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Sterbehilfe und Strafrecht –. Gemeinsame Veranstaltung von ELSA-Dresden und der Forschungsstelle Medizinstrafrecht an der Juristische Fakultät Referent: Professor Dr. iur. Detlev Sternberg-Lieben (Juristische Fakultät, TU Dresden). allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht).
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Sterbehilfe und Strafrecht– Gemeinsame Veranstaltung von ELSA-Dresden und der Forschungsstelle Medizinstrafrecht an der Juristische Fakultät Referent: Professor Dr. iur. Detlev Sternberg-Lieben (Juristische Fakultät, TU Dresden)
allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht) allgemeines Spannungsverhältnis bei rechtlichen Regelungen im Arzt/Patienten-Verhältnis: einerseits: Unentbehrlichkeit rechtlicher Grenzziehung andererseits: Anerkennung eines sachnotwendig gebotenen ärztlichen „Freiraums“
allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht) Konsequenz: Recht als bloßer Rahmen (zB Freiheit der Therapiewahl => Grenze: „Kunstfehler)
allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht) Aber: wesentliche Ausnahme: „Zugriffsberechtigung" bei körperlichen Eingriffen =>(mutmaßliche) Einwilligung des Patienten oder seines Vertreters als zwingende Voraussetzung rechtmäßigen ärztlichen Handelns
allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht) jeder (!) ärztliche Heileingriff als einwilligungsbedürftige Körperverletzung: auch bei vitaler Indikation keine ärztliche Befugnis zur eigenmächtigen Heilbehandlung ggf. Sanktionierung aus §§ 223 Strafgesetzbuch, 823 BGB (Schadensersatz)
allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht) Also stets zu fragen: Ist Weiterbehandlung vom Willen des Patienten bzw. seines Vertreters gedeckt?
allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht) Entscheidend: Ist die (Weiter)Behandlung vom (mutmaßlichen) Patientenwillen gedeckt? Wenn nicht: Fortfall der ärztlichen Berechtigung zur Heilbehandlung (§ 223 StGB!); aber auch: Fortfall der ärztlichen Pflicht zur Lebenserhaltung (=> §§ 212, 13 / 323c StGB entfallen!)
Kein Problem ärztlicher Sterbehilfe: (unterlassene) Maßnahmen nach Eintritt des Todes: => Gesamt-Hirntod --------------------------------------------- Sterbebegleitung: Schmerzbekämpfung als auch strafbewehrte (§§ 223, 13StGB) arztethischePflicht
Fehlende spezialgesetzliche Regelung für Sterbehilfe (außer: §§ 1901a ff. BGB → Rechtslage aus allgemeinen gesetzlichen Vorgaben zu erschließen
Verbot aktiver Tötung handelndes Setzen einer neuen, den Tod beschleunigenden „Noxe“ → grundsätzlich strafbar - auch auf Verlangen des Patienten (§ 216 StGB aber: Ausnahme =>
indirekte „Sterbehilfe“ => als unbeabsichtigte Nebenfolge notwendiger Schmerzbekämpfung (Wille auf Schmerzlinderung und nicht auf Tötung gerichtet): → erlaubt (und geboten! → s.o. → Sterbebegleitung): - auch als „terminale Sedierung“
indirekte „Sterbehilfe“ • → Abgrenzung zur verbotenen aktiven Tötung [o. (1)] gemäß Dosierungsindikation • → keine Beschränkung auf Todesnähe • → Einbeziehung auch sonstiger schwerer Leidenszustände (zB Luftnot)
indirekte „Sterbehilfe“ Konstruktive Umsetzung der Straflosigkeit: - § 34 StGB: patienten-interne (!) Abwägung (Leben[srest] ./. Schmerz- und Leidensminderung)
Verbot aktiver Tötung Weitere Ausnahme: => aktive Hilfe zum freiverantwortlichenSuizid (Patient tötet sich selbst): - zwar standesrechtlich untersagt - aber straffrei (keine Anstiftung, § 26 StGB, oder Beihilfe, § 27 StGB, da keine teilnahmefähige Haupttat) - Zusatzproblem: unterlassenen Lebensrettung (§§ 212/216, 13 / § 323c StGB) nach Suizidversuch
Passive Sterbehilfe (Behandlungsbegrenzung) = Unterlassen der auf Lebensverlängerung ausgerichteten Maximaltherapie (= lebensverkürzende Therapie-Umstellung auf palliative Versorgung) - bislang ebenfalls gesetzlich nicht speziell geregelt -
Passive Sterbehilfe → für rechtliche Behandlung ohne Belang: Nichtaufnahme einer lebensverlängernden Behandlung oder deren Abbruch! Abbruch lebensverlängernder Behandlung durch Untätigbleiben (zB bei Begleitkrankheit) oder aktives Tun (sog. technischer Behandlungs-abbruch: „Abschalten“)!
