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„Planungsstile und Planungskulturen“ Überlegungen zur Konzeption eines planungstheoretischen Forschungsprojekts

„Planungsstile und Planungskulturen“ Überlegungen zur Konzeption eines planungstheoretischen Forschungsprojekts. Rainer DANIELZYK Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NRW, Dortmund und Peter WEICHHART Institut für Geographie und Regionalforschung

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„Planungsstile und Planungskulturen“ Überlegungen zur Konzeption eines planungstheoretischen Forschungsprojekts

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  1. „Planungsstile und Planungskulturen“Überlegungen zur Konzeption eines planungstheoretischen Forschungsprojekts Rainer DANIELZYK Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NRW, Dortmund und Peter WEICHHART Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien Forschungsseminar IGR, Universität Wien, 17. 01. 2005 P219PSKult01

  2. Projektkontext und subjektive Erkenntnisinteressen Komplementäre fachliche Interessen als charakteristische (gemeinsame) Merkmale der Projektbetreiber: „Erdnahe“ Verankerung in den „Niederungen“ der Empirie und der Raumordnungspraxis (SIR, ILS, Gutachten, Politikberatung) versus theoretisch-konzeptionelle Ambitionen, Vorliebe für Heterodoxien, multiparadigmatische Ansätze und einen „konstruktiven Eklektizismus“ Bausteine zu einer „Theorie des Planungssystems“? P219PSKult02

  3. Projektkontext und subjektive Erkenntnisinteressen Leitfragen: • Warum „funktioniert“ Raumplanung selbst • in Staaten, die ein derart elaboriertes und • nahezu perfekt institutionalisiertes Raum- • ordnungssystem besitzen, wie Deutschland • oder Österreich, so schlecht? • Was sind die Strukturprinzipien und Funkti- • onsmechanismen des Raumordnungs- • systems? Wie lässt sich die Tiefenstruktur • dieses Systems beschreiben? P219PSKult03

  4. Projektstatus und Ziele des heutigen Referates Phase des „Brainstormings“; es gibt noch keine kon- kreten Festlegungen und definitiven Entscheidungen über die Eingrenzung der Fragestellungen, die Pro- jektstruktur (Umfang und Aufwand) oder den Pro- jektträger (DFG, FWF?) Wie beurteilt das Auditorium die verschiedenen Fra- gestellungen, Detailprobleme und methodischen An- sätze, die im Rahmen der Vorüberlegungen reflektiert wurden? Welche Empfehlungen für die Projektreali- sierung werden mit welchen Begründungen gegeben? P219PSKult04

  5. Methodische und theoretische Orientierung Das Raumordnungssystem wird in der Regel als organisa- torische und institutionelle Struktur dargestellt. Als Be- schreibungsdimensionen werden vor allem folgende Be- reiche herangezogen: • nominelles und funktionales Raumordnungsrecht • administrative Strukturen und Hierarchien, Kompe- • tenzen und Instanzen • Verfahren und Prozesse • Instrumente (Programme, Pläne, REK, FLWPL, Be- • bauungsplan, …) P219PSKult05

  6. Methodische und theoretische Orientierung Bei einer derartigen Konzeption werden zwei Problemfelder akut, die sich in einer reduktionistischen und inadäquaten Darstellung der realen Gegebenheiten äußern: „What about people in spatial planning?“ und „What about people in spatial planning?“ Nach T. HÄGERSTRAND, 1970, verändert. P219PSKult06

  7. Methodische und theoretische Orientierung Das erste Problemfeld, das bei einer reinen Institutionen- analyse unbehandelt bleibt, ist das Verhältnis von Planungs- system und den „Beplanten“. Wichtige Fragestellungen: partizipative Planung, Verhandlungssysteme, endogene Entwicklung, Akzeptanz, Planungsdidaktik etc. Das zweite Problemfeld bezieht sich auf das Faktum, dass die Träger des Planungssystems menschliche Subjekte sind, die als intentionale Wesen die Fähigkeit besitzen, institutionelle Regeln und Normen zu interpretieren, um- zudeuten und im Sinne eigener Motivationen auszulegen. Dieses Problemfeld wurde in der Forschung bislang kaum behandelt und soll im Projekt vorrangig thematisiert werden. P219PSKult07

  8. PERSON SUBJEKT INDIVIDUUM Exkurs: drei Dimensionen des „Ich“ Personalität: gesellschaftliche Bestimmtheit des Einzelnen durch über- nommene Rollen, Werte, Normen, Erwartungen, Gewohnheiten etc.; „persona“= (lat.) „Maske“. EGO Individualität: Besonderheit und Einzigartigkeit; Attribute, durch die Einzelne sich von anderen unterscheiden. Subjektivität: Sprach-, Hand- lungs- und Selbstbestimmungs- fähigkeit, „Quelle“ von Kontingenz (Unbestimmtheit). In Anlehnung an A. SCHERR, 2002, S. 53 P219PSKult08

  9. Methodische und theoretische Orientierung Planungskultur wird als Thema der Planungsforschung immer wichtiger. Dabei geht es immer wieder um das Ver- hältnis von Organisation/Strukturen und Handlungsformen von Akteuren, so z. B. im Konzept von Selle (1998). Dabei fehlt allerdings eine gesellschaftstheoretische Fundierung. P219PSKult09

  10. Aufgaben und Ergebnisse Aktions- und Organisationsformen (Instrumente Techniken) Werte Orientierungen PlanungskulturVermittlung zwischen den Ebenen Werte/Arbeitsformen/Aufgaben P219PSKult10 Quelle: K. SELLE (1998, S. 51)

  11. Methodische und theoretische Orientierung Gesucht ist demnach eine theoretische Orientierung, die so- wohl institutionelle Strukturen als auch subjektive Hand- lungssysteme und die Wechselwirkungen zwischen ihnen erfassen und darstellen kann. Nota bene: Die Frage nach den Beziehungen zwischen Institutionen bzw. sozialen Strukturen auf der einen und handelnden Akteuren auf der anderen Seite zählt zu den wichtigsten Grundproblemen der Sozialwissenschaften. Erste Ansätze zur grundsätzlichen Lösung des Problems: die Strukturationstheorie (A. GIDDENS, „Dualität der Struktur“). („Grand Theory“, wichtig für ein „Framing“ des Projekts, aber „sperrig“ gegenüber Operationalisierungen.) P219PSKult11

  12. Signifikation Herrschaft Legitimation Struktur InterpretativesSchema Fazilität(Machtmittel) Norm Modalität Kommunikation Macht Sanktion Interaktion Methodische und theoretische Orientierung Beispiel Güntner (2004): In Anlehnung an Giddens Planungsprozess als Wechselspiel zwischen Kommunikations-, Macht- und Legitimations- strukturen auf und zwischen struktureller und Interaktionsebene. Quelle: A. GIDDENS, 1997, S. 81 P219PSKult12

  13. Methodische und theoretische Orientierung Eine Gruppe neuerer politikwissenschaftlicher Ansätze scheint uns als Quelle einer gut operationalisierbaren Hinter- grundtheorie sehr gut geeignet zu sein: der Neo-Institutionalismus Eine besonders prägnante Bezeichnung für eine spezifische Variante des Neo-Institutionalismus wurde von Renate MAYNTZ und Fritz W. SCHARPF (1995) eingeführt: akteurszentrierter Institutionalismus (vgl. auch F. W. SCHARPF, 2000, Interaktionsformen. Akteurszentrierter Insti- tutionalismus in der Politikforschung. – Opladen, (= UTB 2136)). P219PSKult13

  14. Konzepte und Theoreme des akteurszentrierten Institutionalismus Ansatz zur Erfassung politischer Prozesse, die von den Interaktionen individueller und korporativer Akteure mit spezifischen Fähigkeiten und spezifischen Orientierungen bestimmt werden und die in einem gegebenen institutio- nellen Kontext und unter gegebenen Bedingungen der Politik-Umwelt stattfinden (F. W. SCHARPF, 2000, S. 85) P219PSKult14

  15. Institutioneller Kontext Probleme Akteure Handlungs- orientierungen Fähigkeiten Kon- stella- tionen Inter- aktions- formen politische Entschei- dungungen Politik-Umwelt Gegenstandsbereich der interaktions-orientierten Policy-Forschung Quelle: F. W. SCHARPF, 2000, S. 85 P219PSKult15

  16. Konzepte und Theoreme des akteurszentrierten Institutionalismus Institutionen (= formale und nicht-formale (soziale) Regeln) ermöglichen, begrenzen, strukturieren Handlungsverläufe. Institutionelle Kontexte (nicht institutionalisiert, Netzwerk, Verband, Organisation) beeinflussen Akteure, Akteurkon- stellationen und Interaktionsformen. Sie „schaffen“ komplexe Akteure und beeinflussen Wahrnehmungen und Be- wertungen. P219PSKult16

  17. Konzepte und Theoreme des akteurszentrierten Institutionalismus Institutionen werden durch menschliches Handeln ge- schaffen und verändert, ihre Entwicklung ist pfadabhängig, sie haben ein großes Beharrungsvermögen. Sie beeinflussen Entscheidungen und Ergebnisse nicht rein deterministisch. Ihre Kenntnis ist für die Erforschung kom- plexer Politikfelder aber zentral. Der Ansatz will nicht nur vergangene politische Prozesse erklären, sondern auch zur Veränderung von Institutionen im Interesse einer gemeinwohlorientierten Politik beitragen. P219PSKult17

  18. Konzepte und Theoreme des akteurszentrierten Institutionalismus Akteure sind durch bestimmte Fähigkeiten und Handlungs- orientierungen, Wahrnehmungen, Präferenzen gekenn- zeichnet. Sie stehen in einer bestimmten Konstellation (und Hand- lungssituation) zueinander. Außerdem beeinflusst die Interaktionsform (einseitiges Handeln, Verhandlung, Mehrheitsentscheidung, hierarchi- sche Entscheidung) das politische Ergebnis. P219PSKult18

  19. Anwendung des akteurszentrierten Institutionalismus in der Planungsforschung Beispiel KNIELING/FÜRST/DANIELZYK (2003): Kooperative Handlungsformen in der Regionalplanung Untersuchung der Praxis der Regionalplanung in acht deutschen Planungsregionen, insbesondere kooperativer Ansätze: • Verfahren zur Erstellung der Regionalpläne • Bezug zu Fachplanungen (Naturschutz) oder Kommu- nalplanungen • Zusatzaktivitäten (z. B. Regionalentwicklung, Wirt- schaftsförderung) P219PSKult19

  20. Anwendung des akteurszentrierten Institutionalismus in der Planungsforschung Einige Ergebnisse: • Überall kooperative Ansätze feststellbar, aber Restriktionen • Institutioneller Rahmen: Dominanz der Ordnungsfunktion, • Lokalismus, Formalisierung, geringe Ressourcen der • Planungsstellen, Konflikte mit Landesplanung usw. • Akteurskonstellation: Große Anzahl, heterogene Inter- • essenstruktur, mit der Regionalplanung konkurrierende • Akteure usw. • Einstellungen und Verhaltensmuster der Akteure: Kein • Regionsbewusstsein, feindliche Akteursorientierung, • Tagesroutinen, ordnungsorientiertes Selbstverständnis usw. P219PSKult20

  21. Schichtenmodell der Planungsgeschichte Quelle: K. SELLE, 1998, S. 54 P219PSKult21

  22. Wichtige Themenfelder und Einzelprobleme • Wer sind eigentlich die Akteure des Raumordnungs- • systems, wer nimmt Einfluss auf Standort- und Alloka- • tionsentscheidungen? • Wie sieht die primäre Intentionalität der Akteure aus? • („Zwei Wirklichkeiten“) • Politische Ökonomie der Standortproduktion und „politi- • scher Opportunismus“: Wie lässt sich der politische • Nutzen der Raumordnung darstellen? • Wie funktionieren Leitbilder? • Welchen Einfluss haben Planerbiographien auf Inhalte • und Abläufe von Planungsprozessen? • Wie lassen sich Planungssysteme typisieren? (Planungs- • stile, Planungskulturen, Planungsparadigmen, Planungs- • doktrinen, …) P219PSKult22

  23. Akteure des Raumordnungssystems und ihre „primären Intentionalitäten“ Das Raumordnungssystem wird in der Literatur meist als institutionelle Struktur beschrieben, die als professionelles und zweckrational organisiertes Handlungssystem dazu dient, im Konsens der gesellschaftlichen Kräfte optimale Standortstrukturen für bestimmte Territorien zu produzieren. Als relevante Akteure gelten dabei die Vertreter der Pla- nungsbehörden, die ressortzuständigen Politiker sowie die beteiligten Ziviltechniker-Planer (Österreich). In Wahrheit sind am System der Standortproduktion we- sentlich mehr Akteure beteiligt, deren primäre Intentionali- täten in der Regel an verschiedenen anderen Motiven und Zwecksetzungen orientiert sind. P219PSKult23

  24. POLITIK DIENSTLEISTER PRIVATWIRTSCHAFT Parteipolitik Landespolitik Kommunalpolitik Anwälte Ziviltechniker- Raumplaner MEDIEN Gutachter Journalisten INTERESSENVER- TRETUNGEN Institute Herausgeber Sozialpartner Kammern GRUNDBESITZER, VER- FÜGUNGSBERECHTIGTE DIENSTLEISTER VERWALTUNG Standesver- tretungen Bauern, Private Amtsleiter, Ge- meindebedienstete Betriebe, Konzerne „BETROFFENE“ Bezirkshauptmann, Beamte BH Kapitalgesellschaften Bürgerinitiativen Bauträger Fachbeamte Planungsämter NGOs Projektanten Anrainer Kirche etc. Geschäftsführer Regionalverbände Akteure des Raumordnungsprozesses (Österreich) P219PSKult24

  25. Primäre Intentionalität POLITIK DIENSTLEISTER PRIVATWIRTSCHAFT Wahlerfolg, Macht, Budget Aufträge, Wert- schöpfung MEDIEN Auflage, Erfolg INTERESSENVER- TRETUNGEN Lobbying, Gruppen- interessen DIENSTLEISTER VERWALTUNG GRUNDBESITZER, VER- FÜGUNGSBERECHTIGTE Verwal- tungs- vollzug, Karriere Kompetenz- abgrenzung „BETROFFENE“ Lebens- qualität, Interessen Wert- schöpfung, Verwertung P219PSKult25

  26. Politische Ökonomie der Standortproduktion Die Frage der politischen Ökonomie der Standortproduktion wird in der planungstheoretischen Literatur geradezu als Tabuthema gehandhabt, gelegentlich ist verschämt von „po- litischem Opportunismus“ (J. GENOSKO, 2002) die Rede. In Wahrheit ist der Prozess der Raumordnung in sehr er- heblichem Maße durch den politischen Nutzen der Standort- produktion geprägt. Es erscheint absurd, „…dass die überlieferte ökonomische Standort- und Landschaftsstrukturtheorie die Regierenden als verantwortliche Aktoren im Siedlungsprozess überhaupt nicht wahrgenommen hat.“ D. BÖKEMANN, 1982, S. 11 P219PSKult26

  27. Ökonomische Theorie der Demokratie „In Demokratien nutzen die Regierenden … den ihnen durch Wahlen anvertrauten Staatsapparat (Bürokratie) auf analoge Weise wie private Wirtschaftssubjekte ihr Eigentum: nach der ökonomischen Rationalität des Eigennutzes zur Erhal- tung und Vermehrung ihrer Verfügungsrechte über bestimmte Mittel.“ D. BÖKEMANN, 1982, S. 19 Standorte lassen sich als vom Staat bzw. Gebietskörper- schaften produzierte Güter betrachten. Neben den Grund- stückseigenern ist auch die öffentliche Hand „Verfügungs- berechtigte“ von Standorten, denn sie ist am Nutzenertrag (etwa in Form von erwirtschafteten Steuern) beteiligt. In Anlehnung an J. SCHUMPETER, 1942, A. DOWNS, 1968 oder J. M. BUCHANAN, 1968 P219PSKult27

  28. Ökonomische Theorie der Demokratie Flächenwidmungspläne, Regionalpläne, Sachprogramme, Stadt- oder Landesentwicklungsprogramme „produzieren“ Standorte und damit Nutzungspotenziale. Die Regierenden bedienen sich dabei institutionell abge- grenzter Bereiche der Verwaltung als „Produktionsapparate“. Ihre „Ertragserwartungen“ sind primär daran orientiert, sich politische Entscheidungsspielräume zu erhalten und mög- lichst zu vergrößern. Ihre „Produktionsziele“ sind deshalb nicht standortfunktional (im Sinne einer Optimierung der „Ordnung des Raumes“), sondern durch politische Nutzen- kategorien oder „politische Güter“ definiert, die der Siche- rung und/oder Vergrößerung politischer Handlungsspiel- räume dienen. P219PSKult28

  29. Ökonomische Theorie der Demokratie „Politische Güter“: • Disposition über Budgetmittel (Steuereinnahmen) • Wählerloyalität (Wählerstimmen) • Erhöhung des Standortnutzens (bzw. Minimierung der • Standortbenachteiligung) für jene privaten Standorteig- • ner (oder Anrainer), die dem eigenen politischen Klientel • angehören. Ökonomische Abwägungen über politische Güter können auch dazu führen, dass auf die Produktion standörtlicher Nutzungspotenziale verzichtet wird, wenn die Regierenden befürchten, dass Wähler (z. B. betroffene Anrainer) ihnen deshalb ihre Gunst entziehen könnten. P219PSKult29

  30. Politische Ökonomie der Standortproduktion Analyse konkreter empirischer Beispiele: • Position der Regierung Schausberger (ÖVP) gegen- • über den Ausbauplänen des Salzburger Airport-Centers • (Bestandsschutz des innerstädtischen Einzelhandels) • Position der Regierung Burgstaller (SPÖ/ÖVP) • zur gleichen Frage (Einkaufszentren sind gute Arbeit- • geber, beschäftigen Behinderte, stellen Lehrlinge ein, • Arbeitgeber sind gewerkschaftlich organisiert) Im Kontext der politischen Ökonomie ist auch die Möglich- keit zu berücksichtigen, dass die Standortproduktion als Me- dium für die Erzielung eines „Ego-“ oder Imagegewinns für einzelne Akteure eingesetzt werden kann. P219PSKult30

  31. Politische Ökonomie der Standortproduktion Überlegungen zur politischen Ökonomie der Raumordnung bieten sehr plausible Ansätze zur Erklärung des faktischen Versagens der Regionalplanung. Im Bereich der Regionalplanung kann es einen politisch- ökonomischen Nutzen nur dann geben, wenn die betref- fende Planungsregion auch als „Quasi-Gebietskörperschaft institutionalisiert ist und sowohl „Regierende“ als auch er- wähnenswerte eigenständige Budgets existieren. Best-Practice-Beispiele einer funktionierenden Regional- planung (die Regionen Stuttgart und Hannover) sind beein- druckende empirische Belege für diese These. P219PSKult31

  32. „Planungsdoktrin“ Der Begriff „Planungsdoktrin“ wurde von A. FALUDI (1989 und 1999, A. FALUDI und A. J. van der VALK, 1994) ein- geführt und am Beispiel des niederländischen Planungs- systems erläutert. Wir glauben, dass sich dieses Konzept zu einem hervor- ragenden analytischen Modell zur detaillierten Darstellung der Tiefenstruktur und zur Typisierung von Raumordnungs- systemen weiterentwickeln lässt. Planungsdoktrin: ein konzeptuelles Schema, das von einem Planungssubjekt verwendet wird „… to integrate and express its ideas about the planning and development of a spatially defined area“ (E. R. ALEXANDER und A. FALUDI, 1996, S. 13). P219PSKult32

  33. Planungsdoktrin Wir verstehen unter „Planungsdoktrin“ die Gesamtheit aller mit dem Planungsprozess verknüpften Denkkonzepte, Ziele Raummodelle, Bilder, Metaphern, Verfahren, Methoden, Regeln und Normen, die für ein bestimmtes Raumord- nungssystem charakteristisch und konsensbildend sind. Dazu zählen auch alle Vorstellungen und Postulate über Kompetenzen und deren Hierarchie, die Definition des Pla- nungssubjekts und die Abgrenzung des Planungsobjekts. Planungsdoktrinen sind in keinem Dokument oder Gesetz expressis verbis ausformuliert, lassen sich aber aus den Planungsdokumenten sowie der sozialen und administra- tiven Praxis erschließen. P219PSKult33

  34. Die aktuelle Planungsdoktrin der österreichischen Bundesländer I • Raumordnung hat weit überwiegend ordnungspolitische • Aufgaben und Zielsetzungen. • Raumordnung ist Sache der Länder und Gemeinden. Nur • sie kommen als Planungssubjekte in Frage. • Raumplanung ist ausschließlich eine Angelegenheit der • dafür eingesetzten amtlichen Institutionen (Planungsabt.). • Planungsregionen sind durch Verwaltungsgrenzen defi- • niert; Gemeinde-, Länder- und Staatsgrenzen sind als • unüberschreitbare Kompetenzbarrieren zu akzeptieren. P219PSKult34

  35. Die aktuelle Planungsdoktrin der österreichischen Bundesländer II • Raumplanung darf sich nur auf raumwirksame Maß- • nahmen beziehen; Wirtschafts- und Sozialpolitik sind • eigenständige Bereiche, die von der Raumordnungs- • politik strikt zu trennen sind. • Raumplanung darf nur solche Verfahren und Instrumente • einsetzen, die in den einschlägigen Gesetzen definiert • sind. • Raumordnung ist Verwaltungshandeln; die Rationalität • des Planungsprozesses ist primär durch juristische Argu- • mentation gekennzeichnet. • … P219PSKult35

  36. Eine Planungsdoktrin, die mit den aktuellen Erfordernissen kompatibel wäre I • Raumordnung hat weit überwiegend entwicklungspoliti- • sche Aufgaben und Zielsetzungen. • Raumordnung ist Sache aller gesellschaftlichen Kräfte • einer Region. Als Planungssubjekte sind primär Funktio- • nalregionen bedeutsam. • Raumplanung ist nicht nur eine Angelegenheit der dafür • eingesetzten amtlichen Institutionen (Planungsabt.), son- • dern soll alle regionalen Akteure aktiv einbeziehen. • Planungsregionen sind durch die sozioökonomische • Praxis definiert; Gemeinde-, Länder- und Staatsgrenzen • dürfen dabei keine entscheidende Rolle spielen. P219PSKult36

  37. Eine Planungsdoktrin, die mit den aktuellen Erfordernissen kompatibel wäre II • Raumplanung darf sich nicht nur auf raumwirksame Maß- • nahmen beschränken; Wirtschafts-, Umwelt- und Sozial- • politik sind mit der Raumordnungspolitik eng zu ver- • netzen. • Raumplanung muss alle Verfahren und Instrumente ein- • setzen, die für zeitgemäße Management- und Marketing- • prozesse erforderlich und geboten sind; Steuerungsmaß- • nahmen sind besonders über privatrechtliche Verträge • abzusichern. • Raumordnung ist als Governance-Prozess zu organisie- • ren; die Rationalität des Planungsprozesses ist primär • durch Sachargumente gekennzeichnet. • … P219PSKult37

  38. P222ZOREÖGR/30

  39. Institutionen Unter einer Institution versteht man „...eine Sinneinheit von habitualisierten Formen des Handelns und der sozialen Interaktion, de- ren Sinn und Rechtfertigung der jeweiligen Kultur entstammen und deren dauerhafte Beachtung die umgebende Gesellschaft sichern.“ H. L. GUKENBIEHL, 2002 b, S. 144. Habitualisiertes Handeln: zur Gewohnheit gewordene Handlungsroutinen. SWG/04/02/09

  40. Strukturen von Institutionen • Leitidee („Verfassung“); wird von den Mitgliedern • des jeweiligen Gesellschaftssystems anerkannt; • Beispiel: Gedanke des Ehesakraments; • Personalbestand: jenes Ensemble von Positionen • und Rollen, das für die Realisierung der Leitidee • erforderlich ist (Braut, Bräutigam, Priester, ...). • Regeln und Normen: steuern den Umgang der be- • teiligten Personen miteinander und sollen die Reali- • sierung der Leitidee sicherstellen (Ritual, „Ja“, etc.). • Materieller Apparat: Gegenstände, Werkzeuge, • Settings, die für die Realisierung der Leitidee einge- • setzt werden (Kirche, Ringe, ...). SWG/04/02/10

  41. Gesellschaftsaspekt und Personenaspekt von Institutionen • Gesellschaftsaspekt: Institutionen sind in der geistigen und materiellen Welt einer Gruppe verankert und Bestandteil der Kultur dieser Gruppe. • Personenaspekt: Institutionen sind in den Bewusstseinsprozessen von Personen verankert und sind Bestandteile ihrer Lebenswirklichkeit. SWG/04/02/11

  42. Geistige Welt Bewusstsein Geistige Kultur Leitidee Gesell- schaft Person Sozialgeschichte Biographie Personal Normen Materieller Apparat Körper Materielle Kultur Materielle Welt Strukturmodell der Institutionen Institution Quelle: H. L. GUKENBIEHL, 2002 b, S. 147, verändert. SWG/04/02/12

  43. Funktionen von Institutionen Institutionen verknüpfen Personen, Gegen- stände und Handlungen derart, dass durch das gemeinsame und koordinierte Handeln bestimmte gesellschaftlich bedeutsame Auf- gaben, die immer wieder vorkommen, in gleichartiger und damit vorhersehbarer Weise vollzogen werden können. (Vergl. H. L. GUKENBIEHL, 2002 b, S. 147. Institutionen vermitteln dem Individuum das Gefühl von Stabilität, Sicherheit und Ordnung. SWG/04/02/13

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