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Strafrecht BT Tötungsdelikte Vorlesung vom 21. September 2009. HS 2009 Ass.-Prof. Dr. Jonas Weber Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern. Straftaten gegen Leib und Leben (Erster Titel) – Systematik. Straftaten gegen Leib und Leben Tötungsdelikte (Art. 111 - 117)
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Strafrecht BT TötungsdelikteVorlesung vom 21. September 2009 HS 2009 Ass.-Prof. Dr. Jonas Weber Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern
Straftaten gegen Leib und Leben (Erster Titel) – Systematik • Straftaten gegen Leib und Leben • Tötungsdelikte (Art. 111 - 117) • Schwangerschaftsabbruch (Art. 118 - 121) • Körperverletzungsdelikte (Art. 122 - 126) • Gefährdung des Lebens und der Gesundheit (Art. 127 - 136) Tötungsdelikte Folie 2
Tötungsdelikte (Art. 111 - 117) – Systematik Tötungsdelikte(Art. 111 - 117) Vorsätzliche Begehung(Art. 111 - 116) Fahrlässige Tötung(Art. 117) Grundtatbestand: Vorsätzliche Tötung (Art. 111) Qualifizierter Tatbestand:Mord (Art. 112) Privilegierte Tatbestände:- Totschlag (Art. 113)- Tötung auf Verlangen (Art. 114)- Kindestötung (Art. 116) Sondertatbestand:Verleitung und Bei-hilfe zum Selbstmord (Art. 115) Tötungsdelikte Folie 3
Tötungsdelikte (Art. 111 - 117) – Geschütztes Rechtsgut • Geschütztes Rechtsgut der Tötungsdelikte: das menschliche Leben • Angriffsobjekt: jeder lebende Mensch; jedes (geborene) menschliche Leben • auch der todkranke oder sterbende Mensch • ungeborenes Leben (d.h. noch nicht geborenes Leben): Schutz durch Art. 118 (Strafbarer Schwangerschaftsabbruch) • Tötungsdelikte sind Erfolgsdelikte; Erfolg = Tod eines Menschen • nicht strafbar: Selbsttötung und versuchte Selbsttötung • strafbar ist jedoch unter bestimmten Umständen die Teilnahme an der Selbsttötung (eines anderen): Art. 115 • entscheidende Prämissen (Annahmen): Beginn und Ende des Lebens (im Sinne der Tötungsdelikte) Tötungsdelikte Folie 4
Tötungsdelikte (Art. 111 - 117) – Beginn des menschlichen Lebens • Beginn des menschlichen Lebens im Sinne der Tötungsdelikte: Beginn des Geburtsvorgangs • Beginn des Geburtsvorgangs • herrschende Meinung: Beginn der Geburtswehen (= Eröffnungswehen) • andere Meinung: Austritt eines Körperteils aus dem Mutterleib (Art. 116: Kindestötung Tötet eine Mutter ihr Kind während der Geburt oder solange sie unter demEinfluss des Geburtsvorganges steht, so wird sie mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.) • bei Kaiserschnitt: Öffnung des Uterus (herrschende Meinung) • andere Meinung: Narkose Tötungsdelikte Folie 5
Tötungsdelikte (Art. 111 - 117) – Ende des menschlichen Lebens • Ende des menschlichen Lebens: Tod • Herz-Kreislauf-Tod: irreversibler Stillstand der Atmung und des Kreislaufs (= klinischer Tod); oder • Hirntod: vollständiger irreversibler zerebraler Funktionsausfall des Gehirns einschliesslich des Hirnstammes • Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften: Medizinisch-ethische Richtlinien zur Definition und Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen (vom 24. Mai 2005) Tötungsdelikte Folie 6
Vorsätzliche Tötung (Art. 111) Art. 111: Vorsätzliche Tötung Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, ohne dass eine der besondern Voraus-setzungen der nachfolgenden Artikel zutrifft, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. Töten: den Tod eines anderen Menschen in objektiv zurechenbarer Weise verursachen • Gewalt, List, ... Subjektiver Tatbestand: Vorsatz • Eventualvorsatz reicht aus; besonders aktuell: Raserunfälle mit Todesfolge; siehe etwa BGE 130 IV 58 Subsidiarität zu Art. 112 - 116 Tötungsdelikte Folie 7
