogleich in einen anderen hinübersank... (XI, 2)