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Systemische Begabungsförderung aus psychologischer und neurowissenschaftlicher Perspektive

Systemische Begabungsförderung aus psychologischer und neurowissenschaftlicher Perspektive. Vortrag bei den 13. ECHA-Österreich Tagen 2012, Linz. Aljoscha Neubauer Differentielle Psychologie.

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Systemische Begabungsförderung aus psychologischer und neurowissenschaftlicher Perspektive

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  1. Systemische Begabungsförderung aus psychologischer und neurowissenschaftlicher Perspektive Vortrag bei den 13. ECHA-Österreich Tagen 2012, Linz Aljoscha Neubauer Differentielle Psychologie

  2. Lisa ist begabt. Besonders in Mathe ist sie gut. Sie hat eine hohe Merkfähigkeit für mathematische Symbole. Da können die Lehrer/innen nur staunen. Das liegt in der Familie. Auch der Bruder ist ein Mathe – As. Der Vater arbeitet als Wissenschaftler. Lisa liebt Mathe. Jede freie Minute beschäftigt sie sich damit. Vor allem liebt sie Knobelaufgaben und versucht selbst herauszufinden, was sie noch nicht weiß. Vater und Bruder können sie gut fördern, da sie auch für Mathe „brennen“. Auf der Suche nach Begabungsindikatoren Prof. Lehwald, Zentrum für Potentialanalyse und Begabtenförderung, Leipzig

  3. Sichtweisen von Lehrer/innen und Eltern „Stabilitätstheorie“ „Modifizierungstheorie“ Begabungen sind stabil Jeder hat ein gewisses Maß Alles ist irgendwie angeboren Lehrpersonen können nur im vorgegebenen „Rahmen“ lehren „Hoffentlich hat mein Kind genug Intelligenz und Begabung“ Begabungen können sich ändern Je mehr man lernt, desto mehr kann man lernen (Matthäus -Effekt) Beständige Suche nach Lerngelegenheiten Lehrpersonen können Begabungen steigern helfen/Talente entwickeln „Hoffentlich hat mein Kind genug Anstrengung und Motivation“

  4. >Stabilitätstheorie< Begabungsdefinitionen Von Hochbegabung kann man dann sprechen, wenn ein Kind in bestimmten Bereichen seiner geistigen, künstlerischen, motorischen oder sozialen Entwicklung den Gleichaltrigen deutlich überlegen ist. Hochbegabung ist u.a. gekennzeichnet durch eine… • sehr schnelle Auffassungsgabe • hohe Lern- und Differenzierungsmöglichkeit • kreative und eigenständige Verarbeitung komplexer Phänomene • frühen Spracherwerb auf hohem Niveau • ausgeprägte Vorrangigkeit divergenten Denkens • rasches Durchschauen von Zusammenhängen • Finden und Erfinden ungewöhnlicher Gedankengänge • urtümliche Freude, sich geistig zu „tummeln“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung)

  5. Was ist Intelligenz ? INTELLIGENZ IST LERNFÄHIGKEIT. Intelligentere • lernen schneller, • können Wissen flexibler einsetzen • können besser abstrakte Konzepte verstehen INTELLIGENZ IST NICHT MESSBAR OHNE SCHULBESUCH / LERNEN / WISSENSERWERB: „In einer Gesellschaft, in der es keine Schule, keine Schrift und keine Mathematik gibt, kann sich keine Intelligenz entwickeln“ (Neubauer & Stern, 2009)

  6. Stabilitätstheorie vs. Modifizierungstheorie aus psychologischer Perspektive – Argumente für die Stabilitätstheorie

  7. Ein paar Denkaufgaben… • Welches Wortpasstnichtzu den anderen? • Wielautet die nächsteZahl in der Zahlenreihe? 10

  8. Welche Figur (A-E) erhält man durch Zusammensetzen der einzelnen Figuren-Teile? E C D A B

  9. Welche Begabungen (‚Intelligenzen‘) gibt es? gallgemeine Intelligenz ? soziale Intelligenz emotionale Intelligenz sprachliche Intelligenz mathem.-rechnerische Intelligenz figural-räumliche Intelligenz praktische Intelligenz .... Kreativität

  10. Welche Begabungen (‚Intelligenzen‘) gibt es? gallgemeine Intelligenz ! soziale Kompetenz emotionale Kompetenz sprachliche Intelligenz mathem.-rechnerische Intelligenz figural-räumliche Intelligenz praktische Intelligenz .... Kreativität

  11. Die Lothian 1921 birth cohort(Deary et al. (2000) • Stabilität der Intelligenz über 66 Jahre (11. Lj – 77. Lj.): r = .73

  12. Arbeitsproben Integritätstests Intelligenztests Assessment Center Tests zur Gewissenhaftigkeit Erfolg im Beruf • Kognitive Intelligenz x • Schulleistung/Berufsleistung: r = .50

  13. Stabilitätstheorie vs. Modifizierungstheorie aus psychologischer Perspektive – Argumente für die Modifizierungstheorie

  14. Retrospektive Studien (Bloom 1985) zeigten, dass… …individuelle Unterschiede in grundlegenden kognitiven Fähigkeiten (Intelligenz) eine wichtige, aber oft nicht die entscheidende Determinante für außergewöhnliche Berufskarrieren darstellten. Zusätzlich waren non-kognitive Faktoren wie • Motivation • Selbstdisziplin • Konzentration • Ausdauer in Zusammenhang mit Unterstützung der Eltern und Lehrer/innen für außergewöhnliche Leistungen im späteren Leben in erheblichem Ausmaß verantwortlich!

  15. Begabung ist nicht alles – (gezieltes) Üben macht den Meister (Anders Ericsson) • 10 Jahres Regel für absolute Spitzenleistungen • Motivation, Ausdauer, Konzentration zentral • Schwellenwertmodelle: Basisniveau allgemeiner Fähigkeiten wird überschritten

  16. Wissen und Lernen im Expertise Ansatz • Reichhaltiges Wissen in Netzwerken organisiert • Je enger Wissen in Netzwerken vernetzt ist, desto leichter kann auf Vorwissen zurückgegriffen werden • Unterschiede im Vorwissen bedingen eher die Leistungsunterschiede als basale (angeborene) Intelligenzunterschiede?! • Lerneminenz wird durch langwierige anstrengungs-orientierte Übung erreicht (Deliberatepractice)

  17. Was ist wichtiger: Intelligenz oder Selbst-Disziplin? Korrelation Duckworth & Seligman, 2005: Self-disciplineoutdoes IQ in predictingacademicperformance of adolescents

  18. Begabung/Intelligenz setzen gewisse Grenzen für Wissenserwerb oder generell für Leistungen im Erwachsenenalter, aber Talent (beobachtbare Leistung) resultiert nur wenn intrapersonale und Umweltkatalysatoren einen umfangreichen Expertiseerwerb ermöglichen Expertise ist ebenso wie Begabung zentral für (kreative) Höchstleistungen; (cf. Weisberg) Fazit aus der Psychologie

  19. Stabilitätstheorie vs. Modifizierungstheorie aus neurowissenschaftlicher Perspektive – Argumente für die Stabilitätstheorie

  20. Bildgebende Verfahren der Hirnforschung EEG = Electroencephalographie Positron Emission Tomography (PET) (functional) Magnetic Resonance Tomographie – (f)MRT

  21. Lokalisation psychischer Funktionen Phrenologie: Moderne Neurowissenschaften: Franz – Joseph Gall (1758 – 1828) aus: Nichols & Newsome, 1999; Nature

  22. Wo ist die Intelligenz im Gehirn?Die Parieto-Frontale Integrations TheorieJung & Haier (2007) Präfrontaler Cortex: Handlungsplanung, Entscheiden, Arbeitsgedächtnis Parietaler Kortex: symbolische Verarbeitung, Abstraktion, Elaboration, Wissens-speicherung Brodmann Areale (BA) korreliert mit Intelligenz: dunkle Kreise = LH, helle Kreise = bilateral; weißer Pfeil = arcuate fasciculus. GRAUE & WEISSE SUBSTANZ: je r = 0,3

  23. Erblichkeit der Gehirnstruktur (GM)(Zwillingsstudie Vergleich EZ vs. ZZ) Thompson et al. 2001

  24. Zwischenfazit • Intelligenz (und damit mutmaßlich auch Hochbegabung) ist zu 50 – 80% genetisch bedingt, weil • Auch die Gehirnstruktur im Frontalhirn, (und evtl. die Myelinisierung) genetisch bedingt sind (im Präfrontalkortex bis 85%); • Hochbegabte haben ein (genetisch bedingt) gut ausgeprägtes Frontalhirn; dieses bewirkt eine hohe Arbeitsgedächtniskapazität (als eine zentrale Grundlage der Intelligenz bzw. Fähigkeit, schnell und effizient zu lernen) • Conclusio: Begabte Gehirne müssen gefördert werden, da die Struktur des Parietalkortex (Abstraktion, Elaboration, Wissensabruf) eher umweltgesteuert ist (genetischer Einfluss 20 – 30%)

  25. Stabilitätstheorie vs. Modifizierungstheorie aus neurowissenschaftlicher Perspektive – Argumente für die Modifizierungstheorie

  26. GM-Veränderungen nach Jongliertraining (Draganski et al., 2004, Nature) Mehr hippocampales GM-Volumen in Taxifahrern mit mehr Berufs- bzw. Navigationserfahrung (Maguire et al., 2000, PNAS) Gehirnstruktur ist auch veränderbar time as taxi driver (months) 0 100 150 200 250 300 350 400 50 6 posteriorhippocampus 4 2 0 -2 -4 -6 • GM Zunahmen in posterioren Cortex Arealen und Hippocampus in Medizinstudenten die sich für eine große Prüfung vorbereiteten von t1 (3 mo vor) zu t2 (nach Prüfung), und teilweise (nur Hippocampus) zu t3 (3 Monate nach Prüfung; Draganski et al., 2006)

  27. Intelligenz und Gehirnnutzung – Die neurale Effizienz-Hypothese r(RAPM x GMR) = -.44 bis -.84 Haier et al. (1988): Intelligenz und Glucose-Metabolismus (PET) NEURAL EFFICIENCY „Intelligence is not a function of how hard the brain works but rather how efficiently it works. ... This efficiency may derive from the disuse of many brain areas irrelevant for good task performance as well as the more focused use of specific task-relevant areas.“ (Haier et al., 1992) IQ lowIQ high

  28. Kann neurale Effizienz ‚erworben‘ werden? • Vergleich von Experten (Taxifahrer) mit höherer vs. niedriger Intelligenz im Hinblick auf Gehirnaktivierung (neurale Effizienz) während der Bearbeitung einer • a) einer vertrauten, expertise-bezogenen Aufgabe (räumliche Orientierung in Graz) • b) einer neuartigen, intelligenztestartigen Aufgabe (räumliche Orientierung allgemein) (Grabner, Stern, Neubauer, 2003, Int.J.Psychophysiol.)

  29. Results Intelligence Task > r with IQ = .50** IQ lower IQ higher Expertise Task = r with IQ = .10 Grabner, et al., 2003, Int. J. Psychophysiol

  30. Conclusio • Expertiseerwerb macht das Gehirn neural effizienter • Bei der Bearbeitung neuartiger, unbekannter kognitiver Aufgaben ist das ‚intelligentere Gehirn‘ im Vorteil, da es effizienter ist -> mehr Reserven • …Intelligenz ist Lernfähigkeit…

  31. Und was ist mit der Kreativität ?

  32. Definition von Kreativität „Kreativität ist die Fähigkeit etwas Neues zu schaffen“ (Barron, 1965) “Creativity can be defined as an idea or product that is original, valued, and implemented” (Csikszentmihalyi & Wolfe, 2000)

  33. Erfassung von Kreativität • Selbstbeurteilungmethoden: z.B. frühere & aktuellekreativeAktivitäten und Leistungen • Fremdbeurteilung(peer nomination): Evaluation durchAndere • Persönlichkeitskorrelate:z.B. Offenheit, Selbstvertrauen, geringeGewissenhaftigkeit (Künstler), Feindseligkeit, Impulsivität • ‘Kreativitätstests’ – MaßefürdivergentesDenken • BiografischeAnsätze (Einzelfallstudien, historiometrischeMethode)

  34. Fähigkeit zum divergenten Denken: notwendige, nicht hinreichende Voraussetzung für Kreativität Verwendungsmöglichkeiten Bsp.: Ziegelsteine verwendet man üblicherweise um Häuser und Mauern zu bauen. Wozu könnte man sie noch verwenden?!? Etwas anderes bauen (z.B. Regal oder Treppe) (50) Als Unterlage (17) Wurfgeschoss (16) … Karateübungen (5) Buchstütze (1) Originelle Visitenkarte (1) - Joy P. Guilford (1967): Ideenflüssigkeit, Ideenflexibilität, Ideenoriginalität

  35. Kreativität & Gehirn • Genetische Einflüsse sind gering (max. 10-20%) • Keine gehirnstrukturellen Korrelate (graue oder weiße Substanz) • Untersuchung von ‚kreativen Gehirnzuständen‘ • Systemische Perspektive…

  36. Theorien zur Kreativität: Primary process cognition (Kris, 1952) • Flexibles Wechseln zwischen primären (frei-assoziativen, traumähnlichen) und sekundären (abstrakten, logischen, kognitiven) Bewusstseinszuständen (Kris, 1952) • Kreative Personen berichten über mehr Phantasie-Aktivitäten (Lynn & Rhue, 1986; Martindale & Dailey, 1996) • Besseres Erinnerungsvermögen an Träume (Hudson, 1975) • Beziehung zwischen Psychopathologie und Kreativität: Psychotizismus(Eysenck, 1995); manisch-depressive Psychose (Weisberg, 1994; siehe auch Prentky, 1989; Vaitl et al., 2005)

  37. Kreativität: Was passiert im Gehirn? Z.B.: Finden Sie Erklärungsmöglichkeiten für folgende Situation:Ein Leuchten in der Dunkelheit Aufgabe: + IDEE Stimulus onset IDEE IDEE R A A A Nächste Aufgabe 1250 – 250 ms pre IDEA 1250 – 250 ms pre IDEA 2500 – 12500 ms 1250 – 250 ms pre IDEA Aktivierungsmaß: Aufgabenbezogene Veränderung der EEG-Alpha-Aktivität Ruhephase 15s Antwortintervall 3min

  38. Gehirnaktivierung während der Produktion kreativer Ideen • Stärkere Alphaaktivität in frontalen als in posterioren Gehirnregionen • Bei originelleren Ideen zeigt sich (im Vergleich zu weniger originellen Einfällen) eine stärkere Alphaaktivität in zentroparietalen (sowie anteriofrontalen) Regionen Fink & Neubauer (2006),in International Journal of Psychophysiology

  39. Förderung von Kreativität: Aber wie? • Kreativitätstechniken (z.B. Brainstorming, Brainwriting, Mindmapping etc.) -> Kognitive Stimulation • Entspannungsübungen und Meditationstechniken(Krampen, 1997; So & Orme-Johnson, 2001) • durch Musik, Humor oder positive Emotionen (Ashby et al., 1999) -> Affektive Stimulation • Divergentes Denktraining(Benedek et al., 2006; Scott et al., 2004) • Biofeedback/Brain stimulation (TMS)

  40. Kontrollgruppe Trainingsgruppe Kreatives Denktraining am PC Das Training: Übungsaufgaben: Erfinden von Namen, Slogans, Produktverbesserungen etc. Dauer: ~ zwei Wochen (30 min. Trainingssitzung pro Tag) Die Trainingsstudie (n = 30): 1.) Vortest (EEG) 2.) Training 3.) Nachtest (EEG) Ergebnisse:  Höhere Originalität der Ideen  Zunahme der Alphasynchronisation in frontalen Arealen des Gehirns Benedek, Fink, Neubauer (2006). in Creativity Res. J. Fink, .. Neubauer (2006) in European Journal ofNeuroscience

  41. Positive Emotionen, Dopamin & Kreativität • Positiver Affekt • Kleine, unerwartete Belohnungen • Cartoons, lustige Filme • Kleine Erfolgserlebnisse • …steigert Dopaminausschüttung im mesokortikolimbischen System • …hat positiven Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit • Kognitive Flexibilität • Kreatives Problemlösen • Mehr Assoziationen • Höhere Wortflüssigkeit Ashby et al. (1999), Psychological Review

  42. CognitiveStim. AffectiveStim. Incubation Convergent Control Vorstudie: Verlauf der Ideenmenge – Vergleich von 4 Interventionen Ideenzahl 40 Intervention 35 30 25 20 15 0 - 1.5 1.5 – 3.0 3.0 – 4.5 4.5 – 6.0

  43. Systemperspektive der Kreativität (Csikszentmihalyi , 1999)

  44. Wie die Umwelt auf unser Gehirn rückwirkt: Effekte kognitiver Stimulation mit unterschiedlich originellen Ideen Aufgabe: Alternative Verwendungsmöglichkeiten Fink et al., 2009

  45. Orginalität der Antworten Fink et al., 2009

  46. General effect of cognitivestimulation (STIM vs. Control) STIM common/original > Control Control > STIM common/original - R dorsal parietal lobe ~ low attentional focus on memory retrieval(Cabeza et al., 2008) + L mid temporal gyrus~ activation/retrieval of semantic information (e.g., Binder et al., 2009)

  47. Effectsofstimulationspecificallywithcommonideas STIM common > Control Control > STIM common + L sup frontal gyrus~ working memory (e.g., Boisgueheneuc et al., 2006) • R temporo-parietal junction • ~ focused internal attention(e.g., Corbetta et al., 2008)

  48. Social Neuroscience… PLOS One, 2010

  49. Take home messages • Begabung ist (teilweise genetisch bedingtes) Grundkapital für die Entwicklung von Talent • Entwicklung von Talent durch intrapersonale und Umweltkatalysatoren (deliberatepractice!) • Gene eher unbedeutend für Kreativität → Kreativität als Prozess ! • Herausragende (kreative) Leistungen sind systemisch zu definieren; Verständnis der dabei stattfindenden Gehirnprozesse in Individuen = Perspektive für ‚Educational Social Neuroscience‘

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