Passive Sterbehilfe • keine Todesnähe erforderlich • (bei entsprechendem Patientenwillen) • auch Absetzen der künstlichen • Ernährung (iwS) zulässig • entgegenstehende Gewissens- • entscheidung von Ärzten/Pflegekräften: • nicht legitimierend für Weiterbehandlung
Dogmatische Umsetzung der passiven Sterbehilfe (= Behandlungsabbruch) a) sofern Unterlassen (zB keine weitere künstl. Ernährung) → Wegfall der Garantenstellung: §§ 212, 13 StGB (-)
Dogmatische Umsetzung der passiven Sterbehilfe (= Behandlungsabbruch) b) sofern aktives Tun (zB Abschalten der künstlichen Beatmung) - Unterlassen durch Begehen (urspr. hL) → Wegfall der Garantenstellung: §§ 212, 13 StGB (-) - aktives Tun, aber rechtsfertigungsfähig (hL): [- MA: TB-Restriktion] - § 34 StGB ODER - Art. 2 I, 2 II GG als RFG ODER - (mutm.) Einwilligung in Behandlungsabbruch (BGH)
Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten Unterscheide: Aktuell erklärte (Nicht-) Einwilligung des Patienten Vorab erklärte (Nicht-)Einwilligung Fehlende [mutmaßliche]) (Nicht-) Einwilligung
Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten Aktuell erklärte (Nicht-) Einwilligung des Patienten => Weiterbehandlung als rechtswidrige Verletzung des Körpers sowie (zivilr.) des allg. Persönlichkeitsrechts!
Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten Vorab erklärte (Nicht-)Einwilligung Gesetzliche Regelung in §§ 1901a ff. BGB (Betreuungsrecht) Zur Patientenverfügung =>
Zur Patientenverfügung Patientenverfügung (§ 1901a Absatz 1 BGB) = • eine schriftliche Vorausverfügung • einer einwilligungsfähigen volljährigen Person • für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit, • ob sie in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende • Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
nicht durchschlagende Einwände gegen eine Verbindlichkeit einer Patientenverfügung • Lebensschutz höherwertig als Selbstbestimmung über den eigenen Körper • Heiligkeit gottgeschenkten Lebens („sanctity of life“) • „Suizid-Ähnlichkeit“ • jederzeitige Widerruflichkeit der Patientenverfügung • fehlende Fähigkeit des Patienten zur Vorab-Einschätzung • Mögliche Autonomie-Defizite in der Lebenswirklichkeit bei Verfassen der Erklärung • Möglichkeit "unsachgemäßen" Einflusses bei Erstellen der Verfügung • Dammbruchargument • (nicht zu leugnende) Auslegungsprobleme Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Abgrenzung zu Vorsorgevollmacht u. Betreuungsverfügung Die Patientenverfügung ist von Vorsorgevollmacht u. Betreuungsverfügung zu unterscheiden: • Vorsorgevollmacht = Vollmacht für den Fall, dass der Vollmachtgeber seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann (z.B. Gesundheitsfürsorge, Pflege, Vermögens- u. Behördenangelegenheiten). => Konsequenzen: ggf. wie bei Patientenverfügung • Betreuungsverfügung = Vorschlag des Verfügen-den, welche Person vom Betreuungsgericht als Be-treuer im Bedarfsfall eingesetzt werden soll. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Rechtliche Behandlung von Patientenverfügungen (I) Rechtslage bis September 2009: • Keine ausdrückliche gesetzliche Regelung. • Geprägt durch Rechtsprechung der Gerichte. • Grundsatzentscheidung BGH vom 17.03.2003: - Patientenverfügungen prinzipiell verbindlich, da Selbstbestimmungsrecht und Menschenwürde Beachtung dieser eigenverantwortlichen Entschei- dung gebieten. - Voraussetzung: Wille des Patienten eindeutig und sicher für die konkrete Behandlungssituation fest- stellbar (Todesnähe? Gericht nur bei Dissens Arzt/Betreuer). Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät 26