Vorsätzliche Tötung (Art. 111) – Strafbare Vorbereitungshandlung (Art. 260bis) Art. 260bis: Strafbare Vorbereitungshandlung 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer planmässigkonkrete technische oder organisatorische Vorkehrungen trifft, deren Art und Umfang zeigen, dass er sich anschickt, eine der folgenden strafbaren Handlungen auszuführen: Art. 111 Vorsätzliche Tötung Art. 112 Mord (…) • Art. 260bis als Ausnahme zur allgemeinen Strafbarkeitsgrenze des Versuchs für bestimmte, besonders schwere Straftaten; Vorverlage-rung der Strafbarkeit Tötungsdelikte Folie 8
Mord (Art. 112) – Allgemein Art. 112: Mord Handelt der Täter besonders skrupellos, sind namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführungbesonders verwerflich, so ist die Strafe lebenslängliche Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren. • Mord: Vorsätzliche Tötung, die sich durch besondere Skrupellosigkeit auszeichnet • Besondere Skrupellosigkeit muss unmittelbar aus der Straftat selbst hervorgehen (Qualifikation der Tat) • grundsätzlich nicht zu berücksichtigen: Verhalten des Täters vor oder nach der Straftat; Vorleben etc. • keine Bewertung des Charakters oder der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, soweit diese nicht in der Tat selbst zum Ausdruck kommen • beispielhafte (nicht abschliessende) Aufzählung von Indizien, welche die besondere Skrupellosigkeit begründen können: "verwerflicher Beweggrund, verwerflicher Zweck, verwerfliche Ausführung" Tötungsdelikte Folie 9
Mord (Art. 112) – Besondere Skrupellosigkeit • Entscheid über das Vorliegen einer besonderen Skrupellosigkeit erfolgt über eine Gesamtbewertung der äusseren (= objektiven) und inneren (= subjektiven) Umstände, unter denen der Täter im konkreten Fall gehandelt hat • alle empirisch feststellbaren Gegebenheiten sind für Gesamtbewertung heranzuziehen; insbesondere eine psychiatrische Begutachtung • subjektive Indikatoren: Beweggrund und Zweck der Tat • täterbezogene Merkmale • erhöhen Handlungsunwert der Tat • objektive Indikatoren: Art der Tatausführung • tatbezogene Merkmale • erhöhen Erfolgsunwert der Tat Tötungsdelikte Folie 10
Mord (Art. 112) – Subjektive Indikatoren: Beweggrund • Beweggrund: innerer Antrieb, der den Täter zur Tat motiviert • Fälle/Fallgruppen eines besonders verwerflichen Beweggrundes • Habgier, wenn die Tötung eines Menschen… • der Begehung eines Raubs bzw. eines Diebstahls dient (Raubmord) (siehe etwa BGE 118 IV 125) • zur Erzielung einer Belohnung ausgeführt wird (Auftragsmord) (siehe etwa BGE 118 IV 125) • zu einer wirtschaftlichen Entlastung führen soll • Rache, sofern mit der Tötung ohne ernsthaften Grund Rache geübt wird • abgrundtiefer und grundloser Hass (siehe etwa BGer-Urteil 6S.441/2004 E.2 vom 7. Sept. 2005) • fundamentalistische oder politische Beweggründe, sofern Fanatismus zur totalen Missachtung des Lebens anderer Menschen führt (siehe etwa BGE 115 IV 14; 117 IV 392) Tötungsdelikte Folie 11
Mord (Art. 112) – Subjektive Indikatoren: Beweggrund (Fortsetzung) • Fälle/Fallgruppen eines besonders verwerflichen Beweggrundes (Fortsetzung) • Mordlust (siehe etwa BGE 104 IV 152) • Freude an der Vernichtung von Menschenleben • Neugierde, jemanden sterben zu sehen • Zeitvertreib • Sexuelle Befriedigung • Täter will sich durch den Tötungsakt sexuelle Befriedigung verschaffen • Tod des Opfers wird als Folge einer Vergewaltigung in Kauf genommen (siehe etwa BGE 81 IV 155) • Opfer wird getötet, um sich in nekrophiler Weise an der Leiche sexuell zu befriedigen Tötungsdelikte Folie 12
Mord (Art. 112) – Subjektive Indikatoren: Zweck • Zweck: äusserliches Ziel (Zukunftsdimension), das mit der Tatbege- hung erreicht werden soll ("im Hinblick auf") • Beweggrund und Zweck lassen sich im Anwendungsfall nicht immer auseinanderhalten; teilweise fallen die beiden Kategorien zusammen. • Fälle/Fallgruppen eines besonders verwerflichen Zwecks • Extremer Egoismus • Tötung dient dazu, eigene Interessen durchzusetzen, die im Verhältnis zum Leben des Opfers unbedeutend sind (siehe etwa BGE 104 IV 152); z.B. Eliminationsmord (siehe etwa BGE 120 IV 265) • Beseitigung eines Zeugen (sog. Verdeckungsmord) (siehe etwa BGE 120 IV 275) • Tötung zur Ermöglichung einer Straftat • Tötung, um das Opfer zu beerben Tötungsdelikte Folie 13
Mord (Art. 112) – Objektive Indikatoren: Art der Tatausführung • Art der Tatausführung: äusserer Geschehensablauf der Tötung und eingesetzte Tatmittel • Fälle/Fallgruppen eines besonders verwerflichen Zwecks • Ausserordentliche Grausamkeit • dem Opfer werden hinsichtlich Intensität und Dauer grös-sere physische und/oder psychische Schmerzen, Leiden oder Qualen zugeführt, als mit einer Tötung notwendiger-weise verbunden sind (siehe etwa BGE 106 IV 345) • Heimtücke • wenn der Täter zunächst das Vertrauen des Opfers erschleicht, um es dann unter Ausnützung dieses Vertrauens (Arglosigkeit) zu töten (siehe etwa BGE 120 IV 265) • Einsatz von Gift, Feuer oder ähnlicher Tatmittel (siehe etwa BGE 120 IV 10) • Tötung unbeteiligter Drittpersonen (siehe etwa BGE 106 IV 347) Tötungsdelikte Folie 14
Mord (Art. 112) – Weitere Indikatoren • "besondere Verwerflichkeit des Beweggrundes, des Zwecks und der Tatausführung" sind gemäss Wortlaut von Art. 112 blosse Beispiele für besondere Skrupellosigkeit; keine abschliessende Aufzählung • weitere Indikatoren/Indizien • Umsicht und Planung • besondere Kaltblütigkeit Tötungsdelikte Folie 15
Mord (Art. 112) – Subjektiver Tatbestand • Mord kann auch eventualvorsätzlich begangen werden Tötungsdelikte Folie 16
Totschlag (Art. 113) – Allgemeines Art. 113: Totschlag Handelt der Täter in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. • Definition: Totschlag = vorsätzliche Tötung im Zustand einer entschuld- baren heftigen Gemütsbewegung (Affekt) oder grossen seelischen Belastung • Gefühlszustand (Affekt oder grosse seelische Belastung) muss unmittelbar vor oder während der Tat bestanden haben. Tötungsdelikte Folie 17
Totschlag (Art. 113) – Entschuldbare heftige Gemütsbewegung • Entschuldbare heftige Gemütsbewegung (Affekt) • Fälle akuter Drucksituationen mit starker Gefühlsregung, welche die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und im Extremfall auch die intellektuelle Fähigkeit bis hin zur Zurechnungsunfähigkeit beeinträchtigen (BGE 118 IV 236) • Möglicher Grund für den Affekt: Wut, Zorn, Eifersucht, Verzweiflung, Angst, Bestürzung, … Tötungsdelikte Folie 18
Totschlag (Art. 113) – Entschuldbare grosse seelische Belastung • Zwangslagen, Erschöpfungssituationen • Bsp.: Tötung eines unheilbar Kranken durch einen Angehörigen, der dessen Leiden nicht länger erträgt Tötungsdelikte Folie 19
Totschlag (Art. 113) – Entschuldbarkeit des Ausnahmezustands • Entscheidend für die Privilegierung gemäss Art. 113: Entschuldbarkeit der heftigen Gemütsbewegung bzw. der grossen seelischen Belastung • Wichtig: nicht die Straftat selbst muss entschuldbar sein, sondern der psychisch-seelische Ausnahmezustand • Massstab: Durchschnittsperson (siehe etwa BGE 107 IV 206); Entstehung der heftigen Gemütsbewegung muss verständlich erscheinen Tötungsdelikte Folie 20