290 likes | 619 Views
Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart. 27.10.2004 5. Sitzung: Enkulturation und Lebenszyklus. Peoples & Bailey, Kapitel 4: „ Enculturation and the Life Cycle “. Themen: (1) Enkulturation und Erziehungs- praktiken
E N D
Institut für Völkerkunde, Universität zu KölnEinführungsseminar WS 2004/05Lioba Lenhart 27.10.2004 5. Sitzung: Enkulturation und Lebenszyklus
Peoples & Bailey, Kapitel 4:„Enculturation and the Life Cycle“ Themen: (1) Enkulturation und Erziehungs- praktiken (2) Fallbeispiele: Aka, Kongo-Brazza- ville und Gusii, Kenia (3) Lebenszyklus Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Enkulturation und Erziehungs- praktiken • Die Entwicklung eines Menschen erfordert das soziale Erlernen von Kultur - Lernen durch Kommunikation, Unterweisung,Imitation (nicht durch Versuch und Irrtum). geschieht vorwiegend im Kindes- und Jugendalter im Prozess der Enkulturation/Sozialisation (= Weitergabe/Aneignung kulturellen Wissens an die folgende/von der folgenden Generation), vollzieht sich prinzipiell aber ein Leben lang; beinhaltet das kulturelle Wissen, das notwendig ist, um physisch zu überleben, mit anderen auszukommen und die Welt, die einen umgibt, zu interpretieren. vgl. Sitzung 3: Definition von Kultur Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Intra- und interkulturelle Variationen Intrakulturelle Variation • Kinder, die biologisch ähnlich sind und in dem selben kulturellen und sozialen Umfeld heranwachsen, sind häufig trotzdem äußerst unähnlich in ihren Reaktionen auf Menschen, Situationen, Ereignisse – obschon die Mitglieder ihrer Gruppe kulturelle Überzeugungen teilen, die Enkultura-tion und Erziehungsmethoden mit einbeziehen. Gründe hierfür sind • im Individuum angelegte Unterschiede, Persönlichkeitsvariablen, • Variabilität der innerfamiliären Interaktionen und Bezugspersonen (z.B. wenn Männer häufig nicht zu Hause sind wg. Jagd, Krieg, Jobs), • Lebensumstände:ökonomischer oder sozialer Druck, der Eltern anders handeln lässt als es Erziehungsideale vorgeben (z.B. Problem, Karriere und Familie / Mutter-, Vaterrolle in Einklang zu bringen). • u.a. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
… Intra- und interkulturelle Variationen Interkulturelle Variation • Der interkulturelle Vergleich zeigt beträchtliche Unterschiede in Bezug auf • Stillen, Stillzeiten und Entwöhnung, • Körperkontakt, • Toilettentraining, • Art des Umgangs mit Kindern seitens Erwachsener, • Belohnen und Strafen im Zusammenhang mit spezifischen Verhaltensweisen und Art der Belohnung und Bestrafung, • Unterweisung in grundlegenden Fertigkeiten, die für Erfolg in der Gesellschaft vonnöten sind, • Zuwendung seitens der Eltern und anderer Bezugspersonen, • Vorschriften bzgl. der Beziehungen zu Gleichaltrigen gleichen und verschiedenen Geschlechts, • Arbeitserwartungen, • usw. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
… Intra- und interkulturelle Variationen ! neben kulturspezifischen Tendenzen immer individuelle Varianz ! ! Erziehungsmethoden stehen mit anderen kulturellen Teilbereichen – Wirtschaft, soziale Organisation u.a. - in Zusammenhang ! hierzu im Folgenden Fallbeispiele Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Aka leben im Regenwald vom Jagen und Sammeln, arbeiten saisonal auch für Naturalien (z.B. Maniok) in Feldern von benachbarten bäuerlichen Gruppen Gusii leben in fruchtbarem Hochland von Ackerbau und Viehzucht, betreiben teilweise auch Lohnarbeit und Kleinhandel Fallbeispiele: Aka, Kongo-Brazza- ville und Gusii, Kenia Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Aka Enkulturation und Erziehungspraktiken: • Mütter und Väter in gleicher Weise involviert • Stillen auf Wunsch des Säuglings bis zu einem Alter von drei bis vier Jahren, viel Körperkontakt, Schlafen bei Eltern • nicht-permissive Erziehung: gewähren lassen, bitten, nicht anordnen, keine körperliche Züchtigung • sehr intensive Beteiligung der Väter, viele weitere Bezugspersonen • Kinder wachsen allmählich durch Zuhören, Beobachten und prägende Erlebnisse in Aufgabenbereiche der Erwachsenen hinein Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Gusii Enkulturation und Erziehungs- praktiken: • Erziehung Aufgabe der Mütter • bis zu einem Alter von knapp zwei Jahren Stillen auf Wunsch des Säuglings, der fast ständig von Mutter getragen wird und bei ihr schläft, • danach Beaufsichtigung durch ältere Geschwister, Lernen durch Kontakt und Unterweisung der Geschwister, • nun vergleichsweise wenig emotionale Zuwendung durch die Mutter, • Vater baut keine engere Be- Beziehung zu seinen Kindern auf, ist an Erziehung nicht beteiligt. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Vergleich: Aka und Gusii Aka Gusii Verwandtschaft bilateral: Seiten von patrilineal: väterliche Seite Mann und Frau beide wichtig bzgl. Gruppenzu- wichtig gehörigkeit und Erbe Eheform monogam polygyn (mehrere Ehefrauen möglich) Residenzeinheit Kernfamilie bewohnt Ehefrauen wohnen Hütte in Siedlung, lebt dort mit ihren Kindern in mit 25-30 anderen Ver- separaten Häusern im wandten Gehöft ihres Ehemannes Arbeitsteilung kaum zwischen Männern Frauen: Gartenbau, und Frauen differenziert Männer: Viehzucht Eigentum an Ressourcen, kaum Privateigentum, Land und Herden Privat- Unterschiede bzgl. mate- Kooperation und Teilen eigentum einzelner Männer, riellen Besitzes zentral die jeder Ehefrau Teil davon zuweisen Demographie (keine Angaben) hohe Fertilität und Mortalität Sicherheitslage, unproblematisch, gewaltsame Konflikte, Konflikte kaum Konflikte intern und interethnisch Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Diskussion Bitte in den nächsten 5 Minuten mit den unmittelbaren Banknachbar/innen diskutieren (ggf. nochmals kurz im Lehrbuch die Seiten 71-72 zu Rate ziehen): Auf welche Art und Weise beeinflussen die genannten Bereiche die unterschiedlichen Enkulturationspraktiken von Aka und Gusii? Kurzes Statement vorbereiten (5 Minuten), Diskussion. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Vergleich: Aka und Gusii Aka- und Gusii-Kinder werden in unterschiedlichen kulturellen Welten erzogen! Um in diesen Welten erfolgreich zu sein, sind ganz unterschiedliches Wissen und unterschiedliche Fähigkeiten vonnöten. Zentral: natürliche und soziale Umweltbedingungen, die einer jeweils spezifischen Form der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation (inkl. jeweiliges Ausmaß der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung) zugrunde liegen. Dies wirkt sich mittelbar auf Erziehungspraktiken aus. • Aka-Paare wirtschaften gemeinsam, Gusii-Paare nicht (Frauen bestellen das Land, Männer ziehen mit Vieh umher). Aka-Väter sind aufgrund dessen permanent in der Nähe ihrer Kinder, Gusii-Väter nicht. • Aka-Paare leben mit ihren Kindern in einer gemeinsamen Hütte, Gusii-Kinder leben bei ihren Müttern. • Aka verstehen Ressourcen als Kollektivbesitz, bei Gusii liegen Besitz und Arbeitskontrolle (inkl. Arbeit der Frauen) in Händen der Männer. Gusii-Männer haben ein Interesse daran, ihren Besitz (Land und Tiere) zu vermehren, weshalb sie mehrere Frauen und viele Nachkommen haben (die das Land bestellen, die Herden versorgen) – weshalb sie aber nicht in der Lage sind, sich so intensiv wie Aka-Väter um ihre einzelnen Kinder zu kümmern. • Aka konkurrieren nicht um Ressourcen mit anderen Aka oder benachbarten ethnischen Gruppen. Gusii müssen Land und Vieh gegen andere Gusii und benachbarte Gruppen verteidigen, was Aufgabe der Männer ist. Erziehungspraktiken sind durch ideale Vorstellungen der Eltern über angemesse-ne Methoden (die in der eigenen Kindheit erlebt und im Verlauf des Lebens durch Kommunikation mit und Beobachtung von anderen Bestätigung finden) und durch die spezifischen Lebensumständen geprägt, die sie als notwendig und praktikab-ler als andere erscheinen lassen. • Wenn Gusii-Mütter und -Väter ihren Kindern genauso viel physische und emotionale Nähe einräumen wollten wie Aka-Mütter und -Väter, so könnten Gusii-Mütter dies nicht aufgrund ihrer Verpflichtungen gegenüber Ehemann, Verwandten und ihren anderen Kindern; und Gusii-Väter könnten dies nicht aufgrund ihrer Verpflichtungen, ihren Besitz zu schützen, so den Söhnen ein angemessenes Erbe zu hinterlassen, was ihnen in der weiteren Gesell-schaft Prestige und Status bringt. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
(3) Lebenszyklus Der Lebenszyklus besteht aus kulturell definierten Alterskategorien (Säugling, Kleinkind, Jugendliche/r, Erwachsene/r, Alte/r), die das Indi- viduum von der Geburt bis zum Tod durchläuft und die verschiedene Rollen implizieren. Auch wenn jede Gesellschaft Alterskategorien kennt - Anzahl und Definition der Kategorien variieren interkulturell beträchtlich. • Alter ist eine biologische Kategorie und eine soziale Kategorie. Das biologisches Alter ist vorgegeben, deckt sich aber nicht unbedingt mit dem sozialen Alter (definiert über Rollenausfüllung in spezifischen Lebenszyklusphasen). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Lebenszyklusphasen • alle Gesellschaften unterscheiden zumindest die Phasen • Säuglingszeit, • Kindheit und Adoleszenz, • Erwachsenendasein, • Alter. • Variation besteht bezüglich • Anzahl der Alterskategorien, • Schärfe der Trennungen zwischen den Alterskategorien, • relative Bedeutung im Vergleich zu anderen Dimensionen (z.B. Geschlecht), • Rollenerwartungen bezüglich bestimmter Alterskategorien. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Übergangsriten Der Übergang von einer Lebenszyklusphase in eine andere kann sich allmählich und ohne besondere Berücksichtigung vollziehen. Übergänge sind jedoch in vielen Gesellschaften durch so genannte Übergangsriten (rites de passage) markiert. Der Begriff wurde 1909 von A. van Gennep in die Ethnologie eingeführt. • Ein Übergangsritus ist eine öffentliche Zeremonie, die den Übergang von einer Alterskategorie in die nächste und den damit einher gehen- den Statuswandel markiert. • Beispiele aus unserer Gesellschaft: • Taufe, • Hochzeit, • religiöse Zeremonien (Erstkommunion, Konfirmation etc.), • Verleihung von Abitur- oder Magisterzeugnis, • Beerdigung. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Lebenszyklusphase:Säuglingsalter Wann wird ein Mensch zum Menschen? • In vielen Gesellschaften werden biologische Geburtund soziale Geburt nicht als identisch erachtet. • Zudem gibt es äußerst unterschiedliche Vorstellungen über den Status des ungeborenen Kindes (auch in unserer Gesellschaft umstritten und Wandel unterworfen!). Die Vorstellung, dass das Menschseins oder die Existenz der sozialen Person mit der Geburt beginnt, ist eine mögliche Variante. Andere Varianten sind z.B. der Zeitpunkt der Empfängnis oder der Taufe oder aber ein bestimmtes Stadium der Entwicklung des Embryos im Mutterleib. • Der Erwerb des vollen menschlichen Status ist in vielen Gesell- schaften mit der Namensgebung verbunden. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
… Lebenszyklusphase:Säuglingsalter • In einigen Gesellschaften werden Säuglinge unter bestimmten Um-ständen vernachlässigt oder getötet. Die Vernachlässigung und auch der aktive Infantizid sind meist eine aus wirtschaftlicher oder sozialer Not geborene Option. • Mitunter wird ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und sozialer Situation, Infantizid und hoher Kindersterblichkeit und noch nicht vollem menschlichem Status konstruiert. Beispiel: Nordostbrasilien: Der Tod schwächlicher Babys wird rituell kaum ausgestaltet und wenig betrauert. Diese Babys „wollen sterben“ und „als Engel zum Himmel hinauf- fliegen“. Die Tränen der Mütter fehlen, da sie „die Flügel der kleinen Engel beschweren und die Reise in den Himmel verhindern“. (vgl. Scheper-Hughes, Nancy. 1992. Death Without Weeping: The Violence of Everyday Life in Brazil. Berkeley: University of California Press). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Lebenszyklusphase: Kindheit und Adoleszenz • Kindheit beginnt in den meisten Gesellschaften nach Ende der Stillzeit (die mehrere Jahre umfassen kann!), wenn Laufen und Toilettengang kein Problem mehr darstellen und erste technische und mechanische Fähigkeiten erlernt sind. • In vielen Gesellschaften beginnt während der Kindheit das Hinein- wachsen in die Aufgabenbereiche von Erwachsenen: Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren (mitunter noch jünger) beteiligen sich suk- zessive an der Arbeit der Erwachsenen bzw. erlernen die dafür nötigen Fähigkeiten. • Adoleszenz ist die Phase zwischen Geschlechtsreife und Erlangung des vollen Erwachsenenstatus • Der Übergang von der Kindheit zum Erwachsenendasein ist durch so genannte Initiationsriten markiert. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Initiationsriten • Initiationsriten (auch: Pubertätsriten) markieren den Eintritt der sexuellen Reife und Übergang zum Erwachsenendasein. • In einigen Gesellschaften gibt es Initiationsriten nur für Männer, in anderen nur für Frauen, in manchen für beide, dann aber fast immer geschlechtergetrennt. Initiationsriten sind • vielfach mit physischen Härten und Einschüchterungen verbunden, • nicht selten mit körperlichen Veränderungen verbunden: Beschneidungen (circumcision bei Mann und Frau, auch cliterectomy bei der Frau), Ziernarben, Tätowierungen etc. • fast immer mit Unterweisungen für das Erwachsenenleben verbunden, - häufig den Umgang mit dem anderen Geschlecht betreffend, - zudem auch religiöses Wissen, rituelles Wissen betreffend ( oft Geheimwissen, nur Initiierten zugänglich). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Männliche Initiationsrituale: Das Beispiel der Awa, Papua-Neuguinea Awa: eine Gartenbau betreibende Gruppe im Hochland von Papua- Neuguinea (wurde erst in 1920er Jahren „entdeckt“). Wie auch bei anderen Hochland-Gruppen herrscht ein starker Antagonismus der Geschlechter: • Frauen, vor allem ihre Körpersekrete, insbes. Menstruationsblut, gelten als extrem verunreinigend und gefährlich für Männer; Menstruierende Frauen werden in Menstruationshütten isoliert. • Ältere Jungen und Männer wohnen im Männerhaus. • Mitunter benutzen Männer und Frauenseparate Felder und Wege. Es gibt fünf Phasen von Initiationsriten, die mit 12-14 Jahren beginnen und sich bis in ein Alter von Mitte Zwanzig erstrecken. Zu Abhärtungen, Einschüchterungen, geheimen Unterweisungen etc. kommen reinigende Rituale, die den schädigenden Einfluss der Mütter durch induziertes Nasenbluten, Erbrechen, Schwitzen und Herausschneiden von Stücken der Glans abbauen sollen. DieDurchführung des Initiationsrituals gilt als Ursache des biologischen Erwachsenwerdens. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Weibliche Initiationsrituale: Das Beispiel der Mescalero-Apachen, USA Weibliche Initiationsrituale sind insgesamt seltener und weniger elaboriert. Beispiel: Mescalero-Apachen Einmal jährlich findet ein viertägiges Ritual für Mädchen nach der ersten Menstruation statt. Apachen sind matrilinealer Stamm, weibliche Mitglieder sollen zu „Müttern des Stammes“ werden. • Die Mädchen werden im Ritual mit White Painted Woman, einem lebensgebendem weiblichen Geist identifiziert – im Tanz als dessen Reinkarnation betrachtet. • Im Ritual werden die Bedeutung der Gemeinschaft und ihrer Geschichte und des weiblichen Beitrags dazu herausgestrichen. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Struktur von Übergangsriten Victor Turner beschäftigte sich – anknüpfend an die Arbeiten von Arnold van Gennep – mit der universellen Struktur von Übergangs-riten. Ihm zufolge lassen sich drei Phasen unterscheiden: • Abtrennung(separation) • Liminalität oder liminale Phase (liminality) • Wiedereingliederung (incorporation) Die mittlere liminale Phase – also das Zwischenstadium, „betwixt and between“ – ist häufig mit der völligen Umkehrung der alltäglichen sozialen Verhältnisse verbunden; die Initianden sind • deindividualisiert, statusgleich, ihrer Besitztümer beraubt, • untergeordnet unter die Autorität der bereits Initiierten. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Liminale Phase Studien von Victor Turner zu Initiationsriten und Liminalität (u.a. Ndembu, Zambia) • Die Jungen werden gewaltsam von ihren Häusern weggebracht – um sie dadurch von den Frauen zu separieren – insbesondere von ihren Müttern (die mitunter Wehklagen anstimmen, so als ob ihre Söhne gestorben wären). • Separiert von früherem Heim und früheren Rollen, durchlaufen die Jungen die liminale Phase. Sie leben abgesondert, halten Nahrungstabus ein und müssen sich immer wieder Prozeduren unterziehen, die ihre Fähigkeit belegen, physische und seelische Schmerzen ohne Aufschrei zu ertragen (fasten, tagelang nicht trinken; Einschüchterungen; aber auch körperliche Eingriffe als bleibende sichtbare Zeichen für Erreichen des Mannesalters). • Die liminale Phase ist durch eine simple soziale Struktur gekennzeichnet: Um zu symbolisierenden, dass die Initianden gleichen Status zugewiesen bekommen, werden ihnen alle Habseligkeiten weggenommen, ihre Gesichter oder Körper werden in der gleichen Farbe bemalt, sie tragen die gleiche Kleidung und ihr Haupthaar wird geschoren. Dadurch sehen sie sich ähnlich, was ihre gemeinsame Identität und ihre Unterordnung unter die Ritual-Ältesten, die für ihre Initiation verantwortlich zeichnen, unterstreichen soll. • Nach dieser Zeit der gemeinsamen Erfahrung werden die jungen Männer wieder in ihre Gruppe eingegliedert, nun aber mit neuen Rechten und Pflichten . Nun können sie heiraten, erhalten ein Teil des Erbes, kleiden sich anders, beziehen eine neue Wohnstätte – sie kehren ins soziale Leben als neue Personen zurück. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Diskussion Bitte in den nächsten 5 Minuten mit den unmittelbaren Banknachbar/innen diskutieren: • Lässt sich Turners Modell auch auf Phänomene in unserer Gesellschaft anwenden? Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
… Diskussion: Initiationsriten mit Turners drei Phasen in unserer Gesellschaft • Eintritt in Bundeswehr, • Aufnahme in religiöse Orden, Priesterweihe, • Burschenschaften • Sonstiges… Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Lebenszyklusphase: Erwachsenendasein • In vielen Gesellschaften ist das Erwachsenenalter mit Ehe (Hochzeit häufig auch Übergangsritual!) und Kindern verbunden – insbesondere in nicht-industriellen Gesellschaften. Frauen heiraten in der Regel früher als Männer; Ehe und Kinder gelten als erstrebenwerte Form der Lebensgestaltung, bedeuten Prestigegewinn, Ehe und Kinder bedeuten soziale und ökonomische Unabhängigkeit, Kinder bedeuten Alterssicherung. ältere unverheiratete Personen ohne Kinder sind oft Objekt von Spott – die mit biologischem und sozialem Alter verbundenen Erwar- tungen decken sich nicht • In Industriegesellschaften ist diesbzgl. ein immenser Wandel zu ver- zeichnen ! Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Lebenszyklusphase: Alter • In vielen Gesellschaften werden alte Menschen wegen ihrer Erfahrung und Weisheit besonders geachtet, nehmen wichtige Positionen ein, ziehen sich (weitgehend) nicht aus den alltäglichen wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten zurück. • In anderen Gesellschaften ist das Alter dagegen die Zeit des Ruhe- stands und mitunter auch der zunehmenden Isolation. • Isolierung, Verspottung, Aussetzung oder Tötung von alten Menschen (parricide) gibt es in industriellen und auch in nicht-industriellen Gesellschaften (z.B. Inuit, Kanada: alte Menschen werden aufgrund von Alter, Krankheit usw. zur Last für ihre Familien, werden abhängig, ihr Prestige sinkt). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
… Lebenszyklusphase: Alter • Folgende Faktoren wirken sich für alte Menschen Statussteigernd aus: • Kontrolle über produktive Ressourcen ihrer Familien (Land, Vieh u.ä.); • Schriftlosigkeit, da es dann die Alten sind, die das historische, religiöse und technische Wissen angesammelt haben und weitergeben können; • langsame Veränderungen, denn dann bleiben die Erfahrungen der Alten wertvoll (dagegen sind bei rapidem Wandel ihr Wissen und ihre Erfahrung „von gestern“). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus
Zur nächsten Stunde: Homepage des Instituts für Völkerkunde durchstöbern http://www.uni-koeln.de/phil-fak/voelkerkunde insbesondere Link bibliothek Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Enkulturation und Lebenszyklus