Rechtliche Behandlung von Patientenverfügungen (II) Neue Rechtslage seit September 2009: • Patientenverfügung seit September 2009 in den §§ 1901a ff. BGB verbindlich gesetzlich normiert. • Betreuer/Bevollmächtigter als Vertreter des Patienten müssen dem geäußerten Willen des Patienten Ausdruck verleihen und diesen zusammen mit Arzt umsetzen, wenn - die getroffenen Festlegungen zur konkreten Lebens- und Behandlungssituation passen, - kein gesetzliches Verbot (zB Tötung auf Verlangen) betroffen ist, - kein äußerer Druck oder Irrtum ersichtlich ist, - es sich um den noch aktuellen Willen handelt. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Keine Reichweitenbeschränkung • Patientenverfügungen sind für jedes Krankheitsbild rechtlich zulässig. • Keine Beschränkung der Gültigkeit von Behand-lungsverzichtserklärungen in Patientenverfügungen auf Fälle, in denen der Patient an einer „irreversibel tödlich verlaufenden Grunderkrankung“ (so BGH vor 2009) leidet. • Behandlungsentscheidung des Patienten „unab-hängig von Art und Stadium der Erkrankung“ (§ 1901a Absatz 3 BGB): keine „Todesnähe“ erforderlich. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Formerfordernisse • Keine ärztliche und rechtliche Beratung notwendig, um eine verbindliche Patientenverfügung aufzu-setzen • Einziges Formerfordernis: Schriftlichkeit. (also kein notarielles/ärztliches Beglaubigungs-erfordernis) Der Widerruf der Patientenverfügung ist allerdings formlos - etwa mündlich - möglich (Problem: schlüssiges Verhalten?). • Kein Aktualisierungszwang Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Gleichstellung von Bevollmächtigtem u. Betreuer • Gesetzliche Regelung sieht Gleichbehandlung von Betreuer und Bevollmächtigtem vor. (Siehe: §§ 1901a Absatz 5, 1901b Absatz 3, 1904 Absatz 5 Satz 1 BGB) • Sachgerecht, da meist Bevollmächtigter und Betreuer ohnehin aus dem selben Personenkreis stammen. - Bevollmächtigter: Patient wählt zumeist enge Vertrauenspersonen aus Freundeskreis und Fa- milie (Ehegatte, Kinder, Eltern) aus. - Betreuer: Betreuungsgericht wählt nach gesetzlichen Vorgaben (§ 1897 Absatz 4 Satz 1 BGB) – sofern möglich - aus genau demselben Personenkreis eine geeignete Person aus. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Missbrauchskontrolle iZm §§ 1901a ff. BGB Dem Schutz vor missbräuchlichem Verhalten dienen: • Arzt und Betreuer/Bevollmächtigtem gemeinsam mit Wahrung der Patienteninteressen betraut • Einschaltung der Angehörigen (=> Anhörung) im Rahmen der „sozialen Kontrolle“ gemäß § 1901b BGB. [aber: kein ärztl./pflegerisches Konzil erforderlich] • Gerichtliche Kontrolle: Nur vorgesehen für den Fall, dass kein Einvernehmen zwischen Arzt und Vertreter herzustellen ist in Bezug auf den Patientenwillen hinsichtlich einer medizinischen Maßnahme (§ 1904 Absatz 4 BGB). Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Strafbarkeits- und Haftungsrisiken des Arztes • Die körperliche Unversehrtheit des Menschen und sein Selbstbestimmungsrecht sind grundrechtlich geschützt (Art. 2 Absatz 1, 2 sowie Art. 1 I GG). • Jeder Eingriff in die körperliche Integrität stellt rechtlich eine Körperverletzung dar, auch wenn Ziel des Eingriffs die Heilung des Patienten ist. • Ärztliche Behandlungen bedürfen deshalb zu ihrer Rechtfertigung die Einwilligung des Patienten. Liegt eine solche Einwilligung nicht vor, bleibt die Maßnahme zivilrechtswidrig und strafbar. • Also: Genau zu prüfen, welche Maßnahmen dem Patientenwillen entsprechen und wie diesbezüglich vorzugehen ist. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Verantwortung u. Indikationsstellung des Arztes • Ärztliche Feststellung, ob eine bestimmte Maßnahme medizinisch indiziert ist oder nicht, ist von ent-scheidender Bedeutung. • Liegt keine medizinische Indikation vor, so erübrigen sich alle Überlegungen zur Einschlägigkeit der Patientenverfügung, Konsensfindung mit Vertreter sowie Einschaltung des Betreuungsgerichts. • Medizinische Indikation hat objektiv und neutral zu erfolgen, nicht unter Zugrundelegung der Wert-vorstellungen des Arztes selbst (etwa was er unter „menschenwürdigem Leben bzw. Sterben“ versteht). Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (I)[s.Beckmann, MedR 2009, S. 582, 585] • Behandlung gemäß aktuell erklärtem Patientenwillen: Medizinische Indikation? Patient aktuell entscheidungsfähig? + Aktuelle Willens-entscheidung des Patienten + - Patientenverfügung vorhanden? - s.u.- Behandlung/Nicht-behandlung Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (II) [s.Beckmann, MedR 2009, S. 582, 585] 2. Behandlung gemäß Patientenverfügung: Patientenverfü-gung vorhanden? Einschlägig für aktuelle Lebens- u. Behandlungssituation? + - + - Betreuungs-gericht - Einver-nehmen zw. Arzt u. Vertreter Mutmaßlicher Patientenwille? - s.u. - Behandlung/Nichtbehand-lung + Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (III) [s.Beckmann, MedR 2009, S. 582, 585] 3. Behandlung gemäß mutmaßlichem Patientenwillen: Mutmaßlicher Patientenwille? Behandlungswünsche des Patienten konkret ermittelbar? - + Betreuungs-gericht - Einver-nehmen zw. Arzt u. Vertreter Wohl des Patienten?? - s.u. - Behandlung/Nichtbehand-lung + Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (IV) 4. Behandlung gemäß dem Wohl des Patienten: Wohl des Patienten? = Teil der Indikation objektive, allgemeine Wertvorstellungen („in dubio pro vita“)? Betreuungs-gericht - Einvernehmen zw. Arzt u. Vertreter Behandlung/Nichtbehand-lung + Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen • Einseitiger Behandlungsabbruch => nach wie vor ungelöst! • Ausweichen auf mutmaßliche Einwilligung? =>bloße Fiktion bzw. Gefahr verschleierter Fremdbestimmung Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen Weitere Ansätze: Güterabwägung - § 34 StGB (wie bei indirekter Sterbehilfe)? • aber: Für patienten-interne Abwägung (Leben[srest] ./. Schmerzbekämpfung) hier kein Raum: • stattdessen [Merkel]: Güterabwägung: "biologisches" Leben ./. fehlendes Lebensinteresse"? Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen • Weitere - isoliert nicht überzeugende - Ansätze: • Sinnlosigkeit weiterer ärztlicher Bemühungen • Unzumutbarkeit der Weiterbehandlung für den Arzt • Menschenwürde des „Sterbenden“ • Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und potentiellem Erfolg • Zielsetzung ärztlichen Auftrags => Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen • Zielsetzung ärztlichen Auftrags: • gerichtet auf „Erhaltung und Ermöglichung menschlicher Selbstverwirklichung“ [Eser] • Endet mangels Möglichkeit weiterer Selbstwahrnehmung => bei unwiderruflichem Verlustes jeglicher Reaktions- und Kommunikations-fähigkeit Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen • Zukünftig rechtswissenschaftlich zu klären: => Behandlungsabbruch bei fehlender medizinischer Indikation? Problem: Indikation • primär als fachliches Urteil über den Wert einer Behandlungsmethode im Einzelfall • aber eben auch: Tor, durch das Ethik Eingang findet in den ärztlichen Entscheidungsprozess (bspw. bei Behandlungsbegrenzung aus utilitaristisch-ökonomischer Erwägung?) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel Medizinischer Sachverhalt: Patient leidet unter schwerer pneumologischer Erkrankung und ist zusätzlich in Demenz verfallen. Er liegt auf der Intensivstation, wird künstlich beatmet und ist nicht an-sprechbar. Er kämpft mit immer wiederkehrenden Er-stickungsanfällen und muss regelmäßig durch Absaugen der Lungen vor dem Erstickungstod gerettet werden. Juristische Fragestellung: Ist der behandelnde Arzt rechtlich verpflichtet, die lebens-erhaltenden Maßnahmen fortzusetzen, und inwiefern dürfen Erwägungen zur verbliebenen Lebensqualität des Patienten Einfluss auf seine Entscheidung haben, wenn weder eine Patientenverfügung vorliegt noch der mutmaßliche Patientenwille feststellbar ist? Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage I • Jedweder Einsatz med. Maßnahmen ist grds. vom Patientenwillen als Ausdruck seines Selbstbe-stimmungsrechts aus Art. 1, 2 GG abhängig. • Wenn Patientenwille nicht einholbar (z.B. Koma), ist zu prüfen, ob antizipierte Willensäußerung (z.B. Patienten-verfügung) vorliegt. • Wenn (wie in Fallbsp.) keine Willensermittlung (weder ausdrücklich noch mutmaßlich) möglich, dann ist laut BGH Bewertung nach „allg. Wertvorstellungen“ u. „objektivem Wohl des konkreten Patienten“ erforderlich. • Ausgangspunkt für interessengerechte Behandlung ist med. Indikation. • Vom Vorliegen der med. Indikation hängt das „ob“ und „wie“ der Behandlung ab. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage II Definition Med. Indikation: • Allg.: Krankheitsbild gegeben, das den Einsatz bestimmter ärztl. Maßnahmen erlaubt, die nach Abwägung des möglichen Nutzens u. Risikos für Patient sinnvoll erscheinen. • Genauer: Nach Feststellung einer Erkrankung (Diagnose), die behandelbar ist (Inblicknahme des med. Methodenspektrums), wird in Hinblick auf ein bestimmtes Behandlungsziel eine Prognose gestellt, ob mögliche Behandlungsmaßnahmen unter Be-achtung von Kontraindikationen einen Behand-lungserfolg erzielen können. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage III • Fraglich, ob in vorliegendem Fall bei der Beurteilung der med. Indikation Aspekte der Lebensqualität be-rücksichtigt werden können. Beantwortung richtet sich danach, ob die „med. Indikation“ rein objektiviert einzuschätzen oder mit dem Begriff „Lebensqualität“ verknüpft zu sehen ist. • Problematisch, dass eine genau Definition des Begriffs „Lebensqualität“ nicht möglich ist und so Interpretationsspielraum verbleibt. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel – Rechtliche Bewertung I(„objektiviertes“ Begriffsverständnis) 1. Ansatz zur Bestimmung der med. Indikation: Med. Indikation ist unabhängig von der Lebensqualität objektiviert zu verstehen. • Sobald Heilbehandlung mit med. Maßnahmen möglich und erfolgsversprechend ist, besteht eine ausreichende med. Indikation. • Demnach ist Lebensqualität nur Ergebnis und Ausfluss der wahrgenommenen Heilbehandlung und hat keinen Einfluss auf die „med. Indikation“ selbst, da diese abstrakt (=> biologischer Heilerfolg) zu bestimmen ist. Erg.: Erwägungen zur Lebensqualität sind unbeachtlich in Hinblick auf die ärztl. Indikationsstellung. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel – Rechtliche Bewertung II(„verknüpftes“ Begriffsverständnis) 2. Ansatz: Med. Indikation ist eng verknüpft mit dem Begriff „Le-bensqualität“ zu verstehen. • Neben Diagnose treten Prognose und Nutzen-Schaden-Abwägung (Krankheitsstadium, Alter u. Todesnähe). • Wohl des Patienten als Behandlungsgegenstand ist stark von der verbleibenden Lebensqualität abhängig. • Wenn sich Therapie auf bloße Aufrechterhaltung des vegetativen biologischen Lebens beschränkt, kann die Lebenserhaltungspflicht entfallen, da keine kurativen Aspekte mehr zu erkennen sind u. eine palliative Betreuung angezeigt scheint. Erg.: Erwägungen zur Lebensqualität sind durchaus von Belang für die med. Indikationsstellung. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel – Gesamtergebnis • 2. Ansatz wird dem Wohl des Patienten besser gerecht u. ist daher vorzugswürdig => Arzt dem Menschen und nicht dem Organismus verpflichtet • Gesamtergebnis: - Prognose sowie Nutzen-Schaden-Abwägung (m.E. ärztlicher Beurteilungsspielraum!) in Hinblick auf verbleibende Lebensqualität u. Wohl des Patienten fällt negativ aus: - Krankheitszustand stellt sich so dramatisch dar, dass nur kurzfristige und vorübergehende kurative Hilfe möglich ist. Patient bleibt unansprechbar, angewiesen auf ständiges Absaugen der Lungen u. an Intensivstation gebunden. - Behandelnder Arzt ist nicht zur kurativen Weiter-behandlung verpflichtet. Palliative Maßnahmen sind indiziert. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Gesetzestext § 1901a BGB (I)Patientenverfügung • Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungs-unfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Fest-legungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden. • Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät